Entscheidungsstichwort (Thema)
Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage nach Gründung der DDR, Vollzugsauftrag der sowjetischen Besatzungsmacht, SMA-Anordnungen, Allgemeines Kriegsfolgengesetz
Leitsatz (amtlich)
Eine Enteignung beruht nicht auf besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG, wenn ein vor Gründung der DDR nicht beschlagnahmtes Grundstück nach deren Gründung aufgrund einer – das Grundstück nicht individuell benennenden – nicht näher konkretisierten Anordnung der SMA aus dem Jahre 1947 enteignet wurde.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 8 Buchst. a; AKG § 1 Abs. 1-2, § 2 Nr. 2
Verfahrensgang
VG Dessau (Entscheidung vom 22.12.1998; Aktenzeichen 3 K 197/97) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dessau vom 22. Dezember 1998 sowie der Bescheid des Landkreises Köthen vom 9. August 1995 und der Widerspruchsbescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen (Sachsen-Anhalt) vom 16. Juni 1997 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin das Eigentum an den Grundstücken 21/2, 21/3 und 21/4 der Flur 3 der Gemarkung Elsnigk zurückzuübertragen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Tatbestand
I.
Der Rechtsvorgänger der Klägerin war Eigentümer eines ca. 5,4 ha großen Grundstücks in der Gemarkung Würflau, aus dem die streitgegenständlichen Grundstücke hervorgegangen sind. Im August 1951 teilte der zuständige Rat des Kreises dem Grundbuchamt beim Amtsgericht mit, das Grundstück sei „für militärische Zwecke von der früheren Wehrmacht pachtweise in Anspruch genommen” worden. Gemäß Art. II § 4 der Bodenreformverordnung vom 3. September 1945 in Verbindung mit der II. Ausführungsbestimmung hierzu unterliege das Grundstück der Beschlagnahme und sei gemäß den Vorschriften der Bodenreformverordnung aufzuteilen. Hierzu müsse noch eine Vermessung des Grundstücks in Teilstücke durchgeführt werden. Bis zur endgültigen Verteilung werde beantragt, das Grundstück vom Grundbuch Würflau abzuschreiben und auf einem besonderen Grundbuchblatt das Land Sachsen-Anhalt als Vertreter des Bodenfonds als Zwischeneigentümer einzutragen. Aufgrund dieses Ersuchens wurde im September 1951 das Land Sachsen-Anhalt – Gemeindebodenfonds – als Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch eingetragen.
Den Antrag der Klägerin auf Rückübertragung der streitbefangenen Grundstücke lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 9. August 1995 ab. Zur Begründung führte er aus, das Grundstück sei auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden.
Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Eine Rückübertragung der Grundstücke sei nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausgeschlossen. Die Grundstücke seien nämlich auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden. Zwar sei im vorliegenden Fall die Enteignung erst 1951 und damit nach Gründung der DDR im Oktober 1949 erfolgt. Auch Enteignungen nach Gründung der DDR beruhten aber auf besatzungshoheitlicher Grundlage, wenn Verlautbarungen oder Handlungen der sowjetischen Besatzungsmacht ein über die Gründung der DDR hinausreichender Auftrag zur Durchführung der Enteignungen zu entnehmen sei. Dies sei hier der Fall. Zwar sei das enteignete Grundstück nicht von der Bodenreformverordnung und den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen erfaßt worden; denn das Grundstück habe vor 1945 dem Staat nicht im Sinne dieser Vorschriften „gehört”, sondern sei an diesen lediglich verpachtet gewesen. Gleichwohl habe die Besatzungsmacht den „Anstoß” gegeben, alle früher militärisch genutzten Grundstücke zu enteignen. So heiße es in einem Runderlaß der Landesbodenkommission, in dem das Ergebnis einer Sitzung dieser Kommission vom September 1947 wiedergegeben werde: „Aufteilung der ehemaligen Flugplätze, Militärübungsplätze u.s.w.: Auf Anordnung der SMA fallen alle diese Flächen in den Bodenfonds. Sie dürfen an frühere Besitzer nur dann zurückgegeben werden, wenn diese zum Erwerb von Land nach den Bestimmungen der Bodenreform berechtigt sind.” Dieser Runderlaß habe auch Grundstücke erfaßt, die – wie die streitgegenständlichen – an die Wehrmacht lediglich verpachtet gewesen seien. Somit sei 1951 nur der bereits 1947 unmißverständlich geäußerte Wille der sowjetischen Besatzungsmacht umgesetzt worden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision der Klägerin, die die Verletzung materiellen Rechts rügt und beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts Dessau vom 22. Dezember 1998 den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin das Eigentum an den Flurstücken 21/2, 21/3 und 21/4 der Flur 3 der Gemarkung Elsnigk zurückzuübertragen und den Bescheid des Beklagten vom 9. August 1995 sowie den Widerspruchsbescheid des Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 16. Juni 1997 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 1. tritt der Revision ebenfalls entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die streitbefangenen Grundstücke sind gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG an die Klägerin zurückzuübertragen. Sie wurden entschädigungslos enteignet und in Volkseigentum überführt (§ 1 Abs. 1 Buchst. a VermG).
