Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigentumsverzicht wegen Überschuldung des Grundstücks. nicht kostendeckende Mieten. Überschuldung. Grundpfandrechte aus der Zeit vor Gründung der DDR. ursächlicher Zusammenhang zwischen Überschuldung und Kostenunterdeckung. Ursächlichkeit der Überschuldung für Eigentumsverzicht;. Erschütterung der Vermutung;. „Evas Haus”
Leitsatz (amtlich)
An dem erforderlichen wesentlichen Ursachenbeitrag der Niedrigmieten zur Überschuldung eines auch mit Grundpfandrechten aus der Zeit vor Gründung der DDR belasteten Grundstücks fehlt es jedenfalls dann nicht, wenn die Altlasten nur etwa ein Drittel des Grundstückswerts ausmachten und wenn der Eigentümer noch bis Anfang der 80er Jahre an dem Eigentum festgehalten hat.
Der Umstand, daß der ehemalige Eigentümer des Grundstücks gegenüber den staatlichen Stellen der DDR bei dem Eigentumsverzicht als Begründung „Alters- und gesundheitliche Gründe” angegeben hat, ist auch dann, wenn der Eigentümer tatsächlich schwer krank war, nicht ohne weiteres geeignet, die grundsätzlich bestehende Vermutung zu erschüttern, daß die dauerhafte Überschuldung eines Grundstücks, deren sich der Eigentümer bewußt war, bestimmendes oder wesentlich mitbestimmendes Motiv der Eigentumsaufgabe war.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
VG Berlin (Entscheidung vom 22.09.1998; Aktenzeichen 16 A 15.94) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. September 1998 sowie der Bescheid des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen Mitte-Prenzlauer Berg (AROV I) vom 13. April 1993 und der Widerspruchsbescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 14. Dezember 1993 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin das Eigentum an dem Grundstück …/Ecke … in Berlin-… zurückzuübertragen.
Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte mit Ausnahme ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten, die sie jeweils selbst tragen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt die Rückübertragung des Eigentums an einem mit einem Mietwohnhaus bebauten Grundstück in Berlin-… (LGB Nr. 2914, Flur 42119, Flurstück 5188; früher: Grundbuch … Band 40 Blatt 1178, jetzt: … Grundbuch von … Blatt 1309N).
Eingetragene Eigentümerin des Grundstücks war seit 1950 die im Jahre 1909 geborene Mutter der Klägerin, Frau Alice N., deren alleinige Erbin die Klägerin ist. Nachdem die Mutter der Klägerin bereits durch Erklärung vor dem Staatlichen Notariat vom 28. Februar 1978 ohne Angabe von Gründen auf das Eigentum an dem Grundstück verzichtet hatte, wurde am 11. Mai 1982 beim Magistrat von Berlin, Abteilung Finanzen – Bereich Volkseigentum und staatlich verwaltetes Vermögen – eine erneute Verzichtserklärung protokolliert. Dabei wurde in dem Vordruck des Protokolls als Grund für die Verzichtserklärung angegeben „Alters- und gesundheitliche Gründe”. Die gleiche Begründung findet sich in dem von der Eigentümerin ohne Angabe eines Datums unterschriebenen Formular „Angaben zur Person des antragstellenden Grundstückseigentümers und zum Grundstück” sowie in einem von der Behörde unter dem 23. März 1982 ausgefüllten „Arbeitsbogen zum Verzichtsantrag”. Außerdem ist in dem Arbeitsbogen der „Übernahmewert” mit 50 640 M (= 80 % des Einheitswertes von 63 300 M) ermittelt worden. Die Sparkasse der Stadt Berlin gab in einer Aufstellung vom 9. März 1982 die grundbuchlich gesicherten Belastungen des Grundstücks per 30. Juni 1982 mit einem Restkapital von 48 338 M an, davon 34 077,63 M aus Aufbaugrundschulden und der Rest aus Darlehenshypotheken aus der Zeit vor 1945, sowie Zinsrückständen in Höhe von insgesamt 21 636,97 M. Die von der Mutter der Klägerin beauftragte private Hausverwaltung übersandte dem Magistrat von Berlin im April 1982 ein ausgefülltes Formular mit Angaben zu dem „angebotenen Grundstück”. Danach wurden für das Grundstück im Jahr 1981 Erträge in Höhe von 10 349,25 M erzielt. Dem standen Aufwendungen im selben Jahr in Höhe von 7 719,60 M gegenüber, darunter Instandhaltungskosten in Höhe von 921,32 M. Weiter wurden in dem Formular die Instandhaltungskosten für die vorausgegangenen Jahre wie folgt angegeben: 1978 = 4 783,01 M, 1979 = 6 422,16 M und 1980 = 4 250,63 M. Ausweislich des als Seite 5 des Vordrucks beigefügten Mieterverzeichnisses betrug die jährliche Miete für die Wohnungen insgesamt 11 277,96 M. In dem Mieterverzeichnis findet sich folgender Zusatz der Hausverwaltung: „Zu der Wohnung … gehört ein Laden, der seit Jahren leersteht. Die monatliche Miete dafür beträgt 52,00 M.”
