Entscheidungsstichwort (Thema)

Postzusteller. Unterschlagung von 42 eingezogenen Nachnahmebeträgen. Milderungsgründe der freiwilligen Offenbarung der Tat und Wiedergutmachung des Schadens vor Tatentdeckung abgelehnt. Hinterlegung eines Briefumschlages mit einer Aufstellung über die unterschlagenen Beträge unter Beifügung eines Großteils des zurückzuzahlenden Geldes genügt für Wiedergutmachung nicht. Disziplinarmaßnahme: Entfernung aus dem Dienst

 

Normenkette

BBG § 54 S. 2, § 77 Abs. 1 S. 1; BDO § 11

 

Verfahrensgang

BDIG (Urteil vom 11.09.2001; Aktenzeichen VII VL 11/01)

 

Tenor

Die Berufung des Postbetriebsassistenten … gegen das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer VII – … –, vom 11. September 2001 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

1. Der Bundesdisziplinaranwalt hat den Beamten angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben,

dass er in der Zeit von Oktober 1998 bis Juni 1999 in Hamburg in 42 Fällen von ihm eingezogene Nachnahmebeträge und Entgelte in Höhe von 4 232,86 DM nicht mit der Postkasse abgerechnet, sondern für sich verbraucht hat.

2. Das Bundesdisziplinargericht hat den Beamten durch Urteil vom 11. September 2001 aus dem Dienst entfernt und ihm einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 75 v.H. seines erdienten Ruhegehalts auf die Dauer von 12 Monaten bewilligt. Es hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

In der Zeit von Oktober 1998 bis Juni 1999 unterließ es der Beamte vorsätzlich, Nachnahmebeträge zuzüglich der jeweiligen Zustellgebühr, die er bei Postkunden einbezogen hatte, mit der Postkasse zu verrechnen. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Fälle:

Zahlungsempfänger

Betrag in DM

1.

1 400,00

2.

25,38

3.

28,50

4.

44,30

5.

42,55

6.

12,55

7.

43,12

8.

43,30

9.

255,00

10.

42,70

11.

69,08

12.

97,20

13.

87,00

14.

28,50

15.

38,15

16.

11,50

17.

41,70

18.

48,60

19.

56,00

20.

47,70

21.

61,30

22.

43,20

23.

46,00

24.

40,80

25.

30,90

26.

120,50

27.

43,20

28.

76,30

29.

79,50

30.

28,90

31.

94,50

32.

42,60

33.

44,20

34.

44,80

35.

42,70

36.

43,80

37.

47,10

38.

186,30

39.

28,50

40.

44,60

41.

68,10

42.

386,23

Gesamtsumme der nicht abgelieferten Beträge: 4 106,86

Weiterhin hat der Beamte die jeweils fälligen 3,00 DM Zustellgebühr für sich behalten, mithin 126,00 DM an Zustellgebühren, so dass die gesamte nicht abgelieferte Geldsumme 4 232,86 DM beträgt.

Die Zeugin K.…, die als Urlaubsvertreterin für den Beamten ab dem 21. Juni 1999 dessen Zustellbezirk übernahm, fand die Zahlscheine bezüglich der oben aufgeführten Nachnahmebeträge am 24. Juni 1999 in einer Schublade des Zustelltisches. Sie befanden sich in einem gefalteten braunen Umschlag mit der Privattelefonnummer des Beamten. In diesem Umschlag fanden sich zudem weitere Auslieferungsscheine, Bargeld in Höhe von 3 550 DM sowie eine Auflistung der Zahlscheine. Die Zeugin informierte ihre Vorgesetzte, und die Fundsachen wurden der Stellenleitung übergeben.

Der Beamte hat hierzu angegeben, er habe seit Oktober 1998 Nachnahmebeträge geschoben. Irgendwann sei es zu viel geworden und er habe den Überblick verloren. Etwa zwei bis drei Wochen vor der Tatentdeckung am 24. Juni 1999 habe er sich seiner Frau anvertraut. Diese habe dann die Anstrengungen in die Wege geleitet, den Schaden sofort wieder gutzumachen. So hätten sie sich bei Freunden Geld geliehen; von dort stamme der sich im Umschlag befindliche Betrag von 3 550 DM. Damit habe er die unterschlagenen Beträge wieder gutmachen wollen. Allerdings habe er dies nicht auf einmal tun wollen, da dies aufgefallen wäre.