Die Klägerin ist als Rechtsnachfolgerin des geschädigten Grundstückseigentümers Berechtigte (§ 2 Abs. 1 Satz 1 VermG).
Die Rückübertragung ist nicht gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausgeschlossen. Die Enteignung erfolgte 1951 aufgrund des Schreibens des Rates des Kreises an das Grundbuchamt und die daraufhin vorgenommene Eintragung des Landes Sachsen-Anhalt als Eigentümer im Grundbuch. Sie beruht nicht auf besatzungshoheitlicher Grundlage. Enteignungen auf besatzungshoheitlicher Grundlage sind solche Enteignungen, die zwar nicht – wie die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher Grundlage – auf Beschluß der sowjetischen Besatzungsmacht vorgenommen wurden, die aber auf deren Wünsche und Anregungen zurückgingen oder sonst ihrem generellen oder im Einzelfall geäußerten Willen entsprachen wie beispielsweise Enteignungen im Zuge der Bodenreform (stRspr, grundlegend Urteil vom 30. Juni 1994 – BVerwG 7 C 58.93 – BVerwGE 96, 183 ≪185≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 26 S. 46 ≪47≫).
Nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 eingeleitete von den Organen und Behörden der DDR verantwortete Enteignungen beruhen generell nicht mehr auf besatzungshoheitlicher Grundlage; denn mit Gründung der DDR lag – jedenfalls nach dem erklärten Willen der sowjetischen Besatzungsmacht – die Verantwortung für die Ausübung der Staatsgewalt in erster Linie bei den Organen der DDR. Daß die Souveränität der DDR zunächst nur beschränkt war, vermag daran – entgegen der Meinung der Beigeladenen zu 1 – nichts zu ändern. Daraus folgt allerdings nicht, daß die Verantwortung der Besatzungsmacht für die von ihr veranlaßten und ermöglichten Enteignungen in jedem Falle mit der Gründung der DDR geendet hat. Auch nach diesem Zeitpunkt vorgenommene Enteignungsakte unterfallen dem Restitutionsausschluß nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG, wenn sie objektiv weiterhin der Verantwortung der Besatzungsmacht zuzurechnen sind. Denn der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen für den Restitutionsausschluß nicht nach zeitlichen, sondern nach sachlichen Kriterien bestimmt (stRspr, grundlegend Urteil vom 13. Februar 1995 – BVerwG 7 C 53.94 – BVerwGE 98, 1 ≪3 f.≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 38 S. 76 ≪78 f.≫). Weiterhin der Verantwortung der Besatzungsmacht zuzurechnen sind Enteignungen durch deutsche Stellen nach dem 7. Oktober 1949 dann, wenn ein Enteignungsakt noch vor diesem Tag und damit unter der Oberhoheit der Besatzungsmacht und mit ihrer Billigung in einer Weise in die Wege geleitet worden war, die die Verantwortung der Besatzungsmacht für den weiteren Vollzug durch die deutschen Stellen begründete. Es muß sich also um eine von der Besatzungsmacht eingeleitete und sowohl gegenständlich wie sachlich vorgeformte Enteignungsaktion gehandelt haben, so daß von einer fortdauernden Vollzugsverantwortung der Sowjetmacht gesprochen werden kann, auch wenn sie sich aus ihrer bisherigen alleinigen Oberhoheit zurückgezogen hatte. Entscheidend ist mithin, ob Verlautbarungen oder Handlungen der sowjetischen Besatzungsmacht ein über die Gründung der DDR hinausreichender konkreter Auftrag zur Durchführung der betreffenden Enteignungen zu entnehmen ist (vgl. Urteile vom 30. Mai 1996 – BVerwG 7 C 55.95 – BVerwGE 101, 201 ≪204≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 77 S. 222 ≪224≫ und vom 27. Juni 1996 – BVerwG 7 C 53.95 – BVerwGE 101, 273 ≪275 f.≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 82 S. 238 ≪240≫ sowie Beschlüsse vom 17. Juni 1999 – BVerwG 8 B 140.99 – nicht veröffentlicht – und vom 16. November 1999 – BVerwG 8 B 106.99 – nicht veröffentlicht). War der Vermögenswert – wie hier – vor Gründung der DDR nicht beschlagnahmt worden, bedarf es besonderer Umstände, um die Voraussetzungen eines fortdauernden Auftrags der Besatzungsmacht zu bejahen (vgl. Urteil vom 30. Mai 1996 – BVerwG 7 C 55.95 – BVerwGE 101, 201 ≪204 f.≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 77 S. 222 ≪224 f.≫). Allein der Umstand, daß die Enteignung auf eine besatzungshoheitliche Grundlage gestützt wurde, begründet die fortdauernde Vollzugsverantwortung der Sowjetunion nicht (vgl. u.a. Urteil vom 6. Dezember 1996 – BVerwG 7 C 9.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 96 S. 293 ≪299≫).
