Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 18.11.2004; Aktenzeichen 7 A 4414/03) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. November 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die klagende Gemeinde begehrt die Genehmigung einer von ihr nach § 35 Abs. 6 BauGB erlassenen Außenbereichssatzung.
Die Satzung erfasst einen etwa 240 m langen und etwa 40 m breiten Bereich entlang der Ostseite der Talstraße außerhalb der Ortschaft Mecklinghausen. Das Satzungsgebiet ist – von Norden nach Süden gesehen – wie folgt bebaut: Auf dem Flurstück 68 stehen zwei versetzt aneinander gebaute Wohnhäuser (Talstraße 41/41a). Das Flurstück 67 ist straßennah mit dem Wohnhaus Talstraße 43 bebaut. In einem rückwärtigen, ehemals landwirtschaftlich genutzten Anbau ist ein Gewerbebetrieb untergebracht. Dahinter steht auf dem nicht von der Satzung erfassten Flurstück 61 ein Pferdestall nebst Wohnung. Das Flurstück 66 ist unbebaut. Auf dem Flurstück 65 steht ein weiteres Wohnhaus (Talstraße 49), das rund 80 m von dem Wohnhaus Talstraße 43 entfernt ist. Das anschließende Flurstück 64 ist gleichfalls unbebaut. Auf dem südlichsten Flurstück 63 steht das Wohnhaus Talstraße 51, das etwa 60 m von dem Wohnhaus Talstraße 49 entfernt ist.
Die Klägerin setzte in § 1 der Satzung fest, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben sowie Bestandserweiterungen vorhandener Handwerks- und Gewerbebetriebe, die die Wohnnutzung nicht wesentlich stören, im Sinne des § 35 Abs. 6 BauGB nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen.
Mit Bescheid vom 16. September 2002 versagte die Beklagte der Satzung die Genehmigung, im Wesentlichen weil eine Wohnbebauung von einigem Gewicht, wie sie § 35 Abs. 6 BauGB voraussetze, in der Regel mindestens ca. zehn bis zwölf Wohnhäuser erfordere, hier aber lediglich vier Wohngebäude im Satzungsbereich vorhanden seien, die noch nicht einmal den Ansatz einer Splittersiedlung in sich trügen.
Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat die Zurückweisung der Berufung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Klägerin fehle, obwohl Außenbereichssatzungen nach dem am 20. Juli 2004 in Kraft getretenen Europarechtsanpassungsgesetz Bau (EAG Bau) vom 24. Juni 2004 (BGBl I S. 1359) einer Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde nicht mehr bedürften, zwar nicht das Rechtsschutzinteresse für ihr Begehren. Nach § 233 Abs. 1 Satz 1 BauGB würden Verfahren nach dem BauGB, die – wie hier – vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung eingeleitet worden seien, nach den bisher geltenden Rechtsvorschriften abgeschlossen. Die Beklagte habe die von der Klägerin begehrte Genehmigung jedoch zu Recht versagt. Außenbereichssatzungen nach § 35 Abs. 6 Satz 1 BauGB könnten nur bebaute Bereiche erfassen, in denen die bodenrechtliche Situation bereits in Richtung auf eine Bebauung hindeute. Es müsse eine solche Bebauung vorhanden sein, dass wegen dieser Bebauung im betroffenen Bereich dem Schutz des Außenbereichs vor einer Zersiedelung ohnehin nicht mehr in vollem Umfang entsprochen werden könne. Der bebaute Bereich müsse jedenfalls eine gewisse Zusammengehörigkeit und Geschlossenheit erkennen lassen, die ihn als Weiler, Splittersiedlung oder sonstigen Siedlungsansatz qualifiziere. Ferner dürfe er nur solche Freiflächen aufweisen, die letztlich noch als einer Verdichtung zugängliche Lücken qualifiziert werden könnten. Gemessen hieran sei das Vorliegen eines “bebauten Bereichs” zu verneinen. Die Baukomplexe auf den Flurstücken 68 und 67 seien zwar relativ kompakt und hätten auch ein nicht unbeachtliches städtebauliches Gewicht; isoliert für sich betrachtet könnten sie als zusammengehörig erscheinen. Den beiden weiter südlich gelegenen freistehenden Wohnhäusern (Talstraße 49 und 51) fehle jedoch die erforderliche Zugehörigkeit zu den beiden nördlich gelegenen Baukomplexen. Die Freiflächen zwischen den Häusern Talstraße 43 und 49 und den Häusern Talstraße 49 und 51 stellten jeweils eine Verbindung zu den beiderseits der Talstraße vorhandenen ausgedehnten unbebauten Außenbereichsflächen dar, die gleichsam über die Talstraße hinweg sprängen und als eine beiderseits der Straße gelegene Einheit des Außenbereichs erschienen. Die Wohnhäuser Talstraße 49 und 51 seien als solitäre Bauten in den Außenbereich “eingestreut”. Einer solchen Streubebauung fehle die erforderliche Zusammengehörigkeit.
