Entscheidungsstichwort (Thema)
Recht der Vertriebenen einschließlich des Rechts der Vertriebenenzuwendung, der Sowjetzonenflüchtlinge und der politischen Häftlinge. Vertriebenenrechtlicher Härtefallantrag nur zeitnah zur Aussiedlung möglich. Antragstellung, zeitnahe. Aufnahmeantrag. Aufnahmebescheid. Aufnahmeverfahren. Aussiedlungsgebiete. Verlassen der –. Härtefallantrag. Hinweispflicht. behördliche. Spätaussiedler. Spätaussiedlerwille. Staatsangehörigkeit. deutsche
Leitsatz (amtlich)
Der Antrag auf Aufnahme als Spätaussiedler im Bundesgebiet muss in den von § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG erfassten Härtefällen auch dann in zeitlichem Zusammenhang mit der Aussiedlung gestellt werden, wenn der Aussiedler bereits im Zeitpunkt der Ausreise als deutscher Staatsangehöriger anerkannt war (Bestätigung von BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 – BVerwG 5 C 23.11 – BVerwGE 145, 248).
Normenkette
BVFG § 4 Abs. 1, §§ 6, 26-27; FRG § 15
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 10.03.2014; Aktenzeichen 11 A 1966/13) |
VG Köln (Entscheidung vom 16.07.2013; Aktenzeichen 7 K 5676/11) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. März 2014 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt die nachträgliche Erteilung eines Aufnahmebescheides.
Die Klägerin ist im September 1956 in der ehemaligen Sowjetunion geboren worden. Ihr Vater war im Dezember 1944 in den deutschen Staatsverband eingebürgert worden. Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige; dies bestätigt ein von dem Bundesverwaltungsamt der Beklagten im Oktober 2003 ausgestellter Staatsangehörigkeitsausweis. In den Jahren 1993 und 1994 reisten drei der Geschwister der Klägerin als Spätaussiedler in das Bundesgebiet ein, nachdem ihnen vor der Einreise ein Aufnahmebescheid erteilt worden war; einer im Jahre 1992 eingereisten Schwester wurde ein Aufnahmebescheid nach deren Einreise erteilt. Die Klägerin reiste im April 2004 in die Bundesrepublik Deutschland ein, meldete sich zunächst bei ihrem Bruder an, bevor sie eine eigene Wohnung bezog. Sie nahm von Mai 2004 bis November 2004 an einem Sprachkurs „Deutsch für Aussiedler” teil, in dem sie die Sprachprüfung „Grundbaustein” mit Erfolg ablegte und bestand in diesem Zeitraum auch im Rahmen eines Sprachkurses die Sprachprüfung „Zertifikat Deutsch” mit 2/3 der möglichen Punkte.
Im Dezember 2010 beantragte die Klägerin die Erteilung eines Aufnahmebescheides und gab dabei an, von Kindheit an Deutsch und Russisch gesprochen zu haben, auf Deutsch fast alles zu verstehen und ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können. Sie habe seinerzeit ihren Aufnahmeantrag nicht vom Ausland aus gestellt, weil ihr damaliger Ehemann wegen der Pflege seiner kranken Mutter nicht mit nach Deutschland habe kommen können. Nachdem ihr Ehemann im Februar 2001 verstorben sei, habe sie ihre Schwiegermutter bis zu deren Tod im Jahre 2002 gepflegt und dann so schnell wie möglich nach Deutschland kommen wollen; die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises habe ihr Bruder für sie beantragt.
Das Bundesverwaltungsamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24. Januar 2011 ab, weil keine besonderen Härtegründe vorgelegen hätten. Die Klägerin habe sich entschieden, aufgrund ihrer deutschen Staatsangehörigkeit nach Deutschland einzureisen, so dass sie sich nach der dauerhaften Aufgabe ihres Wohnsitzes im Herkunftsgebiet nicht mehr darauf berufen könne, es sei ihr nicht zuzumuten gewesen, das Aufnahmeverfahren vom Herkunftsgebiet aus zu betreiben. Die Klägerin erfülle auch nicht die Voraussetzungen des § 6 Bundesvertriebenengesetzes (BVFG), weil sie weder ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum nachgewiesen noch die innerfamiliäre Vermittlung der deutschen Sprache glaubhaft gemacht habe.