Danach liegt hier keine Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage vor.
Zwar ist es unbeachtlich, daß das Grundstück nicht – wie in dem Schreiben vom August 1951 angegeben – von der Bodenreformverordnung und der hierzu ergangenen II. Ausführungsbestimmung erfaßt wurde. Es ist nämlich nicht entscheidend, auf welcher Grundlage die DDR-Behörden handeln wollten, sondern es kommt allein darauf an, ob Verlautbarungen oder Handlungen der sowjetischen Besatzungsmacht ein über die Gründung der DDR hinausreichender Auftrag zu entnehmen ist (vgl. Urteil vom 30. Mai 1996 – BVerwG 7 C 55.95 – BVerwGE 101, 201 ≪205≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 77 S. 222 ≪225≫). Des weiteren ist es ohne Bedeutung, ob die Enteignung rechtmäßig war (vgl. Urteil vom 13. Februar 1995 – BVerwG 7 C 53.94 – BVerwGE 98, 1 ≪9 f.≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 78 S. 76 ≪84≫).
Das Grundstück fiel – wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat – unter eine Anordnung der sowjetischen Militäradministration aus dem Jahre 1947. Diese Anordnung bestimmte, daß die ehemals militärisch genutzten Flächen in den Bodenfonds fallen. Weitere Angaben enthält die Anordnung nicht. Sie nennt weder einzelne hiervon betroffene Grundstücke, noch wird bestimmt, wie die Anordnung zu vollziehen ist. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts erfaßte die Anordnung auch die ehemals von der Wehrmacht gepachteten streitgegenständlichen Grundstücke.
Allein im Erlaß einer Anordnung durch die SMA liegen aber – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – keine besonderen Umstände, um bei einem vor Gründung der DDR nicht beschlagnahmten Grundstück einen fortdauernden konkreten Enteignungsauftrag der Besatzungsmacht annehmen zu können (vgl. Beschluß vom 16. November 1999 – BVerwG 8 B 106.99 – nicht veröffentlicht). Ob in Verlautbarungen der sowjetischen Besatzungsmacht derartige Umstände liegen, richtet sich vielmehr nach dem Inhalt der Verlautbarung (so für die Ermittlung eines besatzungshoheitlichen Zurechnungszusammenhangs bei Enteignungen vor DDR-Gründung Urteil vom 13. Februar 1997 – BVerwG 7 C 50.95 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 104 S. 311 ≪315≫). Die Anordnung der SMA hat einen Inhalt, den auch eine Rechtsnorm haben könnte. Sie bestimmt nach allgemeinen Kriterien, daß eine Gruppe von Grundstücken in den Bodenfonds fällt. Die von der Anordnung im einzelnen betroffenen Grundstücke werden nicht individuell benannt. Diese sind aufgrund des Inhalts der Anordnung lediglich bestimmbar. Wie die Anordnung zu vollziehen ist, wird nicht näher konkretisiert. Wurde eine Enteignung auf eine derartige sowjetische Anordnung gestützt, begründet dies eine fortdauernde Vollzugsverantwortung der Sowjetunion genauso wenig, wie wenn eine Enteignung nur auf eine besatzungshoheitliche Grundlage gestützt wurde. Allein eine nicht näher konkretisierte Anordnung der SMA zur Enteignung von Grundstücken, welche die betroffenen Grundstücke nicht individuell benennt, sondern nur nach allgemeinen Merkmalen beschreibt, ist somit nicht geeignet, einen die Gründung der DDR überdauernden konkreten Enteignungsauftrag der Besatzungsmacht für Grundstücke zu begründen, die vor Gründung der DDR nicht beschlagnahmt worden waren. Vielmehr müßten hier zu der Anordnung weitere besondere Umstände im Einzelfall hinzukommen. Dies ist nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts aber nicht der Fall.
Der Anspruch auf Rückübertragung (§ 3 Abs. 1 Satz 1 VermG) ist nicht aufgrund des Gesetzes zur allgemeinen Regelung durch den Krieg und den Zusammenbruch des Deutschen Reiches entstandener Schäden (Allgemeines Kriegsfolgengesetz, AKG) vom 5. November 1957 (BGBl I S. 1747) erloschen. Zwar ist der Anspruch des Eigentümers auf Herausgabe eines von der früheren Wehrmacht in Besitz genommenen, in den neuen Bundesländern gelegenen Grundstücks gemäß § 2 Ziff. 2 i.V.m. § 1 Abs. 1 Ziff. 1 AKG erloschen (vgl. BGH in NJW 1999 S. 489). Von den Vorschriften des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes unberührt bleiben aber die im Vermögensgesetz geregelten Ansprüche. Dies folgt aus § 1 Abs. 2 AKG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Krauß, Golze, Postier
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 02.02.2000 durch Grosser Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
VIZ 2000, 340 |
ZAP-Ost 2000, 269 |
NJ 2000, 268 |
OVS 2000, 175 |