Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 43f Satz 2 Nr. 3 EnWG 2005 als drittschützende Norm
Leitsatz (amtlich)
§ 43f Satz 2 Nr. 3 EnWG (juris: EnWG 2005) ist drittschützend.
Normenkette
EnWG 2005 § 43f S. 2 Nr. 3; LuftVG § 8 Abs. 3 Fassung: 2007-05-10; VwGO § 42 Abs. 2
Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 12.12.2016; Aktenzeichen 6 C 1422/14.T) |
Gründe
Rz. 1
Die Kläger wenden sich als Wohnungseigentümer gegen einen Bescheid des Beklagten nach § 43f Satz 6 EnWG. Mit diesem Bescheid stellte das Regierungspräsidium Kassel fest, dass es sich bei der Ersetzung einer 110-kV-Freileitung durch ein Erdkabel um eine unwesentliche Änderung im Sinne des § 43f EnWG handele und es keiner Planfeststellung bedürfe. Die Kläger sehen ihre Rechte durch die Änderung beeinträchtigt, weil nach Beseitigung eines Tragmastes der Freileitung in unmittelbarer Nähe ihres Grundstücks ein Kabelendmast mit einer weiteren Traverse auf einer Höhe von etwa 13 m errichtet werde, welche die notwendigen Abstandsflächen nicht wahre. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Bescheid der Beklagten aufgehoben (VGH Kassel, Urteil vom 12. Dezember 2016 - 6 C 1422/14.T - juris).
Rz. 2
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Beigeladenen bleibt erfolglos. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
Rz. 3
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 ≪91≫).
Rz. 4
I. Die Beschwerde misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei,
ob § 43f Satz 2 Nr. 3 EnWG für private Dritte drittschützende Wirkung hat, die nicht Adressaten des Bescheides nach § 43f EnWG sind.
Rz. 5
Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, weil sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lässt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 ≪270≫, vom 16. November 2004 - 4 B 71.04 - NVwZ 2005, 449 ≪450≫ und vom 12. Januar 2017 - 4 B 43.16 - NVwZ 2017, 1067).
Rz. 6
Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist eine Klage gemäß § 42 Abs. 2 VwGO nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Ist der Kläger nicht Adressat eines Verwaltungsakts, sondern lediglich als Dritter betroffen, ist für seine Klagebefugnis erforderlich, dass er die Verletzung einer Vorschrift behauptet, die ihn als Dritten zu schützen bestimmt ist (BVerwG, Urteile vom 25. September 2008 - 3 C 35.07 - BVerwGE 132, 64 Rn. 14 und vom 18. Dezember 2014 - 4 C 36.13 - BVerwGE 151, 138 Rn. 14; stRspr). § 43f Satz 2 Nr. 3 EnWG hat drittschützende Wirkung. Dies sieht die Vorinstanz richtig (UA S. 11).
Rz. 7
Nach § 43f Satz 2 Nr. 3 EnWG setzt die Annahme einer unwesentlichen Änderung u.a. voraus, dass Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden oder mit den vom Plan Betroffenen entsprechende Vereinbarungen getroffen werden. Für das Luftverkehrsrecht hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass Vorschriften drittschützend sind, die ein Unterbleiben von Planfeststellung und Plangenehmigung durch eine behördliche Unterbleibensentscheidung nur gestatten, wenn Rechte anderer nicht beeinflusst (BVerwG, Urteil vom 26. September 2001 - 9 A 3.01 - BVerwGE 115, 158 ≪164≫) oder beeinträchtigt werden (BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 36.13 - BVerwGE 151, 138 Rn. 15; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1982 - 4 C 26.78 - BVerwGE 64, 325 ≪328 ff.≫). Die Entstehungsgeschichte legt eine Übernahme der Erkenntnisse zu § 8 Abs. 3 LuftVG nahe, weil sich die Ausgestaltung des § 43f EnWG unter Abweichung vom allgemeinen Planfeststellungsrecht an dem Regelungsmodell des § 8 Abs. 3 LuftVG i.d.F. der Bekanntmachung vom 10. Mai 2007 (BGBl. I S. 698) orientierte (BT-Drs. 17/6073 S. 34). Der Wortlaut des § 43f Satz 2 Nr. 3 EnWG bestätigt diese Sichtweise; denn er nimmt auf die "anderen" Dritten Bezug, deren Rechte nicht beeinträchtigt werden dürfen. Damit lässt sich aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen, der sich hinreichend von der Allgemeinheit unterscheidet (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151 ≪158≫ und vom 28. November 2007 - 6 C 42.06 - BVerwGE 130, 39 Rn. 11). Hiermit übereinstimmend geht die Literatur überwiegend davon aus, dass § 43f Satz 2 Nr. 3 EnWG drittschützend ist (Kupfer, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 3. Aufl. 2015, § 43f Rn. 9; Turiaux, in: Kment, EnWG, 2015, § 43f Rn. 17; im Ergebnis ebenso Pielow, in: Säcker, Energierecht, 3. Aufl. 2014, Bd. I/2, § 43f Rn. 16; Missling, in: Danner/Theobald, Energierecht, Stand Januar 2017, § 43f EnWG Rn. 32; Scheuten, in: de Witt/Scheuten, NABEG, 2013, § 25 Rn. 59; a.A. Kümper, UPR 2017, 211 ≪219≫; derselbe, in: Schink/Versteyl/Dippel, NABEG, 2016, § 25 Rn. 44; Nebel/Riese, in: Steinbach, NABEG/EnLAG/EnWG, 2013, § 43f EnWG Rn. 65).
