Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Aktenzeichen 11 L 3050/98) |
Tenor
Die Revision des Beteiligten gegen das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 1999 wird zurückgewiesen.
Der Beteiligte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der 1976 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er kam im Mai 1993 in die Bundesrepublik Deutschland und beantragte Asyl mit der Begründung, er sei in der Türkei für die PKK als Aufklärer tätig gewesen. Deshalb und wegen der Verbindungen seiner Familie zur PKK sei er verhaftet und gefoltert worden. Im Juni 1993 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag des Klägers ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Gleichzeitig drohte es ihm die Abschiebung in die Türkei an. Die Angaben zu den angeblichen Verhaftungen und Folterungen seien unsubstantiiert und widersprüchlich.
Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht im Januar 1998 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Asyl nach Art. 16 a Abs. 1 GG und Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG. Er sei nämlich 1995 wegen der Beteiligung an dem Brandanschlag auf eine türkische Gaststätte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung in elf Fällen zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren rechtskräftig verurteilt worden; insoweit lägen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 AuslG vor. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Der Kläger sei zwar im Mai 1993 unververfolgt ausgereist. Die späteren Geschehnisse um seinen Bruder M. A. A. stellten jedoch unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft einen objektiven Nachfluchtgrund dar. Dessen Festnahme und Folterung durch türkische Behörden hätten gezeigt, dass der türkische Staat sich von ihm Angaben über die PKK-Struktur im Bundesgebiet und über politisch tätige Verwandte erhofft habe. Da sich M. A. A. dem Zugriff der türkischen Behörden entzogen habe und wieder im Bundesgebiet lebe, sei davon auszugehen, dass die türkischen Behörden bei einer Einreise in die Türkei auch auf den Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zugreifen würden, um weitere Informationen über seinen Bruder und andere politisch tätige Familienmitglieder zu erlangen. Dies gelte umso mehr, als M. A. A. bei seiner Vernehmung in der Türkei bereits unter anderem auch nach dem Kläger befragt worden sei. Aufgrund dieser besonderen Fallkonstellation sei daher die Gefahr politischer Verfolgung des Klägers zu bejahen. Er habe deshalb auch Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Es könne offen bleiben, ob ihm außerdem aus anderen Gründen politische Verfolgung in der Türkei drohe. Offen bleiben könne ebenso, welche Bedeutung die Teilnahme des Klägers an dem Anschlag auf die Gaststätte habe. Zu Lasten des Klägers greife weder ein Terrorismusvorbehalt noch die Ausschlussvorschrift des § 51 Abs. 3 AuslG ein. Der Beteiligung des Klägers an dem Anschlag habe nach den Feststellungen des Landgerichts keine gesteuerte politische Aktion zugrunde gelegen, es habe sich vielmehr um einen impulsiven Racheakt gehandelt. Die rechtskräftige Verurteilung zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren erfülle zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 2. Alternative AuslG. Diese Bestimmung setze aber auch nach ihrer Änderung anlässlich der Novellierung des Ausländergesetzes 1997 voraus, dass der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeute. Die danach erforderliche Wiederholungsgefahr lasse sich bei dem Kläger nicht feststellen.
Zur Begründung seiner wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision trägt der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten vor, es sei schon zu bezweifeln, ob das Berufungsgericht zu Recht einen objektiven Nachfluchttatbestand angenommen habe, der ohne das Zutun des Klägers entstanden sei. Das ergebe sich nicht schon daraus, dass der Bruder des Klägers nach seiner Abschiebung in die Türkei auch zu den Aktivitäten des Klägers in Deutschland befragt worden sei. Es liege vielmehr nahe, dass die türkischen Behörden vorab bereits Kenntnis von dem Verhalten des Klägers in Deutschland (Aktivitäten in Zusammenhang mit einer Demonstration vor dem türkischen Generalkonsulat in H. im Juni 1993 und Beteiligung an dem Brandanschlag auf eine Gaststätte) gehabt hätten. Eine im Wesentlichen hierauf beruhende Verfolgungsgefahr würde keinen objektiven, sondern nur einen subjektiven Nachfluchtgrund darstellen. Dieser könne nur dann zur Asylanerkennung führen, wenn das Nachfluchtverhalten in einem Zusammenhang mit entsprechenden Vorfluchtaktivitäten stehe. Das aber sei nach den Ausführungen des Bundesamts im Ablehnungsbescheid nicht der Fall. Deswegen lägen allenfalls die Voraussetzungen für Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG vor. Dem stehe jedoch § 51 Abs. 3 AuslG entgegen; auch die Jugendstrafe sei eine Freiheitsstrafe im Sinne dieser Vorschrift. Das Gesetz definiere die besondere Gefährlichkeit des Ausländers durch das Merkmal der mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe; daneben sei eine Wiederholungsgefahr nicht mehr zu prüfen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger Anspruch auf Asyl nach Art. 16 a Abs. 1 GG und auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG hat und der Ausschlusstatbestand des § 51 Abs. 3 2. Alternative AuslG nicht vorliegt.
