Entscheidungsstichwort (Thema)
Bundeswehr. Einsatzfähigkeit. Fürsorgepflicht. beamtenrechtliche –. Gesetzesvorbehalt. Heilbehandlung. Heilfürsorgeanspruch. Heilfürsorge. In-vitro-Fertilisation. homologe –. Kostenerstattungsanspruch. künstliche Befruchtung. Parlamentsvorbehalt. Rechtsstaatsprinzip. Sachbezüge. Sachleistung. truppenärztliche Versorgung. unentgeltliche –. Truppenärzte. Soldatinnen und Soldaten. Übergangsfrist. Übergangszeit. Verwaltungsvorschriften. Vorbehalt des Gesetzes. Prinzip vom –. Wehrdienstfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestimmungen über die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG genügen nicht den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts. Sie sind jedoch grundsätzlich für eine Übergangszeit weiter anzuwenden.
2. Nicht übergangsweise anwendbar sind die Bestimmungen der zuvor genannten Verwaltungsvorschrift, die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung ausnehmen und die truppenärztliche Versorgung auf den Zweck begrenzen, der Erhaltung und Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten zu dienen.
3. Die homologe In-vitro-Fertilisation ist als medizinische Behandlung einer Erkrankung grundsätzlich notwendig (im Sinne des derzeitigen Rechts der truppenärztlichen Versorgung), wenn damit der regelwidrige Körperzustand einer organisch bedingten Sterilität überwunden und der oder dem Betroffenen zu einem genetisch eigenen Kind verholfen werden soll (Bestätigung des Urteils vom 27. November 2003 – BVerwG 2 C 38.02).
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 1, 3, Art. 33 Abs. 5; BBesG § 69 Abs. 2, 4, § 70 Abs. 2; SG § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1-6; AllgVV zu § 69 Abs. 2 BBesG § 1 Abs. 1; AllgVV zu § 69 Abs. 2 BBesG § 2 Abs. 1 S. 1; AllgVV zu § 69 Abs. 2 BBesG § 2 Abs. 1 S. 2; AllgVV zu § 69 Abs. 2 BBesG § 2 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 02.08.2012; Aktenzeichen 2 S 786/12) |
VG Sigmaringen (Entscheidung vom 31.01.2012; Aktenzeichen 3 K 3895/10) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. August 2012 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Rz. 1
Die Klägerin begehrt im Rahmen der truppenärztlichen Versorgung die Übernahme von Kosten für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung.
Rz. 2
Die 1979 geborene Klägerin ist verheiratet und Soldatin auf Zeit. Sie leidet an einem beiderseitigen Verschluss der Eileiter und ist deshalb nicht in der Lage, auf natürlichem Wege ein Kind zu empfangen. Im Jahre 2010 ließ sie durch eine private Arztpraxis eine homologe In-vitro-Fertilisation durchführen. Dabei werden der Frau Eizellen aus dem Eierstock entnommen und außerhalb des Mutterleibs mit dem Samen des Ehemanns befruchtet. Den Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für diese Behandlung lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift umfasse die truppenärztliche Versorgung keine Maßnahmen, die nur der Familienplanung dienten. Insbesondere seien Maßnahmen der künstlichen Befruchtung ausgeschlossen.
Rz. 3
Der nach erfolgloser Beschwerde erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Es hat die ablehnenden Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Rz. 4
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Kostenübernahme zu. Zwar sehe die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) seit Dezember 2004 vor, dass die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung keine Maßnahmen der künstlichen Befruchtung umfasse. Ferner bestimme sie, dass die truppenärztliche Versorgung (allein) der Erhaltung und Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten diene. Diese Leistungsbeschränkungen seien jedoch nicht anwendbar, da sie den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts nicht genügten. Die vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 17. Juni 2004 zum Beihilferecht entwickelten Grundsätze seien auf die truppenärztliche Versorgung zu übertragen. Denn dieser komme für die Soldatinnen und Soldaten dieselbe außergewöhnliche rechtliche Bedeutung zu wie den Beihilfevorschriften des Bundes für die Beamtinnen und Beamten. Das Bundesverwaltungsgericht habe zwar in dem genannten Urteil angenommen, dass die Verwaltungsvorschriften noch für einen Übergangszeitraum weiter anwendbar seien. Dies komme aber nur in Betracht, soweit sie sich entsprechend ihrem Charakter als untergesetzliche Vorschriften im Rahmen des normativen Programms hielten. Sie dürften den gesetzlich zuerkannten Anspruch auf unentgeltliche truppenärztliche Versorgung konkretisieren und Zweifelsfälle im Sinne einer einfachen und gleichartigen Handhabung klären oder die Ausübung vorhandener Ermessens- oder Beurteilungsspielräume lenken, aber nicht selbstständig Leistungsausschlüsse oder Leistungseinschränkungen schaffen. Dies sei hier aber der Fall gewesen.
Rz. 5
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 69 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BBesG und des § 30 Abs. 1 Satz 2 Soldatengesetz.
Rz. 6
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 7
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das angegriffene Urteil steht mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) in Einklang. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht angenommen, dass der Klägerin dem Grunde nach ein Anspruch auf Kostenübernahme gegen die Beklagte zusteht. Dieser Anspruch findet seine rechtliche Grundlage in der Gewährleistung unentgeltlicher truppenärztlicher Versorgung nach § 69 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) – hier anwendbar in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juni 2009 (BGBl I S. 1434) – i.V.m. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG in der Fassung vom 25. Juni 2009 (VMBl 2009 S. 85).
Rz. 8
Dabei ist der Verwaltungsgerichtshof zutreffend davon ausgegangen, dass die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG nicht den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts genügt (1.), diese Bestimmungen über die truppenärztliche Versorgung aber gleichwohl für eine Übergangszeit grundsätzlich Anwendung finden (2.). Er hat weiter ohne Rechtsverstoß angenommen, dass die in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG aufgenommenen Leistungsbeschränkungen, die den Zweck der truppenärztlichen Versorgung auf die Erhaltung oder Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten begrenzen und Maßnahmen der künstlichen Befruchtung von der Versorgung ausnehmen, nicht übergangsweise anzuwenden sind (3.) und die Klägerin dem Grunde nach die Übernahme der Behandlungskosten für die homologe In-vitro-Fertilisation beanspruchen kann (4.).
Rz. 9
1. Die Bestimmungen über die truppenärztliche Versorgung in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG haben im maßgeblichen Zeitraum des Entstehens der im Streit stehenden Aufwendungen den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts nicht entsprochen und entsprechen ihnen auch derzeit nicht.
Rz. 10
a) Maßgeblich für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs auf Übernahme von Kosten im Rahmen der truppenärztlichen Versorgung ist – wie beim beihilferechtlichen Kostenerstattungsanspruch – die Sach- und Rechtslage des Entstehens der Aufwendungen (vgl. Urteil vom 15. Dezember 2005 – BVerwG 2 C 35.04 – BVerwGE 125, 21 = Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 17 jeweils Rn. 11). Deshalb ist hier auf den Zeitraum der Rechnungsstellung für die ärztliche Behandlung der Klägerin in Gestalt der homologen In-vitro-Fertilisation abzustellen, die 2010 stattfand und im Laufe dieses Jahres abgewickelt wurde.
Rz. 11
Der nach § 69 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BBesG gewährte Anspruch auf unentgeltliche truppenärztliche Versorgung gehört zu den Sachbezügen der Soldatinnen und Soldaten (§ 30 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten – Soldatengesetz ≪SG≫ in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Mai 2005 ≪BGBl I S. 1482≫, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Februar 2009 ≪BGBl I S. 160≫). Nähere Bestimmungen zum Umfang des Anspruchs auf truppenärztliche Versorgung und zur Art und Weise seiner Verwirklichung sind in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG getroffen worden. Das gilt grundsätzlich auch für die Frage, in welchen Fällen eine Behandlung außerhalb der Versorgung durch Truppenärzte stattfinden darf. Das Bestehen und der Umfang eines Anspruchs kann regelmäßig nur aus der gesetzlichen Regelung in Verbindung mit der hierzu erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift hergeleitet werden (vgl. Urteil vom 27. November 2003 – BVerwG 2 C 38.02 – BVerwGE 119, 265 ≪266≫ = Buchholz 240 § 69 BBesG Nr. 6 S. 5).
Rz. 12
b) Das danach in wesentlichen Punkten durch Verwaltungsvorschriften gesteuerte Regelungssystem über die truppenärztliche Versorgung im Jahr 2010 genügt nicht dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, der sich aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystem des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) ergibt.
Rz. 13
aa) Dieser Grundsatz verlangt, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden normativen Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert wird. Der parlamentarische Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, und darf sie nicht anderen Normgebern oder dem Verwaltungsvollzug überlassen. Wann danach eine Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber erforderlich ist, lässt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen (Urteil vom 19. Juli 2012 – BVerwG 5 C 1.12 – BVerwGE 143, 363 = Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 42 jeweils Rn. 12 m.w.N.).
Rz. 14
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gilt der Vorbehalt des Gesetzes auch für das Beihilferecht (Urteile vom 17. Juni 2004 – BVerwG 2 C 50.02 – BVerwGE 121, 103 ≪105≫ = Buchholz 232 § 79 BBG Nr. 123 S. 9, vom 20. März 2008 – BVerwG 2 C 49.07 – BVerwGE 131, 20 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 94 jeweils Rn. 11 f. und vom 19. Juli 2012 a.a.O. jeweils Rn. 12). Ob und welche Leistungen der Dienstherr im Falle von Krankheit und Pflegebedürftigkeit erbringt, ist für den Beamten und seine Familie von herausragender Bedeutung. Die Leistungen gestalten den Fürsorgegrundsatz aus und bestimmen mit über das dem Beamten gewährte Niveau der Alimentation. Die persönlichen Rechtsverhältnisse der Beamten, die insoweit nicht Teil der Staatsorganisation sind und auch nicht in einem “besonderen Gewaltverhältnis” stehen, hat der parlamentarische Gesetzgeber normativ zu gestalten. Der Gesetzgeber selbst hat in der Bandbreite seiner verfassungsrechtlichen Möglichkeiten das Leistungssystem zu bestimmen, das dem Beamten und seiner Familie Schutz im Falle von Krankheit und Pflegebedürftigkeit bietet, festzulegen, welche “Risiken” erfasst werden, für welche Personen Leistungen beansprucht werden können, nach welchen Grundsätzen Leistungen erbracht und bemessen oder ausgeschlossen werden und welche zweckidentischen Leistungen und Berechtigungen Vorrang haben (Urteil vom 17. Juni 2004 a.a.O. S. 110). Ferner muss der parlamentarische Gesetzgeber die Verantwortung für wesentliche Einschränkungen des Beihilfestandards übernehmen. Ansonsten könnte die Exekutive das durch die Besoldungs- und Versorgungsgesetze festgelegte Alimentationsniveau durch Streichungen und Kürzungen von Beihilfeleistungen eigenmächtig absenken (Urteile vom 20. März 2008 a.a.O. jeweils Rn. 11 und vom 19. Juli 2012 a.a.O. jeweils Rn. 13).