Die Klägerin hat die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Sie meint, dass das Oberverwaltungsgericht den Begriff des “bebauten Bereichs” zwar zutreffend ausgelegt habe, bei der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen jedoch von einem falschen Maßstab ausgegangen sei. Es fehle insbesondere eine Auseinandersetzung mit der Eigenart der näheren Umgebung, die von einer aufgelockerten Bebauung und großzügigen Grundstücksgröße geprägt sei. Auch sei nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht die charakteristische Siedlungsstruktur des ländlichen Raumes berücksichtigt habe.
Die Beklagte und der Beteiligte verteidigen das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil verstößt nicht gegen Bundesrecht. Das Oberverwaltungsgericht hat den Begriff des “bebauten Bereichs” im Sinne des § 35 Abs. 6 Satz 1 BauGB zutreffend ausgelegt (1.). Nach seinen tatsächlichen Feststellungen erfüllt das Satzungsgebiet nicht die an einen solchen Bereich zu stellenden Anforderungen (2.).
1. Gemäß § 35 Abs. 6 Satz 1 BauGB kann die Gemeinde für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Ein bebauter Bereich im Sinne dieser Vorschrift ist – wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat (UA S. 16 f.) – gegeben, wenn und soweit bereits eine vorhandene Bebauung dazu führt, dass der Außenbereich seine Funktion, als Freiraum oder als Fläche für privilegiert zulässige Vorhaben zu dienen, nicht mehr oder nur noch mit wesentlichen Einschränkungen erfüllen kann. Die vorhandene Bebauung muss auf eine weitere Bebauung im Wege der baulichen Verdichtung hindeuten; erforderlich hierfür ist, dass die Bebauung eine gewisse Zusammengehörigkeit und Geschlossenheit erkennen lässt, die sie als Weiler, Splittersiedlung oder sonstigen Siedlungsansatz qualifiziert. Die vorhandene Bebauung muss nicht das Gewicht einer Splittersiedlung erreichen; auch kleinere Siedlungsansätze können die genannten Voraussetzungen erfüllen. Anderenfalls ergäbe die Regelung, dass Vorhaben nicht entgegengehalten werden kann, sie ließen die “Entstehung” einer Splittersiedlung befürchten, keinen Sinn. Die Erweiterung einer Splittersiedlung durch Ausdehnung in den Außenbereich hinein wird durch den Erlass einer Außenbereichssatzung hingegen nicht erleichtert; nur eine zu befürchtende Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung schadet einem Vorhaben nicht. Die vorhandene Bebauung muss deshalb in einem der Verdichtung zugänglichen Zusammenhang stehen; die Freiflächen dürfen diesen Zusammenhang nicht unterbrechen. Ob eine Unterbrechung des Zusammenhangs vorliegt oder nicht, lässt sich ebenso wenig wie bei einem Bebauungszusammenhang im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. November 1968 – BVerwG 4 C 2.66 – BVerwGE 31, 20 und vom 15. Mai 1997 – BVerwG 4 C 23.95 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 329 = BRS 59 Nr. 90; Beschlüsse vom 18. Juni 1997 – BVerwG 4 B 238.96 – BRS 59 Nr. 78 und vom 9. November 2005 – BVerwG 4 B 67.05 – ZfBR 2006, 161) oder einer Splittersiedlung im Sinne des § 35 Abs. 3 Nr. 7 (vgl. Urteil vom 3. Juni 1977 – BVerwG 4 C 37.75 – BVerwGE 54, 73 ≪77≫) unter Anwendung von geographisch-mathematischen Maßstäben bestimmen. Zur Beurteilung bedarf es vielmehr einer echten Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts. Ausschlaggebend ist, inwieweit die aufeinander folgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Letztlich maßgebend für die Betrachtungsweise ist die Verkehrsauffassung mit der Folge, dass es entscheidend jeweils auf die Lage des Einzelfalls ankommt (vgl. BVerwGE 31, 20 ≪21 f.≫; stRspr). Zu berücksichtigen ist, dass die Bebauung eines bebauten Bereichs im Außenbereich verglichen mit einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil weniger dicht und der Eindruck der Geschlossenheit der Bebauung deshalb von vornherein weniger stark sein kann. Je nach den Umständen des Einzelfalls können deshalb zwischen den Gebäuden auch gewisse größere, einen Bebauungszusammenhang im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB möglicherweise bereits unterbrechende Freiflächen liegen. Die Gebäude dürfen jedoch – wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls zutreffend erkannt hat (UA S. 17) – nicht so weit voneinander entfernt liegen, dass der Eindruck der Zugehörigkeit zu einem Weiler, einer Splittersiedlung oder einem sonstigen Siedlungsansatz nicht aufkommen kann.