Rz. 8
Keine Entscheidung bedarf die Frage, ob § 43f Satz 2 Nr. 3 EnWG auch solche Dritte schützt, die allein in abwägungserheblichen Belangen betroffen werden (vgl. zu § 8 Abs. 3 LuftVG a.F. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 36.13 - BVerwGE 151, 138 Rn. 15; dagegen etwa Nebel/Riese, in: Steinbach, NABEG/EnLAG/EnWG, 2013, § 43f EnWG Rn. 39; Kümper, UPR 2017, 211 ≪215≫). Der Verwaltungsgerichtshof hat in Auslegung des nach § 173 Satz 1 VwGO, § 560 ZPO irrevisiblen Landesrechts angenommen, dass die Errichtung des Strommastes die Kläger in ihren Rechten aus § 6 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Abs. 8 Satz 1 der Hessischen Bauordnung i.d.F. vom 15. Januar 2011 (GVBl. I S. 46, 180) (HBO) beeinträchtigt, weil die Spitze der Quertraverse des Kabelendmastes die Mindestabstandsfläche nach § 6 Abs. 5 Satz 4 HBO nicht wahrt (UA S. 13). Damit wäre in einem Revisionsverfahren von einer Beeinträchtigung zwingenden Rechts (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2016 - 4 A 4.15 - NVwZ 2017, 708 Rn. 19 ff.) und nicht einer bloßen Berührung von Abwägungsbelangen auszugehen.
Rz. 9
II. Die Beschwerde möchte weiter grundsätzlich klären lassen,
ob eine unwesentliche Änderung in Form der Beeinträchtigung der Rechte anderer im Sinne des § 43f Satz 2 Nr. 3 EnWG bereits dann anzunehmen ist, wenn subjektive Rechte eines Dritten durch die geplante Änderung bloß berührt sein können oder ob es einer Einwirkung auf das subjektive öffentliche Recht bedarf, die über das jedermann nach Lage der Dinge zumutbare Maß hinausgeht.
Rz. 10
Dies führt nicht zur Zulassung der Revision, weil die Frage nicht entscheidungserheblich ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat für das Revisionsgericht bindend eine Beeinträchtigung des Abstandsflächenrechts festgestellt. Dass damit Rechte eines Dritten bloß "berührt" sein könnten oder sich diese Beeinträchtigung innerhalb des jedermann nach Lage der Dinge zumutbaren Maßes halte, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht angenommen. Hierfür ist im Übrigen auch nichts ersichtlich.
Rz. 11
III. Die Beschwerde möchte schließlich rechtsgrundsätzlich klären lassen,
ob der Verwaltungsbehörde bei einer Entscheidung nach § 43f Satz 2 Nr. 3 EnWG ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Prognosespielraum zukommt.
Rz. 12
Auch diese Frage führt mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zur Zulassung der Revision. Die Beschwerde fordert einen Prognosespielraum der Behörde, da der Verwaltungsgerichtshof bereits die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Rechte Dritter ausreichen lasse. Dies geht am Inhalt des angegriffenen Urteils vorbei. Denn der Verwaltungsgerichtshof stellt eine Rechtsbeeinträchtigung fest (UA S. 12 f.) und erteilt nur für den Fall des Vorliegens einer Rechtsbeeinträchtigung der Forderung nach einer Bagatellgrenze oder einer Entscheidung über das Gewicht der Beeinträchtigung eine Absage (UA S. 13). Hiervon unabhängig legt die Beschwerde auch den grundsätzlichen Klärungsbedarf nicht im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dar. Sie erläutert nicht, welche Gründe im Hinblick auf § 43f Satz 2 Nr. 3 EnWG für einen nur eingeschränkt überprüfbaren Prognosespielraum sprechen sollten, die eine Einschränkung des von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG umfassten Grundsatzes einer vollständigen gerichtlichen Prüfung von Verwaltungsakten rechtfertigen könnten (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00 - BVerfGE 103, 142 ≪156≫ und Beschluss vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - BVerfGE 129, 1 ≪20≫; BVerwG, Urteile vom 7. April 2016 - 4 C 1.15 - BVerwGE 154, 377 Rn. 22 und vom 22. September 2016 - 4 C 6.15 - BVerwGE 156, 136 Rn. 20).
Rz. 13
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Sie umfasst auch die außergerichtlichen Kosten des Beklagten, der die Nichtzulassungsbeschwerde der Beigeladenen inhaltlich unterstützt hat, ohne aber selbst eine Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1993 - 3 C 45.91 - Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 19 S. 24; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 154 Rn. 6). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Haufe-Index 11208587 |
BauR 2017, 2218 |
UPR 2017, 523 |
ZNER 2017, 404 |