Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Haftung für Kosten einer rechtswidrigen Sicherungshaft. Ausländer. Kostenerstattung. Zurückschiebung. Kosten der Zurückschiebung. Zurückschiebungsverfügung. Titelfunktion. Sicherungshaft. Haftkosten. Freiheitsentziehung. Haftanordnung. Haftverlängerung. Rechtswegaufspaltung. Inzidentkontrolle. Rechtskraft. formelle Rechtskraft. materielle Rechtskraft. Haftantrag. zulässiger Haftantrag. Begründung. Aushändigung. Heilung. Fehlerfolge. Rechtsmissbrauch. unzulässige Rechtsausübung
Leitsatz (amtlich)
Ein Ausländer haftet nach §§ 66, 67 AufenthG nicht für die Kosten einer Sicherungshaft, die auf einer rechtswidrigen Haftanordnung beruht. Bei der Überprüfung eines Kostenerstattungsbescheids müssen die Verwaltungsgerichte die Rechtmäßigkeit der (amts-)gerichtlichen Haftanordnung inzident prüfen, auch wenn der Ausländer gegen diese kein Rechtsmittel eingelegt hat.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3, Art. 104 Abs. 1; AufenthG §§ 57, 62, 66-67, 106; FamFG §§ 23, 45, 417; GVG § 17 Abs. 2; VwGO § 40; ZPO §§ 322, 325; RL 2008/115/EG Art. 15 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1
Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 11.12.2013; Aktenzeichen 3 B 17.13) |
VG Berlin (Entscheidung vom 28.05.2013; Aktenzeichen 21 K 342.12) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Der Kläger, ein nigerianischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Heranziehung zu Kosten einer (versuchten) Zurückschiebung.
Der Kläger wurde im August 2009 von der Bundespolizei kontrolliert. Dabei gab er sich unter falschen Personalien als kamerunischer Staatsangehöriger aus. Wegen des Verdachts der illegalen Einreise verfügte die Bundespolizei am 6. August 2009 die Zurückschiebung des Klägers ohne Benennung eines Zielstaats und dann am 13. August 2009 unter Bezeichnung des Zielstaats Kamerun. Das Amtsgericht verhängte mit Beschluss vom 7. August 2009 für die Dauer von längstens 90 Tagen Haft zur Sicherung der Zurückschiebung. Mit Beschluss vom 4. November 2009 verlängerte es die Sicherungshaft bis längstens 6. Februar 2010. Mit Beschluss vom 5. Februar 2010 verfügte es die (weitere) Fortdauer der Sicherungshaft bis längstens 6. Mai 2010. Die gegen diesen Beschluss vom Kläger eingelegte Beschwerde erledigte sich mit seiner krankheitsbedingten Entlassung aus der Haft. Mit Beschluss vom 6. Oktober 2010 stellte das Landgericht fest, dass die Freiheitsentziehung ab 6. Februar 2010 rechtswidrig war.
Mit Leistungsbescheid vom 4. April 2011 setzte die Bundespolizeidirektion Berlin die aus Anlass der eingeleiteten Zurückschiebungsmaßnahmen entstandenen Kosten auf 30 349,30 EUR fest und forderte den Kläger zur Erstattung binnen eines Monats auf. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2012 ermäßigte das Bundespolizeipräsidium Potsdam die Forderung wegen der ab 6. Februar 2010 rechtswidrigen Inhaftierung auf 27 067,52 EUR.
