Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung. Vollziehung eines Planfeststellungsbeschlusses. Antragsbefugnis. Naturschutzverein. Anerkennung. Einwendungsausschluss. faktisches Vogelschutzgebiet. Feststellungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses
Leitsatz (amtlich)
- § 5 Abs. 1 VerkPBG greift auch dann ein, wenn im Wege der einstweiligen Anordnung die Untersagung von Bauarbeiten in Vollziehung eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses begehrt wird (im Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 6. August 2001 – BVerwG 4 VR 23.01 – Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 14).
- Wird anstelle der rechtlich unselbständigen Untergliederung eines landesweit tätigen anerkannten Naturschutzvereins ein selbständiger Regionalverein gegründet, so geht die Anerkennung des Landesvereins nicht dadurch auf den Regionalverein über, dass er durch Vereinbarung mit dem Landesverein für seinen Tätigkeitsbereich dessen Rechte und Pflichten übernimmt.
- Nachdem die dreijährige Umsetzungsfrist des § 71 Abs. 1 BNatSchG verstrichen ist, ohne dass der sächsische Landesgesetzgeber das Sächsische Naturschutzgesetz an die rahmenrechtlichen Vorgaben des § 60 BNatSchG angepasst hat, ergibt sich für die vom Freistaat Sachsen nach § 29 BNatSchG a.F. anerkannten Naturschutzverbände eine Klagebefugnis weder aus dem Bundesnaturschutzgesetz noch aus dem Sächsischen Naturschutzgesetz.
- § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG begründet für anerkannte Naturschutzverbände weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung eine Klagebefugnis für Begehren, die sich auf die Geltendmachung von Vollziehungshindernissen gegenüber einem bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss oder auf Rücknahme eines solchen richten.
Normenkette
VwGO § 80 Abs. 5, § 123 Abs. 2 S. 1; VerkPBG § 5 Abs. 1; VwVfG § 75 Abs. 1 S. 1; BNatSchG § 59 Abs. 1, § 60 Abs. 3, §§ 61, 69 Abs. 7; SächsNatSchG §§ 22a, 58
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag, mit dem der Antragsteller begehrt, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung die Durchführung beabsichtigter Bauarbeiten in Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses vom 21. Juli 2004 für den Neubau der B 178n im Teilabschnitt 1.2 zu untersagen, ist unzulässig.
Das Bundesverwaltungsgericht ist als Gericht der Hauptsache nach § 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung zuständig. Nach § 5 Abs. 1 VerkPBG entscheidet es im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten, die Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben nach § 1 VerkPBG betreffen. Der Zweckrichtung dieser Norm, durch eine Verkürzung des Verwaltungsgerichtsverfahrens den Ausbau der Verkehrswege in den neuen Ländern zu beschleunigen und durch die Beschränkung auf eine Instanz divergierende Entscheidungen zu vermeiden, entspricht es, alle Rechtsstreitigkeiten um Maßnahmen, die der Durchführung eines der in § 1 VerkPBG aufgeführten Vorhaben dienen, beim Bundesverwaltungsgericht zu konzentrieren (Beschluss vom 6. August 2001 – BVerwG 4 VR 23.01 – Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 14 m.w.N.). Um solche Maßnahmen geht es bei den Bauarbeiten, die der Antragsgegner in Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses vom 21. Juli 2004 durchführen will, um den Neubau der B 178n im Teilabschnitt 1.2 ins Werk zu setzen.
Der Antragsteller hat zutreffend um den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO nachgesucht. Die Möglichkeit, vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu erwirken, die die Anwendung von § 123 VwGO nach dessen Absatz 5 hindern würde, steht ihm nicht zu Gebote. Denn der Planfeststellungsbeschluss, der dem Rechtsvorgänger des Antragstellers am 2. August 2004 zugestellt worden und von diesem nicht mit einer Klage angegriffen worden ist, hat mit Ablauf der Klagefrist Bestandskraft erlangt. Dies muss der Antragsteller gegen sich gelten lassen. Für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist danach kein Raum mehr.
Dem Antragsteller fehlt für sein Anordnungsbegehren aber die Antragsbefugnis.
Die Antragsbefugnis für ein Begehren vorläufigen Rechtsschutzes folgt der Klagebefugnis. Da der Antragsteller nicht die Beeinträchtigung eigener Rechte geltend macht, kann sich diese nur aus den Vorschriften über die Klagerechte anerkannter Naturschutzvereine ergeben. Diese Vorschriften vermitteln dem Antragsteller für das von ihm verfolgte Begehren keine Klagebefugnis, an die die Antragsbefugnis anknüpfen könnte.