Die mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen, bindenden tatrichterlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) tragen die Annahme, dass der Kläger bei seiner Einreise in die Türkei mit staatlichen Verfolgungsmaßnahmen der gegen seinen Bruder M. A. A. gerichteten Art (vgl. UA S. 10 oben) auf jeden Fall deshalb rechnen muss, weil sich die türkischen Behörden weitere Informationen über diesen Bruder und andere politisch tätige Familienmitglieder versprechen (UA S. 12). Da er befürchten muss, insoweit allein wegen der verwandtschaftlich bedingten Nähe zu Separatisten politisch verfolgt zu werden, ist die Annahme eines objektiven Nachfluchttatbestandes im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; dies gilt auch für die von der Revision nicht angegriffenen Erwägungen zum Terrorismusvorbehalt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 1999 – BVerwG 9 C 23.98 – BVerwGE 109, 12 und BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Oktober 2000 – 2 BvR 1280/99), den das Berufungsgericht aus tatrichterlicher Sicht verneint hat. Die auf die eigene Vergangenheit des Klägers abstellenden Ausführungen der Revision rechtfertigen keine andere Beurteilung. Der Beteiligte verkennt, dass die vom Berufungsgericht festgestellte Verfolgungsgefahr so, wie sie der Entscheidung tatrichterlich zugrunde gelegt worden ist, einen selbständigen Nachfluchtgrund darstellt; es kommt deshalb nicht darauf an, ob sich der Kläger auch oder zugleich auf subjektive Nachfluchtgründe berufen kann und ob (auch) insoweit ein zur Asylanerkennung berechtigender Sachverhalt vorliegt.
Asyl nach Art. 16 a GG und Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG kann danach nur versagt werden, wenn – wie die Revision geltend macht – die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes des § 51 Abs. 3 2. Alternative AuslG in der Person des Klägers vorliegen. Nach dieser Vorschrift entfallen der Abschiebungsschutz für politisch Verfolgte nach § 51 Abs. 1 AuslG und das Asylrecht nach Art. 16 a Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 1999 – BVerwG 9 C 31.98 – BVerwGE 109, 1, 3 ff.), wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Damit stellt sich für das vorliegende Verfahren zunächst die Frage, ob die Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von drei Jahren die tatbestandliche Voraussetzung einer Verurteilung zu einer „Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren” erfüllt. Das Berufungsgericht ist dem nicht weiter nachgegangen; es hat die gegen den Kläger verhängte Jugendstrafe ohne weiteres unter den Begriff der Freiheitsstrafe in § 51 Abs. 3 2. Alternative AuslG subsumiert. Die Revision stimmt dem Berufungsgericht insoweit ausdrücklich zu und begründet die Gleichstellung von Freiheitsstrafe und Jugendstrafe u.a. damit, jugendliche oder heranwachsende Straftäter seien eher gefährlicher als zu entsprechend hohen Freiheitsstrafen verurteilte Erwachsene, weil bei der Strafzumessung im Jugendstrafrecht regelmäßig milder als im Erwachsenenstrafrecht verfahren werde.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts und der Revision erfasst der Begriff der Freiheitsstrafe nur Verurteilungen nach Erwachsenenstrafrecht, nicht hingegen auch Verurteilungen zu einer Jugendstrafe nach dem Jugendgerichtsgesetz („Freiheitsentzug in einer Jugendstrafanstalt”, § 17 Abs. 1 JGG). Das hat der Senat in dem gleichzeitig ergehenden Urteil im Parallelverfahren BVerwG 9 C 4.00 im Einzelnen ausgeführt; hierauf wird Bezug genommen.
Die rechtskräftige Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe erfüllt mithin den Tatbestand des § 51 Abs. 3 2. Alternative AuslG nicht. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts stellt sich danach im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO), ohne dass es auf die weiteren von der Revision erhobenen Einwendungen ankäme (zu der vor allem angesprochenen Frage einer Wiederholungsgefahr vgl. das ebenfalls gleichzeitig ergehende Urteil im Verfahren BVerwG 9 C 6.00).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Hund, Richter, Beck, Dr. Eichberger
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 16.11.2000 durch Battiege Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen