Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf der Asylanerkennung. Widerruf der Flüchtlingsanerkennung. Prognosemaßstab. Genfer Flüchtlingskonvention. Beendigungsklausel. Flüchtlingsstatus. Änderung der Verhältnisse im Herkunftsstaat. Afghanistan. Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes. allgemeine Gefahren. nichtstaatliche Verfolgung. Gebietsgewalt. schutz- und verfolgungsmächtige Ordnung. Refoulement-Verbot
Leitsatz (amtlich)
- Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung insbesondere zu widerrufen, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Diese Vorschrift entspricht ihrem Inhalt nach Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK.
- § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG enthält eine einzelfallbezogene Ausnahme von der Beendigung der Flüchtlingseigenschaft, die unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen von Satz 1 der Vorschrift gilt.
- Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsstaat eine Rückkehr unzumutbar ist, ist beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht zu prüfen, sondern im Rahmen der allgemeinen ausländerrechtlichen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu berücksichtigen.
- § 73 Abs. 2a AsylVfG findet auf vor dem 1. Januar 2005 ergangene Widerrufsentscheidungen keine Anwendung.
Normenkette
GG Art. 16a; VwVfG § 48 Abs. 4, § 49 Abs. 2 S. 2; AsylVfG § 73 Abs. 1, 2a; AufenthG § 60 Abs. 1, 8; AuslG § 51 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 16.06.2004; Aktenzeichen 2 LB 54/03) |
VG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 29.01.2003; Aktenzeichen 21 A 222/01) |
Tenor
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Juni 2004 wird aufgehoben, soweit es sich auf das Anfechtungsbegehren gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Juni 2000 bezieht.
Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Asyl- und Flüchtlingsanerkennung.
Der 1972 in Kabul geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er besuchte bis zur 12. Klasse in Kabul die Schule. Im Juni 1989 verließ er Afghanistan und gelangte nach Deutschland, wo er im Juli 1989 seine Anerkennung als Asylberechtigter beantragte.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge – jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – gab er an, er sei für die Organisation Jamiat-e-Islami als Verbindungsmann zwischen seinem Bruder und einem Kommandanten tätig gewesen und habe Bücher, Flugblätter und Videokassetten, die von Pakistan nach Logar gebracht worden seien, nach Kabul transportiert. Sein Bruder sei verhaftet worden. Anschließend sei das Haus durchsucht worden. Dabei habe man ihn und seinen Vater mitgenommen. Er selbst sei 25 Tage festgehalten, geschlagen und gefoltert worden. Da er kein Geständnis abgelegt habe und keinerlei andere Beweise gegen ihn vorgelegen hätten, sei er wieder freigelassen worden. Drei Tage später habe er gesehen, dass das Haus vom Geheimdienst Khad umstellt gewesen sei. Deshalb habe er Kabul verlassen. Schon vor seiner Haft habe er in die Bundesrepublik Deutschland reisen wollen. Nachdem die Russen Afghanistan verlassen hätten, habe es ständig Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mudjahedin-Organisationen gegeben. Wenn er bei den Mudjahedin geblieben wäre, hätte er am bewaffneten Kampf teilnehmen müssen. Das habe er nicht gewollt und deshalb sei er ausgereist.
Mit Bescheid vom 7. Juni 1991 erkannte die Beklagte den Kläger als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Nach seinem Umzug nach Lübeck wurde der Kläger mit – rechtskräftig gewordenem – Urteil des Landgerichts Lübeck vom 10. Juli 1996 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Mit Bescheid vom 5. Juni 2000 widerrief die Beklagte die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter im Bescheid vom 7. Juni 1991 und die darin getroffene Feststellung, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zugleich wurde in dem Widerrufsbescheid festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, die erforderliche Prognose einer drohenden politischen Verfolgung lasse sich nicht mehr treffen, nachdem in Afghanistan keine der Verfolgung fähige staatliche oder staatsähnliche Gewalt mehr vorhanden sei.
Mit der hiergegen gerichteten Klage machte der Kläger u.a. geltend, ein Widerruf sei schon deshalb unzulässig, weil er in seiner Heimat inhaftiert und gefoltert worden sei. Er lebe seit nunmehr vierzehn Jahren in Deutschland, habe sich hier stabilisiert, sei vollzeitbeschäftigt und beziehe keine Sozialhilfe. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan habe er Angst davor, dass er seine Gegner nicht mehr erkennen würde, diese sich aber an ihn erinnerten, um Vergeltung zu üben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Asylanerkennung nach Art. 16a Abs. 1 GG und für eine Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG lägen nicht mehr vor, da eine effektive staatliche oder staatsähnliche Gewalt, deren Vorhandensein Voraussetzung für das Vorliegen politischer Verfolgung sei, sich derzeit in Afghanistan (noch) nicht feststellen lasse.