Nachdem der Stadtrat für Finanzen und Preise die Genehmigung nach der Grundstücksverkehrs-VO vom 15. Dezember 1977 erteilt hatte, wurde das Grundstück mit Wirkung vom 1. Juli 1982 in das Eigentum des Volkes übernommen. Zum Rechtsträger wurde der VEB Kommunale Wohnungsverwaltung Berlin-… bestellt. Mit Bescheid vom 15. Dezember 1995 übertrug die Oberfinanzdirektion Berlin das Grundstück der Beigeladenen, die am 24. Juli 1996 in das Grundbuch als Eigentümerin eingetragen wurde.
Zu dem Antrag der Mutter der Klägerin auf mietfreies Wohnen teilte der VEB Kommunale Wohnungsverwaltung ihr mit Schreiben vom 1. Juli 1982 mit, daß die Bilanz des Grundstücks per 31. März 1982 ein Defizit ausweise, so daß der Antrag auf mietfreies Wohnen an den Magistrat von Berlin weitergeleitet werde. Mit Bescheid vom 19. Oktober 1982 bestätigte der Magistrat von Berlin, Abteilung Finanzen – Finanzorgane und Volkseigentum – der Mutter der Klägerin, daß unter Bezugnahme auf § 16 der Anordnung zur Grundstücksverkehrs-VO vom 23. Januar 1978 im Einvernehmen mit der Sparkasse der Stadt Berlin die „durch den Wert des Grundstücks nicht gedeckten volkseigenen Forderungen in einer Gesamthöhe von M. 6.674,97” erlassen werden.
Die Klägerin beantragte erstmals mit Schreiben vom 10. März 1990 die Rückübertragung des Grundstücks. Dabei gab sie an, ihre Mutter habe das Haus an den Staat übergeben, „da sie bedingt durch Krankheit und Alter das Haus finanziell nicht mehr halten konnte und auch aus privater ‚Tasche’ laufende Reparaturkosten zahlen mußte. Damit war für meine Mutter die finanzielle Situation das Haus betreffend so erpresserisch, daß sie keinen anderen Ausweg sah, als das Haus abzutreten”. Diesen Antrag wiederholte sie mit Schreiben vom 22. September 1990, in dem es u.a. heißt: „Die finanzielle Belastung aus privaten Mitteln war so stark, daß wir uns gezwungen sahen, das Haus 1982 dem Staat zu übergeben.”
Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen Mitte-Prenzlauer Berg (AROV I) lehnte den Antrag durch Bescheid vom 13. April 1993 mit der Begründung ab, daß ein Vermögensverlust im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG nicht gegeben sei, da Alters- und Gesundheitsgründe für den Eigentumsverzicht maßgebend gewesen seien und weder das Grundstück überschuldet gewesen sei noch eine Überschuldung unmittelbar bevorgestanden habe.
Den Widerspruch der Klägerin wies der Widerspruchsausschuß bei dem Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 1993 zurück und führte zur Begründung aus, es sei zwar von einer Überschuldung des Grundstücks auszugehen, diese sei aber weder durch nicht kostendeckende Mieten hervorgerufen worden noch sei sie für die Mutter der Klägerin der maßgebliche Grund für den Eigentumsverzicht gewesen. Wie dem Arbeitsbogen vom 22. März 1982 und dem Protokoll vom 11. Mai 1982 zu entnehmen sei, seien allein Alters- und Gesundheitsgründe für den Verzicht maßgebend gewesen. Im Hinblick darauf, daß die Mutter der Klägerin im Zeitpunkt ihrer ursprünglichen Verzichtserklärung vom 28. Februar 1978 68 Jahre und zur Zeit der Abfassung des Protokolls 72 Jahre alt gewesen sei, so daß Alters- und Gesundheitsgründe durchaus ihre Entscheidung hätten getragen haben können, seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß noch andere Gründe Bedeutung erlangt hätten. So habe die Klägerin in ihrem ursprünglichen Antrag vom 10. März 1990 selbst ausgeführt, daß diese Gründe für ihre Mutter bestimmend gewesen seien.
Mit ihrer am 13. Januar 1994 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat unter Hinweis auf die Aufstellung der Sparkasse von Berlin vom 9. März 1982 vorgetragen, daß das Grundstück überschuldet gewesen sei. Die Überschuldung sei auf die geringen Mieteinnahmen zurückzuführen. Diese ökonomische Situation des Grundstücks – und nicht Alters- und Gesundheitsgründe – sei die tatsächliche Motivation für den Eigentumsverzicht gewesen.
Der Beklagte hat demgegenüber die Begründung der angefochtenen Bescheide wiederholt und insbesondere bestritten, daß die Mieten nicht kostendeckend gewesen seien. Im übrigen fehle angesichts der erheblichen Vorbelastung des Grundstücks mit Grundpfandrechten aus der Zeit vor 1945 der erforderliche Ursachenzusammenhang mit der Überschuldung.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Klägerin in einer persönlichen Anhörung auf Fragen des Gerichts erklärt:
„Meine Mutter war zu dieser Zeit in einer Zwangslage, sie hätte alles unterschrieben. Sie war zwar erst 72 Jahre alt, war aber schwer herzkrank und litt an Traumata aus der Nazi-Zeit. Als zwei Männer von offizieller Seite, entweder von der KWV oder vom Magistrat, meiner Mutter die Notwendigkeit der Rekonstruktion des Hauses unterbreitet haben, hat meine Mutter resigniert, und zwar in wirtschaftlicher Hinsicht. Zwar war mir als Tochter seitens der Sparkasse eine Stundung der Zinszahlungen bewilligt worden, aber auch mir war, wie meiner Mutter, deutlich, daß wir die zusätzlichen Belastungen nicht würden tragen können.”
