Entscheidungsstichwort (Thema)
Globalanmeldung. jüdisches Unternehmen. Schädigung. schädigende Maßnahme. Zeitpunkt. Kausalgeschäft. Auflassung. Verfolgungsvermutung. Widerlegung. ungerechtfertigte Entziehung. verfolgungsbedingtes Rechtsgeschäft. Kaufpreis. freie Verfügbarkeit. Stundung. Abtretung
Leitsatz (amtlich)
Maßgeblich für die Beurteilung der freien Verfügbarkeit des Kaufpreises im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO ist grundsätzlich auch dann der Zeitpunkt des Verkaufs, wenn der Kaufpreis vereinbarungsgemäß nicht sofort bezahlt wurde (wie Urteil vom 24. Juni 2004 – BVerwG 7 C 20.03 – Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 26).
Eine Stundung des Kaufpreises steht der Annahme einer freien Verfügbarkeit regelmäßig nicht entgegen.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 6; REAO Art. 3 Abs. 2
Verfahrensgang
VG Potsdam (Urteil vom 17.02.2005; Aktenzeichen 1 K 4235/98) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 17. Februar 2005 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen im Revisionsverfahren.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Rückübertragung des 1933 von den Rechtsvorgängern des Beigeladenen im Rahmen eines Parzellierungsvorhabens erworbenen Grundstücks Flur Nr. … Flurstück … der Gemarkung K….
Das Grundstück war ursprünglich Teil einer zusammenhängenden Fläche von ca. 100 ha, die die Gemeinnützige Siedlungsgesellschaft mbH K… (Siedlungsgesellschaft) im Mai 1927 zum Zwecke der Parzellierung und des Verkaufs von Grundstücken an Siedler erwarb. Die Anteile an der Siedlungsgesellschaft hielt teils direkt, teils indirekt der jüdische Unternehmer Adolf S… zu 79,4 %.
Im April 1932 übertrug die Siedlungsgesellschaft eine Teilfläche von ca. 17,2 ha auf die Deutsche Land- und Baugesellschaft mbH (DLB), deren Anteile das Deutsche Reich hielt. Auf dieser Teilfläche sollten im Rahmen des sog. ersten Bauzuges der Bürgerhaussiedlung K… 250 Häuser errichtet werden. Die DLB veräußerte weitgehend noch im Jahre 1932 vor Ort die Grundstücke in einem eigenen Verkaufsbüro. Der Bodenpreis betrug in der Regel 6,40 RM je m(2) einschließlich Erschließungskosten.
Am 15. März 1933 schloss die Siedlungsgesellschaft mit der DLB einen schriftlichen Kaufvertrag über eine weitere Teilfläche des Siedlungsgeländes von ca. 5,8 ha. Die Auflassung wurde am 16. März 1933 vor dem Grundbuchamt erklärt und die DLB am 11. April 1933 als Eigentümerin eingetragen. Der vereinbarte Bodenpreis betrug 4,80 RM je m(2). Er war an die Siedlungsgesellschaft erst zu zahlen, wenn die DLB das Grundstück zu mindestens diesem Preis an einen Dritten weiterverkauft und von diesem den Kaufpreis erhalten hatte. Kosten und Lasten des Vertrages sowie anfallende öffentliche Abgaben hatte die Siedlungsgesellschaft zu tragen. Ihre Ansprüche aus dem Vertrag durfte sie nur mit Zustimmung der DLB abtreten.
Mit Vertrag vom 14. März 1933 trat die Siedlungsgesellschaft zu erwartende Forderungen gegen die DLB in Höhe von ca. 118 000 RM an die A… AG ab. Dies war eine im Eigentum des Deutschen Reiches stehende Wirtschaftsförderungsbank, die ab 1932 Kredite für von Regierungsseite wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch befürwortete große Industrie- und Bauprojekte gewährte.
