Entscheidungsstichwort (Thema)
Anstalt, Zuständigkeit für Hilfe in einer –. Blindenhilfe, Zuständigkeit für – bei stationärer Hilfe. stationäre Unterbringung, Zuständigkeit für Blindenhilfe bei –. Zusammenhangskosten, Zuständigkeit für Übernahme von – bei stationärer Unterbringung
Leitsatz (amtlich)
Für Blindenhilfe, die einem in einer Einrichtung lebenden Blinden zu gewähren ist, ist unabhängig davon, ob die Heimunterbringung wegen der Blindheit oder aus einem anderen Grund erforderlich ist, der Träger der Sozialhilfe zuständig, in dessen Bereich der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme hat oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat.
Normenkette
BSHG §§ 67, 97 Abs. 2 S. 1, § 103
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 03.11.2003; Aktenzeichen 12 A 11467/03) |
VG Neustadt a.d. Weinstraße (Urteil vom 31.07.2003; Aktenzeichen 2 K 1165/03 NW) |
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt, soweit es Blindenhilfe bis zum 30. April 2003 betrifft. Insoweit sind das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. November 2003 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt a. d. Weinstraße vom 31. Juli 2003 wirkungslos.
Im Übrigen werden die Revisionen der Beigeladenen gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. November 2003 zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in 1. und 2. Instanz mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen, trägt die Klägerin. Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Beigeladenen je zur Hälfte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Die – 1930 geborene und am 8. März 2004 (während des Revisionsverfahrens) verstorbene – Klägerin war seit dem 4. Juni 2002 in einem Pflegeheim im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten untergebracht. Davor hatte sie ab August 1998 im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen gewohnt; der Beigeladene zu 1 kam deshalb für die Heimpflegekosten auf. Im vorliegenden Verfahren streiten die Beteiligten darüber, wer zur Gewährung von Blindenhilfe nach § 67 BSHG für die Klägerin zuständig war.
Einen entsprechenden Leistungsantrag – mit dem sich die Klägerin, vertreten durch ihre Tochter (und spätere Rechtsnachfolgerin) als Betreuerin, am 2. Juli 2002 zunächst an den Beigeladenen zu 1 gewandt hatte – lehnte, nachdem dieser der Klägerin geraten hatte, sich zuständigkeitshalber an den Sozialhilfeträger am Ort der Einrichtung zu wenden, die Beklagte durch Bescheid vom 12. Februar 2003 ab, gewährte der Klägerin jedoch später bis zur abschließenden Klärung der Zuständigkeit Blindenhilfe ab dem 1. Mai 2003 als Darlehen. Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 11. April 2003) erhob die Klägerin gegen die Ablehnung der Hilfegewährung als Zuschuss Klage mit der Begründung, die Beklagte sei als für den Einrichtungsort zuständiger Sozialhilfeträger gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG auch für die Blindenhilfe zuständig, da diese nicht, wie von § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG vorausgesetzt, als einrichtungsbezogene Hilfe angesehen werden könne.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Gewährung von Blindenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz in gesetzlicher Höhe ab dem 1. Juli 2002 verpflichtet. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage dagegen auf die Berufung der Beklagten abgewiesen und dies wie folgt begründet:
Der Klägerin stehe zwar unstreitig Blindenhilfe nach § 67 Abs. 1 BSHG zu. Für diese Hilfe sei hier nach § 97 Abs. 2 BSHG jedoch nicht die Beklagte, sondern der Beigeladene zu 1 zuständig. Mit der Blindenhilfe nach § 67 BSHG werde eine “Hilfe” im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG geleistet. Dessen Anwendungsbereich sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht auf eine rein einrichtungsbezogene Hilfe beschränkt. Dafür spreche zunächst der Wortlaut der Vorschrift, die allein von Hilfe (also Sozialhilfe) spreche, ohne zwischen einzelnen Arten der Hilfegewährung zu unterscheiden, wie dies z.B. in § 97 Abs. 3 oder § 100 BSHG der Fall sei. Nur eine Auslegung, nach der – orientiert am gewöhnlichen Aufenthalt – eine umfassende örtliche Zuständigkeit des jeweiligen Trägers der Sozialhilfe habe begründet werden sollen, sei auch mit Normzweck und Entstehungsgeschichte des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG vereinbar, der vor allem einen Schutz der Anstaltsorte beabsichtige, eine schnelle Entscheidung über die Hilfe sicherstellen und Konflikte zwischen den Trägern der Sozialhilfe verringern solle. Auch eine systematische Auslegung stütze dieses Ergebnis: § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG sei eine Ausnahme von dem in § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG geregelten Grundsatz, dass sich die Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt richte. Die Gleichstellung mit der Ausnahmeregelung des § 97 Abs. 5 BSHG zeige, dass gerade nicht beabsichtigt gewesen sei, die Zuständigkeit nach den Hilfearten zu richten. In die Auslegung des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG sei darüber hinaus die mit dieser Bestimmung in Zusammenhang stehende Kostenerstattungsregelung des § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG einzubeziehen. In Anwendung dieser Regelung, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut alle Arten der Sozialhilfe einbeziehe, müsste ab dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin die Einrichtung verlassen, sich aber weiterhin im Bereich der Beklagten aufhalten würde, der Beigeladene zu 1 dem Beklagten die Kosten der dann geleisteten Blindenhilfe erstatten. Damit ergäbe sich, ginge man von der Auffassung des Verwaltungsgerichts aus, ein Wertungswiderspruch. Die Beklagte wäre zwar während des Aufenthalts in der Einrichtung für die Leistung der Blindenhilfe zuständig, hätte aber für die Zeit nach dem Verlassen der Einrichtung gegenüber dem Beigeladenen zu 1 wegen derselben Hilfeleistung einen Erstattungsanspruch; dies könne schon deshalb nicht den Normzwecken beider Vorschriften entsprechen, weil § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG an die zuvor gegebene Zuständigkeit nach § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG anknüpfe und hierdurch die Leistungspflicht im Wege der Kostenerstattung materiell verlängere, aber nicht etwa eine Kostenerstattung in Fällen begründen solle, in denen nach Maßgabe des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG eine örtliche Zuständigkeit und damit eine Leistungspflicht nicht bestanden habe. Darum seien die Begriffe “Sozialhilfe” in § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG und “Hilfe” in § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG übereinstimmend dahin auszulegen, dass beide umfassend und damit ohne Beschränkung auf einzelne Hilfearten zu verstehen seien.
Die Beklagte sei auch nicht nach § 43 SGB I vorläufig leistungsverpflichtet gewesen; denn die Klägerin habe sich wegen der Hilfeleistung zunächst an den Beigeladenen zu 1 gewandt. Die Beklagte sei zur Gewährung vorläufiger Leistungen nicht einmal berechtigt gewesen. Sowohl für die endgültige als auch für die vorläufige Leistungsgewährung sei stattdessen der Beigeladene zu 1 zuständig; zwar sei gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 4 BSHG für die Blindenhilfe an sich der überörtliche Träger der Sozialhilfe zuständig, also der Beigeladene zu 2. Aufgrund hessischen Landesrechts (§ 1a Nr. 1 HessAG-BSHG) sei jedoch der örtliche Träger der Sozialhilfe für Hilfen an Personen zuständig, die – wie die Klägerin – ihr 65. Lebensjahr vollendet hätten und denen die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer Einrichtung zur teilstationären Betreuung geleistet werde.
Gegen dieses Urteil haben die Beigeladenen Revision eingelegt. Sie rügen die Verletzung materiellen Rechts und erstreben die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
Für die Zeit bis zur Darlehensgewährung an die Klägerin haben die Beteiligten übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Soweit die Beteiligten das Verfahren für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, war das Verfahren entsprechend § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und die Wirkungslosigkeit der Vorentscheidungen nach § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO auszusprechen.
In dem anhängig gebliebenen Umfang, nämlich bezogen auf die Zeit ab dem 1. Mai 2003, ab dem infolge der darlehensweisen Hilfegewährung durch die Beklagte eine Vererblichkeit des Blindenhilfeanspruchs in Betracht kommt (vgl. BVerwGE 96, 18), sind die Revisionen der Beigeladenen zwar zulässig, aber nicht begründet, so dass sie nach § 144 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen sind.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Klageanspruch in Übereinstimmung mit Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) daran scheitern lassen, dass die Beklagte für die Gewährung von Blindenhilfe nach § 67 BSHG an die Klägerin nicht zuständig war. Es hat zu Recht unter “Hilfe in einer Anstalt” im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG auch die Gewährung von Blindenhilfe verstanden. Deswegen war die Beklagte nicht zuständig, der Klägerin Blindenhilfe nach § 67 BSHG zu leisten.