Mit Urteil vom 16. Juni 2004 hat das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sei insbesondere dann möglich, wenn die Gefahr politischer Verfolgung im Herkunftsstaat nicht mehr bestehe. Dies sei dann der Fall, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich entscheidungserheblich geändert hätten. Insoweit habe das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Asylanerkennung und für eine Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nicht mehr vorlägen, weil sich eine effektive staatliche oder staatsähnliche Gewalt in Afghanistan nicht feststellen lasse. Daran habe sich seither nichts geändert. Dem Widerruf stehe auch § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nicht entgegen. Die danach erforderliche Zumutbarkeit der Rückkehr setze grundsätzlich voraus, dass ein Staat existiere, dessen Schutz der nicht mehr Asylberechtigte nunmehr in Anspruch nehmen könne. Dies entspreche auch dem Rechtsgedanken des Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 und 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Dazu werde vertreten, dass bei der Beurteilung, ob eine ausreichende Änderung der Umstände vorliege, entscheidend sei, ob der Flüchtling tatsächlich den Schutz seines Herkunftslandes in Anspruch nehmen könne. Ein solcher Schutz müsse daher wirksam und verfügbar sein. Hieran fehle es in Afghanistan. Die übergangsweise eingesetzte Zentralregierung verfüge nicht über die notwendigen Machtmittel, um ihre Bürger in ausreichendem Maße zu schützen. Dieses Vakuum staatlicher Macht werde auch nicht durch internationale Einsätze bzw. Organisationen kompensiert. Bestehe mithin im Herkunftsland des Klägers – selbst in der Region Kabul – weder eine effektive Staatsgewalt noch eine durch internationale Maßnahmen gewährleistete Friedensordnung, so sei der Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter gleichwohl nicht durch § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ausgeschlossen, weil es an der Kausalität zwischen der seinerzeit zur Asylanerkennung führenden Verfolgung und den für eine Rückkehr bedeutsamen Umständen fehle. Die damals für den Kläger anzunehmende Gefahr staatlicher Verfolgung durch das kommunistische Regime unter Nadjibullah habe im April 1992 mit der Entmachtung des Staatspräsidenten geendet. Dass die Anhänger des früheren kommunistischen Regimes und damaligen Mitarbeiter des Khad noch über Einfluss verfügten und frühere Regimegegner verfolgen könnten, sei unwahrscheinlich. Vielmehr entfalteten die seinerzeit für die Asylanerkennung sprechenden Gründe für den Fall der Rückkehr des Klägers keine Wirkung mehr. Nicht entscheidungserheblich sei somit, ob der Widerruf der Anerkennung auch auf § 51 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. AuslG gestützt werden könne, weil der Kläger nach seiner Anerkennung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden sei. Im Übrigen fehle es regelmäßig an der erforderlichen Wiederholungsgefahr, wenn – wie offenbar hier – im Hinblick auf eine günstige Sozialprognose ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt worden sei.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision begründet der Kläger damit, dass die angefochtene Entscheidung § 51 Abs. 1 AuslG i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 1 und 3 AsylVfG verletze. Der Wortlaut des § 73 Abs. 1 AsylVfG lasse eindeutig erkennen, dass mit der Norm Art. 1 C Nr. 5 GFK in das deutsche Recht habe umgesetzt werden sollen. Diese Bestimmung setze nicht voraus, dass eine nach Rückkehr durch den fehlenden staatlichen Schutz hervorgerufene Bedrohung ursächlich mit den Umständen zusammenhänge, die zur Anerkennung geführt hätten. Vielmehr müssten sich die Verhältnisse im Herkunftsland grundlegend und dauerhaft geändert haben. Bei der Beurteilung, ob eine ausreichende Änderung der Umstände im Sinne des Art. 1 C Nr. 5 GFK vorliege, sei die entscheidende Frage, ob der Flüchtling tatsächlich den Schutz seines Herkunftslandes in Anspruch nehmen könne. Ein solcher Schutz müsse wirksam und verfügbar sein. Eine rein physische Sicherheit für Leib und Leben sei nicht ausreichend. Erforderlich sei das Vorhandensein einer funktionierenden Regierung und grundlegender Verwaltungsstrukturen, wie sie z.B. in einem funktionierenden Rechtsstaat vorlägen, sowie einer angemessenen Infrastruktur, innerhalb derer die Einwohner ihre Rechte – einschließlich ihres Rechts auf eine Existenzgrundlage – ausüben könnten. Da § 73 Abs. 1 AsylVfG nur Art. 1 C Nr. 5 GFK umsetze, sei ein Widerruf der Asylberechtigung bzw. des Flüchtlingsstatus nach dieser Vorschrift nur unter diesen eingeschränkten Bedingungen zulässig, die in seinem, des Klägers, Falle nicht gegeben seien.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen. Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Bundesbeauftragten verhandeln und entscheiden, weil in der Ladung darauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Senat kann auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend selbst entscheiden, ob der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist. Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein das Anfechtungsbegehren des Klägers, gerichtet auf die Aufhebung des Widerrufsbescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge – jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – (Bundesamt). Das (Hilfs-)Begehren auf Verpflichtung des Bundesamts zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG ist dagegen – wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert – nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden.
