Verfahrensgang
VG Wiesbaden (Beschluss vom 22.07.2021; Aktenzeichen 6 K 713/21.WI) |
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Verwaltungsgericht Wiesbaden bestimmt.
Gründe
I
Rz. 1
Die Antragstellerin beantragte beim Amtsgericht Wiesbaden, das Standesamt Wiesbaden anzuweisen, ihre Geburtsurkunde auf den Namen Esther Anna G. auszustellen und dies an das die Heiratsurkunde ausstellende Standesamt Frankfurt am Main weiterzugeben. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragstellerin sei bei ihrer Adoption als Volljährige nicht bekannt gewesen, dass sie gemäß § 1757 BGB den Familiennamen (Ehenamen) der Annehmenden, also ihrer Mutter erhalte.
Rz. 2
Das Amtsgericht wies die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin darauf hin, dass das Standesamt die Regelungen der § 1767 und § 1757 BGB zutreffend angewendet habe. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Namensänderung in Betracht komme, könne durch das Gericht nicht entschieden werden. Auf Nachfrage teilte das Amtsgericht mit, dass ein Antrag auf Namensänderung gemäß § 5 Namensänderungsgesetz bei der unteren Verwaltungsbehörde zu stellen sei. Daraufhin bat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin im Schriftsatz vom 26. Februar 2021 um Verweisung an das Verwaltungsgericht Wiesbaden.
Rz. 3
Mit Beschluss vom 5. März 2021 hat das Amtsgericht Wiesbaden das Verfahren ohne weitere Begründung an das Verwaltungsgericht Wiesbaden verwiesen.
Rz. 4
Das Verwaltungsgericht hat die Beteiligten darauf aufmerksam gemacht, dass es den Verweisungsbeschluss für problematisch halte, da es sich um Standesamtsaufsichtsrecht handele. Mit Beschluss vom 22. Juli 2021 hat es den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung der Zuständigkeit angerufen.
II
Rz. 5
1. Das Bundesverwaltungsgericht ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Amtsgericht Wiesbaden und dem Verwaltungsgericht Wiesbaden berufen.
Rz. 6
Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 VwGO wird ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Zwar ist diese Vorschrift auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Amtsgericht weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (BVerwG, Beschluss vom 10. April 2019 - 6 AV 11.19 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 41 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 26. Juli 2001 - X ARZ 69/01 - NJW 2001, 3631 ≪3632≫). Denn obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den bestrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13 - MDR 2013, 1242 Rn. 5 zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO). Eine solche Situation ist vorliegend gegeben.
Rz. 7
2. Für die Entscheidung über das von der Antragstellerin im Laufe des Verfahrens geltend gemachte Begehren einer Namensänderung ist das Verwaltungsgericht Wiesbaden durch die gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindende Verweisung des Rechtsstreits im Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden vom 5. März 2021 zuständig geworden.
Rz. 8
2.1 Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Der Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden vom 5. März 2021 ist unanfechtbar geworden. Die in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordnete Bindungswirkung tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4). Das Gleiche gilt, wenn das Gericht den Verweisungsbeschluss unter Verletzung des rechtlichen Gehörs getroffen (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2003 - X ARZ 138/03 - NJW 2003, 2990 ≪2991≫) oder entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG nicht begründet hat, wenn sich dem Akteninhalt die maßgeblichen Gründe noch mit hinreichender Sicherheit entnehmen lassen (BSG, Beschluss vom 18. Juli 2012 - B 12 SF 5/12 S - juris Rn. 7).
Rz. 9
2.2 Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG eröffnete Möglichkeit, einen Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Das ist nur dann der Fall, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juni 1970 - 2 BvR 48/70 - BVerfGE 29, 45 ≪48 f.≫, vom 23. Juni 1981 - 2 BvR 1107, 1124/77 und 195/79 - BVerfGE 58, 1 ≪45≫ und vom 26. August 1991 - 2 BvR 121/90 - NJW 1992, 359 ≪361≫). Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerwG, Beschlüsse vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4, vom 10. April 2019 - 6 AV 11.19 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 41 Rn. 10 und vom 16. Juni 2021 - 6 AV 1 und 2.21 - juris Rn. 10; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 2003 - X ARZ 138/03 - NJW 2003, 2990 ≪2991≫, vom 9. Dezember 2010 - Xa ARZ 283/10 - juris Rn. 16 und vom 18. Mai 2011 - X ARZ 95/11 - NJW-RR 2011, 1497 Rn. 9; BAG, Beschluss vom 16. Juni 2015 - 10 AS 2/15 - NJW 2015, 2523 ≪2524≫; BFH, Beschluss vom 20. Dezember 2004 - VI S 7/03 - BFHE 209, 1 ≪3 f.≫; BSG, Beschluss vom 18. Juli 2012 - B 12 SF 5/12 S - juris Rn. 6).
Rz. 10
2.3 Im vorliegenden Fall stellt der verfahrensrechtliche Mangel fehlender Begründung die Bindungswirkung des amtsgerichtlichen Verweisungsbeschlusses vom 5. März 2021 nicht infrage. Zwar hat das Amtsgericht zwingendes Recht verletzt, weil es den Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG nicht begründet hat; insoweit genügt die Angabe der angewandten Rechtsnorm im Beschlusstenor nicht. Dieser Verfahrensmangel führt jedoch für sich genommen nicht zum Entfall der Bindungswirkung, da sich dem Akteninhalt die für das Amtsgericht maßgeblichen Gründe für die Verweisung noch mit hinreichender Sicherheit entnehmen lassen (vgl. BSG, Beschluss vom 18. Juli 2012 - B 12 SF 5/12 S - juris Rn. 7).
Rz. 11
Es kann dahinstehen, ob die Verweisung an das Verwaltungsgericht, etwa mit Blick auf den Grundsatz der perpetuatio fori (§ 17 Abs. 1 Satz 1 GVG), in der Sache zu beanstanden ist. Denn die Auslegung des beim Amtsgericht gestellten Antrags der Verfahrensbevollmächtigten in ihrem Schriftsatz vom 21. September 2020 ergibt, dass die Antragstellerin ursprünglich im Wege einer gerichtlichen Entscheidung gemäß § 49 Abs. 1 PStG die Berichtigung des von ihr für unrichtig erachteten Namenseintrags im Personenstandsregister erreichen wollte. Nach dem Hinweis des Amtsgerichts auf die Möglichkeit einer Namensänderung, da angesichts der zutreffenden Rechtsanwendung des Standesamts keine Anspruchsgrundlage für eine Berichtigung erkennbar sei, hat die Antragstellerin im Schriftsatz vom 26. Februar 2021 um Verweisung an das Verwaltungsgericht gebeten. Dieser Antrag ihrer rechtskundigen Verfahrensbevollmächtigten, einer Fachanwältin für Familien- und Erbrecht, lässt sich nur dahingehend verstehen, dass die Antragstellerin auf den rechtlichen Hinweis des Amtsgerichts hin ihr Begehren im Laufe des Verfahrens geändert hat. Sie möchte nunmehr die Verpflichtung der zuständigen Behörde erreichen, ihren Namen im Wege einer konstitutiven behördlichen Entscheidung gemäß § 3 NamÄndG zu ändern; diese Annahme wird durch ihre Ausführungen im Schriftsatz vom 22. Juni 2021 bestätigt. Für diesen geänderten Streitgegenstand ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet.
Rz. 12
Die verfahrensrechtliche Wirksamkeit der Antragsänderung kann hier dahinstehen; jedenfalls erweist sich die Einbeziehung des geänderten Streitgegenstands in das Verfahren nicht als nicht mehr verständlich oder offensichtlich unhaltbar. Damit entbehrt die - zudem in seinem Beschluss vom 22. Juli 2021 nicht näher begründete - Annahme des Verwaltungsgerichts, der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts sei unhaltbar, mit Blick auf den zuletzt zur Entscheidung gestellten Streitgegenstand einer tragfähigen Grundlage. Somit verbleibt es bei der in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordneten Bindungswirkung der Verweisung an das Verwaltungsgericht.
Fundstellen
Haufe-Index 14797370 |
GV/RP 2022, 654 |
KomVerw/LSA 2023, 12 |
FuHe 2022, 353 |
FuNds 2022, 420 |
KomVerw/B 2023, 19 |
KomVerw/MV 2023, 11 |
KomVerw/S 2023, 17 |