Von dem unterschlagenen Geld habe er sich Alkoholika gekauft. Auf Druck seiner Ehefrau habe er eine Entgiftung in einer Therapie durchgeführt. Der Entzug wurde in der Zeit vom 28. Juni bis 3. Juli 1999 und die Entwöhnungsbehandlung in der Fachklinik vom 26. August bis 21. Dezember 1999 durchgeführt. Im Dienst war der Beamte wegen Alkoholgenusses nie auffällig geworden. Anhaltspunkte für Zweifel an der vollen Schuldfähigkeit des Beamten zur Tatzeit bestehen nicht und werden auch von dem Beamten nicht geltend gemacht. Mittlerweile hat der Beamte den Schaden insgesamt wieder gutgemacht. Hierzu wurden die aufgefundenen 3 550 DM verwendet. Auch den Differenzbetrag hat der Beamte mittlerweile ersetzt.

Das Bundesdisziplinargericht hat das Verhalten des Beamten als Verstoß gegen die ihm obliegende Pflicht zur Uneigennützigkeit gemäß § 54 Satz 2 BBG gewertet und darin ein innerdienstliches Dienstvergehen im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG gesehen. Dieses Dienstvergehen sei von einem solchen Gewicht, dass der Beamte aus dem Dienst entfernt werden müsse. Ein Beamter, der auf ihm dienstlich anvertrautes Geld zugreife, begehe ein so schweres Dienstvergehen im Kernbereich seiner ihm dienstlich obliegenden Pflichten, dass das für die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit des Beamten endgültig zerstört sei.

Milderungsgründe, die ein Absehen von der disziplinaren Höchstmaßnahme rechtfertigten, hat die Kammer nicht anerkannt.

3. Gegen dieses Urteil wendet sich der Beamte mit seiner auf das Disziplinarmaß beschränkten Berufung. Er hält eine Degradierung für die angemessene Disziplinarmaßnahme.

Der Milderungsgrund der Wiedergutmachung des Schadens vor Tatentdeckung könne ihm nicht völlig versagt werden. Der Beamte habe sich nicht dauerhaft bereichern, sondern die nicht abgerechneten Beträge in kürzerer Zeit wieder der Kasse zuführen wollen. Dafür spreche u.a. die Unterlassung jeglicher Verschleierungshandlungen. Zwar sei es zum Zeitpunkt der Tatentdeckung am 24. Juni 1999 noch nicht zu einer vollständigen Wiedergutmachung des verursachten Schadens gekommen. Der Beamte habe aber bereits einen Geldbetrag von ca. 3 500 DM zu diesem Zweck bereitgelegt. Seine Wiedergutmachungsabsicht habe er auch nach außen dadurch manifestiert, dass er das Geld in die Schublade seines Zustelltisches gemeinsam mit der Auflistung der Zahlscheine und einer Aufstellung der bisher unterschlagenen Beträge gelegt habe. Wegen des besonderen Charakters seines Handelns sei in seinem Fall eine Ausnahme von der Regelmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst gerechtfertigt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Berufung ist unbegründet. Das Bundesdisziplinargericht hat den Beamten zu Recht aus dem Dienst entfernt.

Das vorliegende Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, d.h. nach den Verfahrensregeln und Grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen (vgl. z.B. Urteil vom 20. Februar 2002 – BVerwG 1 D 19.01 –).

Das Rechtsmittel ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt. Der Senat ist daher an die Tat- und Schuldfeststellungen des Bundesdisziplinargerichts sowie an die disziplinarrechtliche Würdigung als Dienstvergehen gebunden. Er hat nur noch über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.

Die Verhängung der Höchstmaßnahme gemäß § 11 BDO ist nicht zu beanstanden. Das Dienstvergehen wiegt so schwer, dass die Entfernung des Beamten aus dem Dienst erforderlich ist.