Das Verwaltungsgericht hat die Bescheide aufgehoben, soweit sie den Betrag von 15 477,43 EUR übersteigen, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 11. Dezember 2013 zurückgewiesen und dies wie folgt begründet: Die Kostenforderung der Beklagten sei jedenfalls materiell rechtswidrig. Zwar habe der Kläger grundsätzlich gemäß § 66 Abs. 1, § 67 Abs. 1 AufenthG die Kosten der versuchten Zurückschiebung zu tragen. Dies gelte aber nicht für die ab 5. November 2009 entstandenen Kosten der gegen ihn verhängten Sicherungshaft. Die ab diesem Tag wirksame Haftanordnung vom 4. November 2009 sei rechtswidrig gewesen, weil dem Kläger keine Abschrift des Haftantrags ausgehändigt worden sei. Ausweislich der Sitzungsniederschrift sei ihm der Haftantrag nur vorgehalten und erläutert worden. Die Rechtskraft der Haftanordnung stehe ihrer Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte im ausländerrechtlichen Kosteneinziehungsverfahren nicht entgegen. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG habe das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit grundsätzlich unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Dies gelte mangels entgegenstehender gesetzlicher Anordnung auch in Bezug auf rechtswegfremde Vorfragen, sofern die an sich zuständigen Gerichte hierüber noch nicht rechtskräftig entschieden hätten und die Beurteilung der Vorfrage keine Einwirkung auf den Bestand der anderen Entscheidung habe. Das Amtsgericht habe nur den zulässigen Rahmen der Haftdauer abgesteckt. Eine Aufhebung der Freiheitsentziehung wäre jederzeit möglich gewesen. Das Landgericht habe nicht zur Haftanordnung vom November 2009 entschieden und nur festgestellt, dass die Anordnung der Haft „jedenfalls” seit dem 6. Februar 2010 rechtswidrig gewesen sei. Im Übrigen seien Beschlüsse in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur der formellen Rechtskraft fähig. Es entstünde ein Wertungswiderspruch, wenn dem Kläger die infolge der Nichtaushändigung des Haftantrags fehlende Verteidigungsmöglichkeit im Haftverfahren zugutegehalten, er im Kosteneinziehungsverfahren jedoch auf die Rechtskraft des dort ergangenen Beschlusses verwiesen oder ihm eine ungenügende Verteidigung vorgehalten würde. Die Auferlegung der Haftkosten stelle eine neue Beschwer dar, die dem Kläger während seiner Inhaftierung möglicherweise nicht vor Augen gestanden habe. Von einer zurechenbaren Versäumung eigener Rechtsverteidigung könne nur gesprochen werden, wenn der Regelungsgehalt und die Folgen eines Hoheitsaktes innerhalb der für die Einlegung des Rechtsbehelfs vorgesehenen Frist erkennbar seien.
Die Beklagte macht mit ihrer Revision vor allem geltend, das Verhalten des Klägers sei rechtsmissbräuchlich und stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar. Die noch im Streit befindlichen Kosten wären nicht entstanden, wenn er seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen wäre. Eine Inzidentprüfung sei auch unter Berücksichtigung verfassungsgerichtlicher Erwägungen nicht geboten. Die Überprüfung von Haftanordnungen obliege der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die formelle Rechtskraft der dortigen Entscheidungen dürfe nicht durchbrochen werden. Im Übrigen führe nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die unterbliebene Aushändigung des Haftantrags nur dann zur Rechtswidrigkeit der Haft, wenn das Verfahren ohne diesen Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.
Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung. Ergänzend macht er geltend, die Haftanordnung vom November 2009 sei auch rechtswidrig, weil der ihr zugrunde liegende Haftantrag nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen entsprochen habe und deshalb unzulässig gewesen sei. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs betreffe einen anderen Fall und widerspreche dem Gesetzesvorbehalt des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Außerdem sei nicht auszuschließen, dass die Aushändigung des Haftantrags zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil ohne Verstoß gegen Bundesrecht zurückgewiesen. Der Kläger haftet nicht für die nur noch im Streit befindlichen Kosten seiner Haftunterbringung in der Zeit vom 5. November 2009 bis 5. Februar 2010. Die angefochtenen Bescheide sind in dem Umfang, in dem das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat, rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Auf der Grundlage der von der Bundespolizei erlassenen Zurückschiebungsverfügung durfte der Kläger zwar zur Sicherung der Zurückschiebung auf richterliche Anordnung in Sicherungshaft genommen werden (1.). Für den hier streitigen Zeitraum fehlt es aber an einer rechtmäßigen Haftanordnung (2.). Einer inzidenten Prüfung der Rechtmäßigkeit der ab dem 5. November 2009 wirksamen Haftanordnung steht nicht entgegen, dass die Anordnung einer Freiheitsentziehung zur Sicherung einer Zurückschiebung den ordentlichen Gerichten obliegt und der Kläger gegen die Haftverlängerung vom November 2009 kein Rechtsmittel eingelegt hat (2.1). Diese Haftverlängerung war rechtswidrig, weil sie auf einem unzulässigen Haftantrag beruhte (2.2) und dem Kläger nicht spätestens zu Beginn seiner Anhörung vor dem Amtsgericht im November 2009 eine Abschrift des Antrags ausgehändigt worden war (2.3). Unerheblich ist, ob die Sicherungshaft ohne Verstoß des Klägers gegen seine ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten schon eher hätte beendet werden können (3.).
