Entscheidungsstichwort (Thema)
Außenbereich. Landwirtschaft. landwirtschaftlicher Betrieb. Nebenerwerbsbetrieb. Nachhaltigkeit. Dauerhaftigkeit. Betrieb. Betriebsgebäude. “für Generationen”. Betriebsnachfolge. Wirtschaftlichkeit. Gewinnerzielung
Leitsatz (amtlich)
Die Anforderungen an die Dauerhaftigkeit eines landwirtschaftlichen Betriebes i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB hängen nicht von dem tatsächlichen Aufwand ab, den eine Beseitigung der dem Betrieb dienenden baulichen Anlagen nach Einstellung der privilegierten Nutzung erfordern würde.
Beabsichtigt der Bauherr die Gründung einer landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstelle, kommt dem Merkmal der Gewinnerzielung als Indiz für die Dauerhaftigkeit des Betriebs ein stärkeres Gewicht zu als im Fall der Erweiterung einer bestehenden Nebenerwerbsstelle.
Normenkette
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 22.12.2003; Aktenzeichen 1 B 01.2821) |
VG München (Entscheidung vom 16.08.2001; Aktenzeichen M 11 K 01.1782) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Dezember 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Hauptbeteiligten streiten um die Verpflichtung des Landratsamts Starnberg, dem Kläger eine Baugenehmigung zu erteilen.
Der Kläger, ein inzwischen 70-jähriger ehemaliger Rechtsanwalt, ist teils Eigentümer, teils Pächter landwirtschaftlicher Nutzflächen im Außenbereich der beigeladenen Gemeinde S…. Zu den in seinem Eigentum stehenden Grundflächen gehören die Flurstücke … und … der Gemarkung H…. Diese sind mit fünf aneinander grenzenden Holzgebäuden bebaut, die ungenehmigt errichtet worden sind, geraume Zeit von einer Gartenbaufirma genutzt worden waren und mit einer bestandskräftigen Abbruchanordnung gegen den früheren Pächter belastet sind. Der Kläger hält in den Gebäuden 22 Ziegen, die von ihm, seiner 20 Jahre jüngeren Ehefrau und seinem Sohn, einem gelernten Elektroinstallateur, versorgt werden; sein Wohnhaus ist etwa 200 m entfernt. Der Kläger plant eine Aufstockung des Ziegenbestandes auf mindestens 50 Tiere. Deren Milch will er an die Molkerei Andechs liefern, die sich vertraglich zur Abnahme von 20 000 kg pro Jahr verpflichtet hat.
Den Antrag des Klägers, die Holzgebäude als “landwirtschaftliche Gebäude” zu genehmigen, lehnte das Landratsamt Starnberg mit Bescheid vom 29. November 2000 ab. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht führte zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen aus: Das Vorhaben des Klägers sei nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB bevorzugt zulässig. Die geplante Ziegenhaltung stelle keinen landwirtschaftlichen Betrieb dar, weil der Kläger sie aus bloßer Liebhaberei betreiben wolle. Außerdem könnten die vorhandenen Gebäude einem landwirtschaftlichen Betrieb nicht dienen, weil ein vernünftiger Landwirt einen Ziegenhaltungsbetrieb anders planen würde. Nach § 35 Abs. 2 BauGB sei das Vorhaben nicht genehmigungsfähig, da es verschiedene öffentliche Belange beeinträchtige.
Während des Berufungsverfahrens reichte der Kläger auf Anregung des Berufungsgerichts einen überarbeiteten Bauantrag ein. Mit Bescheid vom 3. Januar 2003 lehnte das Landratsamt auch diesen Antrag ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, der nicht beschieden wurde, und machte den Zweitbescheid mit Zustimmung der übrigen Beteiligten zum Gegenstand seiner Klage.