1. Ein Postbeamter, der ihm dienstlich anvertrautes Geld für private Zwecke – sei es auch nur vorübergehend – verwendet, begeht ein schweres Dienstvergehen im Kernbereich der ihm obliegenden Dienstpflichten. Eine solche Pflichtverletzung zerstört regelmäßig das für die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit des Beamten. Die Post ist auf die absolute Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten beim Umgang mit dienstlich anvertrauten Geldern angewiesen. Eine lückenlose Kontrolle aller Bediensteten ist nicht möglich und muss weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden. Wer diese für den geordneten Postbetrieb unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört, kann in der Regel nicht Beamter bleiben (stRspr, z.B. Urteil vom 19. Februar 2002 – BVerwG 1 D 10.01 – m.w.N.).

2. Die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses ist bei einem Zugriff auf dienstlich anvertrautes Geld nur möglich, wenn ein in der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund die Annahme rechtfertigt, der Beamte habe das in ihn gesetzte Vertrauen seiner Vorgesetzten und der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren. Ein derartiger Milderungsgrund ist hier jedoch nicht gegeben.

a) Der vom Beamten zur Begründung seiner Berufung geltend gemachte Milderungsgrund der Wiedergutmachung des Schadens vor Tatentdeckung liegt nicht vor.

Nach der Rechtsprechung des Senats kommt der Milderungsgrund der Wiedergutmachung einem bisher unbescholtenen Beamten zugute, der nach dem Zugriff auf amtlich anvertrautes Geld vor Entdeckung der Tat den angerichteten Schaden aufgrund eigenen Antriebs ohne Furcht vor Entdeckung wieder gutgemacht hat. Die Milderung erfolgt aus der Erkenntnis, dass ein Täter, der den angerichteten Schaden vor der Aufdeckung der Tat aus freien Stücken wieder gutgemacht hat, jedenfalls eine andere Persönlichkeit offenbart, als derjenige, der von vornherein eine endgültige materielle Schädigung seines Dienstherrn beabsichtigt oder wenigstens in Kauf nimmt. Bei einem solchen Beamten kann je nach den Umständen des Einzelfalls oder auch den Motiven des Täters die Erwartung gerechtfertigt sein, bei fortgesetzter ungetrübter Zusammenarbeit werde sich das Vertrauensverhältnis wiederherstellen lassen (vgl. Urteil vom 16. März 1994 – BVerwG 1 D 17.93 – BVerwGE 103, 93 = ZBR 1994, 282 = NVwZ 1996, 184 m.w.N.).

Eine solche positive Prognose zur Wiederherstellung des Vertrauensverhältnisses setzt nach der Rechtsprechung des Senats aber voraus, dass der Beamte noch vor Entdeckung der Tat seine Verfehlung durch Wiedergutmachung freiwillig rückgängig macht oder wenigstens offenbart, das heißt für Außenstehende objektiv erkennbar von seiner Verfehlung aus eigenem Antrieb Abstand nimmt. Allein die Behauptung, vor Tatentdeckung wiedergutmachungswillig und -fähig gewesen zu sein, reicht nicht aus, vom Vorhandensein entsprechender positiver Persönlichkeitselemente zur Fortsetzung des Dienstverhältnisses auszugehen. Im Innern bestehende Absichten sind nicht nachweisbar. Sie können jederzeit geändert werden, ohne dass dies objektiv feststellbar ist (Urteil vom 11. Juli 1995 – BVerwG 1 D 20.94 –).

Im vorliegenden Fall bestehen bereits ernsthafte Zweifel, ob der Beamte von seinem Fehlverhalten aus eigenem Antrieb Abstand genommen hat. Hiergegen spricht seine Einlassung, er habe aufgrund seines sich bereits über acht Monate erstreckenden vorschriftswidrigen Verhaltens und erster diesbezüglicher Nachfragen mit einer Aufdeckung gerechnet, sich deshalb seiner Ehefrau offenbart und mit ihr gemeinsam Schritte zur Wiedergutmachung in die Wege geleitet.