Er hat schon nicht glaubhaft gemacht, dass er überhaupt über eine Anerkennung als Naturschutzverein verfügt. Seine in der Antragsschrift aufgestellte Behauptung, unter dem 10. November 2005 anerkannt worden zu sein, hat er nachträglich korrigiert und vorgetragen, seine Rechtsstellung als anerkannter Naturschutzverein ergebe sich vielmehr aus dem im Wege der Rechtsnachfolge erfolgten Eintritt in die Rechtsstellung des seit dem 30. September 1991 landesrechtlich als Naturschutzverein anerkannten Grüne Liga Sachsen e.V., aus dem er ausgegründet worden sei, um an die Stelle dessen früherer Untergliederung Regionalvereinigung Oberlausitz zu treten. Dass der Antragsteller auf Grund einer Vereinbarung vom 26. November 2005/6. Januar 2006 für seinen Tätigkeitsbereich in die Rechte und Pflichten des Grüne Liga Sachsen e.V. eingetreten ist, hat indes nicht – ebenfalls für seinen Tätigkeitsbereich – den Übergang der Anerkennung auf ihn zur Folge. Denn die Anerkennung setzt ein auf den jeweiligen Verein bezogenes Prüfverfahren voraus (vgl. zu den maßgeblichen Prüfkriterien für die landesrechtliche Anerkennung § 60 Abs. 3 i.V.m. § 59 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 4 bis 6 BNatSchG), das nach seiner Zielrichtung nicht durch eine bloße privatrechtliche Vereinbarung über die Rechtsnachfolge zwischen einem anerkannten Verein und einem von diesem ausgegründeten Verein ersetzt werden kann.
Selbst wenn man aber für den Antragsteller eine Nachfolge in den Status eines kraft Landesrechts anerkannten Naturschutzvereins bejahen würde, ließe sich aus dieser Anerkennung – selbst unabhängig von dem konkreten Antragsbegehren – keine Klagebefugnis nach den Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes ableiten. § 61 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG bietet dafür schon deshalb keine Grundlage, weil er nur an solche landesrechtlichen Anerkennungen anknüpft, die im Rahmen des bislang vom sächsischen Landesgesetzgeber noch gar nicht umgesetzten § 60 BNatSchG erfolgt sind (so auch OVG Bautzen, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 5 BS 184/05 – LKV 2006, 364). Der Rechtsvorgänger des Antragstellers ist hingegen schon unter der Geltung der Vorgängerregelung des § 29 BNatSchG (in der bis zum 14. August 1993 geltenden Fassung) anerkannt worden. Ebenso wenig könnte der Antragsteller seine Klagebefugnis auf § 69 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG in Verbindung mit § 61 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG stützen. Die Übergangsregelung des § 69 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG erklärt § 61 BNatSchG zwar für die von den Ländern nach § 29 BNatSchG in der bis zum 3. April 2002 geltenden Fassung (BNatSchG a.F.) anerkannten Vereine für anwendbar, soweit diese auf Grund von § 29 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BNatSchG a.F. oder auf Grund einer landesrechtlichen Regelung im Rahmen des § 60 Abs. 2 Nr. 5 und 6 BNatSchG zur Mitwirkung befugt sind, begrenzt diese Rechtsfolge aber auf die Zeit bis zum 3. April 2005. Für den vorliegenden Antrag ist die Übergangsregelung mithin ohne Belang. Ferner dürfte auch § 58 SächsNatSchG als Grundlage einer Klagebefugnis von vornherein ausscheiden. Er schränkt in seinem Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 die Verbandsklage gegen Entscheidungen in Planfeststellungsverfahren gegenüber der bundesrechtlichen Regelung in § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG auf solche Vorhaben ein, die mit Eingriffen in Natur und Landschaft in ausdrücklich bezeichneten Gebieten verbunden sind. Da dieser Widerspruch trotz Ablaufs der Umsetzungsfrist von drei Jahren nach Inkrafttreten der Neufassung des Bundesnaturschutzgesetzes am 4. April 2002 (§ 71 Abs. 1 BNatSchG) nicht ausgeräumt worden ist, dürfte § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SächsNatSchG nicht mehr anwendbar sein (vgl. OVG Bautzen a.a.O. S. 364 und 367).
Die Klagebefugnis und damit auch die Antragsbefugnis des Antragstellers würde schließlich auch daran scheitern, dass der hier in Rede stehende Rechtsbehelf nicht unter den Tatbestand des allein in Betracht zu ziehenden § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 BNatSchG fällt. Diese Vorschrift erfasst Rechtsbehelfe gegen Planfeststellungsbeschlüsse über Vorhaben, die mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sind. Darunter fallen Klagen, die sich auf die Aufhebung derartiger Planfeststellungsbeschlüsse, auf die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit oder auf ihre Ergänzung um naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahmen richten (vgl. Urteil vom 9. Juni 2004 – BVerwG 9 A 11.03 – BVerwGE 121, 72 ≪81 f.≫). Eine dem Antragsbegehren des Antragstellers korrespondierende Klage hätte hingegen ein anderes Ziel. Mit ihr könnte es nur darum gehen, eine Verpflichtung zur Rücknahme oder zum Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses oder aber ein nachträglich eingetretenes Vollziehungshindernis geltend zu machen. Die Antragsbegründung enthält keine klaren Angaben zum Anordnungsanspruch; ihre Ausführungen zu § 22a SächsNatSchG deuten aber darauf hin, dass sie aus dieser Vorschrift ein zwingendes Verbot, von dem durch den Planfeststellungsbeschluss vermittelten Baurecht Gebrauch zu machen, und damit ein Vollziehungshindernis ableiten will. Letztlich kann dies jedoch dahingestellt bleiben, weil § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG nach seinem eindeutigen Wortlaut lediglich Klagen betrifft, die die Überprüfung von Planfeststellungsbeschlüssen vor Eintritt der Bestandskraft zum Gegenstand haben, nicht aber solche, die sich auf Rücknahme oder Widerruf bestandskräftig gewordener Planfeststellungsbeschlüsse oder auf die Geltendmachung von Vollziehungshindernissen richten.
