Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahl der Mitglieder der Ausschüsse des Gemeinderats. verfassungskonforme Auslegung. Verstoß gegen Bundesverfassungsrecht bei der Auslegung von Landesrecht. spiegelbildliche Abbildung der Zusammensetzung des Plenums in den Ausschüssen. Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens. Zulässigkeit eines Zusammenschlusses von mehreren Fraktionen zu einer Zählgemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
Gemeinderatsausschüsse müssen die Zusammensetzung des Plenums und das darin wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum widerspiegeln (wie Urteil vom 27. März 1992 – BVerwG 7 C 20.91 – BVerwGE 90, 104 ≪113≫). Bei der Besetzung der Ausschüsse sind deshalb – zur Erlangung eines zusätzlichen Sitzes gebildete – gemeinsame Vorschläge mehrerer Fraktionen unzulässig.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 2, Art. 28 Abs. 1 Sätze 1-2; GO NRW § 50 Abs. 3
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 26.11.2002; Aktenzeichen 15 A 662/02) |
VG Düsseldorf (Urteil vom 14.12.2001; Aktenzeichen 1 K 7978/99) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. November 2002, soweit nicht das Verfahren eingestellt worden ist, und das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 14. Dezember 2001 werden aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Wahlen vom 20. Oktober 1999 zur Besetzung der Ausschüsse des Beklagten ungültig sind.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die klagende Stadtratsfraktion begehrt die Feststellung, dass die Wahlen der Ausschussmitglieder des beklagten Rates der Stadt rechtswidrig waren.
Seit der Kommunalwahl im September 1999 ist die Klägerin mit sechs von insgesamt 38 Sitzen im Rat der Stadt vertreten. Auf die Fraktion der CDU entfallen 17 Sitze, auf die der SPD 10 Sitze, auf die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen drei Sitze und auf die Fraktion der FDP zwei Sitze. Nachdem der Beklagte beschlossen hatte, sieben Ausschüsse zu bilden und diese mit jeweils 11 Mitgliedern zu besetzen, reichten die Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP einen gemeinsamen Wahlvorschlag ein. Dieser setzte sich aus einer Liste von Kandidaten für die verschiedenen Ausschüsse – bestehend aus jeweils fünf Vertretern der CDU-Fraktion, drei Vertretern der SPD-Fraktion, einem Vertreter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einem Vertreter der FDP-Fraktion – zusammen. Die Klägerin legte einen eigenen Wahlvorschlag vor. Bei der Wahl der Ausschlussmitglieder am 20. Oktober 1999 ergaben sich unter Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens jeweils 10 Sitze für den gemeinsamen Wahlvorschlag und ein Sitz für den Wahlvorschlag der Klägerin. Wäre nach Listen der jeweiligen Fraktionen gewählt worden und das Stimmverhalten entsprechend der Fraktionszugehörigkeit gewesen, wären bei Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens fünf Sitze auf die Fraktion der CDU, drei Sitze auf die Fraktion der SPD, ein Sitz auf die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zwei Sitze auf die Klägerin entfallen, während die Fraktion der FDP unberücksichtigt geblieben wäre.
Mit ihrer Klage hat sich die Klägerin gegen das Verfahren bei der Wahl zur Besetzung der Ratsausschüsse gewandt und vorgetragen: Listenverbindungen mehrerer Fraktionen seien bei Wahlen zur Besetzung der Ratsausschüsse nach § 50 Abs. 3 Satz 3 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) nicht zulässig. Dies folge schon daraus, dass Listenverbindungen bei der Vergabe des Ausschussvorsitzes nach § 58 Abs. 5 Satz 2 GO NRW ausdrücklich zugelassen seien, in § 50 Abs. 3 GO NRW eine entsprechende Regelung jedoch fehle. Im Übrigen verstoße das vom Beklagten angewandte Wahlverfahren gegen Bundesverfassungsrecht.
