Entscheidungsstichwort (Thema)
Familiäre Vermittlung der deutschen Sprache. Mitursächlichkeit der familiären Vermittlung der deutschen Sprache für das erreichte Sprachniveau. Fähigkeit, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Kausalität (“aufgrund”). Bestätigungsmerkmal. Integration von Spätaussiedlern
Leitsatz (amtlich)
1. Die familiäre Sprachvermittlung muss nicht der alleinige Grund für die Fähigkeit sein, im Ausreisezeitpunkt im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 3 BVFG ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen (Fortentwicklung von Urteil vom 4. September 2003 – BVerwG 5 C 33.02 – BVerwGE 119, 6).
2. Es genügt, wenn die fortwirkende familiäre Sprachvermittlung in der prägenden Phase von Kindheit und Jugend das Niveau der Fähigkeit erreicht hat, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen.
Normenkette
BVFG § 6 Abs. 2
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 03.05.2006; Aktenzeichen 11 B 02.2939) |
VG München (Urteil vom 11.09.2002; Aktenzeichen 28 K 02.745) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Kläger begehren eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG bzw. § 15 Abs. 2 BVFG. Der Sache nach streiten die Beteiligten im Revisionsverfahren lediglich um die Frage, ob die unstreitig ausreichende Fähigkeit des Klägers, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, “aufgrund” familiärer Vermittlung der deutschen Sprache (§ 6 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 3 BVFG) hervorgerufen worden ist.
Der im Jahre 1956 in Kasachstan geborene Kläger hat Ende 1996 die Aufnahme nach dem Bundesvertriebenengesetz beantragt und in der deutschen Botschaft in Kiew im Jahre 1999 einen Sprachtest durchgeführt. Im Juli 2001 ist er in das Bundesgebiet eingereist und hat für sich eine Bescheinigung als Spätaussiedler nach § 15 Abs. 1 BVFG sowie für die Klägerin, seine Ehefrau, eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG beantragt. Nachdem er sich Ende Juli 2001 einem weiteren Sprachtest (vor der Landesaufnahmestelle des Beklagten) unterzogen hatte, hat das Zentrale Ausgleichsamt des Beklagten die Anträge durch Bescheid vom 3. Januar 2002 mit der Begründung abgelehnt, der Kläger gehöre zwar aufgrund seiner deutschen Abstammung zur deutschen Nationalität, diese rechtliche Zuordnung werde aber nicht durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache bestätigt. Durch Urteil vom 11. September 2002 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen, der Verwaltungsgerichtshof hat dem Verpflichtungsbegehren der Kläger durch Urteil vom 3. Mai 2006 stattgegeben:
Nicht umstritten sei die Abstammung des Klägers von deutschen Volkszugehörigen sowie die Zuordnung (nach dem Recht des Herkunftsstaates) zur deutschen Nationalität und schließlich die Fähigkeit des Klägers, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zur Überzeugung des Berufungsgerichts stehe auch fest, dass dem Kläger Kenntnisse der deutschen Sprache in dem von Rechts wegen erforderlichen Umfang familiär vermittelt worden seien. Insbesondere habe es sich davon überzeugen können, dass der Kläger in seinen ersten Lebensjahren (von 1956 bis zum Wegzug der Familie im Jahre 1961) in einem deutschsprachigen Dorf in Kasachstan die deutsche Sprache von seinem Vater und seiner Mutter erlernt habe. Auch wenn er die Folgejahre in einer überwiegend russischsprachigen Umgebung verbracht habe, sei ihm – wenngleich in vermindertem Umfang – die deutsche Sprache weiterhin vermittelt worden. Auch nach dem Verlassen des Elternhauses seien die Deutschkenntnisse des Klägers (zwar deutlich zurückgegangen, jedoch) nicht völlig erloschen. Zu den in den Jahren 1999 und 2001 festgestellten ausreichenden Sprachkenntnissen könnten auch nicht ausschließlich nichtfamiliäre Umstände beigetragen haben, weil der Kläger nachweislich noch mit erkennbar russlanddeutscher Färbung gesprochen habe, was nur auf die kindliche Prägung und familiäre Vermittlung zurückzuführen sei.
Die mithin festzustellende Mitursächlichkeit der familiären Vermittlung für das erreichte Sprachniveau reiche aus. Fordere man eine alleinige Verursachung der familiären Vermittlung, könnte die aus Gründen der verbesserten Integrationsmöglichkeiten von Spätaussiedlern begrüßenswerte Bereitschaft beeinträchtigt werden, vorhandene Deutschkenntnisse vor der Aussiedlung durch nichtfamiliäre Sprachvermittlung aufzubessern.