In einer Gesellschafterversammlung vom 10. April 1933 wurden die Geschäftsführer der Siedlungsgesellschaft Hans W. und Erich R. von ihrer Funktion entbunden und als neue Geschäftsführer Rudolf J. und Karl H., den Adolf S. am 31. März 1933 zu seinem Generalbevollmächtigten bestellt hatte, nachdem er von SA-Mitgliedern überfallen worden und zur Flucht gezwungen war, berufen. Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 11. Juli 1933 wurden Robert T. und Walter Sch. als Geschäftsführer der Siedlungsgesellschaft bestellt, Karl H. erhielt Prokura. Kurze Zeit später war Walter Sch… – NSDAP – und SS-Mitglied – alleiniger Geschäftsführer. Die Siedlungsgesellschaft setzt – nach mehreren Umfirmierungen – ihre Geschäftstätigkeit bis heute unter der Firma I… W… GmbH fort.
Aus der im März 1933 an die DLB veräußerten Teilfläche ging das streitgegenständliche Grundstück hervor, das die DLB mit notariell beurkundetem Vertrag vom 29. April 1933 an die Rechtsvorgänger des Beigeladenen verkaufte. Der Bodenpreis betrug einschließlich der Erschließungskosten 6,40 RM je m(2). Am 19. Dezember 1933 wurde das Eigentum im Grundbuch umgeschrieben. Der Beigeladene erhielt das Grundstück durch Schenkungsvertrag vom 17. August 1993 von seiner Mutter und wurde am 26. Juli 1995 im Grundbuch eingetragen.
Mit sog. Globalanmeldung (ANM-3) vom 22. Dezember 1992 meldete die Conference on Jewish Material Claims against Germany, Inc. (JCC) vermögensrechtliche Ansprüche an und präzisierte diese mit Schreiben vom 4. Mai 1995 auf das in K… belegene Betriebsvermögen der Siedlungsgesellschaft. Mit notariell beurkundeter Erklärung vom 20. August 1997 trat sie ihre Ansprüche an den Kläger ab.
Mit Teilbescheid vom 8. September 1998 lehnte das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Brandenburg den Antrag des Klägers auf Rückübertragung des streitgegenständlichen Grundstücks ab. Zur Begründung hieß es im Wesentlichen, der Kläger habe die von der JCC fristgerecht angemeldeten Restitutionsansprüche nicht wirksam erworben, so dass ihm die Aktivlegitimation fehle. Unabhängig davon seien aber die Voraussetzungen einer Restitution nicht gegeben. In Betracht komme allein die Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG. Das Grundstück sei aber bereits vor der Entziehung der Gesellschaftsanteile aus dem Vermögen der Gesellschaft ausgeschieden. Die nachfolgende Entziehung des Unternehmens habe es deshalb nicht mehr erfasst.
Zur Begründung der fristgemäß erhobenen Klage hat der Kläger insbesondere vorgetragen, es bestehe ein Anspruch auf Einräumung von Bruchteilseigentum in Höhe der Unternehmensbeteiligung von 79 %, der aus § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG folge. Die Ausnahmevorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG stehe dem nicht entgegen. Alternativ ergebe sich der Restitutionsanspruch aus § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG, denn der Grundstücksverlust liege zeitlich vor der Schädigung des Unternehmens. Mit der Auflassung vom 16. März 1933 sei der Formmangel des Kaufvertrages geheilt gewesen, denn nach der Auflassung habe die Siedlungsgesellschaft den Eigentumserwerb der DLB nicht mehr verhindern können. Frühestens am 21. April 1933 sei demgegenüber eine faktische Entziehung des Unternehmens eingetreten, weil es zu diesem Zeitpunkt zu den wesentlichen Änderungen in der Führungsetage des Konzerns gekommen sei. Im Rahmen der Verfolgungsvermutung gemäß § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 REAO müsse berücksichtigt werden, dass andere Tatsachen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Halbs. 1 REAO für einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust sprächen.
Der Kläger hat vor dem Verwaltungsgericht beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 8. September 1998 zu verpflichten, das Grundstück Gemarkung K…, Flur … Flurstück …, an den Kläger zurückzuübertragen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat schon eine fristwahrende Anmeldung bestritten. Im Übrigen sei das streitgegenständliche Grundstück erst nach der Entziehung der Gesellschaftsanteile veräußert worden. Als Schädigungszeitpunkt für das Unternehmen sei der 31. März 1933 anzunehmen, weil von diesem Tag an Adolf S. sämtliche Einwirkungs- und Verfügungsmöglichkeiten über die Gesellschaft verloren habe. Hinsichtlich des Grundstücks sei erst der grundbuchliche Vollzug des formunwirksamen Kaufvertrages als Schädigungszeitpunkt anzusehen. Deshalb finde § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG Anwendung; der Anspruch sei aber wegen § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG ausgeschlossen, der auch die Veräußerung des Grundstücks über einen Zwischenerwerber erfasse.