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Bescheide ist die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten behördlichen Entscheidung (hier: Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2012). Mithin findet das Aufenthaltsgesetz – AufenthG – in der Fassung des am 1. April 2012 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über Verkündung und Bekanntmachungen sowie der Zivilprozessordnung, des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S. 3044) Anwendung. Die im Rahmen der Prüfung des Leistungsbescheids inzident zu beurteilende Rechtmäßigkeit der Haftverlängerung vom November 2009 bestimmt sich hingegen nach der im Zeitpunkt der Maßnahme geltenden Rechtslage (vgl. Urteil vom 4. Oktober 2012 – BVerwG 1 C 13.11 – BVerwGE 144, 230 = Buchholz 402.242 § 55 AufenthG Nr. 14, jeweils Rn. 29).
Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Bescheide der Beklagten, soweit sie noch im Streit stehen, materiell rechtswidrig sind. Nach § 66 Abs. 1 AufenthG hat der Ausländer die Kosten zu tragen, die im Zusammenhang mit der Durchsetzung einer Zurückschiebung entstehen. Den Umfang der zu erstattenden Kosten bestimmt § 67 Abs. 1 AufenthG. Danach umfassen die Kosten einer Zurückschiebung auch die bei der Vorbereitung dieser Maßnahme angefallenen Kosten einer Haftunterbringung. Soweit § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nur die Kosten der „Abschiebungshaft” erwähnt, handelt es sich um eine beispielhafte Aufführung der bei der Vorbereitung einer Abschiebung entstehenden Verwaltungskosten („einschließlich”). Dass es zu einer Zurückschiebung des Klägers nicht gekommen ist, ändert ebenfalls nichts daran, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet ist (Urteil vom 8. Mai 2014 – BVerwG 1 C 3.13 – zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, InfAuslR 2014, 328 Rn. 18 zu den Kosten einer versuchten Abschiebung).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haftet der Ausländer für die Kosten einer Abschiebung – und damit auch einer Zurückschiebung – nur, wenn die zu ihrer Durchsetzung ergriffenen Amtshandlungen und Maßnahmen ihn nicht in seinen Rechten verletzen. Insoweit trifft das Aufenthaltsgesetz für Maßnahmen, die – wie die Sicherungshaft – selbständig in Rechte des Ausländers eingreifen, eine eigenständige und vorrangige Regelung gegenüber den Vorschriften des Verwaltungskostengesetzes, auf die § 69 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nur verweist, soweit das Aufenthaltsgesetz keine abweichende Regelung enthält (Urteil vom 16. Oktober 2012 – BVerwG 10 C 6.12 – BVerwGE 144, 326 = Buchholz 402.242 § 66 AufenthG Nr. 2, jeweils Rn. 20). Folglich können nur die Kosten einer rechtmäßigen Sicherungshaft geltend gemacht werden. Deren Rechtmäßigkeit ist aus der behördlichen Sicht bei ihrer Durchführung – also ex ante – zu beurteilen (Urteil vom 16. Oktober 2012 a.a.O., jeweils Rn. 22).
1. Die Sicherungshaft des Klägers fand im streitigen Zeitraum ihre Rechtsgrundlage in § 57 i.V.m. § 62 Abs. 3 AufenthG in der seinerzeit anwendbaren Fassung des FGG-Reformgesetzes vom 17. Dezember 2008 (BGBl I S. 2586) – AufenthG a.F. –. Danach sollte ein Ausländer, der unerlaubt eingereist war, innerhalb von sechs Monaten nach dem Grenzübertritt zurückgeschoben werden (§ 57 Abs. 1 Satz 1 AufenthG a.F.). Lagen die Voraussetzungen für eine Zurückschiebung vor, war der Ausländer nach § 57 Abs. 3 AufenthG a.F. in entsprechender Anwendung des § 62 Abs. 3 AufenthG a.F. bei Vorliegen der dortigen Voraussetzungen zur Sicherung der Zurückschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft).
