Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Aktenzeichen 1 S 1862/99) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 17. Juli 2000 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen führt nicht auf einen Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO. Namentlich verbindet sich mit dem Streitverfahren keine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wie die Beschwerde geltend macht. Die von der Beschwerde zur Begründung der behaupteten Rechtsgrundsätzlichkeit aufgeworfenen Fragestellungen sind, soweit sie überhaupt fallübergreifend zu beantworten sind, auch ohne die Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig in dem Sinne zu beantworten, wie sie das Berufungsgericht entweder ausdrücklich oder der Sache nach beantwortet hat.
1. Als rechtsgrundsätzlich will die Beschwerde zunächst die Frage geklärt wissen, ob ein Liegerad ein Fahrrad im Sinne der Straßenverkehrsordnung ist. Diese Frage ist mit dem angefochtenen Urteil eindeutig zu bejahen.
Freilich definiert § 2 der Straßenverkehrsordnung vom 16. November 1970 (BGBl I S. 1565, ber. BGBl 1971 I S. 38) – StVO – in der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Fassung, die sie durch die Verordnung vom 25. Juni 1998 (BGBl I S. 1654) angenommen hat, den Begriff „Fahrrad” nicht. Schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch steht aber außer Zweifel, dass das Liegerad begrifflich zu den Fahrrädern zählt. So definiert die Brockhaus-Enzyklopädie (20. Aufl. Band 7) das Fahrrad als zweirädriges einspuriges Fahrzeug, das mit Muskelkraft durch Tretkurbeln angetrieben wird. Darüber hinaus gibt die Straßenverkehrsordnung durch die Verwendung des Begriffs „Radfahrer” in § 2 Abs. 4 StVO zu erkennen, dass Fahrräder zu den Fahrzeugen im Sinne des § 2 Abs. 1 StVO zu rechnen sind. Weil aus der Definition des Kraftfahrzeugs in § 1 Abs. 2 StVG (Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein) folgt, dass ein Fahrrad ein Fahrzeug ist, das nicht durch Maschinenkraft bewegt wird, lässt sich systematisch ableiten, dass es die spezielle Antriebsart ist, die das Fahrrad kennzeichnet und die es von anderen Fahrzeugen abhebt, nämlich der Einsatz der menschlichen Muskelkraft. Dem entspricht es, dass § 2 Abs. 4 Satz 5 StVO, der eine partielle Gleichstellung von Mofas und Radfahrern regelt, diese nur für den Fall anordnet, dass Mofas „durch Treten fortbewegt werden”. Insoweit befindet sich § 2 StVO auch in Übereinstimmung mit dem vom Berufungsgericht zu Recht herangezogenen Übereinkommen über den Straßenverkehr vom 8. November 1968 (BGBl 1977 II S. 811, abgedruckt als Gliederungsnummer 13 in: Becksche Textausgaben, Straßenverkehrsrecht) und dessen Begriffsbestimmung in Art. 1 Buchst. l. Hiernach ist „Fahrrad” jedes Fahrzeug mit wenigstens zwei Rädern, das ausschließlich durch die Muskelkraft auf ihm befindlicher Personen, insbesondere mit Hilfe von Pedalen oder Handkurbeln, angetrieben wird. Da das vom Kläger benutzte „Liegefahrrad” nach den vom Berufungsgericht bindend festgestellten Tatsachen (§ 137 Abs. 2 VwGO), die im Übrigen auch unstreitig sind, ausschließlich durch Treten mit menschlicher Muskelkraft fortbewegt wird und damit die ein „Fahrrad” maßgeblich kennzeichnende rechtliche Qualität aufweist, kommt es zur Beantwortung der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage auf vom Kläger vorgebrachte andere Kennzeichen seines Fahrzeugs (Verkleidung, größerer Radstand, höhere erzielbare Geschwindigkeit etc.) nicht an, wie das Berufungsgericht zutreffend entschieden hat.
2. Auch die weitere von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob „der in der Straßenverkehrsordnung verankerte Radwegebenutzungszwang uneingeschränkt auch für solche Fahrzeuge gilt, die zwar wie Fahrräder herkömmlicher Bauweise über zwei Räder verfügen und mittels Pedalen mit Muskelkraft betrieben werden, die aber im Übrigen eklatante Unterschiede hinsichtlich ihrer Bauweise und ihrer Fahreigenschaften aufweisen”, rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie ist in dem Umfang, in dem sie sich im vorliegenden Rechtsstreit stellt, ohne weiteres zu bejahen.
Hier ist nicht die Frage im Streit, ob für Liegeradfahrer die den Radfahrern in § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO auferlegte Pflicht zur Benutzung beschilderter Radwege auch dann gilt, wenn besondere örtliche Verhältnisse wie etwa der Zustand der Wegeoberfläche oder die geringe Breite des Radweges dem Liegeradfahrer die Benutzung im Einzelfall unzumutbar machen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 1994 – III ZR 60/94 – NZV 1995, 144 für erlaubtes Verlassen eines durch Eis und Schnee gefährlichen Radwegs; vgl. auch die Bestimmungen zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO in der VwV-StVO vom 22. Oktober 1998, BAnz. Nr. 246 b vom 31. Dezember 1998, ber. 1999 S. 947). Auf solche Einschränkungen zielt die Frage nach der „uneingeschränkten” Geltung des Benutzungszwangs nicht, denn weder das angefochtene Urteil noch das Vorbringen des Klägers geben Anlass zu der Annahme, die der angegriffenen Beschlagnahmeverfügung zugrunde liegende Weigerung des Klägers, den Radweg zu benutzen, sei durch solche örtlichen Besonderheiten ausgelöst worden. Der Kläger stellt vielmehr, wie die Beschwerdebegründung zweifelsfrei ergibt, die Radwegebenutzungspflicht für Liegeradfahrer generell in Abrede. Es liegt jedoch auf der Hand und bedarf nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass dies nicht richtig ist.
Es ist bereits ausgeführt worden, das Liegeräder zu den Fahrrädern im Sinne der Straßenverkehrsordnung gehören. Liegeradfahrer sind daher Radfahrer im Sinne des § 2 Abs. 4 StVO. Die Auffassung des Klägers, Sinn und Zweck des § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO verböten gleichwohl dessen Anwendung auf den Liegeradfahrer, trifft nicht zu.
§ 2 Abs. 4 Satz 2 StVO bestimmt, dass Radfahrer Radwege benutzen müssen, wenn die jeweilige Fahrtrichtung mit Zeichen 237, 240 oder 241 gekennzeichnet ist. Die Bestimmung verdankt ihre gültige Fassung der 24. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 7. August 1997 (BGBl I S. 2028, ber. BGBl I 1998 S. 515). Dazu enthält die amtliche Begründung folgende Darlegung: „Die Radwegebenutzungspflicht dient der Entmischung und Entflechtung des Fahrzeugverkehrs. Sie ist aus Gründen der Verkehrssicherheit in der Regel sachgerecht. Allerdings befinden sich heute zahlreiche Radwege entweder in einem baulich unzureichenden Zustand oder entsprechen nach Ausmaß und Ausstattung nicht den Erfordernissen des modernen Radverkehrs. Die Benutzung solcher Radwege ist daher für Radfahrer im Allgemeinen nicht ohne weiteres zumutbar. Die Pflicht zur Benutzung von Radwegen wird deshalb auf solche Radwege beschränkt, die durch die Straßenverkehrsbehörde orts- und verkehrsbezogen mit Zeichen 237, 240 oder 241 gekennzeichnet sind” (VkBl 1997 S. 688).
Die Radwegebenutzungspflicht dient mithin im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs der Trennung von motor- und muskelbetriebenen Fahrzeugen (vgl. allgemein zur Förderung der Verkehrssicherheit durch Radwege: BGH, Urteil vom 29. Oktober 1996 – VI ZR 310/95 – BGHR, StVO § 2 Abs. 4 Satz 2, Radweg 1). Zwar ist die Beibehaltung dieser Pflicht verkehrspolitisch insgesamt umstritten, weil die mit ihr verbundenen Vorteile möglicherweise mit dem erhöhten Risiko von Abbiegeunfällen erkauft werden (vgl. dazu Kettler, NZV 2000, 273 einerseits und Kramer, NZV 2000, 281 andererseits). Das führt aber nicht dazu, dass die Gültigkeit der Regelung generell infrage gestellt werden könnte. Ebenso wenig lässt sich damit ihre Geltung gerade für Liegeradfahrer in Zweifel ziehen. Die bauartbedingten Besonderheiten von Liegerädern ändern nichts daran, dass auch bei ihnen die prinzipiellen Schwächen muskelbetriebener Zweiräder – insbesondere mangelnde Spurtreue und relativ langsame Fortbewegung – gegeben sind. Möglicherweise sind sie sogar schwieriger beherrschbar als ein normales Fahrrad. Das Anliegen des Normgebers, motor- und muskelbetriebene Fahrzeuge im Rahmen des Zumutbaren auf getrennte Fahrwege zu verweisen, trifft daher auch für sie uneingeschränkt zu. Andererseits wird das Risiko eines Abbiegeunfalls nicht so gravierend erhöht, dass der vom Normgeber vorgenommenen Abwägung die Grundlage entzogen wäre. Es ist nicht ersichtlich, dass ein Liegeradfahrer für abbiegende Kraftfahrer bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt wesentlich schwerer zu erkennen wäre als ein anderer Radfahrer.
3. Aus dem Vorstehenden ergibt sich schließlich auch ohne weiteres, dass es keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Liegeradfahrern gegenüber Mofafahrern darstellt, wenn letzteren die Benutzung der Fahrbahn trotz vorhandener Radwege gestattet wird. Wie vorstehend dargelegt, behandelt die Straßenverkehrsordnung Mofafahrer und Liegeradfahrer unter der Voraussetzung gleich, dass der Antrieb durch Muskelkraft erfolgt. Wenn das Straßenverkehrsrecht Mofas die Fahrbahnbenutzung unter der Voraussetzung erlaubt, dass sie durch „Maschinenkraft” im vorstehend abgehandelten Verständnis angetrieben werden, so stellt dies mit Blick auf den Gleichheitssatz schon deswegen einen hinreichenden Grund für eine unterschiedliche Behandlung von Liegefahrrädern und Mofas dar, weil – wie bereits angedeutet – nicht zu leugnen ist, dass mit Muskelkraft bewegte Fahrzeuge regelmäßig – bezogen auf eine gedachte Ideallinie – deutlichere seitliche Ausschläge aufweisen als Mofas. Das hiermit regelmäßig verbundene größere Risiko, von anderen Fahrzeugen beim Vorbei- oder Entgegenfahren erfasst zu werden, musste die Straßenverkehrsordnung von Verfassungs wegen nicht dadurch als kompensiert ansehen, dass – wie die Beschwerde behauptet – Liegeräder in der Regel schneller führen als Mofas.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Bei der Streitwertfestsetzung folgt der beschließende Senat der berufungsgerichtlichen Festsetzung.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Brunn
Fundstellen
Haufe-Index 604709 |
NZV 2001, 493 |