Entscheidungsstichwort (Thema)
Planfeststellung. Planfeststellungsbeschluss. enteignungsrechtliche Vorwirkung. Auflassungsvormerkung. Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne. Klagebefugnis des Vormerkungsberechtigten. kein Übergang von Besitz, Nutzungen und Lasten. Rücktrittsrecht. fernstraßenrechtliches Vorkaufsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Klagebefugnis bereits gegen den Planfeststellungsbeschluss vermitteln alle Rechtspositionen, die Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sind und von den enteignungsrechtlichen Vorwirkungen eines Planfeststellungs- oder sonstigen Beschlusses erfasst werden.
2. Diese Voraussetzungen erfüllt regelmäßig ein durch Vormerkung nach § 883 BGB gesicherter Anspruch auf Verschaffung des Eigentums an einem Grundstück (“Auflassungsvormerkung”), ohne dass es darauf ankommt, ob Besitz sowie Nutzungen und Lasten bereits auf den Vormerkungsberechtigten übergegangen sind.
Normenkette
GG Art. 14 Abs. 1, 3; VwGO § 42 Abs. 2; FStrG § 9a Abs. 1, 6, § 19; BGB §§ 463, 883; EnteigG SH §§ 44-45
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 09.06.2011; Aktenzeichen 1 KS 1/11) |
Tenor
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2011 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der Kläger wendet sich gegen den Ergänzungsbeschluss des Beklagten vom 2. März 2007 zu dem Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau der Bundesautobahn A 1 Hamburg – Lübeck von Kilometer 6,800 bis Kilometer 11,187 vom 1. Oktober 1980. Mit dem Ergänzungsbeschluss werden in Umsetzung eines Vorbehaltes im Planfeststellungsbeschluss aktive Lärmschutzmaßnahmen in der Gemeinde Barsbüttel, Ortsteil Willinghusen, festgesetzt. Hierfür sollen die landwirtschaftlich genutzten Grundstücke der Gemarkung …, Flur …, mit den Flurstücksnummern …, … und … teilweise dauerhaft, teilweise vorübergehend in Anspruch genommen werden.
Rz. 2
Der Kläger hat die genannten Grundstücke mit notariellem Kaufvertrag vom 21. September 1999 gekauft, um ein Teppichhaus darauf zu errichten. Eine Eigentumsumschreibung ist bislang nicht erfolgt und der Besitz nicht auf den Kläger übergegangen. Bis Ende 2012 hat sich der Kläger vertraglich ein an keine Voraussetzungen geknüpftes Rücktrittsrecht vorbehalten. Zur Sicherung seiner Erwerbsansprüche sind Auflassungsvormerkungen in das Grundbuch eingetragen. Die Verkäufer der Grundstücke nutzen diese landwirtschaftlich und tragen deren Lasten.
Rz. 3
Der Ergänzungsbeschluss lag in der Zeit vom 4. April 2005 bis zum 4. Mai 2005 in der Gemeinde Barsbüttel aus. Nach Ablauf der Einwendungsfrist erhoben die Eigentümer der von dem Kläger gekauften Grundstücke Einwendungen und beantragten erfolglos Wiedereinsetzung in die versäumte Frist. Der Kläger erhob mit Schreiben vom 10. Juni und 11. Juli 2005 ebenfalls Einwendungen gegen den Plan, die vom Beklagten unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergänzungsbeschluss zurückgewiesen wurden.
Rz. 4
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Oberverwaltungsgericht wegen fehlender Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen. Käufer eines Grundstücks seien nach nahezu einhelliger Auffassung in Literatur und Rechtsprechung nur dann klagebefugt, wenn zu ihren Gunsten eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen sei und Besitz sowie Nutzungen und Lasten auf sie übergegangen seien. Aus der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Klagebefugnis von Mietern und Pächtern ergebe sich nichts anderes, da diese ebenfalls an das Besitzrecht anknüpfe. Der Kläger könne sich auf seine durch die Auflassungsvormerkungen gesicherten Ansprüche auch deshalb nicht berufen, weil der Planfeststellungsbeschluss den Eigentümern gegenüber bestandskräftig geworden sei, so dass er nur mit der Einwendungspräklusion belastetes Eigentum erwerben könne.