Ob nach damaliger Rechtslage die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zurückschiebung des Klägers durch die Bundespolizei vorlagen, kann dahinstehen. Denn der Kläger hat gegen die Zurückschiebungsverfügung vom 13. August 2009 keinen Rechtsbehelf eingelegt, so dass die Verfügung in Bestandskraft erwachsen ist. Dieser vollstreckbare Verwaltungsakt bildete die Grundlage für die von der Bundespolizei eingeleiteten Maßnahmen; die Bestandskraft umfasst auch die materiellrechtliche Dimension des Verwaltungshandelns und begrenzt die verwaltungsgerichtliche Prüfungsreichweite im nachfolgenden Kostenerstattungsverfahren. Damit hätte der Kläger etwaige Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Zurückschiebung durch Anfechtung der Zurückschiebungsverfügung geltend machen müssen (allgemein zum Verhältnis einer Grundverfügung zu nachfolgenden Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung vgl. Urteil vom 25. September 2008 – BVerwG 7 C 5.08 – Buchholz 345 § 6 VwVG Nr. 1 m.w.N.).
Unerheblich ist, dass § 57 AufenthG a.F. bei unerlaubt eingereisten Ausländern eine Aufenthaltsbeendigung durch unmittelbare Vollstreckung der tatbestandlich vorausgesetzten und im genannten Kontext kraft Gesetzes vollziehbaren Ausreisepflicht ermöglichte, ohne dass es eines Grundverwaltungsaktes bedurfte. Es ist der Verwaltung nicht verwehrt, die Zurückschiebung im Vorfeld ihrer tatsächlichen Durchführung gegenüber dem Betroffenen in Form eines Verwaltungsakts zu verfügen und ihm auf diese Weise eine gerichtliche Klärung der für die Zurückschiebung relevanten und zwischen den Beteiligten streitigen Rechts- oder Tatsachenfragen zu ermöglichen (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Mai 2013, § 57 AufenthG Rn. 17; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2012, § 57 AufenthG Rn. 4). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass die Befugnis der Verwaltung, sich zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben des Mittels des Verwaltungsaktes zu bedienen, nicht ausdrücklich in der gesetzlichen Grundlage erwähnt werden muss, die in materieller Hinsicht zu einem Eingriff ermächtigt. Denn als Handlungsform, in der die Verwaltung Privatpersonen in der Regel gegenübertritt, ist der Verwaltungsakt allseits bekannt. Es reicht deshalb aus, wenn sich die Verwaltungsaktbefugnis dem Gesetz im Wege der Auslegung entnehmen lässt (Urteil vom 7. Dezember 2011 – BVerwG 6 C 39.10 – BVerwGE 141, 243 = Buchholz 442.09 § 5a AEG Nr. 1, jeweils Rn. 14 m.w.N.).
2. Die Sicherungshaft beruhte im streitigen Zeitraum aber nicht auf einer rechtmäßigen richterlichen Anordnung.
2.1 Einer inzidenten Prüfung der Rechtmäßigkeit der Sicherungshaft im Kostenerstattungsverfahren steht nicht entgegen, dass sich das Verfahren bei aufenthaltsrechtlich begründeten Freiheitsentziehungen seit dem 1. September 2009 nach Buch 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FamFG – richtet (vgl. § 106 Abs. 2 AufenthG). Der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts ist in seinem Urteil vom 16. Oktober 2012 – BVerwG 10 C 6.12 – (BVerwGE 144, 326 = Buchholz 402.242 § 66 AufenthG Nr. 2, jeweils Rn. 22) davon ausgegangen, dass die Verwaltungsgerichte bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Haftanordnung jedenfalls dann nicht an die Entscheidungen der nach dem FamFG zuständigen ordentlichen Gerichte gebunden sind, wenn sie über die Kostenhaftung von Drittverpflichteten zu entscheiden haben, die nicht am Verfahren zur Verhängung der Haft beteiligt waren. Offengelassen wurde, ob dies auch bei Entscheidungen über die Kostenhaftung des Ausländers selbst gilt. Der Senat beantwortet diese Frage nunmehr dahingehend, dass auch in diesen Fällen keine Bindung besteht.
Ergibt sich bei einer Kette von Hoheitsakten eine Rechtswegaufspaltung, hat dies nicht automatisch zur Folge, dass es dem angerufenen Gericht verwehrt ist, Vorfragen zu prüfen, die, wären sie die Hauptfrage, in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Gerichts fielen. Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Dies schließt nach allgemeinem Verständnis auch rechtswegfremde Vorfragen ein, soweit gesetzlich nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist und die an sich zuständigen Gerichte über die streitige Vorfrage nicht mit materieller Rechtskraftbindung entschieden haben (vgl. Urteil vom 13. April 1978 – BVerwG 2 C 7.75 – Buchholz 238.4 § 31 SG Nr. 11).
