Entscheidungsstichwort (Thema)
Vereinsverbot. kurdischer Fernsehsender. Ausstrahlung per Satellit
Leitsatz (amtlich)
1. Die in § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG und in § 91a StGB vorgesehene Beschränkung der Strafbarkeit auf im Inland ausgeübte Tätigkeiten schließt als strafbarkeitsbegründend alles das aus, was der Täter vom Ausland her bewirkt (hier Ausstrahlung eines Fernsehprogramms per Satellit vom Ausland her).
2. Ein Fernsehsender, der in seinem Programm verherrlichende Beiträge über den Einsatz von Guerillaeinheiten und das Verüben von Anschlägen verbreitet, erfüllt den vereinsrechtlichen Verbotsgrund der Völkerverständigungswidrigkeit.
3. Es wird eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu der Frage eingeholt, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift über ein Vereinsverbot wegen Verstoßes gegen den Gedanken der Völkerverständigung in den durch die Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl EG Nr. L 298 S. 23) in der Fassung der Änderungsrichtlinie 97/36/EG vom 30. Juni 1997 (ABl EG Nr. L 202 S. 60) koordinierten Bereich fällt und daher gemäß Art. 2a der Richtlinie ausgeschlossen ist.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 2 Alt. 3; VereinsG § 3 Abs. 1 Alt. 3, § 5 Abs. 2, § 14 Abs. 1 S. 1, § 15 Abs. 1 Sätze 1-2, § 17 Nr. 1, § 18 S. 2, § 17 Nr. 2, § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; StGB §§ 3, 9, 84-85, 87, 91a; VwGO § 94; VwVfG § 28 Abs. 2 Nr. 1; EWGRL 552/89 Art. 2, 2a, 3, 22a; EGRL 36/97; AEUV Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3
Nachgehend
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Es wird eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu der Frage eingeholt, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift über ein Vereinsverbot wegen Verstoßes gegen den Gedanken der Völkerverständigung in den durch die Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl EG Nr. L 298 S. 23) in der Fassung der Änderungsrichtlinie 97/36/EG vom 30. Juni 1997 (ABl EG Nr. L 202 S. 60) koordinierten Bereich fällt und daher gemäß Art. 2a der Richtlinie ausgeschlossen ist.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin wendet sich gegen ein von dem Bundesministerium des Innern verfügtes vereinsrechtliches Betätigungsverbot.
Rz. 2
Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft dänischen Rechts mit Sitz in Dänemark. Sie gehört der dänischen Aktien- und Holdinggesellschaft M. B. A/S (im Folgenden: M.), der Klägerin in dem Parallelverfahren zum Aktenzeichen BVerwG 6 A 6.08 des Senats, an. Die Klägerin betreibt mit einer unter dem 9. Dezember 2003 erteilten dänischen Sendelizenz, deren Inhaberin M. ist, den Fernsehsender R. TV. Das vorwiegend in kurdischer Sprache produzierte Programm des Senders wird seit dem 1. März 2004 europaweit - auch nach Deutschland - über Satellit ausgestrahlt und kann in den nahöstlichen Siedlungsgebieten der Kurden, insbesondere in der Türkei ebenfalls empfangen werden. Die Klägerin lässt Sendebeiträge durch die in Wuppertal ansässige V. Fernsehproduktion GmbH (im Folgenden: V.), der Klägerin in dem Verfahren zum Aktenzeichen BVerwG 6 A 5.08 des Senats, sowie in eigenen Produktionsstätten in Denderleeuw in Belgien produzieren.
Rz. 3
In den Jahren 2006 und 2007 wandten sich türkische Stellen mit Beschwerden an den in Dänemark für die Anwendung der dortigen Regelungen zur Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Fernseh-Richtlinie zuständigen Radio- und Fernsehausschuss und erhoben den Vorwurf, die Klägerin fördere mit ihren Sendungen die Ziele der von der Europäischen Union als terroristische Organisation eingestuften Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Der Ausschuss entschied demgegenüber mit Beschlüssen vom 3. Mai 2007 und vom 23. April 2008, dass die Klägerin nicht gegen die dänischen Bestimmungen zur Umsetzung der Art. 22 und 22a der Fernseh-Richtlinie verstoßen habe. In den zum Gegenstand der Beschwerden gemachten Beiträgen im Programm der Klägerin werde nicht zum Hass auf Grund der Rasse, der Nationalität oder der Religion aufgestachelt. Sie übermittelten vielmehr Informationen, Nachrichten und Meinungen als Teil von Nachrichten- und Diskussionsprogrammen. Gesendete Bilder über gewalttätige Episoden spiegelten die Gewalt wider, die es tatsächlich in der Gesellschaft der Türkei und in den kurdischen Gebieten gebe.
Rz. 4
Mit Verfügung vom 13. Juni 2008, die an M., die Klägerin und V. gerichtet war, stellte das Bundesministerium des Innern fest, dass der Betrieb des Senders der Klägerin durch M. sowie die Tätigkeit der Klägerin selbst den Strafgesetzen zuwiderliefen und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richteten. M. wurde verboten, sich im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes durch den Sender der Klägerin zu betätigen. Die Klägerin wurde ebenfalls mit einem Betätigungsverbot belegt. Zudem wurde sie mit Blick auf die Tätigkeit der als ihre Teilorganisation bezeichneten V. im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes verboten. V. wurde aufgelöst. Ferner wurden für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots die Verwendung von Kennzeichen der verbotenen Organisationen untersagt und ihr im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes vorhandenes Vermögen sowie näher typisierte Sachen und Forderungen Dritter beschlagnahmt und eingezogen. Mit Ausnahme der Einziehungsanordnungen wurde die Verfügung für sofort vollziehbar erklärt.
Rz. 5
Zur Begründung des gegenüber der Klägerin verfügten Verbots führte das Bundesministerium des Innern aus, die Klägerin stelle gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 VereinsG eine Teilorganisation von M. dar. Die Tätigkeit und der Zweck dieser Gesellschaft liefen durch den Betrieb des Senders der Klägerin im Sinne des Verbotsgrundes des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG den Strafgesetzen zuwider. Die Klägerin erfülle diesen Verbotstatbestand auch selbständig. Ihre Organe und verantwortlichen Mitarbeiter verstießen in einer ihr selbst und M. zuzurechnenden und nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG strafbaren Weise gegen das bestandskräftige Betätigungsverbot, das das Bundesministerium des Innern unter dem 22. November 1993 gegenüber der PKK verhängt habe. Die Klägerin betreibe durch ihr Sendeprogramm Propaganda für die verbotene PKK. Sie diene der PKK als Sprachrohr sowie deren Funktionären als mediale Plattform. Ihre Gründung und Programmgestaltung gingen auf PKK-Beschlüsse zurück. Wie M. richte sich die Klägerin darüber hinaus im Sinne des Verbotsgrundes des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG gegen den Gedanken der Völkerverständigung und erfülle zudem die für ausländische Vereine geltenden besonderen Verbotsgründe des § 14 Abs. 2 Nr. 1, 4 und 5 i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 VereinsG, insbesondere weil sie in ihren Sendungen die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung der politischen Ziele der PKK sowie im Verhältnis zwischen Türken und Kurden befürworte.
Rz. 6
Am 9. Juli 2008 hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben. Darüber hinaus hat sie am 27. November 2008 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 14. Mai 2009 - BVerwG 6 VR 4.08 - hat der Senat die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt, soweit die Verfügung vom 13. Juni 2008 sich gegen die Klägerin richtet und in ihr die sofortige Vollziehung angeordnet ist. Der von M. anhängig gemachte Eilantrag hat ebenfalls Erfolg gehabt (Beschluss vom 14. Mai 2009 - BVerwG 6 VR 3.08 -). V. hat kein Eilverfahren betrieben; ihr gegenüber hat das Bundesministerium des Innern die Anordnung der sofortigen Vollziehung am 2. Juni 2009 aufgehoben.
Rz. 7
Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Klage vor: Der Annahme einer Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG und damit des Verbotstatbestandes der Strafgesetzwidrigkeit stehe entgegen, dass die Struktur der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen in Deutschland, die Gegenstand des Verbots vom 22. November 1993 gewesen sei, nicht ohne Weiteres mit derjenigen gleichgesetzt werden dürfe, auf die sich die hier angefochtene Verfügung beziehe. Die PKK habe in Deutschland demonstrativen Gewaltstraftaten als Mittel zur Erreichung der verfolgten Ziele entsagt. In diesem Zusammenhang müsse auch die auf eine Verständigung gerichtete politische Bewegung berücksichtigt werden, die seit August 2009 in der Türkei im Hinblick auf die Behandlung der Kurdenfrage erkennbar sei. Unabhängig hiervon rechtfertigten die von der Beklagten vorgelegten Erkenntnisse nicht die Einschätzung, dass sie, die Klägerin, durch die Ausstrahlung ihres Fernsehprogramms im Bundesgebiet dem Verbot der PKK in strafbarer Weise zuwiderhandele. Der ganz überwiegende Teil des Programms sei nicht politischen, sondern kulturellen und sozialen Themen gewidmet oder habe Unterhaltungscharakter. Die Sendungen mit politischen Inhalten könnten gegen das Verbot bereits deshalb nicht verstoßen, weil es jedenfalls an einer auf etwaige Inlandsaktivitäten der PKK bezogenen fördernden Tätigkeit fehle, die Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG sei. Berichte und Kommentare über den Konflikt und die Kämpfe zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften in der Türkei und über die Situation des dort inhaftierten PKK-Führers Öcalan hielten sich im Rahmen sachlicher journalistischer Berichterstattung. Dies gelte auch im Hinblick auf die Sendung von Interviews mit PKK-Funktionären und die Wiedergabe von Reden solcher Funktionsträger. Der häufige Bezug von Programmbeiträgen zur PKK rühre daher, dass die PKK neben der türkischen Armee seit vielen Jahren der Hauptakteur in der kurdischen Frage sei und insoweit ein besonderes Informationsbedürfnis der kurdischen Bevölkerung bestehe. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass sie, die Klägerin, sich die in den jeweiligen Programmbeiträgen enthaltenen Inhalte zu eigen mache oder sich mit den Zielen der PKK - insbesondere dem bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat - solidarisiere und durch entsprechende Werbung die inländische Tätigkeit der PKK erheblich und erkennbar fördere, habe die Beklagte nicht namhaft gemacht. Eine Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG scheide in jedem Falle deshalb aus, weil sie ihr Programm von Dänemark aus über Satellit - unter anderem - nach Deutschland ausstrahle und damit nicht im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG eine Tätigkeit im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes ausübe.
Rz. 8
Ihre gegen den Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit erhobenen Einwendungen bezieht die Klägerin sinngemäß auch auf den Verbotstatbestand der Völkerverständigungswidrigkeit und die erweiterten Verbotsgründe des § 14 Abs. 2 Nr. 1, 4 und 5 VereinsG.