Rz. 5
Der Kläger trägt zur Begründung der vom Senat zugelassenen Revision im Wesentlichen vor, auch der durch eine Vormerkung gesicherte Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks unterfalle der enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses und vermittele daher ein Klagerecht unabhängig von der Einräumung des Besitzes an dem Grundstück.
Rz. 6
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2011 zu ändern und den Ergänzungsbeschluss des Beklagten vom 2. März 2007 zum Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau der Bundesautobahn A 1 Hamburg – Lübeck von Kilometer 6,800 bis Kilometer 11,187 vom 1. Oktober 1980 betreffend die abschließende Entscheidung über Lärmschutzansprüche in der Gemeinde Barsbüttel im Bereich Willinghusen aufzuheben,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Rz. 7
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 8
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 9
Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist der Kläger klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Er kann geltend machen, durch den Planfeststellungsergänzungsbeschluss in eigenen Rechten verletzt zu sein.
Rz. 10
Dem Planfeststellungsbeschluss kommt im Fernstraßenrecht, da er Grundlage der nachfolgenden Enteignung ist (§ 19 Abs. 1 des Bundesfernstraßengesetzes – FStrG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Juni 2007, BGBl I S. 1206), enteignungsrechtliche Vorwirkung zu. Daher haben Betroffene, deren durch Art. 14 Abs. 1 GG geschütztes Grundeigentum (teilweise) für das Planvorhaben in Anspruch genommen werden soll, einen Anspruch darauf, von einer Entziehung ihres Grundeigentums verschont zu bleiben, die nicht dem Wohl der Allgemeinheit dient, insbesondere nicht gesetzmäßig ist (Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG), und auf eine dahingehende umfassende gerichtliche Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses. Enteignungsrechtliche Vorwirkung entfaltet der Planfeststellungsbeschluss indes nicht nur für betroffene Grundeigentümer, sondern in gleicher Weise für Personen, denen ein dingliches oder obligatorisches Recht mit Eigentumsqualität an einem Grundstück zusteht, auf das sich der Planungsträger den Zugriff sichert (vgl. Urteile vom 12. August 2009 – BVerwG 9 A 64.07 – BVerwGE 134, 308 = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 203 ≪jeweils Rn. 23≫ und vom 1. September 1997 – BVerwG 4 A 36.96 – BVerwGE 105, 178 ≪180 f.≫ = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 132 S. 212).
Rz. 11
Zu den von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung eines fernstraßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses betroffenen Rechten gehört auch der durch eine Vormerkung nach § 883 BGB gesicherte Anspruch auf Verschaffung des Eigentums an einem Grundstück (“Auflassungsvormerkung”). Ebenso wie schuldrechtliche Ansprüche aus Miete und Pacht besitzt er die Qualität von Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Unter den Schutz der Eigentumsgarantie im Bereich des Privatrechts fallen grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die ihrem Inhaber von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf. Dazu zählen auch rechtlich gesicherte schuldrechtliche Forderungen, die dem Rechtsträger ebenso ausschließlich zugewiesen sind wie Eigentum an einer Sache (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Juni 1977 – 2 BvR 499/74 und 1042/75 – BVerfGE 45, 142 ≪179≫, vom 31. Oktober 1984 – 1 BvR 35, 356, 794/82 – BVerfGE 68, 193 ≪222 f.≫ und vom 26. Mai 1993 – 1 BvR 208/93 – BVerfGE 89, 1 ≪6≫). Voraussetzung des Schutzes ist dabei nicht, dass über die Rechte uneingeschränkt verfügt werden kann, diese insbesondere beliebig übertragbar sind. Auch Rechte, bei denen die Verfügungsmöglichkeit eingeschränkt ist, sind vom Schutz der Eigentumsgarantie umfasst (BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1993 a.a.O.). Diese Voraussetzungen erfüllt jedenfalls die Auflassungsvormerkung nach § 883 BGB wenn der Anspruch auf Verschaffung des Eigentums nur noch vom Willen des Anspruchsinhabers abhängt.