Mit Urteil vom 14. Dezember 2001 hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 26. November 2002 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Einreichung eines gemeinsamen Wahlvorschlages von mehreren Fraktionen sei mit § 50 Abs. 3 Satz 3 GO NRW vereinbar. Es handele sich um einen Wahlvorschlag “der Fraktionen” im Sinne dieser Vorschrift. Die Gesetzgebungsgeschichte ergebe keine Anhaltspunkte für ein Verbot gemeinsamer Wahlvorschläge. Ein solches Verbot könne auch nicht im Wege der systematischen Auslegung durch einen Umkehrschluss aus § 58 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 GO NRW gefolgert werden. Denn nur bei der dort geregelten Verteilung der Ausschussvorsitze im Wege des Zugriffsverfahrens habe ein Bedürfnis für die Klarstellung bestanden, dass auch Fraktionszusammenschlüsse zulässig seien, weil die Ausschussvorsitze “den Fraktionen” zugeteilt seien und nicht wie im Fall der Ausschusssitze “auf die Wahlvorschläge der Fraktionen” verteilt würden. Die Zulassung gemeinsamer Wahlvorschläge verstoße auch nicht gegen Bundesverfassungsrecht. Zwar schreibe das verfassungsrechtliche Demokratieprinzip über den Homogenitätsgrundsatz des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch für den Bereich der kommunalen Ratsausschüsse vor, dass die Repräsentation der Gemeindebürger im Rat sich auch in den Ausschüssen vollziehen müsse und daher die Ausschüsse als verkleinertes Abbild die Zusammensetzung des Ratsplenums widerspiegeln müssten. Diesen Anforderungen sei aber dadurch Genüge getan, dass jede Fraktion frei gewesen sei, einen Wahlvorschlag zu unterbreiten, und über die eingereichten Wahlvorschläge nach Verhältniswahlgrundsätzen unter Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens abgestimmt worden sei. Die Zulässigkeit gemeinsamer Wahlvorschläge sei auch keine unzulässige doppelte Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens. Vielmehr sei es eine Konsequenz der gesetzgeberischen Entscheidung, dass die Ausschüsse nicht notwendig ein Spiegelbild der Mehrheitsverhältnisse im Rat nach Fraktionen sein müssten, sondern auch ein Spiegelbild der Mehrheitsverhältnisse im Rat über Wahlvorschläge sein könnten. Bundesrecht gebiete keine Spiegelbildlichkeit gerade nach Fraktionen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision der Klägerin, die die Verletzung materiellen Rechts rügt und beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. November 2002, soweit nicht das Verfahren eingestellt worden ist, und das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 14. Dezember 2001 aufzuheben und festzustellen, dass die Wahlen vom 20. Oktober 1999 zur Besetzung der Ausschüsse des Beklagten ungültig sind.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat unter Verletzung von Bundesverfassungsrecht die zulässige Klage für unbegründet gehalten. Die Wahlen zur Besetzung der Ausschüsse des Beklagten vom 20. Oktober 1999 sind ungültig.
Die revisionsgerichtliche Prüfung muss zwar von dem Inhalt der irrevisiblen Vorschriften des Kommunalrechts des Landes ausgehen, den das Berufungsgericht durch Auslegung ermittelt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (§ 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Das Revisionsgericht kann insoweit lediglich nachprüfen, ob Bundesrecht – insbesondere Bundesverfassungsrecht – ein anderes Ergebnis gebietet (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 12. November 1993 – BVerwG 7 C 23.93 – Buchholz 160 Wahlrecht Nr. 38 S. 21 ≪23 f.≫). Dies ist hier aber der Fall:
Das Oberverwaltungsgericht meint, bei der Besetzung von Ausschüssen des Gemeinderats dürften gemäß § 50 Abs. 3 Satz 3 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) mehrere Fraktionen einen gemeinsamen Wahlvorschlag einreichen mit der Folge, dass eine andere Fraktion in den Ausschüssen weniger Sitze erhielte, als dies der Fall wäre, wenn jede Fraktion einen eigenen Vorschlag vorlegen würde. Diese Auslegung ist mit Bundesrecht nicht vereinbar:
Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG muss das Volk in den Ländern, Kreisen und Gemeinden eine Vertretung haben, die aus unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Diese Bestimmung überträgt die in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG getroffene Grundentscheidung der Verfassung für die Prinzipien der Volkssouveränität und der Demokratie auf die Ebene der Gemeinden (vgl. BVerfGE 47, 253 ≪272≫; 83, 37 ≪53≫). Daraus folgt, dass die Gemeindevertretung, auch wenn sie kein Parlament, sondern Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft ist, die Gemeindebürger repräsentiert (vgl. Urteil vom 27. März 1992 – BVerwG 7 C 20.91 – BVerwGE 90, 104 ≪105≫). Diese Repräsentation vollzieht sich nicht nur im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen des Gemeinderats (vgl. Urteil vom 27. März 1992 – BVerwG 7 C 20.91 – BVerwGE 90, 104 ≪113≫ und Beschluss vom 7. Dezember 1992 – BVerwG 7 B 49.92 – Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 87). Da sie der ganzen Volksvertretung, d.h. der Gesamtheit ihrer gewählten Mitglieder obliegt, haben alle Mitglieder grundsätzlich gleiche Mitwirkungsrechte (vgl. BVerfGE 80, 188 ≪217 f.≫; 84, 304 ≪321≫). Entsprechendes gilt für die Fraktionen als Zusammenschlüsse politisch gleichgesinnter Mitglieder der Volksvertretung. Auch die Fraktionen sind somit im Plenum und in den Ausschüssen grundsätzlich gleichberechtigt an der Willensbildung der Volksvertretung zu beteiligen (vgl. BVerfGE 70, 324 ≪362 f.≫; 84, 304 ≪322 ff., 327 f.≫).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 80, 188 ≪222≫) muss grundsätzlich jeder Ausschuss des Bundestags ein verkleinertes Bild des Plenums sein und in seiner Zusammensetzung die Zusammensetzung des Plenums widerspiegeln. Aus dem Prinzip der demokratischen Repräsentation und der Einbeziehung der Gemeinderäte in dieses Prinzip folgt, dass für Ratsausschüsse das Gleiche gilt. Auch diese dürfen nicht unabhängig von dem Stärkeverhältnis der Fraktionen besetzt werden, über das die Gemeindebürger bei der Wahl der Ratsmitglieder mitentschieden haben. Vielmehr müssen auch diese Ausschüsse grundsätzlich als verkleinerte Abbilder des Plenums dessen Zusammensetzung und das darin wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum widerspiegeln (vgl. Urteil vom 27. März 1992 – BVerwG 7 C 20.91 – a.a.O.). Aus diesem Grund haben die einzelnen Fraktionen Anspruch auf Berücksichtigung bei der Ausschussbesetzung nach Maßgabe ihrer jeweiligen Mitgliederzahl (vgl. Beschluss vom 7. Dezember 1992 – BVerwG 7 B 49.92 – a.a.O.). Hat eine Fraktion demnach einen Anspruch auf mehrere Sitze in einem Ausschuss, kann sie diese auch beanspruchen. Entgegen der Auffassung der Beklagten genügt es nicht, dass Fraktionen überhaupt – d.h. mit einem Sitz – in den Ausschüssen vertreten sind.
Der aus dem Prinzip der repräsentativen Demokratie folgende Grundsatz der Spiegelbildlichkeit der Zusammensetzung von Ratsplenum und Ratsausschüssen gewinnt bei den so genannten beschließenden Ausschüssen, denen der Rat Angelegenheiten zur abschließenden Erledigung übertragen hat, erhöhte Bedeutung, weil sie in ihrem Aufgabenbereich die Repräsentationstätigkeit der Gesamtheit der vom Volk gewählten Ratsmitglieder nicht nur teilweise vorwegnehmen, sondern insgesamt ersetzen (vgl. Urteil vom 27. März 1992 – BVerwG 7 C 20.91 – a.a.O. und Beschluss vom 7. Dezember 1992 – BVerwG 7 B 49.92 – a.a.O.).
Das Berufungsgericht meint, die Ausschüsse müssten nicht notwendig ein Spiegelbild der Mehrheitsverhältnisse im Rat nach Fraktionen, sondern könnten auch ein Spiegelbild der Mehrheitsverhältnisse im Rat nach gemeinsamen Wahlvorschlägen verschiedener Fraktionen sein. Dies widerspricht dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes. Das Wahlergebnis gibt dann nicht mehr die Zusammensetzung des Plenums und das darin wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum wieder, sondern das Zahlenverhältnis des hinter dem gemeinsamen Wahlvorschlag stehenden Zusammenschlusses zu den daran nicht beteiligten Fraktionen oder – falls und soweit auch diese ein ebensolches Bündnis eingegangen sind – zu deren Zusammenschluss. So gebildete Zählgemeinschaften wurden als solche weder vom Volk gewählt noch verfolgen sie über die Ausschusswahlen hinausgehende gemeinsame politische Ziele. Grund des Zusammenschlusses ist allein die Gewinnung von zusätzlichen Ausschusssitzen. Wie die Klägerin zu Recht geltend macht, darf ein erst nach der Kommunalwahl vereinbartes “ad hoc-Bündnis zum Zweck der besseren Reststimmenverwertung”, das sich nur zur Gewinnung eines mathematischen Vorteils bei dem anschließenden Verteilungsverfahren gebildet hat, nicht Grundlage der Sitzverteilung in den Ausschüssen sein. Vielmehr müssen in diesen die vom Volk gewählten Vertreter entsprechend ihres politischen Stärkeverhältnisses nach Fraktionen oder Gruppen repräsentiert werden. Eine Zählgemeinschaft seitens der Mehrheit darf die Zusammensetzung der Ausschüsse nicht zu Lasten einer Minderheit ändern. Ansonsten wird der Minderheitenschutz missachtet, dem – wie das Oberverwaltungsgericht ausführt – die Bestimmungen über die Besetzung von Ratsausschüssen – hier § 50 Abs. 3 Satz 3 GO NRW – dienen.
Dies macht der vorliegende Fall deutlich. Die Wahl spiegelt nicht das Kräfteverhältnis der einzelnen Fraktionen zueinander wider, sondern das Kräfteverhältnis zwischen der gebildeten Verbindung der Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP einerseits und der Klägerin andererseits. Der Zusammenschluss der die Mehrheit bildenden Fraktionen hat zu einer mathematischen Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten dieser Mehrheit und zu Lasten einer Minderheit, der Klägerin, geführt, die bei Durchführung der Wahlen getrennt nach Fraktionen unter Anwendung des – in Nordrhein-Westfalen gesetzlich vorgegebenen – d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens erwartungsgemäß zwei Ausschusssitze anstelle nur eines Sitzes erlangt hätte. Der Wahlvorschlag der Mehrheitsfraktionen dagegen erhielt auf diese Weise einen Sitz mehr als ihn die den Wahlvorschlag einreichenden Fraktionen erhalten hätten, wenn jede für sich einen Wahlvorschlag gemacht hätte. Dieser Sitz wurde aufgrund einer Vereinbarung der vier Fraktionen, die der Aufstellung der gemeinsamen Liste zugrunde lag, der FDP-Fraktion überlassen. Die vier Fraktionen hätten sich aber auch auf einen beliebigen anderen, ebenso willkürlichen Verteilungsmodus einigen können.
Die gleichen Überlegungen liegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unzulässigkeit von Listenverbindungen unterschiedlicher Parteien bei Bundestagswahlen zugrunde (BVerfGE 82, 322). Danach führt jede derartige Listenverbindung zu einem Verstoß gegen die Chancengleichheit – und damit zu einem Verstoß gegen das Grundgesetz –, weil sie den Erfolg von Wählerstimmen ungleich gewichtet, ohne dass dafür ein zwingender sachlicher Grund angeführt werden kann (BVerfGE 82, 322 ≪345≫). Dabei versteht das Bundesverfassungsgericht unter einer Listenverbindung eine bloße Zählgemeinschaft, die zur Gewinnung eines rechnerischen Vorteils gebildet wurde – bei der Bundestagswahl zur Überwindung der Sperrklausel –, ohne dass eine verfestigte Form des Zusammenwirkens vorliegt (BVerfGE 82, 322 ≪346≫). Nichts anderes kann gelten für einen gemeinsamen Wahlvorschlag von Fraktionen, der ohne verfestigte Form des Zusammenwirkens allein zur Erlangung eines Vorteils bei einer Ausschussbesetzung eingereicht wurde.
Gleiches hat das Bundesverwaltungsgericht für die Verteilung von Gemeinderatssitzen auf einzelne Wahlvorschläge entschieden (vgl. Urteil vom 29. November 1991 – BVerwG 7 C 13.91 – Buchholz 160 Wahlrecht Nr. 35). Dort ging es um die Vorabzuteilung eines Restsitzes nach dem Kommunalwahlrecht des Landes Rheinland-Pfalz, in dem die Gemeinderatssitze nach dem Hare/Niemeyer-Verfahren auf die einzelnen Wahlvorschläge verteilt werden. Dieses Verfahren kann dazu führen, dass ein Wahlvorschlag, der die Mehrheit der Stimmen erhalten hat, nicht die Mehrheit der Sitze im Gemeinderat erhält. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, sieht § 41 Abs. 1 Satz 5 Kommunalwahlgesetz Rheinland-Pfalz die Vorabzuteilung eines Ratssitzes vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist dort zum Ergebnis gelangt, dass es gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl verstößt, auch einer Listenverbindung verschiedener Parteien oder Wählergruppen, welche die Mehrheit der gültigen Wählerstimmen auf sich vereinigt, einen derartigen zusätzlichen Gemeinderatssitz zuzuteilen; denn bloße Zählgemeinschaften dürften nicht dazu führen, dass die Sitze im Gemeinderat anders verteilt würden als ohne Bildung solcher Gemeinschaften.
Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass in Nordrhein-Westfalen – im Gegensatz zu einigen anderen Bundesländern – die Ausschussmitglieder nicht von den Fraktionen entsprechend ihres Stärkeverhältnisses benannt, sondern vom Gemeinderat gewählt werden. Bei Wahlen ist es zwar denkbar, dass Mitglieder einer Fraktion Kandidaten anderer Fraktionen wählen mit der Folge, dass sich die Fraktionsstärken im Plenum nicht in den Ausschüssen widerspiegeln. Diese mit einer Wahl naturgemäß einhergehenden Unwägbarkeiten entbinden aber nicht davon, bei der Gestaltung des Wahlverfahrens die Grundentscheidung der Verfassung für die Prinzipien der Volkssouveränität und der Demokratie auch auf der Ebene der Gemeinden zu respektieren.
Entgegen der vom Verwaltungsgericht im erstinstanzlichen Urteil vertretenen Auffassung kann dem auch nicht entgegengehalten werden, die Einreichung eines gemeinsamen Wahlvorschlags durch die Mehrheit der Gemeinderatsmitglieder sei Ausdruck ihres freien Mandats. Die für die Besetzung der Gemeinderatsausschüsse geltenden bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben beschränken diese Freiheit in zulässiger Weise zur Durchsetzung der genannten Prinzipien und damit auch zur Sicherung des Rechts der Minderheit auf eine ihrem Gewicht entsprechende Repräsentation in den Ausschüssen.
Auch der Einwand des Beklagten, die Verteilung der Ausschusssitze auf die einzelnen Fraktionen führe zu einer Überrepräsentation der Klägerin, ist nicht berechtigt. Kein Wahlsystem kann die Spiegelbildlichkeit bei der Ausschussbesetzung in letzter Konsequenz herstellen. Insbesondere werden bei jedem Berechnungsverfahren Fraktionen zwangsläufig teils über-, teils unterrepräsentiert. Wie die Spiegelbildlichkeit im Detail verwirklicht werden soll, liegt daher in der Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers. Dieser hat hier das Berechnungsverfahren nach der d'Hondt vorgegeben und von darüber hinausgehenden Regelungen abgesehen. Dies ist zulässig (vgl. für das d'Hondtsche Verfahren bei Wahlen zum Gemeinderat, Urteil vom 29. November 1991 – BVerwG 7 C 13.91 – Buchholz 160 Wahlrecht Nr. 35).
Die vom Oberverwaltungsgericht unter Verstoß gegen Bundesverfassungsrecht vorgenommene Auslegung von § 50 Abs. 3 Satz 3 GO NRW ist durch das Gesetz nicht zwingend vorgegeben. Wie im Berufungsurteil ausgeführt wird, schließt der Wortlaut der Vorschrift einen gemeinsamen Wahlvorschlag mehrerer Fraktionen nicht aus. Der Wortlaut lässt dies aber auch nicht ausdrücklich zu. Auch der Gesetzgebungsgeschichte lässt sich – wie im Berufungsurteil näher begründet wird – nichts für die Frage der Zulässigkeit eines gemeinsamen Wahlvorschlages entnehmen. Die Norm kann daher bundesverfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass gemeinsame Wahlvorschläge von Fraktionen keine “Wahlvorschläge der Fraktionen und Gruppen des Rates” im Sinne des § 50 Abs. 3 Satz 3 GO NRW sind. Einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (Art. 100 Abs. 1 GG) bedarf es folglich nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Dr. Pagenkopf, Kley, Krauß, Golze, Postier
Fundstellen
Haufe-Index 1113594 |
BVerwGE 2004, 305 |
DVP 2005, 120 |
JA 2004, 603 |
BayVBl. 2004, 344 |
DVBl. 2004, 439 |
GV/RP 2004, 321 |
KommJur 2004, 141 |
RÜ 2004, 332 |
FuNds 2004, 682 |
G+S 2004, 117 |
NWVBl. 2004, 184 |
NdsVBl. 2004, 229 |