Rz. 15
bb) Die vorgenannten Grundsätze, die in entsprechender Weise für das Heilfürsorgerecht der Bundespolizei gelten (Urteil vom 12. September 2013 – BVerwG 5 C 33.12 – Rn. 14 zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen), sind auch auf die truppenärztliche Versorgung der Soldatinnen und Soldaten zu übertragen. Zwar deckt diese – anders als die Beihilfe, aber vergleichbar mit der Heilfürsorge für die Bundespolizei – nur die Ansprüche der Soldatinnen und Soldaten im Krankheits- und Pflegefall ab und sichert grundsätzlich nicht deren Angehörige. Zudem unterscheidet sie sich insoweit von der Beihilfe, als – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – der Dienstherr bei der Beihilfe nur einen Teil der Aufwendungen für Heilfürsorgemaßnahmen übernimmt und die Beamtin oder der Beamte den verbleibenden Teil durch Eigenvorsorge zu bestreiten hat, während die truppenärztliche Versorgung grundsätzlich die gesamte Heilfürsorge abdeckt, die den Soldatinnen und Soldaten unentgeltlich erbracht wird und nicht zwingend einer Ergänzung durch deren Eigenvorsorge bedarf. Auch insoweit besteht eine Parallele zur Heilfürsorge der Bundespolizei, die – abgesehen von Zuzahlungen – grundsätzlich die gesamten Aufwendungen erfasst. Eine Besonderheit der truppenärztlichen Versorgung liegt ferner darin, dass sie grundsätzlich als Sachleistung gewährt wird (§ 30 Abs. 1 Satz 2 SG), d.h. die gesundheitsvorbeugenden, gesundheitserhaltenden und gesundheitswiederherstellenden Maßnahmen vorrangig von der Beklagten mit eigenem Personal, in eigenen Einrichtungen und mit eigenem Material durchgeführt werden (Urteil vom 27. November 2003 a.a.O. S. 267).
Rz. 16
Gleichwohl ist die Ausgestaltung der truppenärztlichen Versorgung – was das Bundesverwaltungsgericht bereits im Urteil vom 27. November 2003 (a.a.O. S. 267) hervorgehoben hat – für die Soldatinnen und Soldaten von ebenso herausragender Bedeutung wie die Ausgestaltung der Beihilfe für die Beamtinnen und Beamten. Der grundsätzliche Anspruch auf Leistungen der Heilfürsorge in Form der truppenärztlichen Versorgung und deren Umfang bestimmen die Qualität der Versorgung bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Dabei ist der Inhalt der Verwaltungsvorschriften von erheblicher Tragweite und lässt sich nicht darauf beschränken, Auslegungshilfe zu sein, Ermessen zu lenken oder Beurteilungsspielräume auszufüllen. Für die Soldatinnen und Soldaten hat die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG dieselbe außergewöhnliche rechtliche Bedeutung wie die Beihilfevorschriften für die Beamtinnen und Beamten. Sie regelt den Umfang der Leistungen, die zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit erbracht werden. Die Erhaltung der physischen und psychischen Integrität der Soldatinnen und Soldaten ist ein Schutzgut von hohem Rang, dessen Wahrung nicht nur der Verteidigungsauftrag der Bundeswehr, sondern auch die Fürsorgepflicht gebietet (Urteil vom 27. November 2003 – BVerwG 2 C 38.02 – BVerwGE 119, 265 ≪267≫ = Buchholz 240 § 69 BBesG Nr. 6 S. 5). Dabei ist für die Soldatinnen und Soldaten ebenfalls von wesentlicher Bedeutung, welche Leistungsstandards die truppenärztliche Versorgung umfasst, welche Leistungsbegrenzungen sie enthält und ob und inwieweit sie neben dem Zugang zu der vom Dienstherrn bereit gestellten Versorgung auch eine Inanspruchnahme der kassenärztlichen oder privatärztlichen Versorgung ermöglicht und dafür eine Kostenübernahme gewährt.
Rz. 17
Diese Fragen prägen Art und Umfang der vom Dienstherrn gewährten medizinischen Fürsorge. Ferner bestimmen sie das den Soldatinnen und Soldaten gewährte Alimentationsniveau mit. Je nach Umfang und Qualität der truppenärztlichen Versorgung können auch eigene ergänzende Heilfürsorgekosten anfallen und kann gegebenenfalls die Notwendigkeit entstehen, das Kostenrisiko durch eine zusätzliche private Krankheits- und Pflegefallvorsorge abzusichern. Die bislang im Wesentlichen den Verwaltungsvorschriften vorbehaltenen Regelungen über die Ausgestaltung der truppenärztlichen Versorgung haben nach alledem trotz der aufgezeigten Unterschiede eine den Beihilfe- bzw. Heilfürsorgevorschriften vergleichbare Bedeutung. Daher erfordert es der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, dass auch im Bereich der truppenärztlichen Versorgung der parlamentarische Gesetzgeber zumindest die tragenden Strukturprinzipien und wesentlichen Einschränkungen der Versorgung selbst regelt (vgl. Urteile vom 17. Juni 2004 a.a.O. S. 110 bzw. S. 14 und vom 19. Juli 2012 a.a.O. Rn. 13).
Rz. 18
cc) Diesen Anforderungen genügen die im Jahr 2010 und darüber hinaus geltenden Regelungen über die truppenärztliche Versorgung nicht. Die Einwände der Beklagten, dass dies anders sei, weil im Gegensatz zu den vom Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 17. Juni 2004 a.a.O.) beanstandeten Beihilfevorschriften für den Erlass von allgemeinen Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der truppenärztlichen Versorgung eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage in § 69 Abs. 4 BBesG bestehe und mit den gesetzlichen Regelungen (§ 69 Abs. 2 BBesG und § 30 Abs. 1 und § 31 SG) der Versorgungsrahmen der unentgeltlichen Vollversorgung sowie die tragenden Strukturprinzipien abgesteckt seien, greifen nicht durch.