Der Verwaltungsgerichtshof gab der Berufung mit Bescheidungsurteil vom 22. Dezember 2003 teilweise statt: Das Vorhaben des Klägers sei bauplanungsrechtlich nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB zulässig. Es erfülle die Voraussetzungen für einen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb: Die vorhandenen Flächen seien für die ins Auge gefasste Tierhaltung ausreichend. Der Kläger verfüge über 9,5 ha Eigen- und 2 ha Pachtland. Diese “Flächenbasis” reiche als Futtergrundlage für 50 Ziegen bei weitem aus und ermögliche dem Kläger sogar, weiterhin Heu zu verkaufen. Der Kläger, seine Ehefrau und sein Sohn wiesen auch die erforderlichen beruflichen Fachkenntnisse und Fertigkeiten auf. Sie versorgten seit mehreren Jahren etwa 20 Ziegen, ohne dass es zu Vorfällen gekommen sei, die Zweifel an der Eignung für die Ziegenhaltung rechtfertigten. Wegen der Besonderheiten des Vorhabens seien auch die strengen Anforderungen an die Dauerhaftigkeit des Betriebs erfüllt. Welche Anforderungen insoweit zu stellen seien, hänge davon ab, welche Gebäude für den Betrieb benötigt würden. Je “dauerhafter” die Gebäude geplant seien, desto höher seien die Anforderungen an die Dauerhaftigkeit des Betriebs. Die für einen landwirtschaftlichen Betrieb im Allgemeinen erforderlichen massiven Gebäude mit einer langen “Lebensdauer” dürften im Außenbereich nur errichtet werden, wenn eine hohe Gewähr dafür bestehe, dass auch die Landwirtschaft auf Dauer ausgeübt werde. Seien für den Betrieb hingegen nur einfache Gebäude erforderlich, die mit geringem Aufwand wieder beseitigt werden könnten, seien auch die Anforderungen an die Dauerhaftigkeit entsprechend geringer. Nach diesem Maßstab genüge für den geplanten Betrieb, dass ihn die Familienangehörigen des Klägers auch allein weiter führen könnten, wenn der Kläger zu einer Mitarbeit nicht mehr in der Lage sei. Eine weiter gehende zeitliche Perspektive sei wegen der leicht zu beseitigenden Holzgebäude nicht erforderlich. Die geplante Ziegenhaltung lasse sich voraussichtlich auch wirtschaftlich betreiben. Der weit überwiegende Teil der Betriebsflächen stehe im Eigentum des Klägers, für den Umbau der Gebäude fielen keine hohen Kosten an, alle erforderlichen Maschinen seien vorhanden und der Betrieb könne von der Familie geführt werden. Der Milchabsatz sei durch den Vertrag mit der Molkerei Andechs gesichert. Zwar sei die Milchziegenhaltung in der Flächenverwertung dem Heuverkauf unterlegen, rechtfertige die Höhe des zu erwartenden Gewinns nicht den Aufwand an Kosten und Arbeitszeit und sei der mögliche Beitrag zum Gesamteinkommen des Klägers wohl sehr gering. Da der Kläger über große landwirtschaftliche Nutzflächen verfüge, komme jedoch der Tatsache, dass der Arbeitseinsatz des Klägers und seiner Familienangehörigen nur einen geringen Gewinn erwarten lasse, keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Dass das Vorhaben nur vorgeschoben werde, um ein Wohnen im Außenbereich zu ermöglichen, sei nicht zu befürchten, weil der Kläger bereits über ein nahe gelegenes Wohnhaus verfüge. Öffentliche Belange stünden dem Vorhaben nicht entgegen; die Erschließung sei gesichert. Da die Anforderungen des Bauordnungsrechts bislang nicht geprüft und der Baugenehmigung noch die erforderlichen Inhalts- und Nebenbestimmungen beizufügen seien, habe der Kläger indes nur einen Anspruch darauf, dass über seinen Tekturantrag neu entschieden werde, nicht aber den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung. Insoweit sei die Berufung unbegründet.