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. September 1998 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin könne aus dem allein in Betracht kommenden Restitutionstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG keinen Anspruch auf Rückübertragung des Eigentums am streitbefangenen Grundstück herleiten. Allerdings seien die Mieteinnahmen nicht kostendeckend gewesen. Auf der Einnahmeseite sei entsprechend dem von der ehemaligen Hausverwaltung erstellten Mieterverzeichnis ein Betrag in Höhe von 11 277,96 M anzusetzen und nicht lediglich die nach der Aufwands- und Ertragsberechnung im Jahre 1981 tatsächlich eingenommenen Mieten in Höhe von 10 349,25 M. Maßgeblich seien grundsätzlich die Mieterträge, die dem Eigentümer in dem Zeitraum nach der festgesetzten Miethöhe rechtlich zugestanden hätten; denn für den Restitutionstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG seien regelmäßig die zu erwartenden Mieteinnahmen bestimmend. Für diese Prognose könnten die Verhältnisse im Zeitraum vor der Eigentumsaufgabe herangezogen werden. Ergebe sich danach, daß eine Wohnung, für die der Vermieter in der Vergangenheit trotz nachgewiesener Bemühungen keinen Mieter gefunden habe, auf unabsehbare Zeit nicht vermietet werden konnte, so sei die diese Wohnung betreffende „Soll-Miete” nicht in die Berechnung einzubeziehen. Dem entspreche es, daß die ehemalige Hausverwaltung die Miete für den zur Wohnung … gehörenden Laden, der seit Jahren leergestanden habe, von vornherein nicht berücksichtigt habe.
Als Aufwendungen sei ein Betrag in Höhe von 11 288,13 M zugrunde zu legen. Außer den in der Aufwands- und Ertragsberechnung ausgewiesenen Kosten in Höhe von 7 719,60 M sei weiter zu berücksichtigen, daß die Instandhaltungskosten in den Vorjahren beträchtlich höher gewesen seien. Deshalb sei – mit dem Beklagten im Widerspruchsbescheid – ein Durchschnittswert zu ermitteln, um von den Aufwendungen ein repräsentatives Bild zu erlangen. Berücksichtige man weiter die von der Mutter der Klägerin im Jahre 1981 verauslagten Installationsarbeiten in Höhe von 1 582,29 M ergäben sich durchschnittliche Instandhaltungskosten von jährlich 4 489,85 M.
Jedoch sei die weitere Voraussetzung für den Anspruch nach § 1 Abs. 2 VermG, daß die Kostenunterdeckung die entweder bereits eingetretene oder unmittelbar bevorstehende Überschuldung des Grundstücks verursacht habe, nicht erfüllt. Der Wert des streitbefangenen Grundstücks sei entsprechend dem „Übernahmewert” in dem Arbeitsbogen vom 23. März 1982 mit 50 640 M anzusetzen. Eine Überschuldung des Grundstücks sei jedoch weder bereits eingetreten gewesen noch habe sie unmittelbar bevorgestanden. Von den am 30. Juni 1982 vorhandenen dinglichen Belastungen in Höhe von insgesamt 69 974,97 M könnten nur die im Jahr 1964 begründeten Aufbaugrundschulden zuzüglich des Zinsrückstandes berücksichtigt werden, die mit insgesamt 45 591,06 M den Wert des Grundstücks nicht überstiegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei die erforderliche Kausalität zwischen Kostenunterdeckung und Überschuldung dann nicht gegeben, wenn das Grundstück bereits vor Gründung der DDR überschuldet gewesen sei. Diese Voraussetzungen lägen hier zwar nicht vor. Das gleiche müßte aber auch dann gelten, wenn – wie hier – die Überschuldung sich daraus ergebe, daß die im Jahre 1964 eingetragenen Aufbaugrundschulden ein Grundstück betrafen, das durch Alt-Grundpfandrechte vorbelastet gewesen sei.
Selbst wenn zugunsten der Klägerin unterstellt würde, daß das Grundstück tatsächlich überschuldet gewesen sei, könne die Klage keinen Erfolg haben, weil nicht festgestellt werden könne, daß die Überschuldung die wesentliche Ursache für den Eigentumsverzicht dargestellt habe. Die Mutter der Klägerin habe sowohl im Rahmen des Antragsverfahrens gegenüber dem Magistrat von Berlin als auch im Protokoll über die Verzichtserklärung vom 11. Mai 1982 ausdrücklich angegeben, sie gebe das Eigentum am Grundstück aus „Alters- und gesundheitlichen Gründen” auf. Zwar komme derartigen Äußerungen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur „indizielle Bedeutung” zu. Vorliegend habe die Klägerin aber bei ihrer persönlichen Anhörung bestätigt, daß ihre zu diesem Zeitpunkt 72 Jahre alte Mutter schwer herzkrank gewesen sei und an Traumata aus der Nazi-Zeit gelitten habe. Dem Umstand, daß, wie die Klägerin im Termin erstmals vorgetragen habe, zwei Männer von offizieller Seite, entweder von der KWV oder vom Magistrat ihre Mutter ungefähr Ende der siebziger Jahre aufgesucht und ihr die Notwendigkeit der Rekonstruktion des Hauses unterbreitet hätten, worauf ihre Mutter resigniert habe, und zwar in wirtschaftlicher Hinsicht, möge das auslösende Moment für den Verzicht dargestellt haben. Nach Überzeugung der Kammer sei jedoch die gesundheitliche Situation das bestimmende Motiv für die Eigentumsaufgabe gewesen, zumal die anwaltlich vertretene Klägerin sich weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren dazu geäußert habe, aus welchen Gründen ihre Mutter seinerzeit ihr Alter und ihre Krankheiten nur vorgeschoben haben solle.
Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Revision trägt die Klägerin vor, auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seien die im Zeitpunkt des Eigentumsverzichts bestehenden dinglichen Belastungen einschließlich Zinsrückständen in Höhe von insgesamt 69 974,97 M anzusetzen. Diese Belastungen hätten daher bei weitem den vom Verwaltungsgericht zutreffend mit 50 640 M festgestellten Wert des Grundstücks überschritten. Die Überschuldung des Grundstücks ergebe sich auch ohne weiteres aus dem Erlaß von Restschulden in Höhe von 6 674,97 M nach Überführung des Grundstücks in Volkseigentum. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts hätten auch im Zeitpunkt des Eigentumsverzichts notwendige Instandsetzungsarbeiten in erheblichem Umfang angestanden. Schließlich sei die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Eigentumsverzicht sei nicht wegen der Überschuldung des Grundstücks, sondern aus Krankheitsgründen erfolgt, unzutreffend.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. September 1998, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen Mitte-Prenzlauer Berg (AROV I) vom 13. April 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen (LAROV) vom 14. Dezember 1993 zu verpflichten, der Klägerin das Eigentum an dem Grundstück …/Ecke … in Berlin-… zurückzuübertragen.
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, daß zwar zugunsten der Klägerin davon auszugehen sei, daß die vor dem Eigentumsverzicht erzielten Mieten nicht kostendeckend gewesen seien und daß entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts die Annahme einer Überschuldung des Grundstücks nicht schon deshalb ausgeschlossen sei, weil diese auch auf Belastungen aus der Zeit vor Gründung der DDR beruhte. Die Klage sei aber deshalb unbegründet, weil die Überschuldung nicht die wesentliche Ursache für den Eigentumsverzicht dargestellt habe. Dies habe das Verwaltungsgericht im einzelnen zutreffend und überzeugend dargelegt.
Die Beigeladene bestreitet, daß die Mieten des streitbefangenen Grundstücks nicht kostendeckend gewesen seien. Die erzielbaren Einnahmen hätten nicht, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, nur 11 277,96 M, sondern vielmehr 11 901,96 M betragen, weil auch das leerstehende Ladengeschäft der Wohnung … mitzuberücksichtigen gewesen sei. Eine etwa anzunehmende Überschuldung beruhe deswegen nicht auf den Niedrigmieten. Schließlich sei davon auszugehen, daß der schlechte Gesundheitszustand der Mutter der Klägerin bestimmend für den Eigentumsverzicht gewesen sei.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf einem Verstoß gegen Bundesrecht (§ 1 Abs. 2 VermG). Die Sache ist auch im Sinne des klägerischen Antrags entscheidungsreif (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).
Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Der Ablehnungsbescheid des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen Mitte-Prenzlauer Berg (AROV I) vom 13. April 1993 und der Widerspruchsbescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 14. Dezember 1993 sind rechtswidrig. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Rückübertragung des Eigentums an dem streitbefangenen Grundstück in Berlin-… gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 VermG.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG sind Vermögenswerte, die den Maßnahmen im Sinne des § 1 VermG unterlagen und in Volkseigentum überführt oder an Dritte veräußert wurden, auf Antrag an die Berechtigten zurückzuübertragen, soweit dies nicht nach dem Vermögensgesetz ausgeschlossen ist.
Es ist nicht zweifelhaft, daß die Klägerin als Alleinerbin der früheren Eigentümerin Rechtsnachfolgerin im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG ist.
Das Grundstück unterlag auch Maßnahmen im Sinne des § 1 VermG. In Betracht kommt insoweit allein der Tatbestand des § 1 Abs. 2 VermG, dessen Voraussetzungen entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts vorliegen. Nach dieser Vorschrift gilt das Vermögensgesetz für bebaute Grundstücke und Gebäude, die aufgrund nicht kostendeckender Mieten und infolgedessen eingetretener oder unmittelbar bevorstehender Überschuldung durch Enteignung, Eigentumsverzicht, Schenkung oder Erbausschlagung in Volkseigentum übernommen wurden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG dreierlei voraus: Erstens müssen für das bebaute Grundstück oder Gebäude in der Zeit vor dem Eigentumsverlust nicht kostendeckende Mieten erzielt worden sein. Diese Kostenunterdeckung muß zweitens zu einer bereits eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Überschuldung geführt haben. Drittens muß die Überschuldung wesentliche Ursache für den Eigentumsverlust gewesen sein (Urteile vom 24. Juni 1993 – BVerwG 7 C 27.92 – BVerwGE 94, 16 ≪19≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 4 S. 5 ≪8≫, vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – BVerwGE 98, 87 ≪89≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 39 S. 86 ≪88≫ und vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – BVerwGE 108, 281 ≪282≫ = Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 1 S. 1 ≪2≫ sowie Beschlüsse vom 1. Oktober 1998 – BVerwG 8 B 117.98 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 161 S. 504 ≪505≫, vom 27. Oktober 1998 – BVerwG 8 B 132.98 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 162 S. 506 ≪507≫ und zuletzt vom 15. November 1999 – BVerwG 8 B 164.99 – BA S. 3 ≪zur Veröffentlichung in Buchholz unter 428 § 1 Abs. 2 VermG vorgesehen≫). Die Vorschrift des § 1 Abs. 2 VermG will dem Umstand Rechnung tragen, daß der Vermieter infolge „staatlich administrierter Niedrigstmieten” (BTDrucks 11/7831, S. 2) bei gleichbleibenden Instandhaltungs- und Instandsetzungspflichten früher oder später notwendigerweise auf die Substanz der Mietsache zugreifen mußte, was im Falle der Erschöpfung der Kreditgrundlage zum freiwilligen („kalte Enteignung”) oder erzwungenen Eigentumsverlust führte (vgl. u.a. Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – a.a.O. S. 283 bzw. S. 3 und Beschluß vom 15. November 1999 – BVerwG 8 B 164.99 – a.a.O.).
1. Die vor dem Eigentumsverzicht erzielten Mieten waren – wie das Verwaltungsgericht im einzelnen zutreffend ausgeführt hat – nicht kostendeckend.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist im Regelfall davon auszugehen, daß eine festgestellte Überschuldung auf nicht kostendeckenden Mieten beruht (Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – a.a.O. m.w.N.). Diese Vermutung beruht auf der allgemein anerkannten Erfahrung, daß die Mieten in der DDR im Regelfall nicht kostendeckend waren. Wie bereits dargelegt war es gerade diese Erkenntnis, die den Gesetzgeber veranlaßt hat, die Regelung des § 1 Abs. 2 VermG in das Gesetz aufzunehmen. Angesichts dessen drängt es sich auf, die regelmäßige Kostenunterdeckung der Mieten als allgemein anerkannte Erfahrungstatsache anzusehen, von der im Einzelfall so lange ausgegangen werden kann, wie sich nicht aus der konkreten Ertragssituation Gegenteiliges ergibt (Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – a.a.O.). Im vorliegenden Fall enthalten die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil und der Inhalt der vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Akten keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß sich entgegen dieser Vermutung aus den Erträgen des streitbefangenen Grundstücks im Zeitpunkt vor dem Eigentumsverzicht ein Überschuß ergab. Das Verwaltungsgericht hat anhand der bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Aufwands- und Ertragsberechnung der damaligen Hausverwaltung für das Jahr 1981 und des entsprechenden Mieterverzeichnisses mit im einzelnen überzeugenden Ausführungen einen – wenn auch geringen – Fehlbedarf ermittelt. Die dagegen gerichteten Angriffe der Beigeladenen gehen fehl. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Verwaltungsgericht bei der Berechnung die schon von der Hausverwaltung in die Aufstellung nicht mit einbezogene Miete für den unvermieteten Laden außer Betracht gelassen hat. Insoweit hat das Verwaltungsgericht in verfahrensrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, daß der Laden „seit Jahren leergestanden hatte”. Unter diesen Umständen kann entgegen der Ansicht der Beigeladenen nicht von einem nur „vorübergehenden” Leerstand ausgegangen werden. Selbst wenn, wie die Beigeladene vorträgt, ein bestimmter Mietertrag rechtlich erzielbar gewesen wäre, könnte eine solche abstrakte Möglichkeit die konkrete ökonomische Zwangslage nicht aufgehoben haben. Es kommt hinzu, daß der Laden zu der ansonsten vermieteten „Wohnung …” gehörte, so daß sich Zweifel ergeben, ob er überhaupt gesondert hätte vermietet werden können. Dem brauchte das Verwaltungsgericht aber schon deswegen nicht weiter nachzugehen, weil zusätzlich zu den Aufwendungen, wie sie von der Hausverwaltung zusammengestellt und vom Verwaltungsgericht in seine Berechnung übernommen worden sind, auch der Kapitaldienst in dem Umfange Berücksichtigung finden muß, wie die Kredite zur Bestreitung der mit dem Grundstück verbundenen Kosten wie Grundsteuer, Bewirtschaftungskosten, Betriebskosten für technische Einrichtungen, Hauswartskosten, Verwaltungskosten sowie Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten aufgenommen wurden. Zu dem aus den Mieten zu bestreitenden Aufwand gehören deshalb jedenfalls die Kosten für die hier aufgenommenen Aufbaugrundschulden; denn diese Grundschulden waren wirtschaftliches Äquivalent für die Niedrigmieten (vgl. Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – a.a.O. S. 282 f. bzw. S. 2). Für die Berechnung ist es unerheblich, daß die Tilgungsleistungen und die Zinsen wegen fehlender Erträge für das Jahr 1980 ebenso wie in den Vorjahren von der Sparkasse gestundet worden waren. Allerdings bestätigt auch dieser Umstand die Kostenunterdeckung. Es kommt noch hinzu, daß auch in dem Schreiben des VEB Kommunale Wohnungsverwaltung vom 1. Juli 1982 bezüglich des Antrags auf mietfreies Wohnen die Bilanz des Grundstücks als defizitär bezeichnet wurde. Unter diesen Umständen bleibt es bei der dargelegten Vermutung, daß die Mieteinnahmen des streitigen Grundstücks – wie allgemein in der DDR – nicht geeignet waren, die Kosten zu decken.