Das Klagebegehren ist mangels einer einschlägigen Übergangsregelung nach der neuen, durch das Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 geänderten Rechtslage zu beurteilen. Im Revisionsverfahren sind Änderungen, die sich nach Erlass des Berufungsurteils ergeben haben, für die Entscheidung des Revisionsgerichts beachtlich, wenn das Berufungsgericht, entschiede es nunmehr anstelle des Revisionsgerichts, die Rechtsänderung beachten müsste (stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom 8. Februar 2005 – BVerwG 1 C 29.03 – InfAuslR 2005, 339). Das Berufungsgericht müsste, wenn es jetzt entschiede, schon deshalb auf die neue Rechtslage abstellen, weil gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Gerichts maßgeblich ist.
2. Der angefochtene Bescheid findet seine Grundlage in § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach sind – vorbehaltlich des Satzes 3 – die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher: § 51 Abs. 1 AuslG) vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.
Die Vorschrift ist verfassungsgemäß (vgl. Urteil vom 24. November 1992 – BVerwG 9 C 3.92 – Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 1). Zwar enthält Art. 16a GG keinen Gesetzesvorbehalt. Das Asylgrundrecht verleiht aber seinem Träger keinen unveränderbaren Status. Vielmehr ist sein Bestand von der Fortdauer der das Asylrecht begründenden Umstände abhängig. Zu ihnen zählt vor allem die Verfolgungsgefahr. Haben sich die verfolgungsbegründenden Umstände im Herkunftsland des Ausländers geändert, gebietet Art. 16a GG nicht die Aufrechterhaltung des Asylstatus. Der Gesetzgeber darf diese Grenzen des Schutzbereichs im Wege legislatorischer Konkretisierung nachzeichnen. Das ist in § 73 Abs. 1 AsylVfG – erkennbar unter Rückgriff auf die anerkannten Regeln des Flüchtlingsrechts, insbesondere Art. 1 C Nr. 5 und 6 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK –, BGBl II 1953 S. 559/BGBl II 1954 S. 619) – geschehen.
3. Das Oberverwaltungsgericht hätte den Widerrufsbescheid nach § 73 Abs. 1 AsylVfG allerdings nicht mit der von ihm gegebenen Begründung als rechtmäßig bestätigen dürfen. Insbesondere ist seine Annahme, die Voraussetzungen für eine Asyl- und Flüchtlingsanerkennung lägen im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht mehr vor, weil in Afghanistan eine zur Verfolgung fähige staatliche oder quasistaatliche Gewalt nicht mehr existiere, nicht mit Bundesrecht vereinbar. Hinsichtlich der Flüchtlingsanerkennung (jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) greift diese Begründung schon deshalb zu kurz, weil nunmehr auch die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in die Prüfung einzubeziehen ist. Unabhängig davon beruht die Schlussfolgerung, dass eine staatliche oder staatsähnliche Gewalt in Afghanistan derzeit nicht existiere und deshalb eine erhebliche und dauerhafte Veränderung der für die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen Verhältnisse im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG eingetreten sei, auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Da die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts für eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheides nicht ausreichen, kann der Senat selbst in der Sache nicht abschließend entscheiden.
a) Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung insbesondere zu widerrufen, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Der Senat lässt offen, welcher Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt, wenn für die Zukunft befürchtete Verfolgungsmaßnahmen keinerlei Verknüpfung mehr mit den früheren aufweisen, die zur Anerkennung geführt haben (vgl. Urteil vom 24. November 1992 – BVerwG 9 C 3.92 – a.a.O.). Ändert sich im Nachhinein lediglich die Beurteilung der Verfolgungslage, so rechtfertigt dies den Widerruf nicht, selbst wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnismitteln beruht (vgl. Urteile vom 19. September 2000 – BVerwG 9 C 12.00 – BVerwGE 112, 80 und vom 8. Mai 2003 – BVerwG 1 C 15.02 – BVerwGE 118, 174 ≪177≫).
Der Gesetzgeber hatte bei der Schaffung des § 16 Abs. 1 AsylVfG 1982, der insoweit im Wesentlichen gleich lautenden Vorgängervorschrift des heutigen § 73 Abs. 1 AsylVfG, vor allem als Widerrufsgrund vor Augen, dass “in dem Verfolgungsland ein Wechsel des politischen Systems eingetreten ist, so dass eine weitere Verfolgung nicht mehr zu befürchten ist” (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP, BTDrucks 9/875, S. 18). Sowohl Art. 16a GG als auch § 51 Abs. 1 AuslG setzen dabei nach der bisherigen Rechtslage in Anlehnung an die Entstehungsgeschichte des Asylrechts eine staatliche oder quasistaatliche Verfolgung voraus (vgl. Urteil vom 15. April 1997 – BVerwG 9 C 15.96 – BVerwGE 104, 254 ≪255 ff.≫ m.w.N.). Was das Abschiebungsverbot nach dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen § 60 Abs. 1 AufenthG angeht, kann dagegen nach Satz 4 dieser Vorschrift eine Verfolgung nunmehr auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat, wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.