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Er rügt, dass das Berufungsgericht zu geringe Anforderungen an die Dauerhaftigkeit des Unternehmens gestellt habe. Nachdem der Kläger wegen seines Alters zu dessen dauerhafter Führung nicht in der Lage sei, stünden dafür nur die Ehefrau und der Sohn zur Verfügung. Bei einer zeitlichen Perspektive von einer Generation könne von einem auf Dauer gedachten und lebensfähigen Unternehmen keine Rede sein. Die Annahme eines landwirtschaftlichen Betriebes scheitere auch daran, dass das Unternehmen einen nachhaltigen Beitrag zur Existenzsicherung und die Amortisation der getätigten Investitionen nicht erwarten lasse. Die vom Berufungsgericht unterstellte Größe der landwirtschaftlichen Nutzfläche sei nicht geeignet, das Risiko einer alsbaldigen Aufgabe der Ziegenhaltung wegen mangelnder Gewinnerzielung zu entschärfen. Die Größe vorhandenen Eigenlandes möge zwar bei einer Haupterwerbslandwirtschaft ein gewichtiges Indiz für die Ernsthaftigkeit der landwirtschaftlichen Betätigung darstellen, nicht aber bei einer Nebenerwerbslandwirtschaft, bei der namentlich die Erzielung zusätzlichen Einkommens im Vordergrund stehe. Wie der erzielbare “Gewinn” von 0,55 € pro Stunde zeige, sei die vom Kläger beabsichtigte Tierhaltung nicht geeignet, zur Existenzsicherung nennenswert beizutragen. Bei ihr handele es sich daher um reine Liebhaberei.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil als jedenfalls im Ergebnis richtig. Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht, weil ihm ein fehlerhaftes Verständnis des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB zugrunde liegt. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ermöglichen dem Senat keine abschließende Entscheidung. Daher ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ist ein Vorhaben im Außenbereich zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die Erschließung gesichert ist und wenn es einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt. Die Entscheidung über den Bauantrag des Klägers hängt davon ab, ob das Vorhaben für einen landwirtschaftlichen Betrieb bestimmt ist. Das Vorliegen der anderen Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Senats, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb durch eine spezifisch betriebliche Organisation gekennzeichnet ist, dass er Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung erfordert und dass es sich um ein auf Dauer gedachtes und auf Dauer lebensfähiges Unternehmen handeln muss (BVerwG, Urteil vom 4. März 1983 – BVerwG 4 C 69.79 – BRS 40 Nr. 71; Beschluss vom 2. Juli 1987 – BVerwG 4 B 107.87 – RdL 1987, 232; Beschluss vom 9. Dezember 1993 – BVerwG 4 B 196.93 – BRS 56 Nr. 71). Zwar hängen die rechtlichen Anforderungen, die an die Lebensfähigkeit und Nachhaltigkeit eines landwirtschaftlichen Betriebes zu stellen sind, von den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Betriebe ab, wechseln von Betriebsart zu Betriebsart und sind abhängig von den Gegebenheiten und Gewohnheiten der jeweiligen Region, in der die Landwirtschaft betrieben wird (BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2001 – BVerwG 4 B 49.01 – BRS 64 Nr. 92). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts werden sie aber nicht davon beeinflusst, wie massiv die Bauweise der benötigten baulichen Anlagen ist. Das Berufungsurteil wird offensichtlich von der Vorstellung getragen, dass ein landwirtschaftliches Unternehmen nicht auf einen längeren Zeitraum angelegt sein muss als die ihm dienenden Gebäude. Sollte dieser Standpunkt – was offen bleiben kann – richtig sein, dürfte freilich nicht darauf abgestellt werden, mit welchem (technischen und finanziellen) Aufwand die Gebäude wieder entfernt werden können. Der Umstand, dass ein Gebäude unschwer zu beseitigen ist, besagt nämlich nicht, dass die Beseitigung nach der Aufgabe der privilegierten Nutzung auch tatsächlich erfolgt. Selbst wenn die Bereitschaft eines Bauherrn zum Rückbau umso höher sein sollte, je geringer der damit verbundene Aufwand ist, ist der von der Vorinstanz angestrebte Gleichklang zwischen der möglichen Dauer der landwirtschaftlichen Betätigung und der “Lebensdauer” der baulichen Anlagen nur gewährleistet, wenn eine Rechtspflicht zum Rückbau für den Fall der Einstellung der landwirtschaftlichen Nutzung besteht. Mit Hilfe des Bundesrechts lässt sich die Beseitigung eines Gebäudes, das für einen landwirtschaftlichen Betrieb genehmigt worden ist, nicht sicherstellen; denn das Baurecht auf Zeit (§ 35 Abs. 5 Satz 2 BauGB) erfasst Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nicht.