Der Beigeladene hat vor dem Verwaltungsgericht keinen Antrag gestellt und darauf verwiesen, dass er seines Erachtens erfolgreich abgeschlossene Vergleichsverhandlungen mit dem Kläger geführt habe.
Mit Urteil vom 17. Februar 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verpflichtet, das streitgegenständliche Grundstück auf den Kläger zurückzuübertragen. Dem Kläger fehle es für die Durchsetzung seines Anspruchs nicht am Rechtsschutzbedürfnis, denn ein zivilrechtlicher Vergleich sei mit dem Beigeladenen nicht zustande gekommen. Die Klage sei auch begründet, weil der Kläger auf der Anspruchsgrundlage des § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG einen rechtzeitig angemeldeten und ihm wirksam abgetretenen Anspruch verfolge. Die sog. Globalanmeldung ANM-3 lasse eine Individualisierung auf das streitgegenständliche Grundstück zu. Die Siedlungsgesellschaft sei von einer Maßnahme gemäß § 1 Abs. 6 VermG betroffen gewesen. Die Veräußerung der Flächen an die DLB sei als verfolgungsbedingter Vermögensverlust einzuordnen. Die Verfolgungssituation der Gesellschaft ergebe sich aus den Aussagen des Adolf S., seiner vormaligen Angestellten und seiner Geschäftspartner, die Bestandteil der beigezogenen Rückerstattungs- und Entschädigungsakten seien. Die Gesellschaft gehöre auch zu einem in seiner Gesamtheit verfolgten Personenkreis. Nach der nationalsozialistischen Sichtweise habe es sich um eine jüdische Gesellschaft gehandelt, weil für eine mehrheitlich Juden gehörende Gesellschaft von einer Kollektivverfolgung ab dem 30. Januar 1933 ausgegangen werden müsse. Der Verlust des streitgegenständlichen Grundstücks habe die noch jüdische Siedlungsgesellschaft betroffen, weil die Anteile des Adolf S. nicht vor dem 21. April 1933 entzogen worden seien. Im Rahmen des § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG finde die gesetzliche Vermutung des verfolgungsbedingten Vermögensverlustes nach Art. 3 REAO Anwendung. Zwar stritten keine anderen Tatsachen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Halbs. 1 REAO für die Verfolgungsbedingtheit. Auch sei der vereinbarte Kaufpreis angemessen gewesen. Er sei aber nicht in die freie Verfügung der Veräußerin gelangt, so dass die Vermutung des verfolgungsbedingten Vermögensverlustes nicht widerlegt sei. Die freie Verfügbarkeit müsse in der Person des Verfolgten eintreten. Vor der “Arisierung” sei aber nur ein Teil des Kaufpreises in die freie Verfügung der Siedlungsgesellschaft gelangt, nämlich der an die A… AG abgetretene Teil der Kaufpreisforderung in Höhe von ca. 42 %. Der darüber hinausgehende Kaufpreis sei, soweit sich die vollständige Zahlung von der DLB an die Siedlungsgesellschaft überhaupt nachweisen lasse, erst nach dem 21. April 1933 gezahlt worden. § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG stehe der Rückübertragung nicht entgegen. Zum einen handele es sich bei dem streitgegenständlichen Grundstück nicht um einen weggeschwommenen Vermögenswert. Vielmehr liege die Entziehung zeitlich vor der Schädigung der Unternehmensanteile. Zum anderen sei die Fläche, anders als es der Wortlaut des Gesetzes fordere, nicht an eine natürliche Person veräußert worden, sondern als Erwerber die DLB aufgetreten. Die Ausschlussgründe der §§ 4, 5 VermG lägen nicht vor, insbesondere sei das Grundstück nicht Bestandteil eines komplexen Siedlungsbaus im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG geworden.
Der Beigeladene hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Der Beigeladene beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 17. Februar 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beigeladenen ist zulässig und begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Veräußerung des Grundstücks durch die Siedlungsgesellschaft an die DLB war kein Zwangsverkauf im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG.