Für eine gesetzliche Ausnahme von der grundsätzlichen Verpflichtung zur Inzidentprüfung auch rechtswegfremder Vorfragen ist in Freiheitsentziehungssachen nichts ersichtlich. Der Gesetzgeber hat den ordentlichen Gerichten mit dem FamFG neben der Zuständigkeit für die Anordnung von Freiheitsentziehungen zwar auch den nachträglichen, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung gerichteten Rechtsschutz zugewiesen. Unmittelbarer Gegenstand im vorliegenden – nach § 40 Abs. 1 VwGO den Verwaltungsgerichten zugewiesenen – Verfahren ist aber nicht die amtsgerichtliche Haftverlängerung vom November 2009 und deren Rechtmäßigkeit, sondern die nachgelagerte Prüfung der Rechtmäßigkeit des gemäß §§ 66, 67 AufenthG erlassenen Leistungsbescheids über die Kosten der auf dieser richterlichen Anordnung beruhenden Haftunterbringung. Den einschlägigen Regelungen im FamFG zur Anordnung und Überprüfung von Freiheitsentziehungen ist nicht zu entnehmen, dass die Befugnis zur Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Haftanordnung auch dort, wo sie nur Vorfrage ist, generell dem Rechtsschutzverfahren vor den ordentlichen Gerichten vorbehalten ist. Hierfür finden sich auch in der Gesetzesbegründung zum FamFG keinerlei Anhaltspunkte. Danach sollte lediglich das FGG-Verfahren von Grund auf neu geregelt und auf den Standard eines modernen Prozessgesetzes gebracht werden (BTDrucks 16/6308 S. 1). Für eine Einschränkung der verwaltungsgerichtlichen Inzidentprüfungskompetenz besteht auch kein Bedürfnis, da die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung im Kostenerstattungsverfahren nur als Vorfrage zu prüfen ist und deren verwaltungsgerichtliche Beurteilung im Erstattungsverfahren weder in Rechtskraft erwächst noch sonst eine irgendwie geartete Gestaltungs- oder Feststellungswirkung äußert. Insbesondere ist ausgeschlossen, dass die Haftanordnung über die Inzidentkontrolle aufgehoben oder ihre Rechtswidrigkeit verbindlich festgestellt wird. Allein Erwägungen der Prozessökonomie und die größere Sach- und Ortsnähe der Amtsgerichte vermögen eine den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu entnehmende Ausnahme nicht zu rechtfertigen.
Auch die Rechtskraft steht einer Inzidentkontrolle der Haftanordnung im verwaltungsgerichtlichen Kostenerstattungsverfahren nicht entgegen, da die der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesenen Entscheidungen in Freiheitsentziehungssachen nur in formelle (vgl. § 45 FamFG), nicht aber in materielle Rechtskraft erwachsen. Formelle Rechtskraft bedeutet, dass die Entscheidung durch ordentliche Rechtsmittel oder sonstige Rechtsbehelfe nicht oder nicht mehr angefochten werden kann. Das FamFG enthält hingegen keine den §§ 322, 325 ZPO entsprechende Vorschriften zur materiellen Rechtskraft. Erwächst eine Entscheidung in materielle Rechtskraft, hat das zur Folge, dass die entschiedene Frage von den an die Rechtskraft gebundenen Personen nicht einer neuerlichen richterlichen Nachprüfung unterbreitet werden darf („ne bis in idem-Gebot”). Sie dient der Rechtssicherheit, dem Rechtsfrieden und der sinnvollen Begrenzung der Inanspruchnahme gerichtlicher Ressourcen, erstreckt sich auf den Inhalt der Entscheidung und legt fest, in welchem Umfang das Gericht und die Beteiligten in einem neuerlichen, auf dem gleichen Lebenssachverhalt beruhenden gerichtlichen Verfahren um dieselbe Rechtsfrage an die rechtskräftige Entscheidung gebunden sind. Inwieweit Entscheidungen nach dem FamFG der materiellen Rechtskraft fähig sind, muss nach überwiegender Auffassung von Fall zu Fall entschieden werden (vgl. im Einzelnen: Keidel, FamFG, 18. Auflage 2014, § 45 FamFG Rn. 24 ff.). Entscheidungen in Freiheitsentziehungssachen erwachsen jedenfalls nicht in materielle Rechtskraft, denn eine sachlich nicht gerechtfertigte Inhaftierung ist zur Verwirklichung der Freiheitsgarantien des Art. 104 GG umgehend zu beenden, ohne dass es darauf ankommt, ob sich die fehlende Berechtigung der Inhaftierung aus neuen Umständen oder daraus ergibt, dass sie nicht hätte angeordnet werden dürfen (BGH, Beschlüsse vom 18. September 2008 – V ZB 129/08 – InfAuslR 2010, 35 zum FEVG und vom 28. April 2011 – V ZB 292/10 – FGPrax 2011, 200 zum FamFG).