Rz. 9
Darüber hinaus war die Beklagte nach Auffassung der Klägerin an dem Erlass der Verbotsverfügung durch Gemeinschaftsrecht gehindert. Sie macht geltend, ihre grenzüberschreitende Tätigkeit im Bereich des Fernsehens unterfalle primärrechtlich der Gewährleistung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 49 f. EG (seit 1. Dezember 2009: Art. 56 f. AEUV), die sekundärrechtlich und sektorspezifisch durch die gemeinschaftsrechtliche Fernseh-Richtlinie ausgestaltet sei. Nach dieser Richtlinie falle die rechtliche Kontrolle eines Fernsehveranstalters, in dem durch das Regelwerk harmonisierten Bereich allein in die Zuständigkeit desjenigen Mitgliedstaates, in dem der Sender niedergelassen sei. Doppelkontrollen durch andere Mitgliedstaaten seien grundsätzlich ausgeschlossen. Hiervon dürfe nach der Richtlinie nur unter engen, hier nicht erfüllten Voraussetzungen abgewichen werden. Neben diesen formellrechtlichen Mängeln sei die angefochtene Verbotsverfügung auch materiell gemeinschaftsrechtswidrig, weil diese sie, die Klägerin, ungerechtfertigt in der Ausübung der Dienstleistungsfreiheit beschränke. Eine gemeinschaftsrechtlich anzuerkennende Rechtfertigung für diese Beschränkung bestehe nicht. Namentlich scheide die Anwendung der in der Richtlinie getroffenen Ausnahmeregelung für Sendungen aus, die zu Hass auf Grund von Rasse, Religion oder Nationalität aufstachelten. Dass in dem von ihr ausgestrahlten Fernsehprogramm nicht zu Hass gegen die türkische Bevölkerung aufgestachelt werde, habe bereits der in Dänemark für die Anwendung des richtlinienkonformen nationalen Rechts zuständige Radio- und Fernsehausschuss mit verbindlicher Wirkung auch für andere Mitgliedstaaten festgestellt.
Rz. 10
Die Klägerin beantragt,
die Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern vom 13. Juni 2008 aufzuheben, soweit diese sich gegen sie richtet.
Rz. 11
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Rz. 12
Sie verteidigt die angefochtene Verfügung im Hinblick auf die Verbotsgründe der Strafgesetzwidrigkeit und der Völkerverständigungswidrigkeit nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 und Alt. 3 GG. Das Eingreifen der in der Verfügung weiter benannten Verbotsgründe nach § 14 Abs. 2 Nr. 1, 4 und 5 VereinsG hat sie bereits in dem vorangegangenen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ausdrücklich offengelassen. Im Klageverfahren hat sie die Verfügung nicht mehr auf diese Verbotsgründe gestützt.
Rz. 13
Zu dem ihrer Ansicht nach gegebenen Verstoß der Klägerin gegen die Strafnorm des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG und der daraus herzuleitenden Strafgesetzwidrigkeit führt die Beklagte aus, es gebe in Deutschland, auch nachdem die PKK unter dem 22. November 1993 mit einem Betätigungsverbot belegt worden sei, weiterhin eine durch eine propagandistische Tätigkeit förderungsfähige Struktur dieser Vereinigung. Diese halte zudem in der Türkei an ihrer Guerillataktik fest; nur in Deutschland und anderen europäischen Ländern habe sie vom Einsatz terroristischer Mittel abgelassen. Weiter berichte die Klägerin nicht mit dem Ziel der Befriedigung des Informationsbedürfnisses ihrer Zuschauer sachlich über Aktionen der PKK. Vielmehr betrieben ihre Vorstände, Redakteure und Mitarbeiter in einer das gesamte Programm wie ein roter Faden durchziehenden, nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG strafbaren, ihr zuzurechnenden und sie prägenden Weise Propaganda für die PKK. Ungeachtet der Belegenheit ihres Sitzes und ihrer Sendeanlagen in Dänemark übten die Vorstände, Redakteure und Mitarbeiter der Klägerin ihre für die PKK werbende Tätigkeit im räumlichen Geltungsbereich des Vereinsgesetzes aus. Wenn - was der Regelfall sei - von Dänemark aus Fernsehbeiträge an einen Satelliten übertragen und diese Beiträge dann von dem Satelliten bestimmungsgemäß unter anderem nach Deutschland gesendet würden, stelle dies eine - jedenfalls auch - im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes ausgeübte Tätigkeit im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG dar. Das Bereitstellen des Programms der Klägerin in Deutschland bilde einen Teilakt der aus der Uplinksendung zum Satelliten von Dänemark aus und der Downlinksendung vom Satelliten nach Deutschland bestehenden einheitlichen Sendehandlung. Die Vornahme eines solchen für die Tatbestandsverwirklichung ursächlichen Teilaktes der Handlung im Inland genüge für die Erfüllung des äußeren Tatbestandes des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG. In jedem Falle entfalte die Klägerin sendebezogene Betätigungen mit einem für die PKK werbenden Charakter in Deutschland dadurch, dass sie immer wieder unter Einsatz eigenen Personals und eigener Technik - insbesondere eines mit dem Sendesatelliten in direkter Verbindung stehenden Übertragungswagens - live über in Deutschland stattfindende, von ihr zuvor beworbene bedeutende Veranstaltungen mit PKK-Bezug berichte oder derartige Berichte aufzeichne und später sende. Ferner lasse sie Sendebeiträge mit Propaganda für die PKK durch ihre in Wuppertal ansässige Teilorganisation V. produzieren. Weiter habe sie in der Zeit von Oktober 2006 bis Januar 2008 ihr gesamtes Programm in das Kabelnetz von Kabel B.-W. eingespeist.
Rz. 14
Im Hinblick auf den Verbotsgrund der Völkerverständigungswidrigkeit macht die Beklagte geltend, die Klägerin werbe entsprechend der Ideologie der PKK dafür, die Interessengegensätze zwischen Kurden und Türken nicht nur in den kurdischen Siedlungsgebieten, sondern auch in Deutschland unter Zuhilfenahme von Gewalt zu entscheiden. Sie unterstütze die Bemühungen der PKK, junge Kurden für den Guerillakampf gegen die Türkei zu gewinnen.
Rz. 15
Gemeinschaftsrecht steht nach Auffassung der Beklagten der Verbotsverfügung - auch soweit diese auf den Verbotsgrund der Völkerverständigungswidrigkeit gestützt ist - nicht entgegen. Die gemeinschaftsrechtliche Fernseh-Richtlinie koordiniere in den Bereichen Berichterstattung über Großereignisse, Förderung der europäischen Programmproduktion, Werbung und Sponsoring, Jugendschutz und Recht der Gegendarstellungen nur das spezifisch für die Ausübung der Fernsehtätigkeit geltende Recht, betreffe aber nicht mitgliedstaatliche Rechtsnormen allgemeinen Inhalts, die sich - lediglich - auch auf Fernsehsender auswirken könnten. Die Richtlinie lasse insbesondere die allgemeinen straf-, polizei-, vereins- und verfassungsschutzrechtlichen Kompetenzen und Bestimmungen der Mitgliedstaaten unberührt. Art. 22a der Fernseh-Richtlinie enthalte keine umfassende und abschließende Koordinierung aller inhaltlichen Anforderungen an Fernsehsendungen. Durch die Anordnung, dass Sendungen nicht zu Hass insbesondere auf Grund von Rasse oder Nationalität aufstacheln dürften, schließe die Vorschrift mitgliedstaatliche Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und damit auch solche zum Schutz der Völkerverständigung nicht aus. Zwischen Türken und Kurden bestünden zudem keine rassischen Unterschiede. Auch werde mit dem Begriff der Nationalität nicht die ethnische Zugehörigkeit, sondern die Staatsangehörigkeit erfasst. Jedenfalls gehe der Gedanke der Völkerverständigung weit über die von Art. 22a der Fernseh-Richtlinie teilkoordinierten Bereiche hinaus. Weiterhin ergebe sich die Befugnis der Bundesrepublik Deutschland für das ausgesprochene Verbot jedenfalls daraus, dass die Sendetätigkeit der Klägerin vorwiegend auf Deutschland, das den größten kurdischen Bevölkerungsanteil außerhalb der nahöstlichen Siedlungsgebiete aufweise, ausgerichtet sei, und zudem aus dem Umstand, dass die Klägerin ihren Sitz in Dänemark in der Absicht begründet habe, sich den bei einer Sitznahme in Deutschland für sie geltenden Bestimmungen zu entziehen. Auch nach dem primären Gemeinschaftsrecht des Art. 55 i.V.m. Art. 46 Abs. 1 EG (seit 1. Dezember 2009: Art. 62 i.V.m. Art. 52 Abs. 1 AEUV) seien die Mitgliedstaaten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit allein zuständig. Wolle man gleichwohl annehmen, dass die Fernseh-Richtlinie nach ihrem Regelungsgehalt dem angefochtenen Verbot entgegenstehe, beruhe diese auf einer Kompetenzüberschreitung der gemeinschaftlichen Rechtsetzungsorgane und habe einen Verstoß gegen den Kerngehalt der Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland zur Folge. In letzter Konsequenz sei die Fernseh-Richtlinie deshalb im vorliegenden Fall unanwendbar.
Rz. 16
Der Senat hat Beweis erhoben, indem er die von der Beklagten beigebrachte DVD Nr. 7 mit ausgewählten Sequenzen aus dem Fernsehprogramm der Klägerin aus der Zeit vom 1. März 2007 bis 10. April 2008 von insgesamt knapp einer Stunde Dauer im Rahmen der mündlichen Verhandlung abgespielt hat. Die Klägerin hat gegen die Richtigkeit der von der Beklagten angefertigten Übersetzung der auf der DVD in türkischer und kurdischer Sprache gesprochenen und gesungenen Texte keine Einwände geltend gemacht.
II.
Rz. 17
Der Rechtsstreit ist in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO auszusetzen, weil der Ausgang des schwebenden Verfahrens von einer vorab einzuholenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes über die Auslegung sekundären Gemeinschaftsrechts abhängt (Art. 267 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. Abs. 3 AEUV). Gemessen an den Bestimmungen des nationalen Rechts (1.) muss der zulässigen Klage der Erfolg versagt bleiben, weil das Bundesministerium des Innern die angefochtene Verbotsverfügung, gegen deren formelle Rechtmäßigkeit keine Bedenken bestehen (2.), in materiellrechtlicher Hinsicht zwar zu Unrecht auf den Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG gestützt hat (3.), diese jedoch durch den Verbotsgrund der Völkerverständigungswidrigkeit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG getragen wird (4.). Der Senat kann sich indes ohne die Vorabentscheidung keine Gewissheit darüber verschaffen, ob das Gemeinschaftsrecht der Anwendung des nationalen Rechts entgegensteht (5.).
Rz. 18
1. Das in der angefochtenen Verfügung gegenüber der Klägerin ausgesprochene Betätigungsverbot ist auf § 15 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz - VereinsG) vom 5. August 1964 (BGBl I S. 593), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2007 (BGBl I S. 3198), Art. 9 Abs. 2 GG und § 18 Satz 2 VereinsG gestützt.
Rz. 19
Die in Dänemark ansässige Klägerin, die ihr Fernsehprogramm auch nach Deutschland ausstrahlt, ist ein ausländischer Verein im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 VereinsG, dessen Tätigkeit sich auf den räumlichen Geltungsbereich des Vereinsgesetzes erstreckt. Ein solcher Verein kann in entsprechender Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 VereinsG unter anderem aus den Gründen des Art. 9 Abs. 2 GG verboten werden. Hieraus folgt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG (vgl. zur Anwendbarkeit dieser Bestimmung im Rahmen von § 14 und § 15 VereinsG: Urteile vom 25. Januar 1978 - BVerwG 1 A 3.76 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 2 S. 5 ff. und vom 25. Januar 2006 - BVerwG 6 A 6.05 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 44 S. 1), dass auch ein ausländischer Verein aus diesen Gründen erst dann als verboten behandelt werden darf, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, dass seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder dass er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Hat der ausländische Verein im räumlichen Geltungsbereich des Vereinsgesetzes keine Organisation, so richtet sich das Vereinsverbot gegen seine Tätigkeit in diesem Bereich. Gleiches gilt, wenn der Verein als Gesamtvereinigung zwar über eine Teilorganisation im Inland verfügt, sich aber - wie es die Beklagte im Hinblick auf die Klägerin gegeben sieht - darüber hinaus, also nicht nur durch eine inländische Teilorganisation, im Geltungsbereich des Gesetzes betätigt. Ein auf ein solches betätigungsbezogenes Verbot ist auch als Anknüpfung für eine Erstreckung auf eine inländische Teilorganisation der betroffenen Vereinigung geeignet (Urteil vom 28. Januar 1997 - BVerwG 1 A 13.93 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 26 S. 97).
Rz. 20
Die Anwendung der Regelungen des Vereinsgesetzes ist im vorliegenden Fall nicht durch § 17 VereinsG ausgeschlossen. Selbst wenn zu Gunsten der Klägerin von der Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf Ausländervereine und ausländische Vereine ausgegangen (dies offen lassend: Urteil vom 28. Januar 1997 a.a.O. S. 96) und die Klägerin in ihrem Sinne als Wirtschaftsvereinigung angesehen wird, entfaltet die Norm keine Sperrwirkung. Denn nach § 17 Nr. 1 und Nr. 2 VereinsG sind die vereinsrechtlichen Bestimmungen unter anderem auf Wirtschaftsvereinigungen anwendbar, die wie hier unter Inanspruchnahme des Verbotsgrundes der Völkerverständigungswidrigkeit oder desjenigen des Zuwiderlaufens gegen die in § 74a Abs. 1 GVG genannten Strafnormen, zu denen die von der Beklagten herangezogene Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG gehört, verboten worden sind.
Rz. 21
2. Die Verbotsverfügung leidet nicht an formell-rechtlichen Mängeln.
Rz. 22
a) Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 VereinsG war das Bundesministerium des Innern für den Erlass der Verfügung zuständig. Nach dieser Bestimmung ist das Bundesministerium Verbotsbehörde (auch für Betätigungsverbote, vgl. Urteil vom 25. Januar 2006 a.a.O. S. 1) für ausländische Vereine im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 VereinsG.
Rz. 23
b) Einer Anhörung der Klägerin vor Erlass der angefochtenen Verbotsverfügung bedurfte es nicht. Zwar ist nach § 28 Abs. 1 VwVfG vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Jedoch kann nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG von der Anhörung abgesehen werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Vereinsrecht (Urteile vom 13. April 1999 - BVerwG 1 A 3.94 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 30 S. 3, vom 3. Dezember 2004 - BVerwG 6 A 10.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 41 S. 78 und vom 5. August 2009 - BVerwG 6 A 3.08 - juris Rn. 14) genügt es, dass die Verbotsbehörde unter diesen Gesichtspunkten auf Grund der ihr bekannt gewordenen Tatsachen eine sofortige Entscheidung für notwendig halten durfte.
Rz. 24
Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt, denn das Bundesministerium des Innern hat nach der Begründung der Verfügung von einer Anhörung der Klägerin und der anderen von der Verbotsverfügung betroffenen Vereine deshalb abgesehen, weil es befürchtete, insbesondere die von ihm als Teilorganisation der Klägerin eingestufte V. werde diese Anhörungen zum Anlass nehmen, ihr in Deutschland noch vorhandenes Vereinsvermögen und etwaige Beweismittel dem staatlichen Zugriff zu entziehen oder zu vernichten. Diese Organisation habe bereits in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit Durchsuchungsmaßnahmen im Rahmen der vorangegangenen vereinsrechtlichen Ermittlung damit begonnen, Teile ihrer Produktion und ihrer Arbeitsmittel nach Belgien zu verlagern. Gegen dieses nachvollziehbare Bestreben des Bundesministeriums, der Verbotsverfügung eine möglichst große Wirksamkeit zu verleihen, ist nichts zu erinnern.
Rz. 25
3. In der Sache kann der Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 1 GG nach den speziell für eine Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG und generell für die Strafgesetzwidrigkeit von Vereinen bestehenden Voraussetzungen (a)) nicht als Grundlage für das gegenüber der Klägerin verhängte Verbot dienen. Denn die Verantwortlichen und Mitarbeiter der Klägerin handeln, was die Ausstrahlung von Fernsehsendungen mit einem die PKK betreffenden Inhalt mittels Satellit von Dänemark aus - auch - nach Deutschland anbelangt, nicht in einer nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG strafbaren Weise dem bestandskräftigen vereinsrechtlichen Betätigungsverbot zuwider, das das Bundesministerium des Innern unter dem 22. November 1993 gegen die PKK verhängt hat (b)). Die ausschließlich in Deutschland stattfindenden sendebezogenen Betätigungen der Verantwortlichen und Mitarbeiter der Klägerin mögen zwar den Straftatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG erfüllen und der Klägerin zuzurechnen sein. Die derart unterstellte Strafgesetzwidrigkeit dieser Betätigungen ist jedoch nicht geeignet, den Charakter der Klägerin als Vereinigung zu prägen (c)).
Rz. 26
a) Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG macht sich strafbar, wer im räumlichen Geltungsbereich des Vereinsgesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit einem vollziehbaren Betätigungsverbot für einen Ausländerverein (§ 14 Abs. 3 VereinsG) oder - insoweit hier im Hinblick auf die die PKK betreffende Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern vom 22. November 1993 einschlägig - für einen ausländischen Verein (§ 18 Satz 2 VereinsG) zuwiderhandelt.
Rz. 27
Der Vorschrift unterfällt nicht nur die mitgliedschaftliche Betätigung für die mit einem Betätigungsverbot belegte Vereinigung und das Handeln in deren Auftrag, sondern auch die unterstützende Tätigkeit eines von der Vereinigung unabhängigen, außenstehenden Dritten. Diesem wird hierdurch nicht verboten, selbst bestimmte politische Ziele anzustreben und zu vertreten, wohl aber, dies durch die Förderung der verbotenen Tätigkeit des Vereins zu tun. Dabei ist § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG in seiner das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beschränkenden Wirkung seinerseits einschränkend dahingehend auszulegen, dass er nur ein unter dem Gesichtspunkt der Verbotsgründe potentiell erhebliches Verhalten erfasst, das auf die verbotene inländische Tätigkeit des betroffenen Vereins bezogen und konkret geeignet ist, eine für die verbotene Vereinstätigkeit im Inland vorteilhafte Wirkung zu erzielen. Äußerungen in Presse, Rundfunk und Fernsehen müssen, sollen sie als strafbares Verhalten erfasst werden, vor dem Hintergrund der grundrechtlichen Gewährleistungen in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG objektiv geeignet sein, von den angesprochenen Adressaten als Werbung oder Unterstützung der Vereinstätigkeit aufgefasst zu werden. Die Zielrichtung auf Unterstützung der verbotenen Vereinstätigkeit muss eindeutig erkennbar sein. Werden fremde Texte verbreitet, muss hinzukommen, dass die Wiedergabe der die Vereinstätigkeit eindeutig unterstützenden (Dritt-)Aussagen vom angesprochenen Zuschauerkreis als eine sich die unterstützende Tendenz zu eigen machende Meinungsäußerung der Publizierenden zu verstehen ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 15. November 2001 - 1 BvR 98/97, 1 BvR 2180/98 und 1 BvR 289/00 - NVwZ 2002, 709 ≪710≫, 711 f., 712 f.; BGH, Urteile vom 24. Januar 1996 - 3 StR 530/95 - BGHSt 42, 31 ≪36 f.≫ und vom 9. April 1997 - 3 StR 387/96 - BGHSt 43, 41 ≪42 ff.≫; Beschluss vom 5. März 2002 - 3 StR 514/01 - NJW 2002, 2190 ≪2191≫).
Rz. 28
Allgemein ergeben sich der strafgesetzwidrige Zweck und die strafgesetzwidrige Tätigkeit einer Vereinigung aus den Absichten und Verhaltensweisen ihrer Mitglieder. Denn eine Vereinigung ist als solche nicht straffähig. Straffähig können nur natürliche Personen sein, da Strafbarkeit Schuldzurechnungsfähigkeit voraussetzt und diese nur natürlichen Personen zukommt. Strafgesetzwidrigkeit einer Vereinigung ist, wie aus § 3 Abs. 5 VereinsG erhellt, gleichwohl rechtlich möglich, weil diese durch ihre Mitglieder und die sie repräsentierenden Vereinsorgane einen vom einzelnen Mitglied losgelösten Gruppenwillen bilden und insofern eine eigene Zweckrichtung festlegen sowie selbständig handeln kann. Ergibt sich aus dieser eigenen Zweckrichtung oder dem selbständigen Handeln einer Vereinigung ein Verstoß gegen Strafgesetze, ist der Verbotstatbestand erfüllt. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass das Verhalten der Mitglieder der Vereinigung zugerechnet werden kann. Eine durch die Mitglieder verwirklichte Strafgesetzwidrigkeit muss den Charakter der Vereinigung prägen. Eine Vereinigung kann gleichzeitig verschiedene Zwecke, insbesondere neben dem satzungsmäßig ausgewiesenen legalen Zweck auch strafrechtsrelevante Ziele anstreben und durch das Verhalten ihrer Mitglieder verwirklichen. In diesem Fall ist es zur Erfüllung des Verbotstatbestandes nicht erforderlich, dass die Strafgesetzwidrigkeit den Hauptzweck oder die Haupttätigkeit der Vereinigung ausmacht. Ebenso wenig muss eine Strafgesetzwidrigkeit auf Dauer bestehen. Es genügt vielmehr, wenn eine Vereinigung erst im Laufe der Zeit strafgesetzwidrig wird oder die Strafgesetzwidrigkeit zeitlich begrenzt ist (Urteile vom 18. Oktober 1988 - BVerwG 1 A 89.83 - BVerwGE 80, 299 ≪306 f.≫ = Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 13 S. 18 f. und vom 5. August 2009 - BVerwG 6 A 3.08 - juris Rn. 16).