Eine analoge Anwendung der Vorschrift scheidet gleichfalls aus. Indem sie die Fallgestaltungen, in denen anerkannte Naturschutzverbände klagen können, enumerativ aufführt, bringt sie zugleich zum Ausdruck, dass diesen Verbänden nicht generell Klagerechte zum Schutz von Natur und Landschaft vor Beeinträchtigungen zugebilligt werden sollen. Sind die anerkannten Naturschutzvereine in die Kontrolle der Eingriffsakte vor Bestandskraft eingebunden, so besteht kein unabweisbares Bedürfnis, ihnen prozessuale Rechte auch noch für das Stadium nach Eintritt der Bestandskraft einzuräumen. Eine planwidrige Regelungslücke, die durch entsprechende Anwendung des § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG geschlossen werden müsste, ist hiernach nicht erkennbar. Dies gilt umso mehr, als die Bestandskraft von Planfeststellungsbeschlüssen, wie der Ausschluss der Geltung des § 51 VwVfG im Planfeststellungsrecht durch § 72 Abs. 1 VwVfG zeigt, besonderen Schutz genießt.
Der Antrag könnte – seine Zulässigkeit unterstellt – auch in der Sache keinen Erfolg haben. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Soweit er geltend macht, § 22a SächsNatSchG hindere die Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses trotz dessen Bestandskraft, weil die planfestgestellte Straße durch ein faktisches Vogelschutzgebiet verlaufe, ist er mit diesem Einwand jedenfalls in Anwendung von § 61 Abs. 3 BNatSchG ausgeschlossen. Fände § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG auf den Antrag des Antragstellers entsprechende Anwendung, so würde nämlich Gleiches auch für die Präklusionsregelung des § 61 Abs. 3 BNatSchG gelten. Deren Voraussetzungen sind erfüllt. Der Rechtsvorgänger des Antragstellers hatte im Planfeststellungsverfahren Gelegenheit zur Äußerung. Er hat in seiner Stellungnahme vom 19. November 2002 weder das Bestehen eines faktischen Vogelschutzgebietes noch auch nur Tatsachen, die auf ein solches schließen lassen, geltend gemacht, obwohl die ausgelegten Planunterlagen eine ausreichende Anstoßwirkung entfalteten; denn zu diesen Unterlagen gehörte, wie der Antragsgegner unwidersprochen vorgetragen hat, ein Avifaunagutachten, in dem auf die IBA-Ausweisung des Gebiets ausdrücklich hingewiesen wurde. Sollte es sich bei dem Gebiet um ein faktisches Vogelschutzgebiet handeln, so spricht demnach nichts dafür, dass dies auf erst nachträglich eingetretene Umstände zurückzuführen ist. Ob die Planfeststellungsbehörde die Sach- und Rechtslage unter dem Aspekt des europäischen Vogelschutzes richtig beurteilt hat, ist entgegen der Auffassung des Antragstellers für die Frage der Präklusion ohnehin ohne Belang.
Im Übrigen ergibt sich entgegen der Auffassung des Antragstellers aus § 22a SächsNatSchG kein Hindernis, den bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss für den Bau der B 178n im Bauabschnitt 1.2 zu vollziehen. § 22a SächsNatSchG enthält in seinem Absatz 4 ein Verbot von Beeinträchtigungen der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der europäischen Vogelschutzgebiete. Selbst wenn man unterstellt, dass von der geplanten Straße ein faktisches Vogelschutzgebiet berührt wird und dass insoweit das Verbot des § 22a Abs. 4 SächsNatSchG auch ohne die in Abs. 4 Satz 1 vorausgesetzte, hier jedoch fehlende Bekanntmachung greifen könnte, spricht doch nichts dafür, dass dieses Verbot das planfestgestellte Vorhaben trotz Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses erfasst. Im Planfeststellungsverfahren erfolgt eine umfassende Prüfung der Rechtmäßigkeit des Vorhabens. Auch Bestimmungen zum Schutz faktischer Vogelschutzgebiete sind dabei zu berücksichtigen. Dem korrespondiert eine umfassende Feststellungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses (§ 1 SächsVwVfG i.V.m. § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG), die es ausschließt, einem bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss § 22a Abs. 4 SächsNatSchG entgegenzuhalten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts aus § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Storost, Dr. Nolte, Buchberger
Fundstellen
Haufe-Index 1557206 |
BauR 2006, 2101 |
NuR 2006, 707 |
ZUR 2006, 588 |
DVBl. 2006, 1319 |
UPR 2006, 392 |
EurUP 2006, 263 |
SächsVBl. 2006, 267 |