Allerdings ist das Verwaltungsgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die JCC als Rechtsvorgänger des Klägers die Restitutionsansprüche fristgemäß angemeldet hat. Die Voraussetzungen, unter denen die Globalanmeldung – Anmeldung 3 – der JCC die Anforderungen einer fristgemäßen Anmeldung nach § 30a VermG wahrt, sind nach den grundlegenden Urteilen vom 23. Oktober 2003 (BVerwG 7 C 62.02 – BVerwGE 119, 145) und – dieses konkretisierend – vom 24. November 2004 (BVerwG 8 C 15.03 – BVerwGE 122, 219) in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach ist einer Globalanmeldung die Anerkennung nicht zu versagen, wenn die Anmeldung selbst und die dazugehörigen Anlagen zu bestimmten Vermögensgegenständen führen und damit die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Satz 1 und § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG erfüllen. Eine fristwahrende Anmeldung erfordert demnach, dass die Bezeichnung der Akten oder die hierzu in der Anlage zur Anmeldung wiedergegebene Erläuterung sowohl einen Hinweis darauf ergibt, dass Gegenstand der Akten ein Entziehungs- oder Schädigungstatbestand hinsichtlich eines Grundstücks eines jüdischen Eigentümers ist, als auch, dass der angemeldete Vermögenswert in dem örtlichen Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen (LaRoV) belegen sein kann (Urteil vom 24. November 2004 a.a.O. S. 230).
Die Anmeldung 3 der JCC nahm u.a. Bezug auf die bei der Oberfinanzdirektion (OFD) Berlin geführten Rückerstattungsakten, die als Fallakten geeignet sind, auf bestimmte Unterlagen hinzuweisen, aus denen sich aufgrund früherer Wiedergutmachungsanträge der geschädigte Vermögenswert und das Eigentum eines Juden ergeben können. Den Akten der OFD Berlin ist zwar kein Hinweis zu entnehmen, dass Vermögenswerte im Zuständigkeitsbereich des LaRoV Brandenburg betroffen sein könnten. Aber das in der Globalanmeldung 3 benannte Schreiben des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 2. Dezember 1992 stellt eine “in der Anlage zur Anmeldung wiedergegebene Erläuterung” dar, durch die jedes Landesamt aufgrund der Anmeldung neben den sie kraft Bezeichnung betreffenden Akten auch die Akten der OFD-Berlin auf Einschlägigkeit zu überprüfen hatte. Deshalb musste jede Behörde davon ausgehen, dass sich bei den dort genannten Akten der OFD Berlin auch Vorgänge aus ihrem örtlichen Zuständigkeitsbereich befinden konnten (vgl. Beschluss vom 8. September 2005 – BVerwG 8 B 88.05 – Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 35; Urteil vom 3. November 2005 – BVerwG 7 C 24.04 – Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 34).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor: Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts führt die Kartei der Rückerstattungskläger bei der OFD Berlin zu den Rückerstattungsakten des Adolf S. In diesen Akten findet nicht nur verschiedentlich die 100 ha große Grundfläche der Siedlungsgesellschaft Erwähnung; es gibt auch ein Rückerstattungsverfahren aus dem Jahr 1961, das sich mit der Wertminderung der zurückübertragenen Anteile an der Siedlungsgesellschaft beschäftigt. Die Tatsache, dass das streitgegenständliche Grundstück nicht exakt mit der Flurnummer bezeichnet wird, ist unschädlich. Die Beschreibung als Fläche zwischen den Ortschaften D… und K…, südlich der … Stadtbahn, lässt eine hinreichende Konkretisierung zu.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt aber Bundesrecht, weil es in dem Verkauf der Teilfläche von 5,8 ha durch die Siedlungsgesellschaft an die DLB eine die Siedlungsgesellschaft schädigende Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG sieht und deshalb einen Rückübertragungsanspruch nach § 3 VermG bejaht.