Mit der nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 14. September 2011) erhobenen Klage machte die Klägerin unter anderem geltend, sie habe bei der Einreise nicht gewusst, dass sie als deutsche Staatsangehörige einen Antrag als Aufnahme als Spätaussiedlerin hätte stellen können oder müssen. Dies hätten ihr weder ihre Geschwister noch die Behörden mitgeteilt. Sie sei davon ausgegangen, dass sie bereits aufgrund der Erteilung des deutschen Passes als Spätaussiedlerin anerkannt gewesen sei.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Juli 2013), weil der Aufnahmebescheid erst mehr als sechs Jahre nach der Einreise und damit nicht, wie von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gefordert, in zeitlichem Zusammenhang mit der Einreise beantragt worden sei. Zur Begründung ihrer Berufung machte die Klägerin geltend, erst bei der Entscheidung über einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente, den sie wegen eines Krebsleidens habe stellen müssen, habe sie davon Kenntnis erlangt, dass ohne Anerkennung als Spätaussiedlerin die Jahre ihrer Erwerbstätigkeit in der ehemaligen Sowjetunion nicht für die Rentenberechnung zu berücksichtigen seien und sie daher nahezu ohne Rente bleibe. Als deutsche Staatsangehörige könne sie den Aufnahmeantrag auch erst nach der Einreise stellen; hierfür sehe das Gesetz keine Frist vor.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen und ausgeführt: Die Klägerin könne sich für einen Aufnahmeantrag erst nach der Einreise zwar auf eine besondere Härte berufen, weil ihr als deutscher Staatsangehörigen die zeitweilige Rückkehr in die Aussiedlungsgebiete für eine Antragstellung nicht abverlangt werden könne. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei indes auch in Härtefällen der Aufnahmeantrag zeitnah zur Aussiedlung zu stellen, um den erforderlichen Spätaussiedlerwillen nach außen zu betätigen. Diese Rechtsprechung sei zwar zu einem Härtefallantrag ergangen, in dem die Einreise auf ausländerrechtlicher Grundlage erfolgte, sie sei aber letztlich auch in Fällen anzuwenden, in denen die deutsche Staatsangehörigkeit – wie bei der Klägerin – bereits vor der Einreise in das Bundesgebiet festgestellt worden sei. Der Spätaussiedlerwille sei unverzichtbare Tatbestandsvoraussetzung für die Erteilung eines Aufnahmebescheides und erfordere den Willen, auf Dauer als Deutscher unter Deutschen zu leben und sich gerade auch mit Spätaussiedlerstatus im Bundesgebiet endgültig niederzulassen. Einen etwa vorhandenen Spätaussiedlerwillen habe die Klägerin mit ihrer Antragstellung erst sechs Jahre nach der Einreise und damit nicht (mehr) zeitnah zur Übersiedlung betätigt. Hierfür sei letztlich unerheblich, dass bei Personen mit bereits festgestellter deutscher Staatsangehörigkeit der Zuzug wegen ihrer Freizügigkeitsberechtigung nicht im Wege des Aufnahmeverfahrens hätte geregelt werden können; doch spreche etwa das Erfordernis einer behördlichen Sprachprüfung oder der Integrationszweck dafür, dass der Härtefallantrag zeitnah zur Übersiedlung zu stellen sei. Dass der Gesetzgeber in § 27 Abs. 3 Satz 1 BVFG den Antrag auf Wiederaufgreifen nicht an eine Frist gebunden habe, rechtfertige keine andere Beurteilung, weil nach der Entstehungsgeschichte von dieser Regelung unanfechtbar abgeschlossene Härtefallanträge unberührt blieben.