§ 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entspricht seinem Inhalt nach der “Beendigungs-” oder “Wegfall-der-Umstände-Klausel” in Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK, die sich ebenfalls ausschließlich auf den Schutz vor erneuter Verfolgung bezieht. Nach dieser Bestimmung fällt eine Person nicht mehr unter die Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie nach Wegfall der Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt (vgl. entsprechend Art. 1 C Nr. 6 Satz 1 GFK für eine staatenlose Person, falls sie nach Wegfall der Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat).
Nicht gefolgt werden kann zunächst der in der obergerichtlichen Rechtsprechung teilweise vertretenen Auffassung, Art. 1 C Nr. 5 GFK sei bei der Frage des Widerrufs nicht zu berücksichtigen (vgl. etwa VGH Mannheim, AuAS 2004, 142). Zwar trifft es zu, dass die Genfer Flüchtlingskonvention, die nicht vorschreibt, Flüchtlingen einen bestimmten Status zu verleihen, keine allgemeinen Regelungen über den Widerruf eines derartigen Status trifft (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 73 AsylVfG Rn. 4). Daraus folgt aber nicht, dass Art. 1 C Nr. 5 GFK in Widerrufsfällen nicht zu berücksichtigen ist. Diese Ansicht kann auch nicht auf Nr. 117 des Handbuchs des UNHCR über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genf 1979 – Handbuch UNHCR –) gestützt werden. In der maßgeblichen englischen Fassung wird dort ausgeführt: “Article 1 C does not deal with the cancellation of refugee status.” Nicht von Art. 1 C Nr. 5 GFK erfasst werden sollen danach Fälle, in denen eine Person nie hätte als Flüchtling anerkannt werden dürfen (z.B. Erlangung des Flüchtlingsstatus auf Grund unrichtiger Angaben) und die Anerkennung deshalb aufgehoben wird (engl.: “cancelled”, missverständlich deshalb die deutsche Übersetzung von “cancellation” mit “Widerruf” im Handbuch UNHCR, a.a.O.). Hier bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass eine derartige Fallkonstellation gegeben ist (vgl. zu den Begriffen “cancellation”, “revocation” und “cessation” UNHCR, Note on the Cancellation of Refugee status, 22. November 2004; vgl. ferner Salomons/Hruschka, ZAR 2005, 1 ≪5≫). Was in solchen Fällen einer von Anfang an rechtswidrigen Anerkennung zu gelten hat, ist hier nicht zu entscheiden.
Vielmehr ging der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung davon aus, dass die Regelung des Widerrufs in § 73 Abs. 1 AsylVfG weitgehend derjenigen in Art. 1 C Nr. 5 und 6 GFK entspricht (vgl. BTDrucks 9/875, S. 18 zu dem bereits erwähnten, im Wesentlichen gleichlautenden § 16 Abs. 1 AsylVfG 1982). Mit der Schaffung dieser Widerrufsbestimmung wollte der Gesetzgeber ersichtlich die materiellen Anforderungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention übernehmen und als Widerrufsgründe ausgestalten. Den engen Zusammenhang belegt auch die Gesetzessystematik. Während § 73 AsylVfG die Beendigungsgründe nach Art. 1 C Nr. 5 und 6 GFK als Widerrufstatbestand fasst, orientieren sich die Erlöschensgründe in § 72 AsylVfG an den Beendigungsklauseln des Art. 1 C Nr. 1 bis 4 GFK.
Soweit Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK heranzuziehen ist, sind bei der Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention die Art. 31 ff. des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGBl II 1985 S. 926/II 1987 S. 757 – WVRK –) zwar nicht unmittelbar, aber als Ausdruck allgemeiner Regeln des Völkerrechts anwendbar (vgl. Art. 4 WVRK). Nach Art. 31 Abs. 1 WVRK ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks auszulegen (vgl. Urteil vom 17. März 2004 – BVerwG 1 C 1.03 – BVerwGE 120, 206 ≪209≫).
“Wegfall der Umstände” im Sinne von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK, auf Grund derer die Anerkennung erfolgte, meint danach – ebenso wie im Rahmen von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG – eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse. Unter “Schutz” ist nach Wortlaut und Zusammenhang der erwähnten “Beendigungsklausel” ausschließlich der Schutz vor erneuter Verfolgung zu verstehen. Der Begriff “Schutz des Landes” in dieser Bestimmung hat nämlich keine andere Bedeutung als “Schutz dieses Landes” in Art. 1 A Nr. 2 GFK, der die Flüchtlingseigenschaft definiert. Schutz ist dabei bezogen auf die Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Überzeugung. Da Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK die Beendigung des Flüchtlingsrechts im Anschluss an Art. 1 A Nr. 2 GFK regelt, kann mit “Schutz” nur der Schutz vor Verfolgung gemeint sein (vgl. VGH München, InfAuslR 2005, 43 ≪44≫, VG Dresden, AuAS 2005, 207 ≪209≫; a.M. Salomons/Hruschka, ZAR 2004, 386 ≪390 f.≫). Diese “Beendigungsklausel” beruht nämlich auf der Überlegung, dass in Anbetracht von Veränderungen in dem Verfolgerland ein internationaler (Flüchtlings-)Schutz nicht mehr gerechtfertigt ist, da die Gründe, die dazu führten, dass eine Person zum Flüchtling wurde, nicht mehr bestehen (vgl. Handbuch UNHCR Nr. 115) und damit die Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und für den internationalen Schutz nachträglich weggefallen sind. Nach allem kann ein Ausländer nach Wegfall der Umstände, auf Grund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, es im Sinne von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK nicht mehr ablehnen, den Schutz des Staates seiner Staatsangehörigkeit (wieder) in Anspruch zu nehmen. Dazu muss allerdings feststehen, dass ihm bei einer Rückkehr nunmehr auch nicht aus anderen Gründen Verfolgung droht.