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch kann sich nur auf § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG stützen. Denn der allein als schädigende Maßnahme in Betracht kommende Verkauf des Grundstücks von der Siedlungsgesellschaft an die DLB mit schriftlichem Kaufvertrag vom 15. März 1933 lag vor einer möglichen Schädigung des Unternehmens Siedlungsgesellschaft. Zwar war der nur privatschriftlich geschlossene Kaufvertrag vom 15. März 1933 formunwirksam, weil er gemäß § 313 BGB a.F. notariell hätte beurkundet werden müssen. Dieser Formmangel war erst mit der Umschreibung des Grundstücks im Grundbuch auf die DLB am 11. April 1933 geheilt. Für die Frage des Zeitpunkts einer schädigenden Maßnahme durch Verkauf eines Grundstücks entspricht es aber der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass – in Übereinstimmung mit der rückerstattungsrechtlichen Rechtsprechung – nicht auf die dingliche Eigentumsübertragung abzustellen ist, sondern auf das Kausalgeschäft, mit dem sich der Veräußerer in bindender Weise wirtschaftlich des Vermögensgegenstandes entledigte. Denn schon der Abschluss eines wirksamen Kausalgeschäfts verschaffte dem Erwerber einen durchsetzbaren Anspruch auf Übereignung des Vermögenswertes. Der für nach dem Vermögensrecht zu beurteilende Entziehungsakte wesentliche Druck auf die Willensfreiheit des Verfolgten erfolgte bereits auf der Ebene des Kausalgeschäfts (vgl. Urteile vom 16. Dezember 1998 – BVerwG 8 C 14.98 – BVerwGE 108, 157 ≪162 f.≫; vom 24. Februar 1999 – BVerwG 8 C 15.98 – BVerwGE 108, 301; für das Rückerstattungsrecht: ORG Berlin, Entscheidung vom 7. Januar 1958 – ORG/A/536 – RzW 1958, 96).
Die bindende Wirkung war hier bereits am 16. März 1933 eingetreten, indem beide Vertragspartner gemeinsam beim Grundbuchamt die Auflassung erklärten. Diese war trotz der Unwirksamkeit des Kausalgeschäfts wirksam und gemäß § 873 Abs. 2 BGB bindend. Der Veräußerer konnte von der Erklärung der Auflassung an den Rechtsverlust nicht mehr verhindern. Als Zeitpunkt, zu dem der Siedlungsgesellschaft das Grundstück entzogen wurde, ist deshalb der 16. März 1933 anzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt war die Siedlungsgesellschaft als Unternehmen noch nicht geschädigt. Auch die konkreten Verfolgungsmaßnahmen gegen den Gesellschafter Adolf S. begannen erst Ende März 1933.
Als Schädigung im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG kommt ein Vermögensverlust gemäß § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG in Gestalt einer “ungerechtfertigten Entziehung” nach § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 REAO in Betracht. Diese Regelung umfasst auch die Schädigung juristischer Personen. Die die Auflassung erklärende Siedlungsgesellschaft, deren Gesellschaftsanteile zumindest zu ca. 80 % im Eigentum des Juden Adolf S. standen, war schon 1933 als jüdisches Unternehmen anzusehen und gehörte damit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO zu einem Personenkreis, der aus Gründen der Rasse verfolgt war (vgl. Urteile vom 23. Februar 2006 – BVerwG 7 C 4.05 – ZOV 2006, 144 ≪145≫ und vom 19. September 2002 – BVerwG 7 C 21.01 – Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 51 – jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte).
Die Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 REAO ist hier aber gemäß Art. 3 Abs. 2 REAO widerlegt. Das Verwaltungsgericht ist aufgrund seiner tatsächlichen Feststellungen zu der Würdigung gelangt, dass keine anderen Tatsachen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO eine ungerechtfertigte Entziehung beweisen oder für eine solche Entziehung sprechen. Diese Feststellungen sind nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen worden. Die Tatsachenwürdigung der Vorinstanz kann allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der Denkgesetze revisionsrechtlich überprüft werden (vgl. Urteil vom 19. Januar 1990 – BVerwG 4 C 28.89 – BVerwGE 84, 271 ≪272 f.≫). Dafür bestehen hier keine Anhaltspunkte. Das Revisionsgericht ist deshalb an die Feststellungen gebunden.
Auch die Frage, ob der zwischen der Siedlungsgesellschaft und der DLB für die Grundstücksflächen vereinbarte Kaufpreis angemessen war, hat das Verwaltungsgericht rechtsfehlerfrei bejaht. Insoweit sind ebenfalls keine wirksamen Verfahrensrügen erhoben worden. Der zwischen Siedlungsgesellschaft und DLB vereinbarte Kaufpreis von 4,80 RM entspricht dem Betrag, der in Direktverkäufen von den Siedlern gefordert wurde. Die Grundstücke sollten von der DLB auch zu (mindestens) diesem Preis an Dritte weiter verkauft werden.