Rz. 12
Die Vormerkung ist ein von der schuldrechtlichen Forderung abhängiges (akzessorisches) Sicherungsmittel eigener Art, das einen schuldrechtlichen Anspruch auf Rechtsänderung an einem Grundstück sichert, indem es Verfügungen, die nach Eintragung der Vormerkung getroffen werden und dem gesicherten Anspruch entgegenstehen, unwirksam macht und den Rang des Rechtes wahrt. Sie verleiht, ohne selbst ein dingliches Recht zu sein, dem durch sie geschützten schuldrechtlichen Anspruch auf Eigentumsübertragung in beträchtlichem Umfang dingliche Wirkung im Sinne einer dinglichen Gebundenheit des Grundstücks (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1972 – V ZR 76/71 – BGHZ 60, 46 ≪49 f.≫). Die Vormerkung schützt den Vormerkungsberechtigten gegen Zwischenverfügungen (§ 883 Abs. 2, § 888 BGB) unter Rangwahrung des vorgemerkten Rechts (§ 883 Abs. 3 BGB), gegen hoheitliche Verfügungen in der Einzelzwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung (§ 883 Abs. 2 Satz 2 BGB), gegen die Insolvenz des Schuldners (§ 106 InsO), sowie gegen eine Haftungsbeschränkung des Erben (§ 884 BGB) (vgl. Kohler, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 5. Aufl. 2009, § 883 Rn. 3; Bassenge, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Aufl. 2013, § 883 Rn. 1 ff.).
Rz. 13
Die Vormerkung stellt damit – sowohl gegenüber dem Schuldner des gesicherten obligatorischen Anspruchs als auch Dritten gegenüber – eine subjektive privatrechtliche Rechtsposition dar, die dem Vormerkungsberechtigten zugeordnet ist und für diesen Vermögenswert besitzt (vgl. zum ausgeübten Vorkaufsrecht BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 1991 – 1 BvR 929/89 – BVerfGE 83, 201 ≪210≫). Die Vormerkung ist auch privatnützig. Hierfür genügt es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Recht vom Rechtsinhaber zum eigenen Vorteil ausgenutzt werden kann und diesem damit “von Nutzen” ist, auch wenn es sich dabei um einen einmaligen Vorgang handelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 1991 a.a.O.).
Rz. 14
Ausgehend davon kann sich der Kläger auf ein eigentumsrechtlich geschütztes Recht berufen. Dass ihm von den Verkäufern bis zum 31. Dezember 2012 ein Rücktrittsrecht von den Grundstückskaufverträgen eingeräumt worden ist, führt zu keiner anderen Beurteilung der Eigentumsqualität der Vormerkung. Zwar würde aufgrund der Akzessorietät der Vormerkung zur schuldrechtlichen Forderung mit der Ausübung des Rücktrittsrechts auch die Vormerkung erlöschen (Bassenge a.a.O. § 883 Rn. 2). Dies führt aber nicht dazu, dass das durch Auflassungsvormerkung gesicherte Recht auf Verschaffung des Eigentums am Grundstück wirtschaftlich betrachtet lediglich den Charakter einer bloßen Chance des vormerkungsberechtigten Klägers hätte. Die Ausübung des Rücktrittsrechts ist nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts allein von der Entscheidung des rücktrittsberechtigten Klägers als Inhaber des gesicherten Anspruchs abhängig und schränkt damit die gesicherte Rechtsposition des Klägers nicht ein, sondern erweitert sie.
Rz. 15
Der vormerkungsgesicherte kaufvertragliche Übereignungsanspruch wird auch nicht durch das in § 9a Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 FStrG geregelte fernstraßenrechtliche Vorkaufsrecht erfasst, da dieses erst nach Abschluss der Kaufverträge entstanden ist. Ein Vorkaufsrecht – auch ein gesetzliches – kann sich nur auf solche Kaufverträge beziehen, die nach seiner Entstehung abgeschlossen wurden (Weidenkaff, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Aufl. 2013, § 463 Rn. 5 m.w.N.). Nach § 9a Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 FStrG entsteht das fernstraßenrechtliche Vorkaufsrecht mit Beginn der Auslegung der Pläne im Planfeststellungsverfahren oder von dem Zeitpunkt an, zu dem den Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, den Plan einzusehen. Die Auslegung hat vorliegend am 4. April 2005 begonnen und damit nach Abschluss der Kaufverträge im Jahr 1999.