Der Milderungsgrund scheidet jedenfalls aber deshalb aus, weil nicht für jeden der 42 Zugriffsfälle die Wiedergutmachung in einer nach außen erkennbaren Weise eingeleitet wurde. Voraussetzung für die Annahme des Milderungsgrundes ist nämlich grundsätzlich die vollständige Wiedergutmachung des Schadens. Wie der Senat wiederholt betont hat (z.B. Urteil vom 14. Oktober 1998 – BVerwG 1 D 49.98 –), kann der Milderungsgrund der freiwilligen Wiedergutmachung des Schadens vor Entdeckung der Tat nur dann zu einer milderen Bewertung des Dienstvergehens führen, wenn er für alle Zugriffe auf anvertraute oder eingezogene Gelder gegeben ist. Dies ist hier nicht der Fall.

Vielmehr hat der Beamte nach seiner Einlassung in der Hauptverhandlung mit dem zur vollständigen Schadenswiedergutmachung ausreichenden, ihm von der Ehefrau übergebenen Geldbetrag nur etwa 10 % des verursachten Schadens beglichen, indem er die Nachnahmebeträge aus 11 der insgesamt 42 Zugriffshandlungen beglich. Für die übrigen 31 Unterschlagungsfälle fehlt es an einer Wiedergutmachung des Schadens vor Tatentdeckung. Der Senat vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die vom Beamten durchaus glaubhaft vorgetragene Absicht der Wiedergutmachung noch nicht die Voraussetzung für die Anerkennung des Milderungsgrundes erfüllt. Das Erfordernis der Rechtssicherheit und einer ausreichenden Objektivierbarkeit bei der Anwendung des Milderungsgrundes gebietet es, dessen Anerkennung nicht von Absichtserklärungen, sondern von der Erfüllung objektiver und damit überprüfbarer Kriterien abhängig zu machen (Urteil vom 17. April 1996 – BVerwG 1 D 54.95).

In den Fällen, in denen der Senat trotz einer noch nicht oder noch nicht vollständig erfolgten Wiedergutmachung den Milderungsgrund bejaht hat (vgl. Urteile vom 5. Februar 1991 – BVerwG 1 D 34.90 – BVerwGE 93, 38 = ZBR 1991, 217 = BVerwG DokBer B 1991, 217 und vom 28. Mai 1997 – BVerwG 1 D 74.96 – und Urteil vom 16. März 1994 – BVerwG 1 D 17.93 – BVerwGE 103, 93) war jeweils Voraussetzung für die Annahme des Milderungsgrundes, dass nach außen erkennbare Schritte unternommen worden waren, um den jeweils entstandenen Schaden wieder gutzumachen. Notwendig ist nach dieser Rechtsprechung mithin, dass die Wiedergutmachung für jeden einzelnen Zugriffsfall in nach außen erkennbarer Weise zumindest in die Wege geleitet worden ist (Urteil vom 14. Oktober 1998, a.a.O.).

Zwar hat der Beamte eine Aufstellung mit den noch offenen Nachnahmebeträgen erstellt, in einen Briefumschlag gelegt, der seine private Telefonnummer als Aufschrift trug und in den er einen Gesamtbetrag von 3 550 DM einlegte, der zur Schadenswiedergutmachung dienen sollte. Damit waren aber keine hinreichenden Schritte zum Ausgleich der noch offenen 31 Nachnahmebeträge ergriffen. Denn der der … geschuldete Nachnahmebetrag von 386,23 DM befand sich überhaupt nicht auf der Liste, seine Begleichung war somit nicht einmal ansatzweise eingeleitet. Für die übrigen auf der Liste befindlichen 30 Fälle reichte der eingelegte Geldbetrag nicht, vielmehr fehlten hierfür mehr als 400 DM (4 015,43 DM minus 3 550 DM).