Zu Unrecht ist das Verwaltungsgericht aber davon ausgegangen, dass die Siedlungsgesellschaft über den Kaufpreis nicht habe frei verfügen können. Die Vorinstanz ist von einem falschen Maßstab hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem die Verfügungsmöglichkeit bestanden haben muss, ausgegangen. Das Verwaltungsgericht hat auf den Zeitpunkt der Zahlung des Kaufpreises abgestellt, zu dem nach seinen Feststellungen die Siedlungsgesellschaft bereits “arisiert” war. Dem steht die Entscheidung des 7. Senats des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 24. Juni 2004 – BVerwG 7 C 20.03 – Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 26) entgegen, derzufolge maßgeblich für die Beurteilung der freien Verfügbarkeit des Kaufpreises im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO grundsätzlich auch dann der Zeitpunkt des Verkaufs ist, wenn der Kaufpreis vereinbarungsgemäß ganz oder teilweise nicht sofort bezahlt wurde. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an (a.A. noch das obiter dictum im Urteil vom 24. Februar 1999 – BVerwG 8 C 15.98 – BVerwGE 108, 301 ≪312≫). Da für die Beurteilung der Verfolgungsbedingtheit des Rechtsgeschäfts auf das Kausalgeschäft abzustellen ist, weil nur insoweit die freie Willensbildung des Verfolgten beeinflusst sein kann, und dementsprechend für dieses Kausalgeschäft die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 REAO gilt, so muss auch für die Widerlegung der Vermutung auf diesen Zeitpunkt abgestellt werden. Die freie Verfügungsgewalt des Verkäufers dient nach Art. 3 Abs. 2 REAO – neben der Angemessenheit des Kaufpreises – als wesentliches Anzeichen dafür, dass der Verkäufer in freier Willensentschließung handelte (OLG Köln vom 24. Februar 1951, RzW 1951, 142 ≪143≫; OLG München vom 28. September 1951, RzW 1951, 346 f.). Dies kann nur nach den Umständen beurteilt werden, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder – wie hier – der Eingehung einer Bindung durch Abgabe der Auflassungserklärungen bestanden haben oder zumindest absehbar waren. Denn ein sich erst später ergebender Wegfall der freien Verfügbarkeit des Kaufpreises, der bei Vertragsabschluss nicht absehbar war, konnte die freie Willensbildung des Verfolgten bei Abschluss des Kaufvertrages nicht beeinflussen. Ihm kann deshalb keine Aussagekraft darüber zukommen, ob der Verkäufer bei Eingehung der Verbindlichkeit in seiner Willensentschließung beeinträchtigt war.
Der englische Text der REAO bestätigt diese Auslegung, der (lediglich) vom “free right of disposal” spricht. Dementsprechend ging die Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte, an der sich die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu diesen Fragen stets orientiert hat (vgl. Urteil vom 24. Februar 1999 – BVerwG 8 C 15.98 – a.a.O.; Urteil vom 15. Januar 1981 – BVerwG 3 C 31.80 – Buchholz 427.207 § 6 FeststellungsDV 7 Nr. 28 S. 3 f.; Urteil vom 23. Februar 2006 – BVerwG 7 C 4.05 – a.a.O. S. 145) auch ganz überwiegend dahin, dass die Frage, ob der Verkaufspreis zur freien Verfügung des Verkäufers stand, grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Veräußerung und nicht nach dem späteren Schicksal des Kaufpreises zu beurteilen sei. Eine erst nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses einsetzende Verfügungssperre ändert deshalb grundsätzlich nichts an der Verfügungsfreiheit im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO (vgl. z.B. OLG Köln vom 24. Februar 1951, RzW 1951, 142; OLG München vom 28. September 1951, RzW 1951, 346 f.; a.A. OLG Hamburg vom 13. Juni 1952, RzW 1952, 267). Die vom Kläger unter Hinweis auf den Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 REAO vertretene Auffassung, die freie Verfügbarkeit müsse in zwei Stufen beurteilt werden, nämlich dass der Veräußerer in