Rz. 29
b) Die Ausstrahlung von Fernsehsendungen von in Dänemark belegenen Sendeeinrichtungen mittels Satellit - auch - nach Deutschland kann, selbst wenn die Sendungen nach den dargestellten Maßstäben einen für die verbotene und im Hinblick auf ihre auch im Inland fortbestehenden Strukturen (vgl. dazu zusammenfassend: Bundeskriminalamt, Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - Entwicklung und aktueller Stand der Strukturen in Deutschland, Stand: Juli 2009) weiter unterstützungsfähige PKK werbenden Inhalt aufweisen sollten und der Klägerin zugerechnet werden könnten, die Annahme ihrer aus § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG abgeleiteten Strafgesetzwidrigkeit nicht rechtfertigen. Denn diese Sendetätigkeit vom Ausland her ist keine Tätigkeit im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG, die im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübt wird, und infolgedessen nicht nach dieser Vorschrift strafbar.
Rz. 30
aa) Das in § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG enthaltene Erfordernis der Tätigkeit im Inland entspricht der Vorschrift des § 91a StGB (§ 91 StGB a.F.), die bestimmt, dass §§ 84, 85 und 87 StGB nur für Taten gelten, die durch eine im räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuchs ausgeübte Tätigkeit begangen werden. Beide Bestimmungen sind in ihren Ursprungsfassungen durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz vom 25. Juni 1968 (BGBl I S. 741) eingeführt worden. Sie sind, wie das Wort "nur" in § 91a StGB verdeutlicht, vor dem Hintergrund der allgemeinen Regelung des § 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 StGB zu sehen, wonach das deutsche Strafrecht für im Inland begangene Taten gilt und Tatort jeder Ort ist, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte (sog. Ubiquitätsprinzip). Im Gegensatz hierzu beschränken § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG und § 91a StGB die Strafbarkeit auf Tätigkeiten, die im Inland ausgeübt werden. Tätigkeiten im Ausland sind mithin im Anwendungsbereich dieser Vorschriften von Strafe freigestellt, und zwar auch dann, wenn sie ins Inland hineinwirken und dort nachteilige Folgen für das von der jeweiligen Strafvorschrift geschützte Rechtsgut auslösen, die nach allgemeinem Strafrecht zur Anwendung dieser Vorschrift führen könnten. Die Geltung des Ubiquitätsprinzips nach § 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 StGB wird demnach durch die speziellen Vorschriften des § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG, § 91a StGB ausgeschlossen (vgl. KG, Urteil vom 16. März 1999 - (5) 1 Ss 7/98 u.a. - NJW 1999, 3500 ≪3501≫; Steinmetz, in: Münchener Kommentar zum StGB, 1. Aufl. 2005, § 91 Rn. 2; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder/Cramer, StGB, 27. Aufl. 2006, § 91 Rn. 5).
Rz. 31
bb) Die Beklagte sieht das spezialgesetzliche Erfordernis der Tätigkeit im Inland schon dann als erfüllt an, wenn die Tätigkeit zwar im Ausland ihren Ausgang nimmt, sich aber mit einem Teilakt oder mehreren Teilakten in das Inland hinein erstreckt. Zur Begründung beruft sie sich auf die allgemeine Regelung in § 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 StGB, von der § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG und § 91a StGB Ausnahmen bildeten. Die Bedeutung dieser Ausnahmen erschöpfe sich in dem Ausschluss des Orts, "an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist" (sog. Erfolgsort), als Grundlage für die Anwendung des deutschen Strafrechts; die Regelung über den Ort, "an dem der Täter gehandelt hat" (sog. Handlungsort), werde dagegen in § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG und § 91a StGB strafbarkeitsbegründend übernommen. In einem weiteren Schritt zieht die Beklagte insbesondere aus der straf- und zivilgerichtlichen Rechtsprechung zu den Pressedelikten (RG, Beschluss der Vereinigten Zivilsenate vom 18. Oktober 1909 - Rep. II 96/08 - RGZ 72, 41 ≪42 ff.≫; BGH, Urteil vom 3. Mai 1977 - VI ZR 24/75 - NJW 1977, 1590 f.) sowie zu deliktischen bzw. unter Strafe gestellten Äußerungen und deren Verbreitung (RG, Urteile des Vereinigten 2. und 3. Strafsenats vom 12./19. Mai 1884 - Rep. C. 2/83 - RGSt 420 ≪422≫ und vom 11. Februar 1886 - Rep. I. 1/85 - RGSt 13, 337 ≪338 ff.≫ - landesverräterische Schreiben; Urteil vom 23. September 1887 - Rep. II. 127/87 - RGZ 19, 382 ≪383≫ - Briefversand; BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 - 1 StR 66/01 - BGHSt 47, 55 ≪59≫ - Datenübertragung im Internet; KG, Urteil vom 16. März 1999 a.a.O. S. 3502 - Verbreitung von Kennzeichen im Sinne des § 86a StGB unter Ausnutzung des Fernsehens) den Schluss, dass jedenfalls in vergleichbaren Fallgestaltungen von einem weiten Handlungsbegriff mit der Folge der Möglichkeit mehrerer Handlungsorte im Rahmen eines Handlungskomplexes auszugehen sei und bereits mit der Vornahme nur eines Teilaktes in Deutschland ein inländischer Handlungsort für die darüber hinausgreifende Gesamthandlung begründet werde. Dem ist nicht zu folgen.
Rz. 32
Zwar mögen die Ausführungen der Beklagten zum allgemeinen strafrechtlichen Handlungsbegriff und zum Handlungsort im Sinne von § 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB für sich genommen zutreffen; das aus ihnen für den vorliegenden Fall abgeleitete Ergebnis, das Bereitstellen des von Dänemark per Satellit ausgestrahlten Fernsehprogramms der Klägerin in Deutschland sei Teilakt einer einheitlichen Gesamtsendehandlung, der zur Annahme eines inländischen Handlungsortes und damit zu einem Eingreifen des Straftatbestandes nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG führe, geht gleichwohl fehl. Der Senat vermag bereits der Prämisse der Beklagten - der Gesetzgeber habe in § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG und § 91a StGB an den überkommenen allgemeinen straf- und deliktsrechtlichen Handlungsbegriff und die durch diesen determinierte Bestimmung des Handlungsortes im Sinne des § 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB angeknüpft - nicht zu folgen. Vielmehr müssen die in Rede stehenden Strafbarkeitseinschränkungen eigenständig aus sich heraus und unabhängig von den Strukturen des § 9 StGB ausgelegt werden. Danach schließt die Beschränkung der Strafbarkeit auf im Inland ausgeübte Tätigkeiten als strafbarkeitsbegründend alles das aus, was der Täter von außen - das heißt, vom Ausland her - bewirkt (KG, Urteil vom 16. März 1999 a.a.O. S. 3501; Laufhütte/Kuschel, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, § 91 Rn. 2 f.; Steinmetz, a.a.O. § 91 Rn. 3; wohl auch: OLG München, Beschluss vom 18. Mai 2006 - 6 St 001/06 u.a. - juris Rn 25 f., 28). Liegen der Ursprung und der Kern einer Tätigkeit im Ausland, können ihr Fortgang im Inland in Form einzelner ihrer Akte und erst recht ihrer bloßen Wirkungen oder Folgen eine Strafbarkeit nach deutschem Strafrecht nicht begründen. Der Kern der Sendetätigkeit der Klägerin besteht in der Ausstrahlung ihres Fernsehprogramms von Dänemark aus. Die Bereitstellung des Programms im Inland, genauer die Möglichkeit, dieses mit Hilfe der Satellitentechnik wie in einer Vielzahl anderer Staaten in Europa und im Nahen Osten auch in Deutschland zu empfangen, stellt allenfalls einen Teilakt, wenn nicht gar eine bloße Folge oder Wirkung der im Ausland ausgeübten Sendetätigkeit dar und scheidet deshalb für eine der Klägerin zuzurechnende Strafbarkeit ihrer Verantwortlichen und Mitglieder nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG aus.
Rz. 33
cc) Bereits dem Wortlaut der Vorschriften des § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG und des § 91a StGB ist zu entnehmen, dass eine unbesehene Anwendung der allgemeinen strafrechtlichen Begriffe der Handlung und des Handlungsortes ihrem Regelungsgehalt nicht gerecht werden kann. Denn das Gesetz nimmt in diesen Vorschriften nicht Bezug auf § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB und macht sich auch nicht den Wortlaut dieser Regelung zu eigen, die vom Handeln des Täters an einem Ort oder an mehreren Orten spricht, sondern es umschreibt die örtlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit neu und eigenständig mit dem Begriff der im Inland ausgeübten Tätigkeit. Diese spezielle Wortwahl spricht nicht dafür, entsprechend der Rechtsauffassung der Beklagten bei der Auslegung der Vorschriften auf das allgemeine Strafrecht und dessen dogmatische Begriffsvorgaben zurückzugreifen; im Gegenteil legt sie es nahe, die Vorschriften unabhängig davon aus sich heraus auszulegen.
Rz. 34
dd) Die Entstehungsgeschichte der Vorschriften spricht ebenfalls dagegen, ihre Wirkung durch ein an die allgemeine strafrechtliche Handlungslehre angelehntes restriktives Verständnis zu beschneiden. Denn das Achte Strafrechtsänderungsgesetz, durch das die Vorschriften eingeführt wurden, war - seinerzeit vor allem mit dem Ziel einer Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands und der Befreiung der Kontakte zwischen ihren Bürgern und Organisationen von strafrechtlichem Risiko - unter anderem darauf gerichtet, das Staatsschutzstrafrecht auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken und die einschlägigen Tatbestände präzise zu fassen (BTDrucks 5/2860 S. 1 und 5 f. und ausführlich: Krauth/Kurfess/Wulf, JZ 1968, 577 ≪578≫). Diesem gesetzgeberischen Motiv wird eine restriktive Auslegung dieser Vorschriften nicht gerecht.
Rz. 35
ee) Die Gesetzessystematik bestätigt diesen Ansatz. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass sich die in § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG und § 91a StGB statuierten Strafbarkeitseinschränkungen auf Tatbestände beziehen, die als Ungehorsamsdelikte (für § 20 VereinsG sowie §§ 84 und 85 StGB: Heinrich, in: Münchener Kommentar zum StGB, Bd. 5, 1. Aufl. 2007, § 20 VereinsG Rn. 3) bzw. als abstrakte Gefährdungsdelikte (für §§ 84 und 85 StGB sowie § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VereinsG: BGH, Urteil vom 10. März 2005 - 3 StR 245/04 - NStZ 2006, 356 ≪357≫; für §§ 84, 85 und 87 StGB: Laufhütte/Kuschel, a.a.O. § 84 Rn. 1, § 85 Rn. 1, § 87 Rn. 1) zu qualifizieren sind. Als solche setzen sie einen auf Grund der Tat eingetretenen Erfolg nach der in Rechtsprechung und Lehre herrschenden Auffassung nicht voraus (für §§ 84 und 85 StGB sowie § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VereinsG: BGH, Urteil vom 10. März 2005 a.a.O. S. 357 und allgemein für abstrakte Gefährdungsdelikte: KG, Urteil vom 16. März 1999 a.a.O. S. 3502; Fischer, StGB, 57. Aufl. 2010, § 9 Rn. 4b; Satzger, in: Satzger/ Schmitt/Widmaier, StGB, 1. Aufl. 2009, § 9 Rn. 7; Eser, in: Schönke/Schröder/ Cramer, StGB, 27. Aufl. 2006, § 9 Rn. 6; a.A.: Werle/Jeßberger, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2007, § 9 Rn. 33 ff.; Heinrich, in: FS Weber, 2004, S. 104, 108). Die Rechtsfigur des sog. abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikts, bei dem - insoweit einem konkreten Gefährdungsdelikt vergleichbar - ein Erfolgsort angenommen wird, hat der Bundesgerichtshof anderwärts entwickelt (vgl. zu § 130 Abs. 1 und 3 StGB: BGH, Urteil vom 12. Dezember 2000 - 1 StR 184/00 - BGHSt 46, 212 ≪220 ff.≫); im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Tatbeständen ist er darauf nicht zurückgekommen (BGH, Urteil vom 10. März 2005 a.a.O. S. 356 ff.). Bestünde der Regelungsgehalt der Strafbarkeitseinschränkungen daher lediglich darin, den Erfolgsort nach § 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 Alt. 3 StGB als Anknüpfung für eine Strafbarkeit nach deutschem Recht auszuschließen, und ließen sie die Bestimmung des Handlungsortes gemäß § 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 Alt. 1 StGB nach der allgemeinen Handlungslehre unberührt, käme ihnen eine erkennbare eigenständige Bedeutung nicht zu.
Rz. 36
Die von der Beklagten für streitentscheidend gehaltene Anknüpfung an den strafrechtsdogmatischen Handlungsbegriff mit der Möglichkeit des gleichzeitigen Handelns an mehreren Handlungsorten im Aus- und Inland kann, wenn sie aus dem die Strafbarkeit ausdehnenden allgemeinen Regelungszusammenhang des § 9 Abs. 1 StGB herausgelöst und auf die strafbarkeitsbegrenzenden Spezialregelungen in § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG und § 91a StGB übertragen wird, auch in der Sache nicht überzeugen. Denn die Straftatbestände, für die die Einschränkung der Strafbarkeit auf eine Tätigkeit im Inland gilt, schützen Rechtsgüter im Inland. Deren Gefährdung ist - wie bereits dargelegt - strafbar, wenn sie von einer im Inland ausgeübten Tätigkeit herrührt, wird hingegen straffrei gestellt, wenn sie durch eine Tätigkeit verursacht wird, die im Ausland stattfindet. In diesem Sinne haben die von der Strafbarkeit ausgenommenen Sachverhalte generell und typischerweise einen grenzüberschreitenden Charakter. Bei einigen der erfassten Tatbestände, etwa bei den in § 87 StGB aufgeführten Agententätigkeiten zu Sabotagezwecken, aber auch bei dem hier inmitten stehenden, durch § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG unter Strafe gestellten Zuwiderhandeln gegen das Betätigungsverbot für einen ausländischen Verein tritt dieser grenzüberschreitende Bezug besonders deutlich hervor. Im Hinblick auf dieses Merkmal unterscheiden sich Sachverhalte, in denen die Rechtsgutgefährdungen durch vollständig im Ausland vorgenommene Tätigkeiten verursacht werden, nicht von denjenigen, in denen die Rechtsgutgefährdungen von Tätigkeiten herrühren, die ihren Ursprung und Kern im Ausland haben und sich lediglich mit Teilakten oder Wirkungen auf das Inland erstrecken. Hinzu kommt, dass Konstellationen der ersten Fallgruppe in der Praxis eher selten vorkommen werden, so dass nicht angenommen werden kann, sie hätten für sich allein den Anlass für die gesetzlichen Strafbarkeitseinschränkungen gebildet. Dies spricht dafür, die Strafbarkeitseinschränkungen unterschiedslos auf beide Fallgruppen anzuwenden.
Rz. 37
ff) Die Erwägungen zur Gesetzessystematik finden ihre Ergänzung und Bestätigung in einer Auslegung der Strafbarkeitseinschränkungen nach ihrem Sinn und Zweck. Diesen liegt - wie gleichfalls schon erwähnt - die gesetzgeberische Entscheidung zu Grunde, das Staatsschutzstrafrecht und den damit verbundenen Rechtsgüterschutz für bestimmte Tatbestände zurückzunehmen. Der Gesetzgeber nimmt es hin, dass an sich gefährliche Verhaltensweisen, die nicht in einer unmittelbaren räumlichen Nähebeziehung zum Inland stehen, straffrei bleiben, selbst wenn sie sich ausschließlich im Inland auswirken (zur rechtspolitischen Kritik an der Regelung vgl. Laufhütte/Kuschel, a.a.O. § 91 Rn. 1; Paeffgen, in: NK-StGB, 2. Aufl. 2005, § 91 Rn. 4; Stree/Sternberg-Lieben, a.a.O. § 91 Rn. 8). Auch im Hinblick auf diese Zurücknahme des Rechtsgüterschutzes besteht kein beachtlicher Unterschied zwischen den Fällen, in denen die gefährdenden Tätigkeiten vollständig im Ausland vorgenommen werden, und jenen, die ihren Ursprung und Kern im Ausland haben und sich lediglich mit Teilakten oder Wirkungen auf das Inland erstrecken. Entscheidend ist unabhängig von der Frage nach dem Vorliegen auch eines inländischen Handlungsortes, dass die Auflehnung gegen die deutsche Rechtsordnung jedenfalls in ihrem Tätigkeitskern in der einen wie in der anderen Fallgruppe im Ausland stattfindet. Die gesetzgeberische Entscheidung, derartige Akte von Strafe freizustellen, würde unterlaufen, wollte man den sich mit bloß untergeordneten Teilakten in das Inland erstreckenden Tätigkeiten die Straffreiheit verweigern.
Rz. 38
c) Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des Verbotsgrundes der Strafgesetzwidrigkeit entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht allein durch die von ihr benannten sendebezogenen Betätigungen, die Verantwortliche und Mitarbeiter der Klägerin bzw. der von der Beklagten als Teilorganisation der Klägerin in Anspruch genommenen V. in Deutschland entfalten. Dabei kann unterstellt werden, dass mit diesen Betätigungen eindeutig erkennbar Werbung für die in Deutschland verbotene, aber nach wie vor unterstützungsfähige PKK betrieben worden ist und dass sich dadurch die handelnden Personen, die sich insoweit auf die Strafbarkeitseinschränkung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 VereinsG nicht berufen können, nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG strafbar gemacht haben. Weiter kann angenommen werden, dass dieses Verhalten der Klägerin zugerechnet werden kann. Gleichwohl verbietet es der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, daraus auf die Strafgesetzwidrigkeit der Klägerin zu schließen. Denn deren Charakter wird durch die in Deutschland in unterstellt strafbarer Weise vorgenommenen sendebezogenen Betätigungen nicht geprägt.
Rz. 39
aa) Für einen Teil der inländischen Betätigungen, die die Beklagte festgestellt hat, kommt eine solche Prägung bereits in zeitlicher Hinsicht nicht in Betracht. Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung eines Vereinsverbotes ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 3. Dezember 2004 a.a.O. S. 78) der Zeitpunkt des Verfügungserlasses. Bei Erlass der angefochtenen Verbotsverfügung vom 13. Juni 2008 stellte sich die von der Beklagten benannte Einspeisung des Fernsehprogramms der Klägerin in das Netz von Kabel B.-W., die in der Zeit von Oktober 2006 bis Januar 2008 stattgefunden hatte, bereits als Tätigkeit in einer abgeschlossenen zeitlichen Episode dar, der eine prägende Wirkung für das Gesamtprogramm der Klägerin nicht mehr zukommen konnte. Gleiches gilt für die von der V. in der Zeit von Januar 2004 bis Juli 2007 produzierte und von der Klägerin regelmäßig ausgestrahlte Diskussionssendung "Sela Sor", an der nach den Erkenntnissen der Beklagten wiederholt hochrangige PKK-Funktionäre persönlich oder vermittelt durch eine telefonische Zuschaltung teilgenommen haben. Diese Sendung wird, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, seit dem Sommer des Jahres 2007 in dem Studio der Klägerin in Belgien hergestellt und hat in der Produktpalette der V. keinen Ersatz erhalten. Ferner kann den von der Klägerin mit Hilfe eines vor Ort eingesetzten Übertragungswagens gesendeten Live-Übertragungen der Kurdischen Kulturfestivals vom 6. September 2008 und 12. September 2009 in Gelsenkirchen sowie den aufgezeichneten Berichten über Feiern in einigen deutschen Städten zum dreißigsten Jahrestag der Gründung der PKK im November 2008, über das Zilan-Frauenfestival am 6. September 2009 in Gelsenkirchen und über das Mazlum-Dogan-Festival am 11. Juli 2009 in Köln im Rahmen des anhängigen Verfahrens schon deshalb keine prägende Wirkung beigemessen werden, weil diese zeitlich nach dem Verfügungserlass vorgenommenen Betätigungen bei der Überprüfung der Verbotsverfügung durch den Senat nicht berücksichtigt werden können.