Die Vorinstanz hat es nach ihrem Maßstab genügen lassen, dass die Familienangehörigen des Klägers den Betrieb allein weiter führen könnten, wenn der Kläger zu einer Mitarbeit nicht mehr in der Lage sei; eine weiter gehende zeitliche Perspektive sei wegen der leicht zu beseitigenden Holzgebäude nicht erforderlich. Unabhängig von der Bauweise der als Stallung vorgesehenen baulichen Anlagen bedarf es in der Tat nicht der Prognose, dass auch noch mindestens jemand aus der Altersgruppe der Enkel des Klägers den Betrieb fortführen wird. Soweit der Senat das Merkmal der Dauerhaftigkeit mit einer “auf Generationen” angelegten Planung verknüpft hat (vgl. z.B. Urteil vom 27. Januar 1967 – BVerwG 4 C 41.65 – BVerwGE 26, 121 ≪123≫; Urteil vom 3. November 1972 – BVerwG 4 C 9.70 – BVerwGE 41, 138 ≪143≫; Beschluss vom 21. Juli 1986 – BVerwG 4 B 138.86 – BRS 46 Nr. 76), hat er keinen Zeithorizont markiert, der jenseits eines überschaubaren und einer verlässlichen Planung noch zugänglichen Zeitraums liegt. Erst recht hat er nicht verlangt, dass das Unternehmen darauf angelegt sein muss, über mehrere Generationen hinweg in der Hand derselben Familie zu bleiben. Vielmehr genügt es, wenn erwartet werden kann, dass das Unternehmen nach dem Ausscheiden des derzeitigen Inhabers durch einen Verwandten oder Dritten fortgeführt werden wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 1972 – BVerwG 4 C 9.70 – a.a.O. ≪145≫; Beschluss vom 2. April 1979 – BVerwG 4 B 51.79 – n.v.; Beschluss vom 9. Dezember 1993 – BVerwG 4 B 196.93 – a.a.O.). Die tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil reichen indes nicht aus, um eine Betriebsnachfolge nach dem Kläger als gewährleistet anzusehen. Der Befund, dass die Familienangehörigen des Klägers den Betrieb auch allein weiterführen könnten, wenn der Kläger zu einer Mitarbeit nicht mehr in der Lage sei, stellt lediglich eine Schlussfolgerung aus der zuvor getroffenen Feststellung dar, dass die Ehefrau und der gemeinsame Sohn durch ihre jahrelange Mithilfe bei der Ziegenhaltung inzwischen ebenfalls die notwendige berufliche Qualifikation erworben haben. Ihm lässt sich nicht entnehmen, dass die Familienmitglieder zu einer Betriebsübernahme auch willens und nach ihren derzeitigen und zukünftigen Lebensumständen, soweit sich diese absehen lassen, in der Lage sind. Dies gilt es noch zu ermitteln.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das Berufungsgericht ferner gehalten sein, sich nochmals mit der Wirtschaftlichkeit des beabsichtigten Unternehmens zu befassen. Die Absicht der Gewinnerzielung gehört nach § 201 BauGB nicht nur bei Voll-“Erwerbs”-, sondern auch bei Neben-“Erwerbs”-Betrieben zu den prägenden Elementen der Landwirtschaft (Wiesen- und Weide-“Wirtschaft”; “Erwerbs”-Obstbau; “berufsmäßige” Imkerei und Binnenfischerei). Sie ist nach der Rechtsprechung des Senats ein für die Ernsthaftigkeit des Vorhabens und die Sicherung der Beständigkeit gewichtiges Indiz, das besonders sorgfältig zu prüfen ist, wenn es wie hier um eine Nebenerwerbsstelle geht (vgl. Beschluss vom 20. Januar 1981 – BVerwG 4 B 167.80 – BRS 38 Nr. 85; Urteil vom 11. April 1986 – BVerwG 4 C 67.82 – BRS 46 Nr. 75; Beschluss vom 21. Juli 1986 – BVerwG 4 B 138.86 – a.a.O.); denn Bauanträge für Nebenerwerbsstellen sind in erhöhtem Maße dafür anfällig, dass ein Bauherr Ackerbau, Wiesen- oder Weidewirtschaft mehr oder weniger vorschiebt, um unter dem Deckmantel des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB im Außenbereich ein Wohnhaus errichten zu können – diese Gefahr besteht hier nach der Einschätzung der Vorinstanz nicht, weil das Wohnhaus des Klägers nur 200 m vom Stallgrundstück entfernt ist – oder um einen Tatbestand zu schaffen, der eine nach § 35 Abs. 4 BauGB begünstigte Umnutzung der Betriebsgebäude zu nichtprivilegierten Zwecken ermöglicht. Das Berufungsgericht hat eingeräumt, dass die Höhe des zu erwartenden Gewinns den Aufwand an Kosten und Arbeitszeit für die Milchziegenhaltung nicht rechtfertigt und der mögliche Beitrag zum Gesamteinkommen des Klägers wohl als sehr gering einzustufen ist, die aus seiner Sicht für die Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Betriebsführung streitenden Gesichtspunkte indes für gewichtiger gehalten. Im Einzelnen hat es dem Kläger zugute gehalten, dass er über große, überwiegend in seinem Eigentum stehende landwirtschaftliche Flächen verfügt, für den Umbau der Holzgebäude keine hohen Kosten anfallen, alle erforderlichen Maschinen vorhanden sind, der Milchabsatz durch den Vertrag mit der Molkerei Andechs gesichert ist und die Versicherung, mit dem Bauvorhaben nicht die Errichtung eines Wohnhauses im Außenbereich verknüpfen zu wollen, glaubhaft sei.