Dagegen werden allgemeine Gefahren (z.B. auf Grund von Kriegen, Naturkatastrophen oder einer schlechten Wirtschaftslage) von dem Schutz des Art. 1 A Nr. 2 GFK nach Wortlaut und Zweck dieser Bestimmung ebenso wenig umfasst wie von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK (anders offenbar die UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Art. 1 C (5) und (6) des Abk. von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 10. Februar 2003, NVwZ Beilage Nr. I 8/2003, S. 57 ≪59≫, wo u.a. eine “angemessene Infrastruktur” verlangt wird, “innerhalb derer die Einwohner ihre Rechte ausüben können, einschließlich ihres Rechtes auf eine Existenzgrundlage”). Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsstaat eine Rückkehr unzumutbar ist, ist beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung mithin nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht zu prüfen. Schutz kann insoweit nach den allgemeinen Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts gewährt werden (vgl. namentlich § 60 Abs. 7 Satz 2 und § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Im Übrigen führt der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nicht ohne weiteres zum Verlust des Aufenthaltstitels. Dieser kann vielmehr nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG von der Ausländerbehörde nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung widerrufen werden (vgl. auch Urteil vom 20. Februar 2003 – BVerwG 1 C 13.02 – BVerwGE 117, 380 zu der Vorgängerbestimmung des § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG), bei der die öffentlichen Belange hinsichtlich einer etwaigen Beendigung des Aufenthalts im Einzelfall mit dem privaten Interesse des Ausländers an seinem Verbleib in Deutschland abzuwägen sind.
b) Nach diesen Grundsätzen tragen die bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung des Klägers.
Das Berufungsurteil ist hinsichtlich des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG bereits deshalb aufzuheben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen, weil dieses – nach der Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zutreffend – keine Feststellungen zu der Frage getroffen hat, ob dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine von nichtstaatlichen Akteuren nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausgehende Verfolgung droht. Diese Prüfung wird nunmehr nachzuholen sein.
Unabhängig hiervon kann das Berufungsurteil auch keinen Bestand haben, soweit es den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung für gerechtfertigt hält, weil dem Kläger bei einer Rückkehr in Afghanistan keine staatliche oder quasistaatliche Verfolgung drohe. Diese Frage hat das Oberverwaltungsgericht nämlich auf zu schmaler Tatsachengrundlage geprüft.
Namentlich sind die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht hinreichend, mit denen es das Bestehen einer effektiven staatlichen oder staatsähnlichen Gewalt in Afghanistan verneint hat, obwohl die Islamische Republik Afghanistan – wie allgemeinkundig ist und in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde – von zahlreichen Staaten de jure als Staat anerkannt ist und von der Regierung des im Oktober 2004 vom Volk gewählten Präsidenten Karzai in den Vereinten Nationen vertreten wird. Eher dürfte – auch unter Berücksichtigung der vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnisquellen – davon auszugehen sein, dass die Übergangsregierung zumindest im Großraum Kabul de facto die Gebietsgewalt im Sinne einer übergreifenden prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtigen Ordnung ausübt (vgl. zu den Voraussetzungen Urteil vom 20. Februar 2001 – BVerwG 9 C 20.00 – BVerwGE 114, 16 ≪21 ff.≫). Dem steht nicht entgegen, dass sich die Regierungsgewalt (auch) auf die von den Vereinten Nationen mandatierte International Security Assistance Force (ISAF) stützt, deren Aufgabe es dem im Berufungsurteil zitierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22. April 2004 zufolge ist, die Sicherheit in Kabul und Umgebung bzw. anderen gegebenenfalls zu bestimmenden Regionen zu gewährleisten. Im Berufungsurteil ist im Übrigen ein Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe wiedergegeben, wonach Karzais Einfluss vor allem auf Kabul beschränkt ist, während die Macht in den Provinzen bei der Führung bewaffneter Gruppen liege. Auch bestehe die Aufgabe der Soldaten der ISAF in Kundus, anders als in Kabul (keine Hervorhebung im Originaltext), lediglich darin, die zivilen Helfer/innen regionaler Wiederaufbauteams zu schützen (UA S. 11). Soweit das Oberverwaltungsgericht ausführt, im Raum Kabul sei die Sicherheitslage für frühere Bewohner Kabuls in Teilen ausreichend sicher (UA S. 10), setzt es sich nicht damit auseinander, dass der Kläger – ausweislich seiner von den anderen Verfahrensbeteiligten nicht in Zweifel gezogenen Angaben bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 3. Dezember 1990 – vor seiner Ausreise in seinem Geburtsort Kabul gelebt hat (vgl. das erstinstanzliche Urteil S. 2). Im Übrigen enthält das Berufungsurteil auch keine ausreichenden Feststellungen dazu, dass mit einem (Wieder-)Entstehen staatlicher oder staatsähnlicher Gewalt in Afghanistan – sofern sie denn derzeit zu verneinen sein sollte – auch auf absehbare Zeit nicht zu rechnen ist. Denn nur in diesem – besonders begründungsbedürftigen – Fall könnte von einem dauerhaften Wegfall jeglicher staatlicher Verfolgungsgefahr ausgegangen und könnten zumindest die Voraussetzungen für den Widerruf der Asylanerkennung nach Art. 16a GG, der nach wie vor eine staatliche oder quasistaatliche Verfolgung erfordert, als erfüllt angesehen werden.