Rz. 16
Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts kommt es für die Bejahung der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO nicht darauf an, ob Besitz sowie Nutzungen und Lasten auf den Kläger als den Vormerkungsberechtigten übergegangen sind. Die in der älteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu findende Formulierung, dass eine Klagebefugnis (nur) einem Käufer eines Grundstücks zusteht, auf den der Besitz sowie Nutzungen und Lasten übergegangen sind und zu dessen Gunsten eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen ist (Urteile vom 29. Oktober 1982 – BVerwG 4 C 51.79 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 50 S. 23, vom 3. Juli 1987 – BVerwG 4 C 12.84 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 72 S. 4 und vom 16. September 1993 – BVerwG 4 C 9.91 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 94 S. 109), beruhte auf der Annahme, dass Grundstücke durch ihre Eigentümer “repräsentiert” werden, nicht aber durch diejenigen, die ihre Rechte nur auf der Grundlage eines obligatorischen Vertrages von den Eigentümern herleiten. Dieser Repräsentationsgedanke und die sich daraus ergebende Beschränkung der Klagebefugnis ist durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für Mieter und Pächter, die von der enteignenden Vorwirkung eines straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses betroffen sind, ausdrücklich aufgegeben worden (vgl. Urteil vom 1. September 1997 – BVerwG 4 A 36.96 – BVerwGE 105, 178 ≪183≫). Der Rechtsprechungsänderung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass schuldrechtliche Ansprüche aus Miete und Pacht, die zum Besitz und zur Nutzung von Grundstücken berechtigen, zu den vermögenswerten Rechten gehören, die die Qualität von Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG besitzen und daher von den enteignungsrechtlichen Vorwirkungen eines fernstraßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses umfasst sind. Dies wird besonders deutlich, wenn der Grundstückseigentümer sich mit der Inanspruchnahme seines Grundstücks einverstanden erklärt und das persönliche Recht zum Besitz und zur Nutzung des Grundstücks Gegenstand einer selbständigen Enteignung sind. Persönliche Rechte werden von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses darüber hinaus auch dann erfasst, wenn sie zwar nicht den Gegenstand einer selbständigen Enteignung bilden, aber im Falle der Enteignung des Grundstücks gesondert zu entschädigen sind, wie dies bei der Miete oder Pacht der Fall ist. Dem Mieter oder Pächter eines für Straßenbauzwecke in Anspruch genommenen Grundstücks, der seine Interessen gegenüber dem Enteignungsbegünstigten selbständig zur Geltung bringen kann, darf daher nicht der Einwand abgeschnitten werden, die Voraussetzungen lägen nicht vor, unter denen Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG eine Enteignung zulässt (im Einzelnen dazu Urteil vom 1. September 1997 a.a.O. S. 182 f.).
Rz. 17
In dem vom Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zitierten Urteil vom 29. Januar 2009 hat der Senat diese Rechtsprechung mit Blick auf die enteignungsrechtlichen Vorwirkungen des Flurbereinigungsbeschlusses und das Gebot effektiver Rechtsschutzgewährung auf Pächter landwirtschaftlich genutzter Grundstücke, die durch eine Unternehmensflurbereinigung zur Beschaffung von Land für das Unternehmen in Anspruch genommen werden, ausgedehnt (Urteil vom 29. Januar 2009 – BVerwG 9 C 3.08 – BVerwGE 133, 118 = Buchholz 424.01 § 87 FlurbG Nr. 17 ≪jeweils Rn. 16 – 19≫). Dabei hat der Senat für die Bejahung einer eine Klagebefugnis vermittelnden eigentumsrechtlich geschützten Position an das Besitzrecht des Pächters angeknüpft, weil in dem zu entscheidenden Fall das Besitzrecht betroffen war. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Klagebefugnis auf diese Fälle beschränkt wäre mit der Folge, dass eine Klagebefugnis zu verneinen wäre, wenn ein anderes persönliches Recht, das nach den einschlägigen privatrechtlichen Vorschriften Eigentumsqualität im Sinne des Verfassungsrechts aufweist, aber kein Recht zum Besitz vermittelt, dem staatlichen Zugriff ausgesetzt ist. Ebenso wie Mieter und Pächter müssen die Inhaber anderer obligatorischer Rechte mit Eigentumsqualität, die in dem oben dargelegten Sinne von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung eines Planfeststellungsbeschlusses betroffen sind, die Möglichkeit haben, ihre Interessen gegenüber dem Enteignungsbegünstigten schon im Planfeststellungsverfahren selbständig zur Geltung zu bringen. Ihnen muss die Befugnis zustehen, die Frage, ob die enteignungsrechtlichen Voraussetzungen in ihrem Fall vorliegen, gerichtlich im Verfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss überprüfen zu lassen. Nur so lässt sich auch ein Wertungswiderspruch vermeiden, der entstehen würde, wenn Mietern und Pächtern eine stärkere prozessuale Position eingeräumt würde, als dem durch ein Recht am Grundstück quasi-dinglich gesicherten Vormerkungsberechtigten. Eine Klagebefugnis bereits gegen den Planfeststellungsbeschluss vermitteln daher alle Rechtspositionen, die Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sind und von den enteignungsrechtlichen Vorwirkungen eines Planfeststellungs- oder sonstigen Beschlusses erfasst werden.