Rz. 40
bb) Für eine prägende Wirkung verbleiben vor allem die von der Beklagten benannten Live-Berichte der Klägerin von in Deutschland veranstalteten kurdischen Festivals, also die Internationalen Kurdischen Kulturfestivals vom 3. September 2005 in Köln, vom 2. September 2006 (ohne Ortsangabe) und vom 1. September 2007 in Gelsenkirchen, die Mazlum-Dogan-Festivals vom 30. und 31. Juli 2004, 15. und 16. Juli 2005 und 14. Juli 2007 in Köln sowie die Newroz-Feiern vom 20. März 2004 in Hannover, vom 2. April 2005 in Frankfurt-Höchst, vom 17. März 2007 in Berlin und vom 22. März 2008 in Essen. Hinzu kommen Berichte über eine Newroz-Veranstaltung aus dem Jahr 2005 in Essen und über eine Demonstration am 15. Dezember 2007 vor dem türkischen Generalkonsulat in Düsseldorf, die die Klägerin nach den Feststellungen der Beklagten zunächst aufgezeichnet und sodann gesendet hat. Ferner ist davon auszugehen, dass in der Ausgabe der von der V. produzierten Serie "Kocberi" vom 4. April 2008 ein positiv gezeichneter Beitrag über das Leben des PKK-Führers Abdullah Öcalan und in der Reihe "Rojbas Kurdistan", etwa in der Sendung vom 22. August 2007, Programmvorschauen mit Bildern von führenden Mitgliedern der PKK zu sehen gewesen sind. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Programmbeiträge - selbst wenn man ihnen einen mit Werbung für die PKK durchsetzten Inhalt unterstellt - unter quantitativen oder qualitativen Maßstäben von prägendem Einfluss auf das Gesamtprogramm der Klägerin gewesen sein könnten.
Rz. 41
Quantitativ bilden die in Rede stehenden Beiträge, die die Klägerin in den Jahren 2004 bis 2008 gesendet hat, auch unter Berücksichtigung etwaiger Werbung für bevorstehende Live-Sendungen bezogen auf die Gesamtsendezeit der Klägerin in diesem Zeitraum einen prozentual kaum fassbaren Anteil. Zwar muss eine strafgesetzwidrige Tätigkeit nicht die gesamte übrige Betätigung einer Vereinigung überwiegen, um deren Charakter zu prägen. Gleichwohl ist das Missverhältnis zwischen den beiden Tätigkeitskreisen hier derart deutlich ausgeprägt, dass es nicht vollständig unberücksichtigt bleiben kann. Dies gilt umso mehr, als sich die zur Beurteilung stehenden Beiträge in Form der Übertragungen von Veranstaltungen der in Deutschland lebenden Kurden weit überwiegend auf nur punktuelle Ereignisse und nicht auf zeitlich weiter ausgreifende Zusammenhänge beziehen.
Rz. 42
Das quantitative Ungleichgewicht zu Ungunsten der von der Beklagten als strafgesetzwidrig namhaft gemachten Beiträge im Verhältnis zu der übrigen Sendetätigkeit der Klägerin wird nicht durch die Bedeutung dieser Sendeeinheiten in qualitativer Hinsicht ausgeglichen. Zwar mögen die in Deutschland veranstalteten kurdischen Festivals als Fixpunkte im Laufe eines Jahres wichtig für die Identität und den Zusammenhalt der hier lebenden Kurden sein. Jedoch ergibt sich hieraus nicht im Wege einer Rückkopplung eine prägende Wirkung der Live-Berichte von diesen Veranstaltungen auf das Gesamtprogramm der Klägerin, denn diese richtet sich mit ihrer Sendetätigkeit nicht nur an die in Deutschland - oder in Westeuropa - lebenden Kurden, sondern auch an die kurdische Bevölkerung im Nahen Osten. Dies hat der Redakteur des Senderates der Klägerin, Herr T., bei seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekundet; darüber hinaus hat er darauf hingewiesen, dass im Mittelpunkt des Programms neben einer Vielzahl sonstiger Inhalte Berichte über die Vorgänge stünden, die die Kurden im Nahen Osten beträfen. Der Senat hat keinen Anlass, in Zweifel zu ziehen, dass diese Selbsteinschätzung den Tatsachen entspricht, denn das Programm der Klägerin kann in den gesamten kurdischen Siedlungsgebieten des Nahen Ostens empfangen werden (vgl. Verfassungsschutzbericht 2008 des Bundesministeriums des Innern, S. 275), und die Berichte über die Vorgänge im angestammten kurdischen Siedlungsgebiet sind auch für die in Deutschland und Westeuropa lebenden Kurden von zentralem Interesse, solange sie sich der ethnischen Gemeinschaft der Kurden zugehörig fühlen. Andererseits sind zwar nach der Einschätzung des Senats die außerdem gesendeten Berichte über kurdische Veranstaltungen in Deutschland auch für die kurdischen Empfänger des Fernsehprogramms der Klägerin im Nahen Osten nicht unwichtig, weil sie ihnen die Solidarität ihrer in Deutschland lebenden Landsleute verdeutlichen und einen daraus erwachsenden Rückhalt vermitteln können. Jedoch verleiht diese Funktion, mag sie der Klägerin im Rahmen ihrer im Wesentlichen auf die Situation der Kurden in der Türkei bezogenen Programmgestaltung auch willkommen sein, den Beiträgen über Kurden in Deutschland kein das gesamte umfangreiche Programm der Klägerin prägendes Gewicht. Dies verdeutlicht nicht zuletzt die Erwägung, dass insbesondere den Übertragungen von den kurdischen Festivals in Deutschland neben der hier unterstellten propagandistischen auch und sogar hauptsächlich eine informative und kulturelle Zielrichtung zukommt; denn über diese Festivals müsste ein kurdischer Sender gerade wegen ihrer Bedeutung für die Kurden in Deutschland und Westeuropa auch unter der Voraussetzung berichten, dass er sich nicht mit der verbotenen PKK identifiziert. Abgesehen davon wäre, wenn die Festivals ausschließlich aus strafbarer Propaganda für die verbotene PKK bestünden, nicht verständlich, dass sie von den zuständigen Behörden nicht mit Maßnahmen nach dem Versammlungsgesetz unterbunden werden.
Rz. 43
4. Das angefochtene Verbot kann jedoch nach nationalem Recht auf den Verbotsgrund der Völkerverständigungswidrigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG gestützt werden.
Rz. 44
a) Die objektiven Voraussetzungen dieses Verbotsgrundes sind erfüllt, wenn die Tätigkeit oder der Zweck einer Vereinigung geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung zu beeinträchtigen. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn der Zweck oder die Tätigkeit darauf gerichtet ist, das friedliche Zusammenleben der Völker im Sinne von Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG zu stören. Vielmehr richtet sich ein Verein (auch) dann gegen den Gedanken der Völkerverständigung, wenn sein Zweck oder seine Tätigkeit der friedlichen Überwindung der Interessengegensätze von Völkern zuwiderläuft. Dies ist vor allem dann gegeben, wenn Gewalt in das Verhältnis von Völkern hineingetragen und insbesondere zur Tötung von Menschen aufgefordert wird. In einem solchen Fall ist es für die Erfüllung des objektiven Verbotstatbestandes nicht erforderlich, dass der Verein selbst Gewalt ausübt. Der objektive Tatbestand kann auch dann erfüllt sein, wenn ein Verein eine Gruppierung unterstützt, die ihrerseits durch Ausübung von Gewalt das friedliche Miteinander der Völker beeinträchtigt. Von dem Verbotsgrund sind nicht nur die friedlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu fremden Völkern, sondern auch der Frieden zwischen fremden Völkern erfasst. Der Verbotstatbestand ist nur erfüllt, wenn der Zweck oder die Tätigkeit des Vereins geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen. Wenn das objektiv gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtete Verhalten von einem entsprechenden Willen der Vereinigung getragen wird und insbesondere eine Identifizierung mit Gewalttaten besteht, ist der Verbotsgrund in subjektiver Hinsicht verwirklicht (Urteile vom 3. Dezember 2004 a.a.O. S. 79 f. und vom 25. Januar 2006 a.a.O. S. 4 f.).
Rz. 45
b) Nach diesen Maßstäben richtet sich die Klägerin sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht gegen den Gedanken der Völkerverständigung.
Rz. 46
Die Klägerin verweist zwar zu Recht darauf, dass es in der türkischen Politik seit dem Sommer des Jahres 2009 Ansätze für eine punktuelle Entspannung im Verhältnis zu der kurdischen Bevölkerungsgruppe gibt und die PKK ihrerseits in Form mehrfacher Ankündigungen eines Waffenstillstandes eine friedliche Option zu erkennen gegeben hat. Dies mag auch in den Sendungen der Klägerin zum Ausdruck kommen. Andererseits hebt die Beklagte zutreffend hervor, dass die bewaffneten Kräfte der PKK (Volksverteidigungskräfte - HPG) weiter vorhanden sind und eingesetzt werden, so dass der Guerillakampf im Ergebnis nach wie vor geführt wird und sich deshalb auch das weitgehend friedliche Auftreten der PKK in Europa als Teil einer Doppelstrategie darstellt (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2008, S. 266). Der danach weiter bedeutsame militärische bzw. gewaltsame Ansatz findet mit Wissen und Wollen der für die Klägerin verantwortlichen Personen in Form einer eindeutigen Parteinahme zu Gunsten der PKK einen massiven und prägenden Niederschlag in dem Fernsehprogramm der Klägerin. Diese berichtet nicht neutral über die stattfindenden Auseinandersetzungen, sondern unterstützt den Einsatz von Guerillaeinheiten und das Verüben von Anschlägen durch die PKK, indem sie sich deren Positionen in eindeutig erkennbarer Weise zu eigen macht. Sie trägt dadurch schwerwiegend, ernst und nachhaltig zur Anheizung der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den türkischen und kurdischen Volkszugehörigen in der Türkei bei. Hierdurch werden zugleich die Spannungen zwischen den in Deutschland lebenden Türken und Kurden erhöht (vgl. dazu: Bundeskriminalamt, Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - Straftaten der PKK unter besonderer Berücksichtigung der Auseinandersetzungen zwischen kurdischen und türkischen Gruppen in Deutschland, Stand 20. August 2009).
Rz. 47
Diese Einschätzung wird durch die im Folgenden aufgeführten Sendeausschnitte belegt. Sie stellen, wie es anders bei der Beurteilung eines sich über mehrere Jahre hinweg erstreckenden Fernsehprogramms nicht sein kann, nur Beispiele dar. Diese exemplarischen Programmbestandteile tragen gleichwohl die Annahme, dass sich zahlreiche Sendebeiträge der Klägerin gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Denn zum einen haben sie ein ganz erhebliches Gewicht. Zum anderen hat sich die Klägerin zu keiner Zeit von den darin liegenden Gewaltbefürwortungen distanziert.
Rz. 48
c) Die Klägerin verherrlicht den von der PKK geführten Guerillakampf.