Mit ihrer von dem Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 27 Abs. 1 BVFG und hebt hervor, die Notwendigkeit einer zeitnahen Antragstellung dürfe freizügigkeitsberechtigten Aufnahmebewerbern nicht entgegengehalten werden, deren deutsche Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Übersiedlung bereits durch behördliche Vorprüfung festgestellt bzw. erwiesen gewesen sei. Auf dieses im Gesetz nicht ausdrücklich hervorgehobene Erfordernis, von dem sie auch sonst keine Kenntnis gehabt habe, sei sie weder von ihren Geschwistern noch von den Behörden hingewiesen worden. Eine Aufnahme könne auch lange Zeit nach der Einreise erfolgen, zumal eine „Aufnahme” ins Bundesgebiet für deutsche Staatsangehörige schon rein denknotwendig ausgeschlossen sei.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Berufungsurteil und hebt hervor, dass zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der Spätaussiedlereigenschaft zu unterscheiden sei; auch deutsche Staatsangehörige bedürften der vertriebenenrechtlichen Aufnahme, um den Spätaussiedlerstatus zu erlangen.
Der Vertreter des Bundesinteresses bei dem Bundesverwaltungsgericht hält das Berufungsurteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass der Klägerin der begehrte Aufnahmebescheid nicht zu erteilen ist, weil sie den Antrag auf Erteilung eines Aufnahmebescheides jedenfalls nicht in hinreichendem zeitlichen Zusammenhang mit ihrer im Jahre 2004 erfolgten Übersiedlung in das Bundesgebiet gestellt hat, steht im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).
1. Nach § 26 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 (BGBl I S. 1902), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. September 2013 (BGBl I S. 3554), wird Personen, die die Aussiedlungsgebiete als Spätaussiedler verlassen wollen, um im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren ständigen Aufenthalt zu nehmen, nach Maßgabe der folgenden Vorschriften ein Aufnahmebescheid erteilt. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG kann abweichend hiervon Personen, die sich ohne Aufnahmebescheid im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten, ein Aufnahmebescheid erteilt werden, wenn dessen Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Der Senat lässt offen, ob das Begehren der Klägerin auf Erteilung eines (nachträglichen) Aufnahmebescheides nach dieser Fassung des Bundesvertriebenengesetzes, die auch bereits im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung in Kraft war, der Rechtslage zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihren Aufnahmeantrag gestellt hat (2010), oder jener zu beurteilen ist, die zum Zeitpunkt ihrer Übersiedlung aus den Aussiedlungsgebieten (2004) gegolten hat. Denn in Bezug auf die Notwendigkeit, einen Aufnahmeantrag stellen zu müssen, sowie die Möglichkeit, diesen auch erst nach der Einreise stellen zu können, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde (Härtefallantrag), hat sich ungeachtet gewisser Umstellungen der Regelungen an dem für die Entscheidung erheblichen sachlichen Gehalt der Regelungen nichts geändert.
2. Der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (– BVerwG 5 C 23.11 – BVerwGE 145, 248 = Buchholz 412.3 § 27 BVFG Nr. 18) entschieden, dass der Antrag auf Aufnahme als Spätaussiedler im Bundesgebiet auch in den von § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG (a.F.)/§ 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG erfassten Härtefällen in zeitlichem Zusammenhang mit der Aussiedlung gestellt werden muss: § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG (a.F.) enthalte zwar keine (ausdrückliche) Frist für die Stellung eines Härtefallantrags. Doch ließen bereits die in § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG in Bezug genommenen Begriffe „Aufnahme” und „Aufnahmebescheid” mittelbar auf die Notwendigkeit eines zeitlichen Zusammenhangs schließen. Dafür spreche auch die – im Einzelnen ausgeführte – Entstehungsgeschichte des § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG (a.F.), nach der durch das Aufnahmeverfahren eine gewisse Zuzugskontrolle bewirkt werden soll, und der Gesetzgeber in Härtefällen von einer Einreise unter Nutzung eines im Regelfall auf drei Monate begrenzten Visums, also einer Antragstellung in zeitlichem Zusammenhang mit der Ausreise schon zur Sicherung eines Bleiberechts ausgegangen sei. Der systematische Zusammenhang unter anderem mit § 26 BVFG, nach dem nur Personen, die bereits beim Verlassen der Aussiedlungsgebiete Spätaussiedler sein wollen, einen Aufnahmebescheid erhalten können, der auch gegenüber der Aufnahmebehörde zum Ausdruck zu bringende Spätaussiedlerwille mithin zwingende Tatbestandsvoraussetzung für den Erhalt des Aufnahmebescheides sei, unterstreiche ebenfalls, dass der Aussiedlungsvorgang aus der Sicht des Gesetzgebers in zeitlicher Hinsicht begrenzt und eine Aufnahme nach endgültigem Abschluss des Aussiedlungsvorgangs grundsätzlich nicht mehr möglich sei. Auch aus § 4 Abs. 1 BVFG, nach dem die Anerkennung als Spätaussiedler voraussetze, dass der deutsche Volkszugehörige den Herkunftsstaat „im Wege des Aufnahmeverfahrens” verlassen habe, unterstreiche, dass der subjektive Spätaussiedlerwille allein nicht genüge, wenn objektiv das Aufnahmeverfahren nicht – und sei es in Härtefällen im zeitlichen Zusammenhang mit der Aussiedlung und der dauerhaften Wohnsitznahme im Bundesgebiet – betrieben werde. Dafür spreche auch das Erfordernis der behördlichen Sprachprüfung, die Zwecke des Aufnahmeverfahrens und die des Bundesvertriebenengesetzes. Die aufgezeigten Gesichtspunkte geböten jedenfalls in ihrer Gesamtheit die Annahme, dass der Antrag auf Erteilung eines Aufnahmebescheides in den Fällen des § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG in zeitlichem Zusammenhang mit der Ausreise gestellt werden müsse.
