Verfahrensgang
VG Münster (Urteil vom 31.03.2008; Aktenzeichen 11 K 1242/03) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 31. März 2008 wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich dagegen, gesamtschuldnerisch neben seinem Halbbruder auf Rückzahlung von Lastenausgleichsleistungen wegen Schadensausgleichs in Anspruch genommen zu werden.
Die Mutter und der Halbbruder des Klägers waren in Erbengemeinschaft zu 1/4 bzw. zu 3/4 Eigentümer eines land- und forstwirtschaftlich genutzten Grundstücks in G… (Brandenburg). Nach deren Ausreise aus der DDR stellte der Oberkreisdirektor des Kreises B… mit Bescheid vom 16. Mai 1977 einen bei beiden eingetretenen Wegnahmeschaden fest; der sich aus der Überführung des Grundstücks in eine LPG ergebe. Gleichzeitig gewährte er dem Halbbruder Hauptentschädigung einschließlich Zinszuschlag in Höhe von insgesamt 12 182,40 DM. Mit notariellem Vertrag vom 28. Dezember 1994 übertrugen die Mutter und der Halbbruder ihre Erbanteile auf den Kläger, die Mutter unentgeltlich und der Halbbruder für einen Kaufpreis von 25 000 DM. In dem Vertrag hieß es, der Wert der übertragenen Erbanteile werde im Kosteninteresse mit 75 000 DM angegeben.
Mit Rückforderungs- und Leistungsbescheid vom 15. Mai 1996 forderte der Rechtsvorgänger des Beklagten von dem Halbbruder einen Betrag von 12 120,80 DM an zuviel gewährter Hauptentschädigung zurück; der Schaden sei ausgeglichen worden, indem die nach dem Recht der DDR bestehende Verfügungsbeschränkung mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten weggefallen sei.
Mit weiterem Leistungsbescheid vom 17. Oktober 1997 forderte der Beklagte, gestützt auf § 419 BGB, von dem Kläger denselben Betrag zurück, hob den Bescheid jedoch auf dessen Beschwerde hin wieder auf, weil sich der für eine Vermögensübernahme erforderliche Nachweis einer Kenntnis des Klägers von der wirtschaftlichen Situation des Halbbruders nicht erbringen lasse.
Nach Erlass des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG forderte der Beklagte mit Leistungsbescheid vom 12. Oktober 2001 von dem Kläger erneut die Zahlung von 12 120,80 DM. In Höhe dieses Betrages bestehe ein Rückforderungsanspruch wegen zuviel gewährter Hauptentschädigung gegen den Halbbruder. Der Kläger sei auf Grund des Vertrages vom 28. Dezember 1994 dessen Rechtsnachfolger geworden. Damit habe er die Schadensausgleichsleistung erlangt. Eine angemessene Gegenleistung fehle. Nach Auskunft des Gutachterausschusses für den Kreis P… beliefen sich die Bodenrichtwerte in G… für Ackerfläche auf 0,59 DM/m(2) und für Grünfläche auf 0,57 DM/m(2). Hieraus ergebe sich allein für die Acker- und Grünflächen von insgesamt 146 344 m(2) ein Bodenrichtwert von 85 780,56 DM, wovon auf den von dem Halbbruder erworbenen Erbanteil ein Betrag von 64 335,42 DM entfalle; hierbei blieben die bebauten Flächen und die baulichen Anlagen noch außer Ansatz.
Gegen den Bescheid erhob der Kläger Beschwerde. Eine rückwirkende Geltung der seit 2000 bestehenden Regelung in § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG sei mit dem Grundgesetz unvereinbar; insoweit handele es sich um den Fall einer generell unzulässigen echten Rückwirkung. Zudem habe der Beklagte entgegen § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG keine Ermessensentscheidung über seine – des Klägers – Heranziehung getroffen. Die vorausgegangene Aufhebung des Leistungsbescheides nach § 419 BGB mache seine erneute Heranziehung ohnehin fehlerhaft. Außerdem habe er eine angemessene Gegenleistung erbracht. Die angegebenen Bodenrichtwerte stimmten nicht mit denen im Jahre 1994 überein.
Der Beklagte entgegnete, dass die Bodenrichtwerte im Jahre 1994 mit 0,71 DM/m(2) für Ackerland und 0,72 DM/m(2) für Grünland sogar höher gewesen seien als gegenwärtig.
Mit Bescheid vom 31. März 2003 wies die Bezirksregierung M… – Beschwerdestelle für den Lastenausgleich – die Beschwerde zurück.