Die Revision des Beklagten vertritt den Standpunkt, dass eine Mitursächlichkeit der familiären Vermittlung für das erreichte Sprachniveau nicht ausreichend sei, sondern die familiäre Sprachvermittlung die alleinige bzw. einzige Ursache sein müsse.
Der Kläger und der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht verteidigen das Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht nicht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Dies gilt auch, soweit das Berufungsgericht entschieden hat, dass die beim Kläger festgestellten Kenntnisse der deutschen Sprache auf familiärer Vermittlung im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVFG beruhen. Insoweit streiten die Beteiligten im Revisionsverfahren ausschließlich darum, ob es – wie der Verwaltungsgerichtshof angenommen hat – ausreicht, dass die im Zeitpunkt der Aussiedlung geforderte Fähigkeit, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, jedenfalls auch oder nur mitursächlich auf die Vermittlung der deutschen Sprache in der Familie zurückgeht.
Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG muss bei Spätaussiedlern das Bekenntnis zum deutschen Volkstum bestätigt werden durch die familiäre Vermittlung der deutsche Sprache. Dies ist gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG nur festgestellt, wenn der Antragsteller im Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund dieser Vermittlung ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann. Die familiäre Vermittlung muss, wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 4. September 2003 – BVerwG 5 C 33.02 – (BVerwGE 119, 6 ≪9≫) ausgeführt hat, “der Grund” für die Fähigkeit sein, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut, der Verknüpfung von Ursache (familiärer Vermittlung) und Wirkung (Fähigkeit, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen) und dem systematischen Zusammenhang zwischen den Sätzen 2 und 3 von § 6 Abs. 2 BVFG. Denn die Fähigkeit nach Satz 3, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, dient der Feststellung der in Satz 2 als Bestätigung des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum geforderten Vermittlung der deutschen Sprache.
Die in dem vorbezeichneten Urteil nicht entscheidungserhebliche und revisionsgerichtlich noch nicht geklärte Frage, ob die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache der alleinige Grund für das nunmehr erreichte Sprachniveau sein muss, ist entgegen der Revision zu verneinen. Dafür sprechen vor allem der Wortlaut der Vorschrift, ihre Entwicklungsgeschichte und der mit den Gesetzesänderungen verfolgte Zweck.
Der Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVFG lässt nicht erkennen, dass die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache – in der hierfür maßgeblichen Prägezeit von der Geburt bis zur Selbständigkeit, die nicht notwendig mit der Bekenntnisfähigkeit (vgl. hierzu Urteil des BVerwG vom 31. Januar 1989 – BVerwG 9 C 78.87 – Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 59) bzw. der Erklärungsfähigkeit nach dem insoweit grundsätzlich maßgeblichen innerstaatlichen Recht (vgl. Urteil vom 29. August 1995 – BVerwG 5 C 391.94 – BVerwGE 99, 133 ≪141≫) identisch sein muss – der alleinige oder ausschließliche Grund für die im Zeitpunkt der Aussiedlung nachzuweisenden Sprachkenntnisse sein muss. Zwar ist die familiäre Vermittlung nach § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG “nur” festgestellt, wenn eine familiäre Vermittlung Grund der hinreichenden Sprachkenntnisse ist; nach der Wortstellung bezieht sich das Wort “nur” indes auf die Feststellung, nicht die Kausalität. Die vom Senat in seinem Urteil vom 4. September 2003 (a.a.O.) bejahte und zwischen den Beteiligten nicht im Streit stehende Notwendigkeit eines Kausalzusammenhangs lässt angesichts der Mehrdeutigkeit des Kausalitätsbegriffs (statt vieler etwa W. Mummenhoff, Erfahrungssätze im Beweis der Kausalität, Köln, 1997) keinen Rückschluss darauf zu, dass die familiäre Vermittlung der alleinige Grund hinreichender Sprachkenntnisse sein muss. Dass der Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich eine lediglich wesentliche oder maßgebliche Ursächlichkeit ausreichen lässt, weist nicht im Umkehrschluss auf eine Monokausalität. Da Sprachvermittlung regelmäßig ein komplexer, mehrdimensionaler Prozess namentlich auch dann ist, wenn sie während der Herausbildung des Sprachvermögens in der und durch eine Familie erfolgt, die selbst in einem zumindest überwiegend anderssprachigen Umfeld lebt, und sich hierbei im engeren Sinne familiäre Einflüsse durch die Eltern oder an deren Stelle tretende Erziehungspersonen mit Einwirkungen des sozialen Umfeldes mischen, das nur teilweise (z.B. enge Verwandte) noch Teil einer familiären Vermittlung sein kann, hätte für den Fall, dass ein ausschließlicher Ursachenzusammenhang erforderlich sein sollte, ein entsprechender Zusatz im Gesetzeswortlaut nahegelegen. Außerdem dürfte derartige alleinige Kausalität regelmäßig auch praktisch nicht aufklärbar sein.
Für die von dem Berufungsgericht vertretene und gegen die von der Revision erstrebte Auslegung des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG spricht auch der Sinn und Zweck der Regelung, wie er sich aus der Entstehungsgeschichte (vgl. BTDrucks 14/6310 S. 5 f.; ebenso BTDrucks 14/6573 S. 5 f.) erschließt. Der Gesetzgeber hat bei der Änderung des § 6 Abs. 2 BVFG durch das Spätaussiedlerstatusgesetz vom 30. August 2001 (BGBl I S. 2266) die Anforderungen an die familiär vermittelten Sprachkenntnisse zum einen deutlich abgesenkt (einfaches Gespräch). Zum anderen wurde ausdrücklich an deren Feststellbarkeit im Zeitpunkt der Aussiedlung angeknüpft. Damit sollte gerade nicht mehr allein die familiäre Vermittlung in der Kindheit und Jugend das ausschlaggebende Bestätigungsmerkmal sein, sondern – zugleich auch im Interesse der Akzeptanz der Aufnahme von Aussiedlern in Deutschland und ihrer leichteren Integration – jedenfalls auch auf die aktuellen, tatsächlich vorhandenen Deutschkenntnisse abgestellt werden. Das hinzutretende Integrationsziel schließt es aus, nach der Neufassung des § 6 Abs. 2 BVFG ausschließlich auf die in der familiären Prägephase erworbenen Deutschkenntnisse abzustellen, wie es die Revision fordert. Der Verwaltungsgerichtshof ist vielmehr zutreffend davon ausgegangen, dass es genügt, wenn eine Mitursächlichkeit der familiär vermittelten Kenntnisse, die auch damals mindestens das Niveau der Fähigkeit, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, erreicht haben musste, – noch oder wieder – im Zeitpunkt der Ausreise festgestellt werden kann. Für den Bekenntniszusammenhang reicht es aus, dass die – regelmäßig in der prägenden Phase von Kindheit und Jugend – familiär vermittelten Sprachkenntnisse das Sprachfundament bilden, auf dem die für die Integration zu verlangenden Sprachanforderungen gründen. Zu dieser Sprachvermittlung hat sich das Tatsachengericht die hierfür erforderliche richterliche Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 VwGO) zu verschaffen.
Es ist deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Verwaltungsgerichtshof auf der Grundlage seiner nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und bindenden Feststellungen das Vorliegen des Bestätigungsmerkmals der familiär vermittelten, ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG bejaht und der Klage im Ergebnis stattgegeben hat.
Dem steht schließlich auch nicht entgegen, dass es – wie die Revision geltend gemacht hat und in der Revisionsverhandlung mit den Beteiligten erörtert worden ist – im Urteil des Senats vom 4. September 2003 – BVerwG 5 C 33.02 – nach dessen veröffentlichter Fassung (vgl. BVerwGE 119, 6 ≪9≫ und juris Rn. 15) heißt:
“Für die Zuordnung als deutscher Volkszugehöriger ist bezogen auf die deutsche Sprache allein deren familiäre Vermittlung bis zur Fähigkeit, ein einfaches Gespräch zu führen, maßgeblich.”
Die Beifügung des Wortes “allein” – abweichend vom sonst identischen Text des weiteren Urteils vom gleichen Tag im Verfahren BVerwG 5 C 11.03 (vgl. juris Rn. 16 = NVwZ 2004, 753 f.) – beruht nämlich auf einem Übertragungsfehler: In der authentischen Originalfassung des Urteils 5 C 33.02 ist die Streichung des Wortes “allein” und die Angleichung der beiden Texte verfügt worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Hund, Schmidt, Dr. Brunn, Prof. Dr. Berlit
RiBVerwG Dr. Franke ist wegen einer Kur verhindert zu unterschreiben.
Hund
Fundstellen