Rz. 49
Dies wird besonders deutlich anhand von drei Kapiteln der in der mündlichen Verhandlung abgespielten DVD mit ausgewählten Sequenzen aus dem Fernsehprogramm der Klägerin aus der Zeit vom 1. März 2007 bis zum 10. April 2008. In einem am 7. April 2008 gesendeten Beitrag (Kapitel 20) waren Bilder von bewaffneten Guerillakämpfern im Sonnenaufgang zu sehen und das Lied "Guerilla, oh Guerilla - auch wir geben unser Leben für den Kampf, dem Du Dich verschrieben hast" zu hören. In der Sendung der Reihe "Hevi" vom 10. April 2008 (Kapitel 1) wurden in einem Bericht aus einem Lager von Guerillakämpferinnen in einem pathetischen Text alle jene Kämpferinnen gewürdigt, die in der Ehre des Kampfes ihr Leben verloren hätten und derer man sich durch die Weiterführung des Kampfes würdig zu erweisen habe. Ebenfalls am 10. April 2008 (Kapitel 5) wurden Filmaufnahmen von Guerillakämpfern gezeigt, die ihren Eid auf den PKK-Vorsitzenden Öcalan und die HPG ablegen.
Rz. 50
Aus dem von der Beklagten im Übrigen beigebrachten Material ist besonders erwähnenswert ein in der Reihe "Hevi" am 1. September 2007 ausgestrahlter idealisierender Bericht über das Guerillaleben in den Bergen. Dieses wird als abwechslungsreiche und für junge Leute attraktive Mischung aus militärischen Übungen und alltäglichen Verrichtungen dargestellt.
Rz. 51
d) Die Klägerin betreibt mit dem Ziel der Unterstützung des Guerillakampfes ein Heldengedenken und einen Märtyrerkult im Hinblick auf gefallene Guerillakämpfer. Dadurch wird die Botschaft vermittelt, es sei ehrenvoll zu handeln wie die zu Tode Gekommenen, notfalls auch um den Preis des eigenen Todes.
Rz. 52
Auf der in der mündlichen Verhandlung abgespielten DVD sind drei Sendungen der Klägerin vom 27. August 2007, 5. April 2008 und 8. April 2008 dokumentiert, in denen Porträtfotos gefallener Guerillakämpfer gezeigt und deren Namen und Geburtsjahr angegeben wurden (Kapitel 8, 16 und 2). In der erstgenannten Sendung geschieht dies eingerahmt durch eingeblendete Gefechtsszenen. Nachgewiesen ist weiter, dass am 22. August 2007 (Kapitel 11) von einer Gedenkveranstaltung für zwei Gefallene berichtet und am 7. April 2008 des journalistisch tätig gewesenen Kämpfers H. U. mit Bildern aus seinem Leben sowie drei weiterer Gefallener gedacht (Kapitel 21) wurde. Schon durch derartige bildliche Nachrufe werden die Gefallenen als Helden und Vorbilder verehrt. Dies steigert sich zu einer kulthaften Märtyrerverehrung im Fall der jungen Kurdin Z. K., die Z. genannt und in einem gleichnamigen Lied verherrlicht wird, weil sie sich im Jahr 1996 als Selbstmordattentäterin bei einer militärischen Veranstaltung in die Luft sprengte und dabei mehrere Armeeangehörige mit in den Tod riss. Einen auf der genannten DVD gespeicherten Musikclip, in dem die später selbst als Guerillakämpferin getötete Sängerin D. dieses Lied inmitten einer Gruppe andächtig lauschender Kämpferinnen - filmisch unterlegt mit mehrmaliger Einblendung der Z. - singt, sendete die Klägerin am 27. August 2007 (Kapitel 10). Der Text des Liedes war - kombiniert mit martialischen Kampfszenen und einem Bild des PKK-Vorsitzenden Öcalan - auch Gegenstand einer Einblendung vom 2. September 2007 (Kapitel 3).
Rz. 53
e) Die Klägerin unterstützt ferner den bewaffneten Kampf der PKK gegen den türkischen Staat auch dadurch, dass sie an die Aufnahme dieses Kampfes am 15. August 1985 an den jeweiligen Jahrestagen mit Sendebeiträgen erinnert.
Rz. 54
Die DVD, die Gegenstand der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung war, gibt eine Sendung der Klägerin vom 22. August 2007 (Kapitel 6) wieder, in der darüber berichtet wird, dass die Guerillakämpfer der HPG auf dem Märtyrerfriedhof den 15. August mit einer Zeremonie begrüßt hätten. Sie enthält zudem einen langen, durch die Einblendung marschierender Kämpfer unterbrochenen Monolog einer jungen Uniformierten über die historische Bedeutung dieses Jahrestages, in deren Bewusstsein es zu kämpfen gelte. Der Beitrag endet mit fröhlich singenden und tanzenden jungen Leuten in Uniform.
Rz. 55
In der ebenfalls am 22. August 2007 ausgestrahlten, auf der genannten DVD nicht abgespeicherten Jugendsendung "Ciwan" wurden Bilder von als PKK-Anhänger erkennbaren randalierenden Jugendlichen dahingehend kommentiert, die kurdische Jugend sei an dem Jahrestag mit großer Freude auf die Straßen gegangen. Hunderte von Jugendlichen, die sich zu Apos (Öcalans) Jugend ernannt hätten, hätten in Istanbul Aktionen durchgeführt und danach mehrere Wagen und Reisebusse in Brand gesteckt. Am Ende der Sendung rief ein Studiogast ohne ein Eingreifen der Sendeleitung zu einer Beteiligung am Guerillakampf auf.
Rz. 56
f) Ein zentraler Bestandteil des Programms der Klägerin ist schließlich ein Personenkult um den in der Türkei inhaftierten PKK-Vorsitzenden Öcalan (Apo). Dies ist in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang deswegen von Bedeutung, weil der Person Öcalans nach wie vor ein Symbolgehalt auch für den bewaffneten Kampf der PKK gegen den türkischen Staat zukommt. Auch als Anführer dieses Kampfes wird den Zuschauern der PKK-Vorsitzende permanent vor Augen geführt.
Rz. 57
Auf der in der mündlichen Verhandlung abgespielten DVD ist dies in mehreren Kapiteln dokumentiert. Besonders eindrucksvoll ist ein am 22. August 2007 (Kapitel 7) gesendetes Musikvideo mit einer Menschenmenge, die Öcalan-Bilder und PKK-Symbole präsentiert, eingeblendeten Sonnen und Flammen sowie dem Gesang "Apo ist unser Volk, wie eine Flut, ein Gewitter, die Welt erzittert unter ihm... Mädchen und Jünglinge sind allesamt Soldaten..."
Rz. 58
5. Der Senat kann ohne Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht entscheiden, ob der Anwendung des nach dem nationalen Recht erfüllten Verbotsgrundes der Völkerverständigungswidrigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG die Bestimmungen der gemeinschaftsrechtlichen Fernseh-Richtlinie entgegenstehen.
Rz. 59
a) Die Fernseh-Richtlinie (im Folgenden: Fernseh-RL) ist auf den zur Entscheidung stehenden Fall in Gestalt der Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl EG Nr. L 298 S. 23) in der Fassung der Änderungsrichtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 (ABl EG Nr. L 202 S. 60) anzuwenden. Denn die Frist zur Umsetzung der weiteren Änderungsrichtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 (ABl EU Nr. L 332 S. 27) ist erst am 19. Dezember 2009 und damit nach dem Erlass der angefochtenen Verbotsverfügung vom 13. Juni 2008, dem für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt, abgelaufen.
Rz. 60
b) Die Klägerin unterfällt dem Anwendungsbereich der Richtlinie. Sie ist eine Fernsehveranstalterin im Sinne des Art. 1 Buchst. b Fernseh-RL, die zum Empfang durch die Allgemeinheit bestimmte Fernsehsendungen im Sinne von Art. 1 Buchst. a Fernseh-RL innerhalb der Gemeinschaft (vgl. Art. 2 Abs. 6 Fernseh-RL) ausstrahlt. Da sie ihre Hauptverwaltung in Dänemark hat und dort auch die redaktionellen Entscheidungen über das Programmangebot getroffen werden, gilt sie nach Art. 2 Abs. 3 Buchst. a Fernseh-RL als in Dänemark niedergelassen und unterliegt deshalb nach Art. 2 Abs. 2 Spiegelstrich 1 Fernseh-RL der Rechtshoheit Dänemarks.
Rz. 61
c) Nach den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes anerkannten Grundsätzen zum Zweck und Regelungssystem der Fernseh-Richtlinie besteht deren Hauptziel darin, Beschränkungen für Dienstleistungen, die in Gestalt der Ausstrahlung von Fernsehsendungen erbracht werden, abzuschaffen. Die Bestimmungen der Richtlinie gelten in den im Sinne des Art. 2a Abs. 1 Fernseh-RL koordinierten Bereichen. Dabei sind die koordinierten Bereiche nur hinsichtlich der Fernsehtätigkeit im eigentlichen, in Art. 1 Buchst. a der Richtlinie definierten Sinne koordiniert. Zur Erreichung ihres Regelungszwecks sieht die Fernseh-Richtlinie Mindestnormen vor, denen Fernsehsendungen, die ihren Ursprung in der Gemeinschaft haben und für den Empfang in der Gemeinschaft bestimmt sind, entsprechen müssen. Der Sendestaat ist nicht nur für die Anwendung seines eigenen für Fernsehsendungen geltenden Rechts, sondern auch - und zwar allein - für die Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinie zuständig (sog. Sendestaatsprinzip, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 und 2 Fernseh-RL). Der Empfangsstaat hat den freien Empfang von Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten zu gewährleisten und darf die Weiterverbreitung dieser Sendungen in seinem Hoheitsgebiet nicht aus Gründen beeinträchtigen, die in die durch die Richtlinie koordinierten Bereiche fallen (Art. 2a Abs. 1 Fernseh-RL). Dabei ist die Anwendung anderer Vorschriften als derjenigen, die gerade die Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehprogrammen betreffen, nicht völlig und von vornherein ausgeschlossen. Der Empfangsstaat darf jedoch keine zweite Kontrolle zusätzlich zu der von dem Sendestaat durchzuführenden Kontrolle ausüben und die Weiterverbreitung im eigentlichen Sinne von Fernsehsendungen aus einem anderen Mitgliedstaat nicht verhindern. Ihm ist es verwehrt, Korrekturen vorzunehmen und Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, um einer Missachtung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften durch einen anderen Mitgliedstaat entgegenzuwirken oder insoweit seine eigenen Kriterien anzuwenden. Lediglich in den Fallgestaltungen des Art. 2a Abs. 2 Fernseh-RL ist er unter strengen Voraussetzungen zu vorläufigen Maßnahmen befugt (EuGH, Urteile vom 9. Februar 1995 - Rs. C-412/93, Leclerc-Siplec - Slg. 1995, I-179 Rn. 28 ff., vom 10. September 1996 - Rs. C-11/95, Kommission/Belgien - Slg. 1996, I-4115 Rn. 32 ff., 42, vom 29. Mai 1997 - Rs. C-14/96, Denuit - Slg. 1997, I-2785 Rn. 32 ff., vom 9. Juli 1997 - Rs. C-34/95, De Agostini - Slg. 1997, I-3843 Rn. 3, 24 ff., 57 ff. und vom 13. Juli 2004 - Rs. C-429/02, Bacardi - Slg. 2004, I-6613 Rn. 3, 25).