Das Verwaltungsgericht hat den Leistungsbescheid mit Urteil vom 31. März 2008 aufgehoben. Dazu hat es ausgeführt, der Kläger sei nicht Rechtsnachfolger des Rückzahlungspflichtigen im Sinne des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG, weshalb es nicht mehr darauf ankomme, ob er seinem Halbbruder eine angemessene Gegenleistung erbracht habe. Rechtsnachfolger im Sinne dieser Vorschrift sei nur, wem der Rückzahlungspflichtige den Anspruch auf die Schadensausgleichsleistung vor deren Gewährung abgetreten habe und an wen demzufolge die Restitutionsbehörde den Schadensausgleich final leiste. Schon wegen des übereinstimmenden Wortlauts dürfe § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG nicht anders ausgelegt werden als § 349 Abs. 5 Satz 1 LAG. Weil aber in § 349 Abs. 5 Satz 1 LAG mit “Rechtsnachfolge” nur eine vor Gewährung der Schadensausgleichsleistung eintretende Einzelrechtsnachfolge im Wege der Abtretung des Anspruchs auf den Schadensausgleich, d.h. des Restitutionsanspruchs gemeint sei, könne auch § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG eine Rechtsnachfolge nach Gewährung der Schadensausgleichsleistung im Wege der Übereignung des als Schadensausgleich erhaltenen Vermögensgegenstandes nicht erfassen.
Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend, die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Unterscheidung finde in Wortlaut und Systematik der Vorschrift keine Stütze und verenge ihren Anwendungsbereich in unvertretbarer Weise.
Der Kläger hat sich zur Sache nicht geäußert.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist begründet, da das angefochtene Urteil Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat verkannt, dass der angefochtene Haftungsbescheid seine Grundlage in § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG findet.
1. Nach § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG kann ein Rechtsnachfolger des wegen Schadensausgleichs Rückzahlungspflichtigen neben diesem als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden, wenn er die Schadensausgleichsleistung ohne angemessene Gegenleistung erlangt hat. Das Verwaltungsgericht meint, die Vorschrift begründe die Mithaftung des Rechtsnachfolgers nur dann, wenn ihm der Anspruch auf die Schadensausgleichsleistung vor deren Gewährung abgetreten oder sonst übertragen worden sei. Dem kann nicht gefolgt werden.
Zur Begründung seines Standpunkts verweist das Verwaltungsgericht zum einen auf das Wort “Schadensausgleichsleistung” und meint, damit könne nur diejenige Verfügung gemeint sein, die den Schadensausgleich bewirke. Diese Verfügung könne aber nur seitens der Wiedergutmachungsbehörde vorgenommen werden und erfolge regelmäßig an den Berechtigten (und deshalb Rückzahlungspflichtigen), an dessen Rechtsnachfolger hingegen nur, wenn der Berechtigte ihm den Anspruch auf die Schadensausgleichsleistung vor deren Gewährung abgetreten habe. Zum anderen hebt das Verwaltungsgericht hervor, dass § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG mit “Rechtsnachfolger”, “Schadensausgleichsleistung” und “erlangt” dieselben Wörter verwende wie § 349 Abs. 5 Satz 1 LAG. Es schließt daraus, dass sie in beiden Vorschriften gleich auszulegen seien. Weil aber in § 349 Abs. 5 Satz 1 LAG mit “Rechtsnachfolge” nur die vor Gewährung der Schadensausgleichsleistung eintretende Einzelrechtsnachfolge gemeint sei, könne auch § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG eine Rechtsnachfolge nach Gewährung der Schadensausgleichsleistung nicht erfassen. Diese Auslegung verengt den Anwendungsbereich des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG in einer Weise, die vom Wortlaut der Vorschrift nicht erzwungen wird und ihrem Zweck und der Regelungsabsicht des Gesetzgebers deutlich widerspricht.
§ 349 Abs. 5 Satz 1 LAG begründet die Haftung des Empfängers der Ausgleichsleistung oder seines Erben und weiteren Erben, sofern und soweit der Schaden nach dem 31. Dezember 1989 (erneut) ausgeglichen worden ist. Die Rückzahlungspflicht entsteht nicht nur, wenn der Rückzahlungspflichtige die Schadensausgleichsleistung selbst erlangt, sondern auch, wenn er den Anspruch auf die Schadensausgleichsleistung an einen Dritten abtritt oder sonst überträgt und der Schadensausgleich daraufhin an diesen Rechtsnachfolger geleistet wird.
§ 349 Abs. 5 Satz 2 LAG begründet demgegenüber die Mithaftung des Rechtsnachfolgers des Rückzahlungspflichtigen. Rechtsgrund für die Mithaftung ist, dass der Rechtsnachfolger den Gegenstand der Schadensausgleichsleistung ohne angemessene Gegenleistung erlangt hat, was beim Vermächtnisnehmer unwiderleglich vermutet wird. Die Erlangung beruht also auf einer Verfügung des Rückzahlungspflichtigen, nicht hingegen auf einer Verfügung der Wiedergutmachungsbehörde. Mit “Schadensausgleichsleistung” meint das Gesetz hier demzufolge den Vermögenswert, der zum Zwecke des Schadensausgleichs gewährt wurde oder wird, unter Einschluss des Surrogats (vgl. Urteile vom 18. Mai 2006 – BVerwG 3 C 29.05 – Buchholz 428 § 11 VermG Nr. 4 und vom 28. Februar 2007 – BVerwG 3 C 40.06 – Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 12).