einer ersten Stufe zunächst den angemessenen Kaufpreis erhalten habe und dann als zweite Stufe frei über ihn habe verfügen können, entspricht weder der bisherigen Rechtsprechung noch der bisherigen Anwendung des Art. 3 Abs. 2 REAO, der mit den einschlägigen Bestimmungen in den anderen Rückerstattungsgesetzen übereinstimmt. Schon nach der bisherigen Rechtsprechung wurde es als ausreichend für die freie Verfügbarkeit angesehen, dass der Betrag vom Erwerber abredegemäß an einen Dritten gezahlt worden ist (vgl. Urteil vom 24. Februar 1999 – BVerwG 8 C 15.98 – a.a.O. S. 310 f.) oder abgetreten wurde. War der Kaufpreisrest gestundet oder durch eine Hypothek gesichert, richte sich die Verfügungsgewalt des Veräußerers nicht nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit des Kaufpreisrestes, sondern nach dem Zeitpunkt des Verkaufs und der anschließenden Abwicklung. Die bloße Stundung der Kaufpreisforderung war nach der Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte keine Beschränkung der freien Verfügungsgewalt. Auch wenn der Veräußerer die Kaufpreisrestforderung bis zur Fälligkeit nicht beitreiben konnte, so habe er doch durch Abtretung, Verpfändung usw. über sie verfügen und sie damit wirtschaftlich verwerten können (vgl. OLG München, a.a.O.). Diese Auffassung wurde auch in der Kommentarliteratur zum Rückerstattungsgesetz vertreten (vgl. Harmening/Hartenstein/Ostoff, Rückerstattungsgesetz, 1950, Art. 3 Anm. 2; v. Godin, Rückerstattungsgesetze, 2. Aufl. 1950, Art. 3 Anm. 8).
Hier war der Kaufpreis in die freie Verfügungsbefugnis der Siedlungsgesellschaft gelangt. Über einen Teilbetrag in Höhe von 118 000 RM hatte sie bereits vor Abschluss des Kaufvertrages am 14. März 1933 durch eine Vorausabtretung an die A… AG verfügt. Die Tatsache, dass nach dem Kaufvertrag mit der DLB Abtretungen der Genehmigung durch die DLB bedurften, steht der Wirksamkeit der Verfügung nicht entgegen. Zum einen kann davon ausgegangen werden, dass diese Genehmigung erteilt wurde; zum anderen bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dieser Genehmigungsvorbehalt verfolgungsbedingt war. Er ergab sich allein aus der besonderen wirtschaftlichen Situation zwischen der Siedlungsgesellschaft und der DLB.
Auch der restliche Kaufpreis, den die Siedlungsgesellschaft der DLB bis zur jeweiligen Bezahlung durch die erwerbenden Siedler gestundet hatte, stand ihr zur freien Verfügung. Insoweit reicht die Möglichkeit, dass die Siedlungsgesellschaft auch über diesen Teil des Kaufpreises hätte verfügen können, aus. Sie muss nicht tatsächlich über diesen Kaufpreis verfügt haben. Die Stundung führte zwar dazu, dass der Kaufpreisrest noch nicht fällig wurde und bis zur Fälligkeit nicht beigetrieben werden konnte. Die Stundung stellt aber keine Beschränkung der freien Verfügungsgewalt dar, denn der Veräußerer kann durch Abtretung oder Verpfändung schon vor der Fälligkeit über sie verfügen und sie damit wirtschaftlich verwerten (OLG München, a.a.O.; Urteil vom 24. Juni 2004 – BVerwG 7 C 20.03 – a.a.O.). Die Stundungsvereinbarung war ihrerseits nicht verfolgungsbedingt.
Soweit der Kläger dieser Auslegung entgegenhält, dass dann in vielen “Frühfällen”, d.h. Veräußerungen vor dem 15. September 1935, die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 REAO widerlegt werden könne, führt dies nicht dazu, von der Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte abzuweichen. Über das Korrektiv der “anderen Tatsachen”, die für eine ungerechtfertigte Entziehung sprechen und damit die Möglichkeit der Widerlegung der Vermutung ausschließen können, ist im Einzelfall sichergestellt, dass ungerechtfertigte Entziehungen von Vermögenswerten als solche erkannt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Gödel, Dr. Pagenkopf, Dr. von Heimburg, Postier, Dr. Hauser
Fundstellen