Das Oberverwaltungsgericht wird – unter Berücksichtigung auch der sonstigen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. etwa VGH Kassel, Urteil vom 10. Februar 2005 – 8 UE 185/02.A – Leitsätze in AuAS 2005, 143 ≪Volltext in juris≫; das Urteil ist Gegenstand des Revisionsverfahrens BVerwG 1 C 4.05) – erneut zu untersuchen haben, ob sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung des Klägers maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr nach Afghanistan – namentlich nach Kabul – eine Wiederholung der erlittenen Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und dem Kläger nicht aus anderen Gründen Verfolgung droht. Der bisherigen Prüfung, der zufolge es unwahrscheinlich ist, dass die Anhänger des kommunistischen Regimes und damaligen Mitarbeiter des Geheimdienstes Khad noch über Einfluss verfügen und frühere Regimegegner verfolgen könnten (UA S. 12), ist nicht eindeutig zu entnehmen, dass das Oberverwaltungsgericht ihr insoweit den – wegen der gegebenenfalls bestehenden Verknüpfung mit der erlittenen Verfolgung gebotenen – herabgestuften Prognosemaßstab zugrunde gelegt hat.
Falls die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ergeben, dass der Kläger im Großraum Kabul hinreichend sicher vor einer Wiederholung erlittener Verfolgung ist und ihm nicht aus anderen Gründen Verfolgung droht, so folgt aus der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes, dass es insoweit auf eine landesweite Sicherheit nicht ankommt. Da er aus Kabul stammt, könnte er sich im Übrigen selbst bei Zugrundelegung der Maßstäbe für eine inländische Fluchtalternative nicht auf sonstige Gefahren und Nachteile berufen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung gleichkommen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502 u.a. – BVerfGE 80, 315 ≪345≫; BVerwG, Beschluss vom 6. Februar 2003 – BVerwG 1 B 428.02 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 266 m.w.N.). Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG wären dann gegeben.
c) Unabhängig hiervon ist die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auch dann zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung deshalb nicht mehr vorliegen, weil der Ausländer nach der Anerkennung den Tatbestand des § 60 Abs. 8 AufenthG, dessen Satz 1 hier allein in Betracht kommt, verwirklicht hat. Nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG findet Abs. 1 dieser Vorschrift keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Diese Bestimmung schließt nicht nur den Anspruch auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG, sondern auch denjenigen auf Asyl nach Art. 16a Abs. 1 GG aus (vgl. zu der Vorgängervorschrift § 51 Abs. 3 AuslG, Urteil vom 30. März 1999 – BVerwG 9 C 31.98 – BVerwGE 109, 1 ≪3≫).
Die Ermächtigung zum Widerruf in derartigen Fällen ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, demzufolge die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG unverzüglich zu widerrufen sind, “wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen”. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn dem Ausländer infolge der Änderung der maßgeblichen Verhältnisse im Herkunftsstaat keine Verfolgung mehr droht, sondern auch wenn inzwischen von ihm nach Maßgabe von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder für die Allgemeinheit ausgeht.
Die Entstehungsgeschichte bestätigt diese Auslegung. Der Gesetzgeber hatte nämlich – wie bereits erwähnt – bei Schaffung der Vorgängervorschrift “insbesondere” den Wegfall der Verfolgungsgefahr auf Grund eines Wechsels des politischen Systems vor Augen (vgl. oben a). Die Widerrufsvoraussetzungen sollten mithin nicht auf diesen praktisch häufigsten Anwendungsfall der Vorschrift beschränkt werden (vgl. OVG Münster, EZAR 214 Nr. 16).