Damit ist im vorliegenden Kostenerstattungsverfahren unerheblich, dass der Kläger gegen den Haftverlängerungsbeschluss des Amtsgerichts vom November 2009 keine Beschwerde beim Landgericht eingelegt hat. Mit Ablauf der Rechtsmittelfrist ist die Entscheidung des Amtsgerichts lediglich in formelle Rechtskraft erwachsen, konnte also nicht mehr mit Rechtsmitteln angegriffen werden. Eine inhaltliche Bindung an den Haftverlängerungsbeschluss des Amtsgerichts ist nicht eingetreten, so dass mangels einer materiell rechtskräftigen Entscheidung die Rechtmäßigkeit der Sicherungshaft im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bezüglich des Kostenheranziehungsbescheids zu überprüfen ist.
2.2 Zu Recht weist der Kläger daraufhin, dass die Haftunterbringung im hier streitigen Zeitraum schon deshalb rechtswidrig war, weil der Haftverlängerung vom November 2009 kein zulässiger Haftantrag zugrunde lag.
Nach § 417 Abs. 1 FamFG darf das für die Haftanordnung zuständige Gericht eine Freiheitsentziehung nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur dann, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Der Gesetzgeber hat sich – abweichend vom Vorschlag der Bundesregierung (Entwurfsbegründung zum FGG-ReformG, BTDrucks 16/6308 S. 291) – dafür entschieden, an die Begründung eines Haftantrags strengere Anforderungen zu stellen und der Behörde in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorzuschreiben, zu welchen Punkten sich der Haftantrag zu verhalten hat (Beschlussempfehlung zum FFG-ReformG, BTDrucks 16/9733 S. 299).
Nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG muss der Haftantrag Darlegungen zur Ausreisepflicht, zu den Ab- bzw. Zurückschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung/Zurückschiebung und zur notwendigen Haftdauer enthalten. Die vorgeschriebene Begründung muss auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht. Inhalt und Umfang der notwendigen Darlegungen dürfen knapp sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Hinsichtlich der Durchführbarkeit der Rückführung sind auf das Land bezogene Ausführungen erforderlich, in welches der Betroffene ab- bzw. zurückgeschoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Rückführungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind. Notwendig sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können (BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 – V ZB 123/11 – InfAuslR 2012, 25, vom 27. Oktober 2011 – V ZB 311/10 – FGPrax 2012, 82, vom 20. März 2014 – V ZB 169/13 – juris und vom 16. Juli 2014 – V ZB 80/13 – InfAuslR 2014, 384).
Diesen gesetzlichen Begründungsanforderungen genügt der Haftverlängerungsantrag der Bundespolizei vom 28. Oktober/3. November 2009 nicht. Er enthält keinerlei Angaben zur Durchführbarkeit der Zurückschiebung, insbesondere fehlen Darlegungen, welches Land für eine Zurückschiebung in Betracht kommen könnte und innerhalb welchen Zeitraums eine Zurückschiebung dorthin möglich wäre. Allein der pauschale Hinweis, dass weiterhin die Haftgründe gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 5 AufenthG vorlägen und die beantragte Haftdauer über die Frist von sechs Monaten auch verhältnismäßig sei, da der Betroffene nicht gewillt sei, an der Passersatzbeschaffung mitzuwirken, genügt hierfür nicht.