Rz. 62
d) In dem den Schutz Minderjähriger und die öffentliche Ordnung betreffenden fünften Kapitel der Fernseh-Richtlinie bestimmt Artikel 22a, dass Sendungen nicht zu Hass auf Grund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität aufstacheln dürfen. Die für die Anwendung des richtlinienbestimmten Rechts in dem Sendestaat Dänemark zuständige Stelle hat entschieden, dass dem Programm der Klägerin eine solche Aufstachelungswirkung nicht zukomme. Um beurteilen zu können, ob die Beklagte durch Art. 22a Fernseh-RL i.V.m. Art. 2a Abs. 1 Fernseh-RL gemeinschaftsrechtlich an dem Erlass des auf den Verbotsgrund des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG gestützten Vereinsverbotes gehindert war, muss geklärt werden, welchen Umfang der durch Art. 22a Fernseh-RL koordinierte Bereich hat und ob zwischen dem durch den Empfangsstaat ausgesprochenen vereinsrechtlichen Verbot eines sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtenden Fernsehsenders und der dem Sendestaat obliegenden Verhinderung von Fernsehsendungen mit einem zu Hass auf Grund von Rasse oder Nationalität aufstachelnden Inhalt so weitreichende Übereinstimmungen bestehen, dass dem Empfangsstaat die vereinsrechtliche Kontrolle der Völkerverständigungswidrigkeit des Fernsehsenders entzogen ist. Die in diesem Zusammenhang anzuwendenden Maßstäbe lassen sich der bisher zum Anwendungsbereich der Fernseh-Richtlinie ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht hinreichend sicher entnehmen.
Rz. 63
aa) Die beschriebene Prüfung erübrigt sich nicht deshalb, weil die Beklagte ihre Zuständigkeit für eine durch die Vorschriften der Fernseh-Richtlinie nicht beschränkte Kontrolle des Programms der Klägerin jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs aus der Annahme herleiten könnte, dass die Tätigkeit der Klägerin ganz oder vorwiegend auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgerichtet wäre und sie sich in Dänemark in der Absicht niedergelassen hätte, sich den Regelungen zu entziehen, die auf sie anwendbar wären, wenn sie im Bundesgebiet niedergelassen wäre. Ob die von der Beklagten zur Begründung ihres gegenteiligen Rechtsstandpunktes in Bezug genommene Umgehungsrechtsprechung, die der Europäische Gerichtshof zu den primärrechtlich gewährleisteten Grundfreiheiten entwickelt hat (vgl. für Rundfunk und Fernsehen: EuGH, Urteile vom 5. Oktober 1994 - Rs. C-23/93, TV10 - Slg. 1994, I-4795 Rn. 21, vom 16. Dezember 1992 - Rs. C-211/91, Kommission/Belgien - Slg. 1992, I-6757 Rn. 12 und vom 3. Februar 1993 - Rs. C-148/91, Veronica Omröp Organisatie - Slg. 1993, I-487 Rn. 12 sowie allgemein: Urteile vom 3. Dezember 1974 - Rs. C-33/74, van Binsbergen - Slg. 1974, 1299 Rn. 13 und vom 4. Dezember 1986 - Rs. C-205/84, Kommission/Bundesrepublik Deutschland - Slg. 1986, 3755 Rn. 22), auch im Zusammenhang mit den sekundärrechtlichen Bestimmungen der Fernseh-Richtlinie Anwendung finden kann, hat der Gerichtshof bisher offengelassen (Urteil vom 10. September 1996 a.a.O. Rn. 65). Selbst wenn man dies, was die 14. Begründungserwägung der Änderungsrichtlinie 97/36/EG nahelegen könnte, bejahen wollte, würde es im vorliegenden Fall jedenfalls an hinreichenden Anhaltspunkten dafür fehlen, dass die Klägerin Dänemark als ihren Sitz nur deshalb ausgewählt hat, um die deutschen Rechtsvorschriften zu umgehen. Denn die Klägerin ist, wie bereits dargelegt, mit ihrer Sendetätigkeit weit über die in Deutschland lebenden Kurden und damit das deutsche Hoheitsgebiet hinaus auf die gesamte kurdische Bevölkerung in Westeuropa und im Nahen Osten ausgerichtet.
Rz. 64
bb) Die Frage der Bestimmung des durch Art. 22a Fernseh-RL koordinierten Bereichs und dessen thematischer Überschneidung mit einem auf den Verbotsgrund der Völkerverständigungswidrigkeit nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG gestützten Verbot eines Fernsehsenders stellt sich in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Struktur der betroffenen Normen.
Rz. 65
Die Beklagte versteht Art. 22a Fernseh-RL vor allem unter Verweis auf die Überschrift des fünften Kapitels der Fernseh-Richtlinie - Schutz Minderjähriger und öffentliche Ordnung - restriktiv dahingehend, dass die Vorschrift keine (Teil-)Koordinierung allgemeiner ordnungs-, vereins- und verfassungsschutzrechtlicher Bestimmungen enthalte, die dem gemeinschaftsrechtlichen Begriff der öffentlichen Sicherheit (vgl. dazu: EuGH, Urteile vom 17. Oktober 1995 - Rs. C-83/94, Leifer - Slg. 1995, I-3231 Rn. 25 ff. und vom 26. Oktober 1999 - Rs. C-273/97, Sirdar - Slg. 1999, I-7403 Rn. 17) unterfielen, sondern nur den Minderjährigenschutz sowie die öffentliche Ordnung im Sinne des Schutzes der Menschenwürde erfasse. Sie verdränge nur mitgliedstaatliche Normen, die einen entsprechenden Inhalt aufwiesen und zudem in spezifischer Weise die Ausübung der Fernsehtätigkeit als solche beträfen.
Rz. 66
Dieser einschränkenden Sichtweise lässt sich zwar entgegenhalten, dass die Überschrift des fünften Kapitels der Fernseh-Richtlinie nicht mehr als einen ersten Hinweis auf den Inhalt der nachfolgenden Bestimmungen ergibt und dass sich der Inhalt einer Bestimmung vornehmlich aus ihr selbst erschließt. Auch hat der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 10. September 1996 a.a.O. Rn. 92) in einer recht weit gefassten Formulierung festgestellt, dass die Fernseh-Richtlinie als Gesamtregelwerk - wenn auch nicht abschließend - Materien betreffe, die dem Bereich der öffentlichen Ordnung, der guten Sitten oder der öffentlichen Sicherheit zuzurechnen seien und die Anwendung entsprechender mitgliedstaatlicher Regelungen ausschlössen. Schließlich ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 9. Juli 1997 a.a.O. Rn. 33) im Regelungsbereich der Fernseh-Richtlinie die Anwendung nicht spezifisch fernsehrechtlicher Regelungen des nationalen Rechts nicht stets zulässig, sondern lediglich nicht völlig und von vornherein ausgeschlossen.
Rz. 67
Auf der anderen Seite spricht aber auch einiges dafür, dass keine Überschneidung der Regelungsbereiche des Art. 22a Fernseh-RL und des nationalen Vereinsverbotsgrundes der Völkerverständigungswidrigkeit und damit keine die Anwendung des mitgliedstaatlichen Rechts verdrängende Wirkung des Gemeinschaftsrechts besteht. Denn der nationale ordnungsrechtliche Tatbestand schützt von seiner Normstruktur her die Völkerverständigung als allgemeines Prinzip des objektiven Rechts (s. dazu jetzt auch Art. 4 Abs. 2 Satz 2 EUV, wonach die Union die grundlegenden Funktionen der Mitgliedstaaten, insbesondere auch in Bezug auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit, achtet). Dagegen stellt Art. 22a Fernseh-RL jedenfalls seinem Wortlaut nach auf eine subjektive Betroffenheit in ausgrenzenden individuellen Merkmalen ab.
Rz. 68
cc) Gegen eine für den Ausschluss der Anwendbarkeit der nationalen Regelung ausreichende thematische Übereinstimmung mit Gemeinschaftsrecht könnte weiterhin sprechen, dass Art. 22a Fernseh-RL mit der Aufstachelung zum Hass an eine intensivere Art der Tätigkeit anknüpft, als sie nach den obigen Darlegungen für die Annahme einer Völkerverständigungswidrigkeit erforderlich ist. Hierdurch könnte jedenfalls für Verstöße gegen den Gedanken der Völkerverständigung, die - wie in dem hier zur Entscheidung stehenden Fall - von ihrer Intensität her den Grad der Aufstachelung nicht erreichen, die Anwendung der mitgliedstaatlichen Regelung offenstehen.
Rz. 69
dd) Schließlich sind die Unterschiede zwischen türkischen und kurdischen Volkszugehörigen in erster Linie ethnischer und kultureller Natur. Dieser Umstand hindert die Anwendung des Vereinsverbotsgrundes der Völkerverständigungswidrigkeit nicht. Ob diese Differenzierungsmerkmale von den Begriffen der Rasse und der Nationalität im Sinne des Art. 22a Fernseh-RL erfasst werden, erscheint demgegenüber fraglich, zumal in Art. 3b und Art. 3e der - auf den vorliegenden Fall allerdings noch nicht anwendbaren - Richtlinie in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2007/65/EG der Begriff der Nationalität durch denjenigen der Staatsangehörigkeit ersetzt worden ist. Auch hieran könnte die Annahme einer (Teil-)Identität des Verbotsgrundes mit Art. 22a Fernseh-RL scheitern.
Rz. 70
e) Die Antwort auf die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Anwendung des nationalen vereinsrechtlichen Verbotsgrundes der Völkerverständigungswidrigkeit in den durch die Fernseh-Richtlinie koordinierten Bereich fällt und daher gemäß Art. 2a Fernseh-RL ausgeschlossen ist, ist nach alledem nicht offenkundig und frei von vernünftigen Zweifeln. Der Senat sieht sich deshalb nicht im Stande, über diese Frage, die im vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist, ohne Anrufung des Europäischen Gerichtshofes zu entscheiden.
Fundstellen
Dokument-Index HI11675065 |