Diese Auslegung steht im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention, deren Art. 1 C keine abschließende Regelung des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung enthält (vgl. auch oben a). Vielmehr ist Art. 33 Abs. 2 GFK zu berücksichtigen, der vorsieht, dass sich auf die Vergünstigung des Refoulement-Verbots des Art. 33 Abs. 1 GFK nicht ein Flüchtling berufen kann, der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde. Die Anwendung von Art. 33 Abs. 2 GFK, an den § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG angelehnt ist, ist – anders als der Ausschlussgrund des Art. 1 F Buchst. b) – nicht davon abhängig, ob sein Tatbestand vor oder nach der Anerkennungsentscheidung erfüllt wird. Vielmehr entfällt der Schutz des Flüchtlingsrechts nach Art. 33 Abs. 2 GFK – ohne Beschränkung auf den (grundsätzlich kurzen) Zeitraum bis zur Flüchtlingsanerkennung – auch bei Straftaten, die nach der Einreise in das Zufluchtsland verübt werden (vgl. OVG Münster, a.a.O.; Hailbronner, Ausländerrecht ≪Stand Mai 1998≫ § 51 AuslG Rn. 37; vgl. auch – allerdings nicht im Sinne einer Vorwirkung – künftig Art. 14 Abs. 4 der bereits in Kraft getretenen, aber bisher nicht umgesetzten Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004, ABl L 304 vom 30. September 2004, S. 12).
Auch insoweit tragen die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht den angegriffenen Widerrufsbescheid. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar bezogen auf die allein in Betracht kommende zweite Alternative des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG festgestellt, dass der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden ist. Diese rechtskräftige Verurteilung führt aber nur dann zum Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung, wenn eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht (vgl. hierzu näher Urteil vom 16. November 2000 – BVerwG 9 C 6.00 – BVerwGE 112, 185 ≪188 ff.≫). Eine solche Gefahr liegt vor, wenn in Zukunft neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen. Dazu hat das Oberverwaltungsgericht bisher keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung, auf die es verweist, stellt zwar ein wichtiges Indiz gegen das Bestehen einer Wiederholungsgefahr dar, rechtfertigt aber allein noch nicht deren Verneinung. Das Oberverwaltungsgericht wird – sofern dies entscheidungserheblich ist – die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben.
4. Aus § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG kann der Kläger nichts zu seinen Gunsten herleiten, wie das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend entschieden hat. Nach dieser Bestimmung ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Diese Regelung ist offenbar Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 und Nr. 6 Satz 2 GFK nachgebildet, der dem UNHCR (NVwZ, Beilage Nr. I 2003, S. 57 ≪59≫ m.w.N.) zufolge in der Staatenpraxis als Ausdruck eines humanitären Grundsatzes des Flüchtlingsrechts über seinen Wortlaut hinaus nicht nur auf sog. statutäre Flüchtlinge nach Art. 1 A Nr. 1 GFK, sondern auch auf Flüchtlinge im Sinne des Art. 1 A Nr. 2 GFK angewendet wird (vgl. auch Köfner/Nicolaus, Grundlagen des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland, 1986, Band 2, S. 605).
§ 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG enthält danach eine einzelfallbezogene Ausnahme von der Beendigung der Flüchtlingseigenschaft, die unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen von Satz 1 der Vorschrift gilt. Von einem Widerruf ist dann abzusehen, wenn sich aus dem konkreten Flüchtlingsschicksal besondere Gründe ergeben, die eine Rückkehr unzumutbar erscheinen lassen. Maßgeblich sind somit Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen, ungeachtet dessen, dass diese abgeschlossen sind und sich aus ihnen für die Zukunft keine Verfolgungsgefahr mehr ergibt. Der Rückkehr in den Heimatstaat müssen (gegenwärtige) zwingende Gründe entgegenstehen (d.h. eine Rückkehr muss unzumutbar sein). Diese Gründe müssen außerdem auf einer früheren Verfolgung beruhen. Zwischen der früheren Verfolgung und der Unzumutbarkeit der Rückkehr muss daher bereits nach dem Wortlaut der Bestimmung ein kausaler Zusammenhang bestehen.
Dagegen schützt auch diese Vorschrift nicht gegen allgemeine Gefahren. Ebenso wenig können aus ihr allgemeine, von den gesetzlichen Voraussetzungen losgelöste Zumutbarkeitskriterien hergeleitet werden, die einem Widerruf der Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung entgegenstehen. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG trägt vielmehr der psychischen Sondersituation solcher Personen Rechnung, die ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten haben und denen es deshalb selbst lange Zeit danach – auch ungeachtet veränderter Verhältnisse – nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 73 AsylVfG Rn. 29 m.w.N.). Die Signatarstaaten hatten bei der Schaffung des zugrunde liegenden Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 GFK das Schicksal jüdischer Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland vor Augen (vgl. Takkenberg/Tahbaz, The collected Travaux preparatoires of the 1951 Geneva Convention Relating to the Status of Refugees, Band III S. 481 ff.).
Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Der Kläger hat sich schon nicht auf gegenwärtige zwingende Gründe berufen, die seiner Rückkehr nach Afghanistan entgegenstehen, auch wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vorliegen sollten. Die von ihm angeführten Gründe, die ursprünglich zur Asyl- und Flüchtlingsanerkennung geführt haben, genügen als solche nicht. Damit stellt sich die Frage der “Kausalität zwischen der seinerzeit zur Asylanerkennung führenden Verfolgung und den für eine Rückkehr bedeutsamen Umständen” nicht, auf die das Oberverwaltungsgericht abgestellt hat (UA S. 11).
5.a) Keiner Entscheidung bedarf, ob der Widerruf, wie in § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vorgesehen, unverzüglich erfolgt ist. Das Gebot des unverzüglichen Widerrufs dient nämlich ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt (vgl. Beschlüsse vom 4. November 2005 – BVerwG 1 B 58.05 – und vom 12. Oktober 2005 – BVerwG 1 B 71.05 – ≪zur Veröff. in Buchholz vorgesehen≫ m.w.N.).
b) Auch aus dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen § 73 Abs. 2a AsylVfG kann der Kläger nichts zu seinen Gunsten herleiten, da diese Vorschrift auf den angefochtenen Widerrufsbescheid noch nicht anwendbar ist. Danach hat die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Abs. 1 vorliegen, spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen (Satz 1). Das Ergebnis ist der Ausländerbehörde mitzuteilen (Satz 2). Ist nach der Prüfung ein Widerruf nicht erfolgt, so steht eine spätere Entscheidung nach Abs. 1 im Ermessen des Bundesamts (Satz 3).
§ 73 Abs. 2a AsylVfG findet auf vor dem 1. Januar 2005 ergangene Widerrufsentscheidungen keine Anwendung (vgl. OVG Münster, AuAS 2005, 175; VGH Kassel, AuAS 2005, 152 und Beschluss vom 1. August 2005 – 7 UE 1364/05.A – ≪juris≫; VGH München, Beschluss vom 25. April 2005 – Az.: 21 ZB 05.30260 – ≪juris≫). Der amtlichen Begründung zufolge sollte mit der Einführung einer obligatorischen Prüfungspflicht erreicht werden, dass die Vorschriften über den Widerruf und die Rücknahme, die in der Praxis bisher weitgehend leergelaufen sind, an Bedeutung gewinnen (BTDrucks 15/420, S. 112). Keiner Entscheidung bedarf hier, ob die Dreijahresfrist ausschließlich öffentlichen Interessen dient. Jedenfalls stellt das neu eingeführte mehrstufige Verfahren eine zukunftsbezogene Regelung dar. § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG erteilt mit der Formulierung “die Prüfung … hat spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen” einen bindenden Auftrag an die Behörde, der sich lediglich auf Fälle bezieht, in denen bei Inkrafttreten der Vorschrift weder ein Widerruf noch eine Rücknahme der Anerkennung erfolgt ist. Der erkennbare Zusammenhang mit dem ebenfalls am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen § 26 AufenthG verdeutlicht, dass es sich bei der Prüfungs- und Mitteilungspflicht des § 73 Abs. 2a Satz 1 und 2 AsylVfG, an die die nach Satz 3 zu treffende Ermessensentscheidung anknüpft, um einen in die Zukunft gerichteten Auftrag an das Bundesamt handelt (vgl. OVG Münster, a.a.O.; VGH Kassel, a.a.O.). Hätte der Gesetzgeber eine rückwirkende Geltung der in Rede stehenden Vorschrift beabsichtigt, so hätte es einer entsprechenden Übergangsvorschrift bedurft. Diese fehlt indessen. Offen bleiben kann, ob § 73 Abs. 2a AsylVfG darüber hinausgehend nur für den Widerruf von Anerkennungsbescheiden gilt, die nach dem 1. Januar 2005 ergangen sind (vgl. hierzu VG Göttingen, Urteil vom 6. September 2005 – 2 A 91/05).
c) Ebenfalls keiner Entscheidung bedarf die Frage, ob die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG auch bei Widerrufsverfügungen nach § 73 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu beachten ist. Die Jahresfrist, die frühestens nach einer Anhörung des Klägers mit einer angemessenen Frist zur Stellungnahme zu laufen beginnt (vgl. Urteil vom 8. Mai 2003 – BVerwG 1 C 15.02 – BVerwGE 118, 174 ≪179≫), ist hier eingehalten. Der Widerruf erfolgte nämlich mit Bescheid vom 5. Juni 2000, nachdem das Bundesamt den Kläger mit (öffentlich zugestelltem) Schreiben vom 9. März 2000 angehört und ihm eine einmonatige Frist zur Stellungnahme gesetzt hatte.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Dr. Mallmann, Richter, Beck, Prof. Dr. Dörig
Fundstellen
BVerwGE 2006, 277 |
DÖV 2006, 440 |
InfAuslR 2006, 244 |
ZAR 2006, 107 |
AuAS 2006, 92 |
BayVBl. 2006, 409 |
DVBl. 2006, 511 |