Rz. 19
Aus der gesetzlichen Regelung des § 69 Abs. 2 BBesG lässt sich lediglich entnehmen, wer anspruchsberechtigt ist (nämlich Soldatinnen und Soldaten) und durch welche Einrichtung (nämlich durch die Truppenärztinnen und -ärzte) die Leistungen der Heilfürsorge grundsätzlich – und zwar als Sachleistung (§ 30 Abs. 1 Satz 2 SG) – zu erbringen sind und dass dies unentgeltlich zu erfolgen hat. Damit sind aber der für die Betroffenen gerade auch bedeutsame Umfang der Leistungen bzw. der Leistungsstandards sowie etwaige Leistungseinschränkungen nicht gesetzlich vorgegeben, sondern von der weiteren Ausgestaltung abhängig. Inhaltliche Maßstäbe für die zu gewährenden medizinischen und sonstigen Leistungen und dafür, in welchem Umfang diese zwingend durch eigenes truppenärztliches Personal zu erbringen sind oder auf Leistungserbringer außerhalb der Bundeswehr zurückgegriffen und gegebenenfalls Kostenerstattung verlangt werden kann, sind in den gesetzlichen Regelungen nicht enthalten.
Rz. 20
Ohne die Bestimmungen in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 BBesG, welche den Inhalt der truppenärztlichen Versorgung festlegen, wäre sowohl für die Betroffenen unklar als auch im Verwaltungsvollzug kaum zu ermitteln, welche Ansprüche im Einzelfall bestehen und wie weit die Versorgung reicht. Das gilt etwa für die in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 BBesG teilweise bis ins Detail geregelten Bereiche der ambulanten Untersuchung und Behandlung (§ 4), der Krankenhausbehandlung (§ 5), der Kuren (§ 6), der physikalisch-medizinischen Leistungen (§ 7), der zahnärztlichen Behandlung (§ 8), der Behandlung in Notfällen – insbesondere durch Privatärzte außerhalb der bundeswehreigenen Einrichtungen (§ 9), der Versorgung mit Arzneimitteln, Medizinprodukten, Hilfsmitteln und Sehhilfen (§ 10), der häuslichen Krankenpflege (§ 11), der Familien- und Haushaltshilfe (§ 12), der Pflegekosten bei dauernder Pflegebedürftigkeit (§ 13), der Behandlung während eines dienstlichen oder privaten Aufenthaltes im Ausland (§ 14 f.), der Krankentransporte und des Ersatzes von Reiseauslagen (§ 16), des Verpflegungsgeldes (§ 17) sowie der Reisebeihilfen (§ 18).
Rz. 21
Zwar hat der Gesetzgeber versucht, mit der Änderung des § 31 SG im Jahre 2009 auf das normative Regelungsdefizit zu reagieren. Die Einfügung des § 31 Abs. 2 bis 6 SG mit Wirkung zum 12. Februar 2009 (BGBl I S. 160) war im Wesentlichen dadurch motiviert, dass damit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2004 (a.a.O.) zum normativen Defizit im Bereich der Beihilfe für die Statusgruppe der Soldatinnen und Soldaten Rechnung getragen werden sollte (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 18. Juli 2006 – BTDrucks 16/2253 S. 17). Nach § 31 Abs. 2 SG sind nunmehr § 80 des Bundesbeamtengesetzes und die auf der Grundlage des Absatzes 4 dieser Vorschrift erlassene Rechtsverordnung unter anderem auch auf Soldaten, die Anspruch auf Dienstbezüge haben, sowie auf Versorgungsempfänger entsprechend anzuwenden. Mit den Änderungen des § 31 Abs. 2 bis 6 SG sind insoweit gesetzliche Regelungen für die Beihilfeberechtigung und entsprechende Anwendung der Beihilfevorschriften des Bundes geschaffen worden, die zuvor nur in Verwaltungsvorschriften geregelt waren (vgl. die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 31 des Soldatengesetzes über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen an Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit der Bundeswehr in der Fassung vom 8. Oktober 1985 ≪VMBl 1985 S. 302≫). Vorgaben und Bestimmungen über die Ausgestaltung der truppenärztlichen Versorgung im Sinne des § 69 Abs. 2 BBesG enthalten die gesetzlichen Regelungen in § 31 Abs. 2 bis 6 SG hingegen nicht.
Rz. 22
Das fehlende Regelungsprogramm für die inhaltliche Ausgestaltung der truppenärztlichen Versorgung enthält allein die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG. Sie gestaltet weitgehend originär das Maß und die Standards der truppenärztlichen Versorgung, indem sie ein System von Sachleistungen konstituiert, die leistungsbegründenden Anlässe definiert, den Leistungsumfang bestimmt und die Konkurrenzsituation mit anderen Leistungen löst, indem sie etwa vorsieht, in welchen Fällen auf eine privatärztliche Versorgung bzw. eine Versorgung außerhalb der Bundeswehrkrankenhäuser zurückgegriffen werden darf. Sie genügt jedoch als rein administrative Bestimmung nicht dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes. Auch die in § 69 Abs. 4 BBesG enthaltene Bestimmung, die das Bundesministerium der Verteidigung ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern allgemeine Verwaltungsvorschriften zu erlassen, ist keine Ermächtigung zum Erlass von Normen im formellen Sinne (vgl. Urteil vom 17. Juni 2004 a.a.O. S. 110 bzw. S. 14).
Rz. 23
2. Trotz des Verstoßes gegen den Gesetzesvorbehalt ist für eine Übergangszeit davon auszugehen, dass die Bestimmungen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 BBesG im Rahmen der truppenärztlichen Versorgung grundsätzlich weiter anzuwenden waren und vorerst anzuwenden sind. Mit der Zulassung einer übergangsweisen Anwendung der Verwaltungsvorschriften wie Rechtsnormen ist gewährleistet, dass die Leistungen für die Soldatinnen und Soldaten im Fall der Krankheit und Pflegebedürftigkeit nach einem einheitlichen Handlungsprogramm erbracht werden, das hinsichtlich des Inhalts in der Regel keinen Anlass zu Beanstandungen aus der Sicht höherrangigen Rechts geboten hat. Eine andere Beurteilung dürfte erst dann angezeigt sein, wenn der Gesetzgeber in einem überschaubaren Zeitraum seiner Normierungspflicht nicht nachkommt und dadurch eine andere Vorgehensweise erzwingt (vgl. Urteile vom 17. Juni 2004 a.a.O. S. 111 bzw. S. 15 und vom 26. Juni 2008 – BVerwG 2 C 2.07 – BVerwGE 131, 234 = Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 17 jeweils Rn. 9 f.).
Rz. 24
Auch insoweit sind mithin die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Beihilferecht entwickelten und zuletzt zum Heilfürsorgerecht für die Bundespolizei konkretisierten Grundsätze (Urteil vom 12. September 2013 – BVerwG 5 C 33.12 – Rn. 17 f. zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen) entsprechend heranzuziehen. Die übergangsweise Anwendbarkeit von Leistungsausschlüssen und Leistungseinschränkungen setzt danach voraus, dass die jeweilige Regelung nicht aus anderen Gründen gegen höherrangiges Recht verstößt (vgl. Urteile vom 26. Juni 2008 a.a.O. jeweils Rn. 12, vom 24. Februar 2011 – BVerwG 2 C 9.10 – juris Rn. 9 und vom 12. September 2013 a.a.O. Rn. 19). Zudem war und ist in entsprechender Übertragung der in den vorgenannten Entscheidungen statuierten Grundsätze die Verwaltung, d.h. hier das Bundesministerium der Verteidigung, das im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen kann (§ 69 Abs. 4 BBesG), nicht berechtigt, durch Änderungen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG das vor Beginn des Übergangszeitraums bestehende Recht der truppenärztlichen Versorgung zum Nachteil der Soldatinnen und Soldaten zu reformieren (vgl. zuletzt zum Heilfürsorgerecht der Bundespolizei: Urteil vom 12. September 2013 a.a.O. Rn. 19).
Rz. 25
a) Der danach zu berücksichtigende Zeitraum der übergangsweisen Anwendung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG, d.h. der maßgebliche Übergangszeitraum, in dem der Gesetzgeber grundsätzlich zum Handeln aufgefordert ist und die Verwaltung einer Veränderungssperre im Hinblick auf neue systemverändernde Beschränkungen zu Lasten der Soldatinnen und Soldaten unterlag, begann Mitte 2004 und erfasste somit auch den Zeitraum des Jahres 2010, in dem die streitbefangenen Aufwendungen der Klägerin entstanden sind.
Rz. 26
Die erhöhten Anforderungen an die administrative Rechtssetzung durch Verwaltungsvorschriften im Bereich der Beihilfe sind mit der Verkündung des grundlegenden Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2004 (a.a.O.) eingetreten. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht in den nachfolgenden Entscheidungen darauf abgestellt, ob die Einschränkungen und Leistungsausschlüsse bei Verkündung des Urteils vom 17. Juni 2004 bereits Bestandteil des vorhandenen Beihilfeprogramms waren (Urteile vom 26. Juni 2008 a.a.O. jeweils Rn. 11; vom 26. August 2009 – BVerwG 2 C 62.08 – Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 20 Rn. 9 und vom 6. November 2009 – BVerwG 2 C 60.08 – juris Rn. 12). Da dem Urteil vom 17. Juni 2004 für die administrative Normsetzung im Heilfürsorgerecht in öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen überhaupt – und daher auch in dem mit der Beihilfe verwandten Bereich der truppenärztlichen Versorgung – eine Pilot- und Warnfunktion zukam, ist es maßgeblich für den Zeitpunkt, ab dem die Verwaltung nicht mehr frei war, gewichtige Einschnitte in das bis dahin geltende Versorgungssystem vorzunehmen, ohne dass dies durch eine gesetzgeberische Entscheidung normativ vorgegeben war.
Rz. 27
Mit dem Urteil vom 17. Juni 2004 zum Beihilferecht war auch für das Recht der truppenärztlichen Versorgung objektiv erkennbar, dass in diesem Bereich die bloße Regelung durch Verwaltungsvorschriften nicht den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts entsprach. Dies ist auch in der Rechtsprechung und im Fachschrifttum so gesehen worden (vgl. neben den Urteilen der Vorinstanzen OVG Lüneburg, Beschluss vom 30. September 2009 – 5 LA 30/08 – juris Rn. 7; Dawin, in: Kugele ≪Hrsg.≫, BBesG – Kommentar zum Bundesbesoldungsgesetz, 1. Aufl. 2011, § 70 Rn. 8; Plog/Wiedow, BBG, Stand: 2010, § 69 BBesG Rn. 13; Vogelgesang, in: Fürst, GKÖD Bd. I, Stand: 2010, § 30 SG Rn. 2). Trotz der Unterschiede in der Ausgestaltung beider Bereiche weisen diese – wie bereits dargelegt – im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Kernfragen so viele Gemeinsamkeiten auf, dass es auf der Hand lag, die zum Beihilferecht aus dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts zu entnehmenden Anforderungen und Folgen auf das Recht der truppenärztlichen Versorgung zu übertragen. Zwar hat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das verfassungsrechtliche Regelungsdefizit – ebenso wie bei der Beihilfe – im Bereich der truppenärztlichen Versorgung noch bis zum Jahre 2003 hingenommen. Mit der Grundsatzentscheidung vom 17. Juni 2004 (BVerwG 2 C 50.02 – BVerwGE 121, 103 ≪105≫ = Buchholz 232 § 79 BBG Nr. 123 S. 9) war jedoch aus verfassungsrechtlicher Sicht für den fachkundigen Beobachter zu erkennen, dass die Phase des Hinnehmens nunmehr beendet sein sollte.