2. Die Kostenunterdeckung hat auch zu einer im Zeitpunkt des Eigentumsverzichts bereits eingetretenen Überschuldung geführt.
a) Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts war das Grundstück wegen der dinglich gesicherten Verbindlichkeiten einschließlich der aufgelaufenen Zinsrückstände überschuldet. Die Prüfung der Schuldensituation des Grundstücks fordert eine Gegenüberstellung des Zeitwerts der Immobilie und der ihr zuzuordnenden Verbindlichkeiten (Urteile vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – a.a.O. S. 90 ff. bzw. S. 89 ff. und vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – S. 284 bzw. S. 4). Der Zeitwert des Grundstücks ist vom Verwaltungsgericht anhand des im Arbeitsbogen zum Verzichtsantrag vom 23. März 1982 angegebenen „Übernahmewertes” zutreffend mit 50 640 M angenommen worden. Diesem Wert sind sämtliche auf dem Grundstück lastenden Grundpfandrechte als objektbezogene Verbindlichkeiten gegenüberzustellen, weil die Immobilie die Bezahlung dieser Schulden sicherte. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, zu welchem Zweck die grundbuchlich gesicherten Kredite aufgenommen wurden; denn der Objektbezug folgt unabhängig von der Zweckbestimmung oder Verwendung dieser Kredite aus ihrer dinglichen Sicherung (Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – a.a.O. S. 284 f. bzw. S. 4). Die sich danach ergebende Belastung des Grundstücks von insgesamt 69 974,97 M übersteigt den „Übernahmewert” von 50 640 M bei weitem. Es kommt hinzu, daß der Mutter der Klägerin nach Übernahme des Grundstücks in Volkseigentum Restschulden erlassen wurden, was ebenfalls eine Überschuldung des Grundstücks voraussetzt (vgl. Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – a.a.O. S. 285 bzw. S. 5).
b) Bei der weiter zu prüfenden Frage, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Überschuldung und den nicht kostendeckenden Mieten bestand, sind entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch die aus der Zeit vor Gründung der DDR stammenden und deswegen nicht auf die Niedrigmietenpolitik der DDR zurückzuführenden Altbelastungen zu berücksichtigen. Wie bereits oben unter 1. ausgeführt, kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Regelfall von der Überschuldung auf deren Verursachung durch nicht kostendeckende Mieterträge geschlossen werden. Der ursächliche Zusammenhang entfällt nicht bereits dann, wenn die Verbindlichkeiten, die zur Überschuldung führten, nicht in voller Höhe auf den Niedrigmieten beruhten. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 VermG muß die Überschuldung infolge der Kostenunterdeckung der Mieten eingetreten sein; die Vorschrift verlangt aber nicht, daß die gesamte Verschuldung darauf zurückzuführen ist (Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – a.a.O. S. 285 f. bzw. S. 5). Andererseits gebieten Sinn und Zweck des § 1 Abs. 2 VermG eine wertende Eingrenzung der in die Kausalitätsbetrachtung einzubeziehenden Verbindlichkeiten. Im einzelnen hat dazu der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in dem bereits wiederholt zitierten Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – (a.a.O. S. 287 f. bzw. S. 6 f.) ausgeführt:
„Geschützt werden soll der Eigentümer, bei dem sich die infolge der Niedrigmieten vorhandene Gefahr der Überschuldung zu einer konkreten ökonomischen Zwangslage verdichtet hatte, die ein Festhalten am Eigentum wirtschaftlich sinnlos erschienen ließ. Eine solche Zwangslage hat jedoch der Eigentümer, der die Immobilie selbst noch unter Geltung der DDR-Verhältnisse zu anderen Zwecken als zum Erhalt ihres vertragsgemäßen Gebrauchs beliehen hat, sehenden Auges und ohne Not selbst mit herbeigeführt. Anders verhält es sich bei Altbelastungen, gleichgültig welchem Zweck sie dienten. Insoweit hielt es sich im Rahmen der seinerzeitigen marktwirtschaftlichen Verhältnisse, Grundstücke zu allen denkbaren Zwecken zu belasten. Daß solche Altbelastungen zu Zeiten der DDR die Überschuldung beschleunigten, kann dem Eigentümer nicht zugerechnet werden; denn erst mit dem Einsetzen der ideologisch vorgegebenen Niedrigmietenpolitik wurde offenbar, daß derjenige, der sein Eigentum so lange wie möglich erhalten wollte, dies nicht durch Fremdbelastungen gefährden durfte. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG entfallen erst dann, wenn der Eigentümer das Grundstück ohne Rücksicht auf die infolge der neuen Verhältnisse eingetretene latente Überschuldungsgefahr zusätzlichen Gefährdungen ausgesetzt hat. Der Schutzbereich der Norm fordert demnach eine Beschränkung der Kausalitätsvermutung für nicht kostendeckende Mieten auf die Fälle, in denen die Überschuldung neben vorhandenen Altbelastungen ausschließlich auf Verbindlichkeiten beruhte, die dazu dienten, das Grundstück dem vertragsgemäßen Gebrauch zu erhalten.
Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Überschuldung und den nicht kostendeckenden Mieten scheidet auch aus, wenn der Anteil der Altbelastungen so hoch war, daß das Grundstück bereits bei Gründung der DDR überschuldet war; denn unter dieser Voraussetzung ist es ebenfalls ausgeschlossen, daß die Überschuldung auf der Niedrigmietenpolitik der DDR beruht (vgl. Beschluß vom 22. August 1997 – BVerwG 7 B 266.97 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 117). Ebensowenig läßt sich eine Rückgabe des Vermögenswerts aufgrund des in § 1 Abs. 2 VermG geregelten Schädigungstatbestandes dann rechtfertigen, wenn die schlechte Ertragslage zwar zu der konkreten Zwangslage beigetragen hat, dieser Beitrag aber so geringfügig war, daß er nicht als wesentliche Mitursache für den Eigentumsverlust angesehen werden kann. In diesem Falle läßt sich nicht von einer ‚kalten Enteignung’ und damit von einer Maßnahme sprechen, die ihrem Unrechtsgehalt nach den übrigen Restitutionstatbeständen des § 1 VermG gleichkommt. Eine solche Situation kann insbesondere dann vorliegen, wenn die auf Altschulden zurückzuführenden laufenden Belastungen (Zins- und Tilgungsleistungen) den aus der Immobilie gezogenen Erträgen praktisch gleichgekommen sind. Zweifel daran, daß der Ursachenbeitrag der Niedrigmieten für die eingetretene Überschuldung wesentlich war, sind daher vor allem dann begründet, wenn der Wert des Grundstücks entweder durch die Altschulden bereits weitgehend erschöpft war oder wenn der Eigentumsverlust so frühzeitig eingetreten ist, daß die Niedrigmieten sich noch nicht nennenswert ausgewirkt haben konnten. Hat der Eigentümer auf der anderen Seite das Grundstück unter den Verhältnissen der DDR noch lange Zeit in gebrauchsfähigem Zustand erhalten, mußte er, wenn die Mieten die Kosten nicht deckten, zwangsläufig erhebliche sonstige Mittel investiert haben, so daß in solchen Fällen selbst in Ansehung von Altschulden keine Veranlassung besteht, der Wesentlichkeit des Ursachenbeitrags der Niedrigmietenpolitik näher nachzugehen.”
Diesen Ausführungen schließt sich der erkennende Senat an. Das führt dazu, daß im vorliegenden Fall die vorhandenen Altschulden nicht geeignet sind, Zweifel an der Ursächlichkeit zwischen Überschuldung und nicht kostendeckenden Mieten zu begründen. Bei Gründung der DDR war das Grundstück mit nominell 14 260,37 M belastet. Dieser Betrag macht nur etwa ein Drittel des Grundstückswerts im Zeitpunkt der Eigentumsaufgabe aus. Von einer Überschuldung oder auch nur weitgehenden Erschöpfung der Wertgrenze kann daher keine Rede sein. Es kommt hinzu, daß die Mutter der Klägerin noch bis zum Jahre 1982 an ihrem Eigentum festgehalten hat (vgl. auch dazu Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – a.a.O. S. 289 bzw. S. 7).
3. Auch das Vorliegen der dritten Voraussetzung für den Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG, nämlich die Ursächlichkeit der Überschuldung für den Eigentumsverzicht, hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht verneint.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts streitet eine Vermutung zugunsten des früheren Eigentümers, daß die dauerhafte Überschuldung bestimmendes oder doch wesentlich mitbestimmendes Motiv für die Eigentumsaufgabe war (Urteil vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – BVerwGE 98, 87 ≪99 f.≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 39 S. 86 ≪97≫). Diese Vermutung wird im Regelfall nicht durch abweichende Angaben des Eigentümers in der Verzichtserklärung widerlegt, weil es nicht tunlich war, dieses Motiv offenzulegen; denn die angestrebte Übernahme des Grundstücks in Volkseigentum konnte dadurch nur erschwert werden (vgl. auch Urteil vom 24. Juni 1993 – BVerwG 7 C 27.92 – BVerwGE 94, 16 ≪19≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 4 S. 5 ≪7 f.≫). Die vom Verwaltungsgericht für seine gegenteilige Ansicht angeführte Tatsache, daß die Mutter der Klägerin sowohl in dem Übernahmeantrag als auch in dem Verzichtsprotokoll im Jahre 1982 als Grund für den Verzicht „Alters- und gesundheitliche Gründe” angab, ist daher als solche nicht geeignet, die zugunsten der Klägerin streitende Vermutung zu erschüttern. Vielmehr hätten darüber hinausgehende konkrete Anhaltspunkte für eine abweichende Motivation vorhanden sein müssen, um der Frage weiter nachzugehen. Die Feststellung der Tatsachen, die ggf. die Vermutung nach den Regeln des Anscheinsbeweises erschüttern könnten, ist zwar Aufgabe des Tatsachengerichts; die Wertung, ob die festgestellten Tatsachen zur Erschütterung der Vermutung geeignet sind, ist dagegen eine Rechtsfrage, die vom Revisionsgericht selbständig zu prüfen ist.