3. Diese Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat mit der Folge anschließt, dass der Antrag auf Aufnahme als Spätaussiedler im Bundesgebiet auch in den von § 27 Abs. 2 Satz 1 BVFG (a.F.)/§ 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG erfassten Härtefällen in zeitlichem Zusammenhang mit der Aussiedlung gestellt werden muss, gilt gleichermaßen in Fällen, in denen der Antrag auf nachträgliche Erteilung eines Aufnahmebescheides durch eine Person gestellt worden ist, die bereits im Zeitpunkt der Übersiedlung als deutsche Staatsangehörige anerkannt gewesen ist und daher einen grundrechtlich gesicherten Anspruch auf visumfreie Einreise und dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet hatte. Das Vorbringen der Klägerin rechtfertigt keine andere Beurteilung.
3.1 Der Klägerin ist allerdings zuzugeben, dass nicht alle Erwägungen, die vom 5. Senat zur Begründung seiner Rechtsauffassung herangezogen worden sind, in vollem Umfange auf den Zeitpunkt zur Stellung von Härtefallanträge durch Personen übertragbar sind, die bereits in den Aussiedlungsgebieten auch deutsche Staatsangehörige waren und dies – wie die Klägerin – durch einen entsprechenden Staatsangehörigkeitsnachweis belegen konnten. Das Anliegen, den Zuzug von Spätaussiedlern zu regulieren und zu kontingentieren, greift nicht bei kraft Staatsangehörigkeit ohnehin zu Einreise und Aufenthalt berechtigten Personen. Auch mögen die Erwägungen zur Entstehungsgeschichte, die unter anderem an eine regelmäßig erfolgende Einreise mit einem Touristenvisum anknüpfen sowie jene zum Sprachprüfungserfordernis geringeres Gewicht haben, zumal dann, wenn insoweit auf die im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung geltende Rechtslage abzustellen wäre.
Auch bei einer Einreise als anerkannt deutsche Staatsangehörige verbleibt es indes dabei, dass die deutsche Staatsangehörigkeit und die Spätaussiedlereigenschaft systematisch zu trennen sind und letztere tatbestandlich eine Ausreise mit – auch nach außen erkennbarem – Spätaussiedlerwillen erfordert. Die Umstände im Sinne des § 27 Abs. 2 BVFG (a.F.)/§ 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG sind darauf bezogen, dass die Versagung des Aufnahmebescheides allein deswegen eine besondere Härte bedeutete, weil der Aufnahmeantrag nicht vor der Ausreise gestellt bzw. die Erteilung des Aufnahmebescheides nicht im Aussiedlungsgebiet abgewartet worden ist. Diese Ausnahme vom Erfordernis der Einreise „im Wege des Aufnahmeverfahrens” berührt aber nicht das Merkmal, die Aussiedlungsgebiete „als Spätaussiedler” verlassen zu wollen (Spätaussiedlerwille) (§ 26 BVFG). Die (anerkannte und nachgewiesene) deutsche Staatsangehörigkeit besagt für sich nichts über diesen Spätaussiedlerwillen. Auch die Wahrnehmung des Freizügigkeitsrechts als deutsche Staatsangehörige durch die Klägerin bei Einreise und nachfolgendem Aufenthalt, ersetzt nicht die für die Spätaussiedlereigenschaft erforderliche, erkennbare Betätigung des Spätaussiedlerwillens bei der Aussiedlung oder doch – in Härtefällen – im zeitlichen Zusammenhang hierzu. Dass der nachträgliche Aufnahmeantrag auch in den Fällen des § 27 Abs. 2 BVFG (a.F.)/§ 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG jedenfalls im zeitlichen Zusammenhang mit der Aussiedlung zu stellen ist, ist umgekehrt auch nicht geeignet, die Wahrnehmung der aus einer bestehenden deutschen Staatsangehörigkeit folgenden Rechte zu verhindern oder zu beeinträchtigen.