Nur diese Auslegung entspricht Sinn und Zweck des Gesetzes. § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG wurde erst nachträglich in das Gesetz eingefügt. Der Gesetzgeber hat damit ausdrücklich das Ziel verfolgt, eine gesamtschuldnerische Mithaftung desjenigen zu begründen, dem der Empfänger der Schadensausgleichsleistung den zurückerhaltenen Vermögensgegenstand zuwendet, um für den Fall vorzusorgen, dass der Empfänger selbst dadurch vermögenslos wird (BTDrucks 14/866 S. 16). Die Schenkung unter Lebenden ist ebenso wie die gemischte Schenkung der typische Fall der Rechtsnachfolge im Sinne des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG (vgl. Beschluss vom 14. Februar 2006 – BVerwG 3 B 105.05 – juris und Urteil vom 28. Februar 2007 – BVerwG 3 C 40.06 – a.a.O.). Der Gesetzeszweck erfordert, die Mithaftung des Einzelrechtsnachfolgers auch dann anzunehmen, wenn ihm der Berechtigte schon den Anspruch auf die Schadensausgleichsleistung abgetreten oder sonst übertragen hat, sofern dies ohne angemessene Gegenleistung oder im Wege des Vermächtnisses geschah; er verbietet aber, den Anwendungsbereich des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG auf diesen praktisch wohl eher seltenen Fall zu beschränken.
2. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Die Mithaftung des Rechtsnachfolgers des Rückzahlungspflichtigen begründen auch Erwerbsvorgänge vor dem Inkrafttreten des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG am 1. Januar 2000. Dem Wortlaut lässt sich eine Beschränkung auf spätere Erwerbsvorgänge nicht entnehmen. Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen gegen eine Einschränkung ihres Anwendungsbereichs. Wie gezeigt, wollte der Gesetzgeber den Fällen Rechnung tragen, in denen Rückzahlungsansprüche notleidend werden, weil der Rückzahlungspflichtige das zurückgegebene Vermögen ohne angemessene Gegenleistung an Dritte weitergibt, selbst aber vermögenslos ist (vgl. BTDrucks 14/866 S. 16). Dieses Ziel wäre in einer großen Zahl von Fällen nicht zu erreichen, wenn die Bestimmung auf Übertragungsvorgänge vor dem 1. Januar 2000 nicht anwendbar wäre. Der Schadensausgleich, der die Rückzahlungspflicht begründet, ist vielfach bereits in den Jahren 1990 bis 1999 geleistet worden, und auch eine Weitergabe dürfte regelmäßig alsbald erfolgt sein.
Die Begründung der Mithaftung des Rechtsnachfolgers auch in Ansehung zurückliegender Erwerbsvorgänge ist mit Verfassungsrecht vereinbar. Namentlich wird ein Vertrauen der Betroffenen in den Fortbestand der vorherigen Rechtslage nicht unzumutbar enttäuscht. Dies hat der Senat mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts bereits entschieden (Urteil vom 28. Februar 2007 – BVerwG 3 C 40.06 – a.a.O. sowie Beschluss vom 6. Juni 2006 – BVerwG 3 B 169.05 – juris; BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. September 2006 – 1 BvR 1798/06 – WM 2006, 2019). Hieran ist festzuhalten (BVerwG, vgl. Urteil vom 18. Juni 2008 – BVerwG 3 C 30.07 – juris).
3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Die Klage ist unbegründet und muss abgewiesen werden. Die Voraussetzungen des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG sind gegeben. Namentlich hat der Kläger das Grundstück ohne angemessene Gegenleistung erlangt. Hierzu bedarf es keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen. Der Kläger hatte zwar gegen die dem Ausgangsbescheid zugrunde liegende Berechnung eingewendet, der Beklagte sei von unzutreffenden Bodenrichtwerten ausgegangen. Der Beklagte hat den Fehler jedoch in seinem Schreiben vom 30. Oktober 2001 korrigiert und der Berechnung nunmehr die Bodenrichtwerte des Jahres 1994 zugrunde gelegt; hierauf war dann auch die Beschwerdeentscheidung gestützt. Im nachfolgenden Klageverfahren hat der Kläger hiergegen Einwendungen nicht mehr erhoben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Kley, Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert, Buchheister
Fundstellen