Rz. 18
Die Auflassungsvormerkung wird von der enteignenden Vorwirkung des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses erfasst. Dies ergibt sich aus den landesrechtlichen Enteignungsvorschriften, für den vorliegenden Fall aus dem Schleswig-Holsteinischen Enteignungsrecht. Gemäß § 45 Abs. 1 i.V.m. § 44 des Gesetzes über die Enteignung von Grundeigentum vom 11. Juni 1874 in der Bekanntmachung vom 31. Dezember 1971, zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Juni 2004 (GVOBl Schl.-H. S. 153), wird das enteignete Grundstück mit Zustellung des Enteignungsbeschlusses an Eigentümer und Unternehmer von allen darauf “haftenden” privatrechtlichen Verpflichtungen frei, soweit der Unternehmer dieselben nicht vertragsgemäß übernommen hat. Nach § 45 Abs. 2 des Gesetzes tritt die Entschädigung “rücksichtlich aller Eigentums-, Nutzungs- und sonstigen Realansprüche” an die Stelle des enteigneten Gegenstandes. Es bedarf keiner Klärung, welche Rechte zu den auf dem Grundstück “haftenden” privatrechtlichen Verpflichtungen bzw. den “Realansprüchen” im Einzelnen gehören, insbesondere gibt der vorliegende Rechtsstreit keinen Anlass der Frage nachzugehen, ob auch nicht gesicherte obligatorische Erwerbsansprüche dazugehören können. Denn es unterliegt nach dem oben zu Sicherungszweck und -wirkung der Auflassungsvormerkung Gesagten keinem Zweifel, dass jedenfalls diese dazuzählt und daher die Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO vermittelt.
Rz. 19
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die bisherigen Eigentümer der Grundstücke nicht rechtzeitig Einwendungen gegen den Planergänzungsbeschluss erhoben haben und deswegen mit Einwendungen ausgeschlossen sind (§ 17a Nr. 7 FStrG). Da bereits die Auflassungsvormerkung dem Kläger ein vom Vollrecht unabhängiges Klagerecht vermittelt, kommt es nicht darauf an, dass die gegenwärtigen Grundstückseigentümer wegen verspätet erhobener Einwendungen materiell präkludiert sind und deswegen den Ergänzungsbeschluss nicht mit Erfolg angreifen können. Soweit im Gerichtsbescheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2001 – BVerwG 11 A 19.00 – (juris Rn. 4) eine andere Auffassung vertreten worden ist, kann der Senat hiervon ohne Anrufung des Großen Senats abweichen, da nach Erlass des Gerichtsbescheids seinerzeit mündliche Verhandlung beantragt und die Klage noch vor dem Verhandlungstermin zurückgenommen wurde. Der Gerichtsbescheid gilt damit als nicht ergangen (§ 84 Abs. 3 VwGO).
Rz. 20
Da das Oberverwaltungsgericht – von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent – zur Begründetheit der Klage keine Ausführungen gemacht hat, ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Bier, Buchberger, Dr. Christ, Prof. Dr. Korbmacher, Dr. Bick
Fundstellen
Haufe-Index 3589021 |
BVerwGE 2013, 96 |
BauR 2013, 567 |
JZ 2013, 288 |
JZ 2013, 378 |
VR 2013, 178 |