Weiterhin ergibt sich aus der Einlassung des Beamten in der Hauptverhandlung, dass die vollständige Wiedergutmachung des Schadens vor Tatentdeckung keineswegs nur aus vom Beamten nicht zu vertretenden Gründen unterblieben ist. Vielmehr hat er eingeräumt, dass seine Ehefrau ihm den kompletten Betrag von über 4 200 DM zur Rückzahlung übergeben hatte. In dem zur Rückzahlung vorgesehenen Umschlag befand sich am 24. Juni 1999 aber nur noch ein Betrag von 3 550 DM. Der Beamte muss also nach seinem eigenen Vortrag einen Teil des ihm von seiner Frau übergebenen Geldes für andere Zwecke als die Schadenswiedergutmachung verwendet haben, was angesichts seiner Alkoholabhängigkeit nachvollziehbar ist, aber den unbedingten Wiedergutmachungswillen ausschließt.

Schließlich kann das Einlegen von Nachweisen über geschobene Nachnahmebeträge einschließlich eines Geldbetrages zur Wiedergutmachung in die verschlossene Schublade eines Zustelltisches nicht mit dem Einlegen entsprechender Unterlagen in die Zustellkasse gleichgestellt werden. Denn das Einlegen eines Zettels mit dem Namen des Beamten und dem geschuldeten Betrag in das Kassenbehältnis ermöglicht dem Dienstherrn eine jederzeitige Nachvollziehbarkeit über den Verbleib des Geldes, während dies bei Verbringen entsprechender Unterlagen in eine verschlossene Schreibtischschublade nicht der Fall ist.

b) Auch der Milderungsgrund der freiwilligen Offenbarung vor Tatentdeckung liegt nicht vor.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats lässt die freiwillige, nicht durch Furcht vor Entdeckung bestimmte vollständige und vorbehaltlose Offenbarung des durch den privaten Verbrauch dienstlich anvertrauten Geldes der Post zugefügten materiellen Schadens vor Entdeckung der Tat ausnahmsweise die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses eines bisher unbescholtenen Beamten zu (vgl. Urteil vom 23. März 1999 – BVerwG 1 D 8.98 – m.w.N.). Voraussetzung für diesen Milderungsgrund ist, dass der Beamte aus freien Stücken und eigenem Antrieb gehandelt und damit Persönlichkeitselemente gezeigt hat, die noch ein Restvertrauen in ihn rechtfertigen. Wer die Entdeckung seines Fehlverhaltens konkret befürchten muss, handelt nicht mehr aus eigenem Antrieb (Urteil vom 27. Juni 2001 – BVerwG 1 D 40.00 –). So liegt der Fall hier.

Die Zeugin K.… hat am 24. Juni 1999 im Schreibtisch des Beamten die Zahlscheine gefunden, deren zugrunde liegende Nachnahmebeträge der Beamte unterschlagen hatte. Erst nachdem er durch einen Anruf zu Hause von dieser Tatsache erfahren hatte, offenbarte er die Problematik gegenüber seiner Rechtsanwältin, die wiederum mit der Betriebsrätin S.… Kontakt aufnahm. Das Gespräch mit der Zeugin S.… fand also erst nach Tatentdeckung statt, darin wurde das Fehlverhalten nicht sachlich detailliert offen gelegt, sondern nur mitgeteilt, der Beamte wolle wegen seiner “Probleme mit Nachnahmen” “reinen Tisch machen” (Zeugenaussage S.… vom 30. Juni 1999). Es kann deshalb offen bleiben, ob eine Mitteilung gegenüber einem Betriebs- oder Personalratsmitglied überhaupt für eine Offenbarung ausreicht.

c) Der Beamte kann sich nicht mit Erfolg auf den Milderungsgrund des Handelns in einer unverschuldeten ausweglosen Notlage berufen.