Bei der Bewertung der Indizien, die für und gegen das Vorliegen eines landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetriebes sprechen, hat das Berufungsgericht dem Merkmal der Gewinnerzielung zu wenig Bedeutung beigemessen. Das im Berufungsurteil in Bezug genommene Senatsurteil vom 11. April 1986 (a.a.O.) steht diesem Verdikt nicht entgegen. Geht es wie in dem seinerzeit entschiedenen Fall um die Erweiterung eines bereits seit etlichen Jahren bestehenden landwirtschaftlichen Betriebes mit niedriger Rentabilität, hat die Gewinnerzielung einen geringeren Stellenwert als im Fall der beabsichtigten Neugründung einer Nebenerwerbsstelle. Wird eine Landwirtschaft trotz (bescheidenen) Gewinns bereits über einen längeren Zeitraum betrieben, liegt die Gefahr, dass eine Erweiterung des Betriebs lediglich vorgeschoben wird, um eine nichtprivilegierte Nutzung des Außenbereichs vorzubereiten, weniger nahe als bei der Errichtung von Gebäuden für eine erst aufzubauende Nebenerwerbslandwirtschaft.
Der Senat sieht sich veranlasst zu betonen, dass dem Merkmal der Gewinnerzielung gerade vorliegend besonderes Augenmerk zu widmen ist; denn die Vermutung des Beklagten ist nicht von der Hand zu weisen, dass es dem Kläger, der zwei Jahre als Helfer in einem Kuhstall gearbeitet hat, viele Jahre Vorsitzender eines Reitvereins war und nach eigener Bekundung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nur mangels Gelegenheit nicht Vollerwerbslandwirt geworden ist, bei der Ziegenhaltung um eine von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nicht gedeckte “Altersliebhaberei” gehen könnte. Bei der Neugewichtung des Merkmals der Gewinnerzielung wird das Berufungsgericht auch in Rechnung stellen müssen, dass die geplante Haltung von mindestens 50 Ziegen zur Existenzsicherung des Sohnes des Klägers beitragen soll. Zur Glaubhaftmachung des dahin gehenden Vortrags wird vom Kläger ein Konzept zu verlangen sein, aus dem sich ergibt, wie ein wesentlicher Beitrag zum Lebensunterhalt seines Sohnes erwirtschaftet werden kann. Dabei sind alle landwirtschaftlichen Betätigungen in den Blick zu nehmen, die das Unternehmen ausmachen, also auch der Verkauf von Heu aus der Wiesenwirtschaft und von Honig aus der eigenen Bienenhaltung; denn es ist einem Landwirt nicht verwehrt, Überschüsse aus profitablen Betriebszweigen zur “Quersubventionierung” einer weniger rentablen Sparte zu verwenden.
Unterschriften
Dr. Paetow, Halama, Gatz, Dr. Jannasch, Dr. Philipp
Fundstellen
Haufe-Index 1318771 |
BVerwGE 2005, 308 |
BauR 2005, 1134 |
ZAP 2005, 602 |
NuR 2005, 454 |
ZfBR 2005, 382 |
GV/RP 2006, 159 |
UPR 2005, 264 |
BBB 2005, 48 |
FSt 2005, 778 |
FuBW 2005, 1011 |
FuNds 2006, 307 |