Mängel in der Antragsbegründung führen grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit der auf Grund eines solchen Antrags erlassenen Haftanordnung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2014 a.a.O. m.w.N.). Dies ist eine Folge dessen, dass das Begründungserfordernis als eine Verfahrensgarantie im Sinne des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ausgestaltet worden ist. Diese Garantie dient nicht nur dem Zweck, dem Betroffenen eine bessere Verteidigung im Verfahren zu ermöglichen. Mit den besonderen Begründungsanforderungen will der Gesetzgeber vor allem erreichen, dass dem Gericht durch den Antrag selbst eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Einleitung weiterer Ermittlungen bzw. für seine Entscheidung zugänglich wird (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags zum FGG-ReformG, BTDrucks 16/9733 S. 299). Die Begründung des Haftantrags ist nach Auffassung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags eine unverzichtbare Voraussetzung für die Einleitung weiterer Ermittlungen bzw. für die Entscheidung des Richters über den Haftantrag. Unvollständige, auch nicht auf richterliche Aufforderung ergänzte Haftanträge sind vom Haftrichter als unzulässig zurückzuweisen (BTDrucks 16/9733 5. 299).
Die Voraussetzungen, unter denen Mängel des Haftantrags nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Beschluss vom 16. Juli 2014 a.a.O.) im gerichtlichen Verfahren – mit Wirkung für die Zukunft – geheilt werden können, liegen nicht vor. Weder hat die Beklagte ausweislich des Sitzungsprotokolls die fehlende Begründung durch ergänzende Angaben im Termin zur persönlichen Anhörung am 4. November 2009 nachgeholt noch hat das Amtsgericht das Vorliegen der an sich seitens der Behörde nach § 417 Abs. 2 FamFG vorzutragenden Tatsachen auf Grund eigener Ermittlungen von Amts wegen (§ 26 FamFG) in seinem Beschluss festgestellt. Dort findet sich lediglich die nicht näher dargelegte Behauptung, dass „nach den überzeugenden Ausführungen der Bundespolizei” zu erwarten sei, dass die erneute Haft ausreichen werde, das erstrebte Ziel der Zurückschiebung durchzusetzen, und eine Zurückschiebung innerhalb der nächsten drei Monate möglich erscheine. Diese Leerformel sagt über die Durchführbarkeit der Zurückschiebung im konkreten Fall nichts aus. Klarstellend ist darauf hinzuweisen, dass der Beschluss des Landgerichts vom 6. Oktober 2010 schon deshalb nicht geeignet ist, eine Heilung der Haftverlängerung vom November 2009 herbeizuführen, da er auf die Beschwerde des Klägers gegen die weitere Haftverlängerung vom Februar 2010 ergangen ist und folglich nicht die hier maßgebliche erste Haftverlängerung vom November 2009 betrifft.
2.3 Außerdem hätte dem Kläger spätestens zu Beginn seiner Anhörung im November 2009 eine Abschrift des Antrags der Bundespolizei ausgehändigt werden müssen.
Diese auch in Verfahren der Zurückschiebungshaft geltende Pflicht ergibt sich aus der allgemeinen Regelung in § 23 Abs. 2 FamFG. Danach soll das Gericht verfahrenseinleitende Anträge den übrigen Beteiligten übermitteln. Die Aushändigung des Antrags ist im Anhörungsprotokoll oder an einer anderen Aktenstelle schriftlich zu protokollieren (BGH, Beschlüsse vom 4. März 2010 – V ZB 222/09 – BGHZ 184, 323 ≪330≫, vom 14. Juni 2012 – V ZB 284/11 – InfAuslR 2012, 369 und vom 11. Oktober 2012 – V ZB 274/11 – InfAuslR 2013, 77). Auch dieser Mangel kann im weiteren Verfahren – mit Wirkung für die Zukunft – geheilt werden, indem dem Betroffenen der Haftantrag nachträglich übermittelt und ihm durch eine erneute persönliche Anhörung Gelegenheit gegeben wird, sich zu dem ihm nunmehr bekannten Haftantrag zu äußern (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2013 – V ZB 127/12 – FGPrax 2014, 39).
Zu welchem Zeitpunkt das Amtsgericht hiernach dem Kläger den Verlängerungsantrag der Bundespolizei spätestens hätte übermitteln müssen (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 1. Juli 2011 – V ZB 141/11 – InfAuslR 2011, 399 und vom 4. März 2010 a.a.O.), bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, da nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für das Revisionsgericht grundsätzlich bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) Feststellungen des Berufungsgerichts dem Kläger der Antrag weder vor noch zu Beginn der Anhörung und auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt, unter Eröffnung einer Möglichkeit zur erneuten persönlichen Anhörung, übermittelt worden ist.