Rz. 28
Administrative Bestimmungen können daher – wie der Verwaltungsgerichtshof zu Recht angenommen hat – auch dann nicht angewandt werden, wenn und soweit die Verwaltung im zurückliegenden Übergangszeitraum Leistungsausschlüsse und Leistungseinschränkungen statuiert hat, die nicht mehr als Konkretisierung des in der gesetzlichen Regelung und den bis zum Beginn des Übergangszeitraums in den Verwaltungsvorschriften angelegten normativen Programms begriffen werden können, sondern die sich als Begrenzungen oder Entziehungen von Begünstigungen darstellen, die so gewichtig sind, dass sie der Gesetzgeber selbst hätte treffen müssen. Mit dieser Bindung der administrativen Normsetzung an den Gesetzesvorbehalt wird verhindert, dass im (zurückliegenden) Übergangszeitraum von der Exekutive grundlegende oder im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn und den Gleichheitssatz bedeutsame neue Einschnitte in die bis dahin gewährten Leistungsrechte vorgenommen werden, ohne dass dies durch eine hinreichend bestimmte gesetzgeberische Entscheidung gedeckt ist.
Rz. 29
b) Mit der Verkündung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2004 war zwar der Gesetzgeber aufgefordert, für die truppenärztliche Versorgung eine ausreichende gesetzliche Grundlage zu schaffen. Der Zeitraum, nach dessen Ablauf die Missachtung dieser Handlungspflicht zur Folge hat, dass die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 69 BBesG nicht mehr angewendet werden dürfen, beginnt aber – wie im Bereich des Beihilfe- und Heilfürsorgerechts – erst, nachdem die Überprüfung durch ein oberstes Bundesgericht zu der Feststellung geführt hat, dass eine mit dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts unvereinbare Rechtslage vorliegt. Denn die gerichtliche Beanstandung eines Regelungsdefizits, die mit der Bestimmung verbunden ist, wann der Übergangszeitraum für den Gesetzgeber abläuft, kann sich aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit immer nur auf die im jeweiligen Verfahren beanstandete Normierungslücke beziehen (Urteil vom 12. September 2013 – BVerwG 5 C 33.12 – Rn. 18 zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen). Eine derartige Beanstandung des Regelungsdefizits auf dem Gebiet der truppenärztlichen Versorgung ist erst mit der vorliegenden Entscheidung des Senats verbunden.
Rz. 30
3. Gemessen an den zuvor dargelegten Grundsätzen ist der Verwaltungsgerichtshof ohne Rechtsverstoß davon ausgegangen, dass die in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG nach dem 17. Juni 2004 aufgenommenen Leistungsbeschränkungen, die den Zweck der truppenärztlichen Versorgung auf die Erhaltung oder Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten begrenzen und Maßnahmen der künstlichen Befruchtung von der Versorgung ausnehmen, nicht übergangsweise anzuwenden sind. Diese Einschränkungen waren weder Bestandteil des zu Beginn der Übergangszeit Mitte 2004 vorhandenen Systems der Verwaltungsvorschriften (a) noch entsprachen sie dem vom Gesetzgeber vorgegebenen normativen Programm (b).
Rz. 31
a) Die in Rede stehende Zweckbegrenzung in § 2 Abs. 1 Satz 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG ist mit der Neufassung vom 14. Februar 2007 (VMBl 2007 S. 57) in dieses Regelwerk aufgenommen worden. Zuvor gab es den Zweckvorbehalt nicht. Vielmehr war die truppenärztliche Versorgung jedenfalls seit Erlass der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 31 SG vom 8. Oktober 1985 (VMBl S. 302) und der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG vom 22. Oktober 1990 (VMBl S. 454) nicht mehr darauf beschränkt, die Wehrdienstfähigkeit zu erhalten und wiederherzustellen (Urteil vom 27. November 2003 – BVerwG 2 C 38.02 – BVerwGE 119, 265 ≪268≫ = Buchholz 240 § 69 BBesG Nr. 6 S. 4 ≪7≫).
Rz. 32
Ebenso ist der Ausschluss für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in § 2 Abs. 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG erst mit Erlass vom 21. Oktober 2004 (VMBl S. 150) mit Wirkung ab 1. Dezember 2004 eingeführt worden. Bis dahin umfasste der Anspruch auf unentgeltliche truppenärztliche Versorgung alle zur Behandlung einer Erkrankung spezifisch erforderlichen medizinischen Leistungen und schloss deshalb grundsätzlich auch die Übernahme der Kosten einer (homologen) In-vitro-Fertilisation und eines anschließenden Embryonentransfers ein (Urteil vom 27. November 2003 a.a.O. S. 268 f.).
Rz. 33
Die zuvor genannten, vom Bundesministerium der Verteidigung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern Ende 2004 und Anfang 2007 vorgenommenen Änderungen der Verwaltungsvorschriften stellen sich als gewichtige Einschnitte in das bis dahin praktizierte System der truppenärztlichen Versorgung dar. Sie führen in den betroffenen Fällen zu einem Ausschluss der Versorgung und bürden die nicht unerheblichen Kosten insbesondere einer medizinischen Behandlung zum Zwecke der künstlichen Befruchtung den Soldatinnen und Soldaten auf. Mit diesem neuen Ausschlusstatbestand berühren sie die Struktur des bis Ende 2004 praktizierten Systems der truppenärztlichen Versorgung. Die Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen eine Unterstützung in Form der truppenärztlichen Versorgung gänzlich zu versagen ist, ist grundsätzlicher Natur und an sich vom parlamentarischen Gesetzgeber zu treffen. Sie muss deshalb zumindest im normativen Programm angelegt sein. Dies gilt nicht nur für die Grundsatzentscheidung, dass nur Leistungen erbracht werden, die dazu dienen, die Dienst- und Einsatzfähigkeit zu erhalten und wiederherzustellen, sondern auch für die damit zusammenhängende Entscheidung, ob und in welchem Umfang Maßnahmen, die der Familienplanung (insbesondere der künstlichen Befruchtung) dienen, von der Versorgung im Krankheitsfall ausgenommen werden sollen.
Rz. 34
b) Die Beschränkung der truppenärztlichen Versorgung auf Maßnahmen, die der Erhaltung und Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten dienen, ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht bereits begrifflich aus der gesetzlichen Bestimmung des § 69 Abs. 2 BBesG selbst abzuleiten oder in der Ermächtigung zum Erlass von Verwaltungsvorschriften (§ 69 Abs. 4 BBesG) angelegt.
Rz. 35
Dem Wortlaut des § 69 Abs. 2 BBesG ist ein solcher Zweckvorbehalt nicht immanent. Unentgeltliche truppenärztliche Versorgung ist vom Sprachsinn her zwar auf die Versorgung durch truppeneigenes medizinisches Personal zugeschnitten, nicht aber notwendig durch das Behandlungsziel der Wiederherstellung oder Erhaltung der Dienst- und Einsatzfähigkeit begrenzt. Auch die Ermächtigung zum Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften in § 69 Abs. 4 BBesG enthält in dieser Richtung keinerlei normative Vorgaben, die auf eine entsprechende Zweckbegrenzung hindeuten und den Inhalt der Verwaltungsvorschriften steuern.
Rz. 36
Aus dem Zusammenhang, in den die gesetzliche Regelung des § 69 Abs. 2 und 4 BBesG gestellt ist, lassen sich ebenfalls keine Schlüsse für eine solche Zweckbegrenzung ziehen. Vielmehr deutet der Vergleich zu der gesetzlichen Regelung über die Heilfürsorge für die Bundespolizei darauf hin, dass ein entsprechender Zweckvorbehalt nicht im Gesetz angelegt ist. § 70 Abs. 2 BBesG in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juni 2009 (BGBl I S. 1434), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. April 2011 (BGBl I S. 678), bestimmt, dass den Polizeivollzugsbeamten der Bundespolizei Heilfürsorge zu gewähren ist, ohne dass dabei eine Begrenzung auf Heilfürsorgemaßnahmen vorgenommen wird, die der Erhaltung und Wiederherstellung der (Polizei-)Dienstfähigkeit dienen.
Rz. 37
Der Zweck der durch § 69 Abs. 2 BBesG gewährleisteten unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung spricht ebenfalls gegen eine solche Begrenzung. Zwar beruht die truppenärztliche Versorgung auch auf der Überlegung, dass den Soldatinnen und Soldaten besondere körperliche Leistungen abverlangt werden und ist insoweit darauf ausgerichtet, ihnen die medizinischen Leistungen zukommen zu lassen, die erforderlich sind, um ihre Wehrdienst- und Einsatzfähigkeit zu erhalten (Urteil vom 24. März 1982 – BVerwG 6 C 95.79 – BVerwGE 65, 184 ≪185≫ = Buchholz 238.4 § 30 SG Nr. 6 S. 8 ≪9≫). Dies entspricht den Interessen des Dienstherrn und liegt auch im öffentlichen Interesse. Zugleich bezweckt die truppenärztliche Versorgung aber die Gewährung einer umfassenden medizinischen Versorgung im Interesse der Soldatinnen und Soldaten. Sie stellt insoweit die dem Wehrdienst gemäße Form der Heilfürsorge dar, die der Erfüllung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber den Soldatinnen und Soldaten dient (Urteile vom 24. Februar 1982 – BVerwG 6 C 8.77 – BVerwGE 65, 87 ≪90≫ = Buchholz 238.4 § 30 SG Nr. 5 S. 1 ≪4≫ und vom 27. November 2003 a.a.O. S. 267). Dieser zuletzt genannte Zweck der Absicherung im Krankheitsfall aus Fürsorgegründen kann auch die Gewährung von Leistungen gebieten oder zumindest rechtfertigen, die als Heilbehandlungen notwendig sind, aber nicht (unmittelbar) der Erhaltung oder Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit dienen.
Rz. 38
Auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergeben sich für die gegenteilige Auslegung der Beklagten keine hinreichenden Anhaltspunkte. Ein historisch entstandenes und mit der genannten Zwecksetzung verbundenes enges Verständnis des Gesetzesbegriffs der truppenärztlichen Versorgung lässt sich nicht feststellen. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass bei der Einführung der Regelung im Bundesbesoldungsgesetz (damals § 32 BBesG) im Jahr 1956 nicht die ursprünglich im Entwurf der Bundesregierung vorgesehenen Worte der “ärztlichen Behandlung”, sondern aufgrund eines Änderungsvorschlages des Bundesrates die der “truppenärztlichen Versorgung” Eingang in das Gesetz gefunden haben (vgl. BTDrucks 2/1993 vom 29. Dezember 1955, S. 11, 62, 65), lassen sich daraus für die hier in Rede stehende Frage keine Schlüsse ziehen. Daraus kann allein gefolgert werden, dass sich die Heilfürsorge für Soldatinnen und Soldaten nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich auf die Betreuung durch Truppenärztinnen und -ärzte beschränken, nicht aber, dass diese Betreuung allein der Wiederherstellung der Dienst- und Einsatzfähigkeit dienen sollte.
Rz. 39
Zwar ist die frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangen, dass die truppenärztliche Versorgung nur solche ärztlichen Maßnahmen umfasse, die zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Wehrdienstfähigkeit des Soldaten selbst erforderlich seien (vgl. Urteil vom 24. Februar 1982 a.a.O.). Diese Begrenzung war jedoch nicht das Ergebnis einer Auslegung der gesetzlichen Regelung des § 69 Abs. 2 und 4 BBesG, sondern der dazu ergangenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift, deren Bestimmungen nach dieser Rechtsprechung quasi-normativer Charakter beizumessen war und die wie revisible Rechtsnormen auszulegen und als geeignet betrachtet worden waren, den gesetzlichen Anspruch auf freie Heilfürsorge zu konkretisieren und auszugestalten (Urteile vom 30. Mai 1996 – BVerwG 2 C 3.95 – Buchholz 236.1 § 30 SG Nr. 7, vom 22. März 2001 – BVerwG 2 C 36.00 – Buchholz 240 § 69 BBesG Nr. 4 und vom 27. November 2003 – BVerwG 2 C 38.02 – BVerwGE 119, 265 ≪266 f.≫ = Buchholz 240 § 69 BBesG Nr. 6 S. 4 ≪7≫). Weil die Verwaltungsvorschriften später Änderungen erfahren haben, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch die vormals angenommene immanente Zweckbegrenzung der truppenärztlichen Versorgung, d.h. die Beschränkung auf die Erhaltung oder Wiederherstellung der Wehrdienstfähigkeit, aufgegeben worden (Urteil vom 27. November 2003 a.a.O. S. 268).
Rz. 40
4. Auf der Grundlage der zuvor dargelegten Maßstäbe steht der Klägerin dem Grunde nach ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Behandlungsmaßnahme der homologen In-vitro-Fertilisation gegen die Beklagte nach § 69 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BBesG i.V.m. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG zu.
Rz. 41
a) Der Verwaltungsgerichtshof ist – was auch von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen worden ist – zutreffend davon ausgegangen, dass dann, wenn eine bestimmte Heilbehandlung vom Anspruch auf truppenärztliche Versorgung nach den vorgenannten Regelungen umfasst wird, der Dienstherr die Kosten für eine entsprechende Behandlung außerhalb der Bundeswehr zu übernehmen hat, wenn – wie hier – eine Behandlung durch Truppenärzte oder in bundeswehreigenen Einrichtungen nicht in Betracht kommt (Urteil vom 27. November 2003 a.a.O. S. 266; vgl. ferner etwa OVG Münster, Urteil vom 2. Juli 2007 – 1 A 5162/05 – juris Rn. 44 f.).
Rz. 42
b) Die ärztliche Behandlung der Klägerin erfüllt dem Grunde nach auch die Anspruchsvoraussetzungen der übergangsweise anzuwendenden Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG. Danach umfasst die truppenärztliche Versorgung alle notwendigen und angemessenen Maßnahmen zur Gesunderhaltung, Verhütung und frühzeitigen Erkennung von gesundheitlichen Schäden sowie die zur Behandlung einer Erkrankung spezifisch erforderlichen medizinischen Leistungen; sie erfasst damit alle regelwidrigen Körper- und Geisteszustände, die einer Behandlung bedürftig und einer Therapie zugänglich sind.
Rz. 43
aa) Die Unfruchtbarkeit der Klägerin, d.h. ihre körperliche Einschränkung, auf natürlichem Wege keine genetisch eigenen Nachkommen empfangen zu können, ist eine Erkrankung im vorgenannten Sinne. Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht bereits im Urteil vom 27. November 2003 (a.a.O. S. 268) ausgeführt, dass die organisch bedingte Sterilität – wie sie nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs auch bei der Klägerin vorliegt – einen regelwidrigen Körperzustand darstellt, der von der generell bestehenden Fortpflanzungsfähigkeit erwachsener Menschen als Normalzustand abweicht.
Rz. 44
Soweit die Beklagte dem unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegen halten will, dass es sich hierbei nicht um eine Erkrankung (im Sinne des Rechts der truppenärztlichen Versorgung) handle, verfängt dies nicht. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich mit der Verfassungsmäßigkeit des § 27a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB V – zu befassen und hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass es sich bei medizinischen Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft um einen Grenzbereich zwischen Krankheit und solchen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen eines Menschen handle, deren Beseitigung oder Besserung durch Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht von vornherein veranlasst sei. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber derartige Maßnahmen nach § 27a SGB V nicht als Behandlung einer Krankheit angesehen, sondern nur den für Krankheiten geltenden Regelungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch unterstellt habe (BVerfG, Urteil vom 28. Februar 2007 – 1 BvL 5/03 – BVerfGE 117, 316 Rn. 35; Beschluss vom 27. Februar 2009 – 1 BvR 2982/07 – NJW 2009, 1733 Rn. 10). Da eine solche gesetzgeberische Entscheidung für den Bereich der truppenärztlichen Versorgung gerade nicht getroffen worden ist, sind die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu § 27a SGB V hierauf nicht übertragbar. Sie stehen der Feststellung, dass die Unfruchtbarkeit eine Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG ist, nicht entgegen.
Rz. 45
bb) Die homologe In-vitro-Fertilisation (unter Einschluss des anschließenden Embryonentransfers) ist – wie das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls bereits im Urteil vom 27. November 2003 (a.a.O. S. 268 f.) entschieden hat – eine zur Behandlung dieser Erkrankung spezifisch erforderliche medizinische Leistung. Denn durch diese Behandlungsmethode soll ein “Funktionsausgleich” geschaffen, d.h. es sollen die Folgen des regelwidrigen Körperzustandes der Frau überwunden werden, indem ihr zu einem genetisch von ihr abstammenden Kind verholfen wird (vgl. auch das Urteil vom 10. Oktober 2013 – BVerwG 5 C 32.12 – zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen).
Rz. 46
Ob alle von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen im vorgenannten Sinne medizinisch notwendig und angemessen sind, wird die Beklagte in der nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu treffenden Entscheidung über das Kostenübernahmebegehren der Klägerin im Einzelfall zu prüfen haben.
Rz. 47
5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Vormeier, Stengelhofen, Dr. Störmer, Dr. Häußler, Dr. Fleuß
Fundstellen
Haufe-Index 6330821 |
BVerwGE 2014, 116 |
FamRZ 2014, 303 |
JZ 2014, 70 |
PersR 2013, 6 |
BayVBl. 2014, 3 |
DVBl. 2013, 3 |
IÖD 2014, 38 |
NZWehrr 2014, 82 |