3.2 Keine andere Beurteilung rechtfertigt § 27 Abs. 1 Satz 5 BVFG (Fassung 2005)/§ 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG, nach dem der Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet als fortbestehend gilt, wenn ein Antrag nach Satz 4/Satz 2 abgelehnt wurde und der Antragsteller für den Folgeantrag nach Satz 1 erneut den Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten begründet hat. Diese Regelung ist schon nach ihrer systematischen Stellung nur anzuwenden, wenn ein Härtefall deswegen abgelehnt worden ist, weil bei bereits betätigtem Spätaussiedlerwillen eine „besondere Härte” verneint worden und die Nichterteilung der Spätaussiedlerbescheinigung allein auf diesen Umstand gestützt worden ist. Dies berührt nicht die Frage, ob der Spätaussiedlerwillen im zeitlichen Zusammenhang mit der Aussiedlung erkennbar zu betätigen ist. Kehrte die Klägerin mithin in das Aussiedlungsgebiet zurück, um von dort neuerlich einen Aufnahmebescheid zu beantragen, müsste dieser abgelehnt werden, weil sie wegen des mehrjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet dann nicht mehr im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG „seit ihrer Geburt” ihren Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten gehabt hätte.
3.3 Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, sie sei durch die Beklagte oder andere Behörden nicht darauf hingewiesen worden, dass sie auch in Härtefällen im Sinne des § 27 Abs. 2 BVFG (a.F.)/§ 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG den Aufnahmeantrag zeitnah zur Übersiedlung hätte stellen müssen. Es besteht hier schon keine Rechtsgrundlage für eine behördliche Verpflichtung, Personen, die aus den Aussiedlungsgebieten als deutsche Staatsangehörige in das Bundesgebiet einreisen, über die Voraussetzungen des § 27 BVFG zu belehren. Nicht zu vertiefen ist daher, ob von der Klägerin nach den Umständen des Einzelfalls die anderweitige Kenntnis von der Notwendigkeit, einen Aufnahmeantrag – auch zeitnah – stellen zu müssen, um die Spätaussiedlereigenschaft zu erlangen, hätte erwartet werden können.
3.4 Die mittelbare Rechtsfolge, dass ohne die Erteilung des Aufnahmebescheides die von der Klägerin in dem Aussiedlungsgebiet zurückgelegten Beschäftigungs- und Beitragszeiten bei der Rentenberechnung nicht nach § 15 FRG zu berücksichtigen sind, ist – unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen bei der Einreise – nicht geeignet, eine Betätigung eines Spätaussiedlerwillen ohne zeitlichen Zusammenhang zur Übersiedlung zuzulassen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Klägerin dadurch, dass sie wegen des nicht zeitnah zur Aussiedlung erfolgten Antrages nicht als Spätaussiedlerin anerkannt wird, im Bereich des Fremdrentenrechts nicht unerhebliche Einbußen hinzunehmen hat. Dies ist indes eine bloße Rechtsfolge dessen, dass sie ihren Spätaussiedlerwillen nicht zeitnah zur Aussiedlung durch Antragstellung dokumentiert hat.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Berlit, Prof. Dr. Dörig, Prof. Dr. Kraft, Fricke, Dr. Rudolph
Fundstellen
Haufe-Index 7550833 |
DÖV 2015, 348 |
FEVS 2015, 545 |
JZ 2015, 64 |