Die Nichtaushändigung des Haftverlängerungsantrags führt, jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen, ebenfalls zur Rechtswidrigkeit der Haftverlängerung. Zwar hat der Bundesgerichtshof mit Blick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den sich aus der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 (Rückführungsrichtlinie) ergebenden Anforderungen an die richterliche Kontrolle der von einem Drittstaatsangehörigen gerügten Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör bei Entscheidungen zur Inhaftnahme nach Art. 15 dieser Richtlinie – unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung – entschieden, dass die unterbliebene Aushändigung des Haftantrags nur dann zu einer Aufhebung der Haftanordnung (bzw. nach einer Erledigung der Hauptsache zur Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit) führt, wenn das Verfahren ohne diesen Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (Beschluss vom 16. Juli 2014 – V ZB 80/13 – InfAuslR 2014, 384). Es kann dahinstehen, ob eine derartige Kausalitätsprüfung auch in Altfällen geboten ist, in denen – wie im Fall des Klägers – die maßgebliche Haftentscheidung vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Rückführungsrichtlinie (24. Dezember 2010, vgl. Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie) ergangen ist. Denn angesichts der Mangelhaftigkeit des Haftantrags ist davon auszugehen, dass das Verfahren bei ordnungsgemäßer Aushändigung einer Abschrift dieses Antrags an den Kläger zu einem anderen Ergebnis hätte führen können, die unterbliebene Aushändigung hier also selbst nach der einschränkenden neueren Rechtsprechung des BGH beachtlich ist. Damit erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den vom Kläger gegen diese Rechtsprechung erhobenen Einwänden.
3. Die Berufung des Klägers auf die Rechtswidrigkeit der Haftunterbringung ist entgegen der Auffassung der Beklagten weder rechtsmissbräuchlich noch stellt sie eine unzulässige Rechtsausübung dar.
Der Berücksichtigung der Rechtswidrigkeit der Sicherungshaft im Kostenerstattungsverfahren steht insbesondere nicht entgegen, dass der Kläger seine wahre Identität und Staatsangehörigkeit verschwiegen und bei der Beschaffung von Identitätspapieren nicht mitgewirkt hat. Selbst wenn der Kläger durch sein Verhalten mit dazu beigetragen haben sollte, dass er in Sicherungshaft genommen wurde, ist ihm eine Berufung auf die bei der Verlängerung der Freiheitsentziehung einzuhaltenden Verfahrensgarantien im nachgelagerten Kostenverfahren nicht verwehrt. Denn die Verletzung ausländerrechtlicher Mitwirkungspflichten enthebt die zuständige Behörde und das die Freiheitsentziehung anordnende Gericht nicht von der Verpflichtung zu rechtmäßigem Handeln (Art. 20 Abs. 3 GG), wenn es darum geht, welche rechtlichen Konsequenzen hieraus gezogen werden dürfen. Insbesondere enthebt das Verhalten des Klägers die staatlichen Stellen nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der bei der Anordnung oder Verlängerung einer Freiheitsentziehung zum Schutz des Betroffenen einzuhaltenden verfahrensrechtlichen Garantien.
Gleiches gilt für den Umstand, dass der Kläger gegen die Haftverlängerung vom November 2009 kein Rechtsmittel eingelegt hat. Schließt das einschlägige Recht eine Inzidentprüfung der Haftanordnung nicht aus, kann dem Betroffenen im Kostenerstattungsverfahren nicht entgegengehalten werden, dass er zuvor von der Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Haftanordnung keinen Gebrauch gemacht hat.
Dass der Kläger nicht zu den Kosten der rechtswidrigen Haftunterbringung herangezogen werden darf, führt auch nicht zu einer übermäßigen Belastung der Behörden. Ihren Interessen wird vor allem dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass im Kostenerstattungsverfahren die Rechtmäßigkeit der kostenverursachenden Amtshandlungen ex-ante aus Sicht der handelnden Behörde zu beurteilen ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Berlit, Prof. Dr. Dörig, Prof. Dr. Kraft, Fricke, Dr. Rudolph
Fundstellen
Haufe-Index 7610313 |
BVerwGE 2015, 102 |
DÖV 2015, 447 |
InfAuslR 2015, 182 |
VR 2015, 214 |
ZAR 2015, 232 |
DVBl. 2015, 3 |