Zwar standen dem Beamten und seiner Ehefrau nach Abzug aller Verbindlichkeiten zur Tatzeit nur ein Betrag von rund 76 DM zum allgemeinen Lebensunterhalt zur Verfügung, was deutlich unter dem Sozialhilfesatz liegt. Jedoch hatte der Beamte diese Situation zu vertreten, da er die hohen Darlehensverbindlichkeiten von 2 700 DM monatlich für das Eigenheim der Eheleute in Kenntnis seiner begrenzten Einkünfte eingegangen war. Im Übrigen war seine selbst zu vertretende Notlage auch nicht aussichtslos, da sich seine Ehefrau kurzfristig den innerhalb von mehreren Monaten aufgelaufenen Betrag bei einer Arbeitskollegin ausleihen konnte.

d) Das vom Beamten erstrebte Absehen von der Verhängung der Höchstmaßnahme rechtfertigt sich auch nicht aus dem Umstand, dass Elemente unterschiedlicher Milderungsgründe vorliegen. Der Senat hat es in ständiger Rechtsprechung abgelehnt, bei Dienstvergehen, die – wie hier – grundsätzlich zur Verhängung der Höchstmaßnahme führen, die weitere Tragbarkeit eines Beamten aus dem Zusammenwirken von Bestandteilen mehrerer anerkannter Milderungsgründe, also aus einer Kumulation verschiedener Umstände, die jeder für sich ein Verbleiben im Dienst nicht rechtfertigen würden, festzustellen (Urteil vom 11. Juli 1995, a.a.O.). Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, diese Rechtsprechung zu modifizieren oder gar aufzugeben.

3. Die Entfernung aus dem Dienst erweist sich auch im Übrigen als verhältnismäßig.

Das aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip folgende Verhältnismäßigkeitsgebot beansprucht auch bei der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen Geltung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1969 – 2 BvR 545/68 – BVerfGE 27, 180 ≪188≫; Beschluss vom 4. Oktober 1977 – 2 BvR 80/77 – BVerfGE 46, 17 ≪29 f.≫). Danach muss die dem Einzelnen staatlicherseits auferlegte Belastung geeignet und erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Darüber hinaus darf der Eingriff seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den von den Betroffenen hinzunehmenden Einbußen stehen. Die Entfernung eines Beamten aus dem Dienst als disziplinare Höchstmaßnahme verfolgt neben der Wahrung des Vertrauens in die pflichtgemäße Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Verwaltung den Zweck der Generalprävention. Ist durch das Gewicht des Dienstvergehens und mangels Milderungsgründen das Vertrauen zerstört und kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Beamte werde dem Gebot, seine Aufgaben pflichtgemäß zu erfüllen, Rechnung tragen, erweist sich die Entfernung aus dem Dienst als erforderliche und geeignete Maßnahme, den aufgezeigten Zwecken der Disziplinarmaßnahme Geltung zu verschaffen. So verhält es sich regelmäßig bei Zugriffsdelikten. Liegt keiner der anerkannten Milderungsgründe vor, ist bei ihnen die Entfernung aus dem Dienst auch angemessen. Dabei kommt es nicht auf das Verhältnis zwischen den von den Beamten durch das Dienstvergehen erlangten Vorteilen und den durch die Disziplinarmaßnahme bewirkten Nachteilen an. Abzuwägen sind vielmehr das Gewicht des Dienstvergehens und der dadurch eingetretene Vertrauensschaden einerseits und die mit der Verhängung der Höchstmaßnahme einhergehende Belastung andererseits.

Bei Vorliegen eines anerkannten Milderungsgrundes kann noch ein Rest an Vertrauenswürdigkeit als vorhanden angesehen werden. Ist das Vertrauensverhältnis hingegen gänzlich zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Dienst als angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Die Auflösung des Dienstverhältnisses beruht dann auf der schuldhaften Verletzung von Dienstpflichten durch den Beamten und ist diesem daher als für alle öffentlich-rechtlichen und privaten Beschäftigungsverhältnisse vorhersehbare Rechtsfolge derartiger Pflichtverletzungen zuzurechnen (stRspr, vgl. z.B. Urteil vom 8. Juni 1983 – BVerwG 1 D 112.82 – BVerwGE 76, 87 ≪89≫ = ZBR 1983, 371 = DÖD 1983, 246; vgl. auch BVerfG – 3. Kammer – Beschluss vom 21. Dezember 1988 – 2 BvR 1522/88 –).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 1 Satz 1 BDO.

 

Unterschriften

Albers, Mayer, Dörig

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1361566

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