2. Gemessen hieran ist das Satzungsgebiet nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts kein “bebauter Bereich”. Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass den beiden südlich gelegenen freistehenden Wohnhäusern die erforderliche Zugehörigkeit zu den beiden nördlich gelegenen Baukomplexen fehle. An diese tatsächliche, die Bejahung eines bebauten Bereichs ausschließende Feststellung ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden. Tatsächliche Feststellungen im Sinne des § 137 Abs. 2 VwGO sind die Feststellungen nicht nur zu den konkreten Grundstücksgegebenheiten, sondern auch zu den von diesen Gegebenheiten ausgehenden städtebaulichen Wirkungen. Die Einschätzung der städtebaulichen Wirkungen ist zwar das Ergebnis einer wertenden Betrachtung; diese Bewertung ist jedoch nicht Teil der revisionsgerichtlich zu überprüfenden Anwendung des § 35 Abs. 6 BauGB auf den festgestellten Sachverhalt, sondern, der Rechtsanwendung im Einzelfall vorausliegend, eine Würdigung der örtlichen Gegebenheiten in tatsächlicher Hinsicht. Als Teil der Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist sie revisionsgerichtlich nur darauf zu überprüfen, ob sie auf einem Rechtsirrtum beruht oder gegen allgemeine Beweiswürdigungsgrundsätze verstößt, zu denen die gesetzlichen Beweisregeln, die Denkgesetze und die allgemeinen Erfahrungssätze gehören (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. Juni 2002 – BVerwG 4 CN 6.01 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 111 – und vom 1. Dezember 1989 – BVerwG 8 C 17.87 – BVerwGE 84, 157 ≪162≫; Eichberger, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 137 Rn. 170 – Stand: Januar 2002). Ein solcher die Bindung ausschließender Grund ist hier nicht gegeben. Insbesondere beruht die Sachverhaltswürdigung des Oberverwaltungsgerichts nicht auf einem Rechtsirrtum. Anhaltspunkte dafür, dass das Oberverwaltungsgericht bei seiner Sachverhaltswürdigung von einer anderen als der im Berufungsurteil zutreffend dargelegten Auslegung des § 35 Abs. 6 BauGB ausgegangen sein könnte, sind nicht ersichtlich. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht verkannt, dass, wenn die nähere Umgebung von einer aufgelockerten Bebauung und einer großzügigen Grundstücksgröße geprägt ist, auch gewisse größere Freiräume zwischen den Gebäuden liegen können (UA S. 17). Es hat ausgehend von diesem Grundsatz im vorliegenden Fall die Freiflächen nicht als Teil eines Siedlungsansatzes, sondern als Verbindung zu den beiderseits der Straße vorhandenen, als Einheit erscheinenden Außenbereichsflächen gewertet, in die die Wohnhäuser Talstraße 49 und 51 “eingestreut” seien. Dies ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Paetow, Gatz, Dr. Philipp, Dr. Hofherr
RiBVerwG Dr. Jannasch ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert
Dr. Paetow
Fundstellen