Die hier vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil festgestellten Tatsachen und der sonstige vom Verwaltungsgericht in Bezug genommene Akteninhalt ergeben keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, daß die Überschuldung des Grundstücks nicht das wesentliche Motiv für den Eigentumsverzicht war. Solche Anhaltspunkte folgen insbesondere nicht aus dem Umstand, daß die Klägerin bei ihrer Befragung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bestätigt hat, daß ihre Mutter im Zeitpunkt des Eigentumsverzichts schwer herzkrank war und an Traumata aus der Nazi-Zeit litt. Der Tatbestand des § 1 Abs. 2 VermG setzt nämlich nicht voraus, daß die Überschuldung das alleinige Motiv für den Eigentumsverzicht darstellt. Es muß sich nur um eine wesentliche Ursache gehandelt haben. Dies ist bei einer objektiv bestehenden Überschuldung, deren sich der Eigentümer bewußt war (vgl. Urteil vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – a.a.O. S. 100 bzw. S. 97), auch dann der Fall, wenn der Eigentümer sich zusätzlich infolge schwerer Krankheit nicht mehr in der Lage sah, dem sich aus der finanziellen Situation ergebenden Druck zu widerstehen. Weitergehende Schlüsse lassen sich aus den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung aber nicht ziehen.
Soweit das Verwaltungsgericht demgegenüber diese Angaben dahin gehend gewürdigt hat, bestimmendes Motiv für die Eigentumsaufgabe sei die gesundheitliche Situation der Mutter der Klägerin gewesen, ist der Senat daran nicht nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil die Begründung des Verwaltungsgerichts teilweise aktenwidrig ist und die Sachverhaltswürdigung deswegen gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstößt. Entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin nicht erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgetragen, daß Mitarbeiter der KWV oder des Magistrats ihre Mutter aufgesucht und sie auf die Notwendigkeit der Rekonstruktion des Hauses mit entsprechendem Kostenaufwand hingewiesen hätten. Vielmehr findet sich dieser Vortrag bereits in der Stellungnahme der Klägerin vom 31. März 1993 zum beabsichtigten Bescheid des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen. Es handelt sich daher nicht um einen neuen oder gar gesteigerten Vortrag der Klägerin.
Weiter beruhen die entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts auch insoweit auf einem Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz und die Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO), als sich vom Standpunkt des Verwaltungsgerichts her hätte aufdrängen müssen, der Frage nachzugehen, warum das Eigentum nicht schon zu Lebzeiten auf die allein erbberechtigte Klägerin übertragen wurde, wenn denn ausschließlich oder überwiegend Alters- und Gesundheitsgründe dafür sprachen, daß die Mutter der Klägerin nicht weiterhin mit dem Grundstück belastet sein wollte. Fragen in diese Richtung sind der Klägerin vom Gericht offenbar nicht gestellt worden. Weder die Sitzungsniederschrift noch die Entscheidungsgründe geben insoweit irgendeinen Anhaltspunkt. Derartige Fragen lagen vom Standpunkt des Verwaltungsgerichts aber um so näher, als die Klägerin in dem Haus wohnte, sich – etwa gegenüber der Sparkasse – um die Angelegenheiten des Hauses kümmerte und weil die Klägerin im Verfahren wiederholt auf den besonderen emotionalen Wert hingewiesen hatte, dem das Grundstück für die Familie zukam (vgl. den von der Klägerin vorgelegten Beitrag „Evas Haus” von …).
Nach allem fehlt es daher an vom Verwaltungsgericht revisionsrechtlich verbindlich festgestellten oder sich sonst aus den Akten ergebenden konkreten Anhaltspunkten für eine überwiegend andere Motivation für den Eigentumsverzicht, so daß die Vermutung nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises erschüttert ist (vgl. dazu Urteile vom 24. August 1999 – BVerwG 8 C 24.98 – und vom 29. September 1999 – BVerwG 8 C 8.99 – jeweils zur Veröffentlichung in Buchholz unter 310 § 86 Abs. 1 VwGO bzw. 428 § 1 Abs. 3 VermG vorgesehen). Diesem Ergebnis steht der Beschluß des Senats vom 27. Oktober 1998 – BVerwG 8 B 123.98 – (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 162 S. 506) nicht entgegen. In diesem Beschluß hat der Senat der Vorinstanz aufgegeben, bestehenden Zweifeln an der Motivation des Eigentümers weiter nachzugehen bzw. den entsprechenden Vortrag in den Entscheidungsgründen näher zu würdigen. Die Zweifel folgten zwar zum einen auch aus der Angabe von „Alters- und familiären Gründen” für den Verzicht, zum anderen aber insbesondere daraus, daß das Gebäude wegen des geplanten Baus einer Straße zum Abriß vorgesehen gewesen sei.
4. Umstände, die zu einem Ausschluß des Restitutionsanspruchs der Klägerin nach den §§ 4 und 5 VermG führen könnten, sind von den Beteiligten – auch auf ausdrücklichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – weder dargetan worden noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 VwGO.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Sailer, Golze, Postier
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 02.02.2000 durch Grosser Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
VIZ 2000, 399 |
NJ 2000, 269 |
OVS 2000, 176 |