Blindenhilfe nach § 67 BSHG ist allerdings nicht notwendig “einrichtungsbezogen”, sondern kann – was die Beigeladenen zu Recht geltend machen – inner- wie außerhalb von Einrichtungen geleistet werden. Ob bei einer Gewährung von Blindenhilfe an einen Blinden in einer Einrichtung die Zuständigkeit nach § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG für die Hilfe in der Einrichtung dann auch die Blindenhilfe umfasst, wird in der Kommentarliteratur unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird vertreten, die Zuständigkeit nach § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG beschränke sich auf die rein stationäre Hilfe und erfasse nicht sog. Zusammenhangskosten, also Kosten, die mit der stationären Hilfe in engem Zusammenhang stehen (so Zeitler, NDV 1994, 176 ≪178≫; 1998, 104 ≪106≫; Mergler/Zink, BSHG, 4. Aufl., Stand März 2004, § 97 Rn. 27b; Bräutigam, in: Fichtner ≪Hrsg.≫, BSHG, 2. Aufl. 2003, § 97 Rn. 10). Teilweise wird angenommen, die Zuständigkeit (und damit auch die Kostentragung) nach § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG umfasse neben der “Hilfe in der Einrichtung” (LPK-BSHG/Schoch, 6. Aufl. 2003, § 97 Rn. 34) beziehungsweise neben “allen Aufwendungen, die während des Aufenthalts des Hilfeempfängers in der Einrichtung anfallen” (W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 97 Rn. 64), auch die Zusammenhangskosten (LPK-BSHG/Schoch, a.a.O., W. Schellhorn/H. Schellhorn, a.a.O.).
Jedenfalls Blindenhilfe, die einem in einer Einrichtung lebenden Blinden zu gewähren ist, ist unabhängig davon, ob die Heimunterbringung wegen der Blindheit oder aus einem anderen Grund erforderlich ist, Hilfe in einer Einrichtung im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG. So ist Blindenhilfe unterschiedlich und abhängig davon zu bemessen, ob sie für einen Blinden außerhalb einer Einrichtung (§ 67 Abs. 1 BSHG) oder in einer Einrichtung (§ 67 Abs. 3 BSHG) zu gewähren ist. Für die Auslegung des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG spricht insbesondere die Gesetzessystematik. An den sachlichen Geltungsbereich des § 97 Abs. 2 BSHG knüpft u.a. die Regelung des § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG an, wonach, wenn der Hilfeempfänger in den Fällen des § 97 Abs. 2 BSHG die Einrichtung verlässt und im Bereich des örtlichen Trägers, in dem die Einrichtung liegt, innerhalb von einem Monat danach der Sozialhilfe bedarf, dem örtlichen Träger der Sozialhilfe die aufgewendeten Kosten von dem Träger der Sozialhilfe zu erstatten sind, in dessen Bereich der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG hatte. Danach hätte, wenn die Klägerin das Heim verlassen und innerhalb eines Monats danach im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten der Sozialhilfe bedurft hätte, einer der beiden Beigeladenen (abhängig vom für sie geltenden Landesrecht) der Beklagten auch die Aufwendungen für eine dann erforderliche Blindenhilfe nach § 67 BSHG erstatten müssen; denn § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG spricht von “Sozialhilfe”, so dass auch die Leistung von Blindenhilfe darunter fällt. Dieses schon durch den Wortlaut der Vorschrift nahe gelegte Ergebnis folgt auch daraus, dass die – ebenfalls dem Schutz der Anstaltsorte dienende – Regelung des § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG generell weit auszulegen ist (Urteil des Senats vom 2. Oktober 2003 – BVerwG 5 C 20.02 – ≪BVerwGE 119, 90≫). Wäre die Beklagte somit infolge des Schutzes der Anstaltsorte für Aufwendungen der Blindenhilfe, die sie der Klägerin nach einer Beendigung ihres Heimaufenthaltes unter den Voraussetzungen des § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG erbracht hätte, erstattungsberechtigt gewesen, ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund ihr das Gesetz während der Dauer der Heimunterbringung der Klägerin durch Zuweisung der Zuständigkeit aufgrund des § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG die Kostenlast der Blindenhilfe nach § 67 BSHG auferlegt haben sollte. Sowohl § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG als auch § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG dienen dem Schutz der Anstaltsorte; sie erreichen diesen Zweck allerdings auf konstruktiv unterschiedlichen Wegen: § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG durch die Begründung der (örtlichen) Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers, in dessen Bereich der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung hat oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat, § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG dagegen – an die örtliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers am Ort des tatsächlichen Aufenthalts gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG anknüpfend – im Wege eines Erstattungsanspruchs dieses Trägers gegen den Träger am (vorherigen) Ort des gewöhnlichen Aufenthalts.
Soweit § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG in seiner bis zum 31. Dezember 1993 geltenden Fassung vom 20. Januar 1987 (BGBl I S. 401) auf Absatz 1 Bezug nahm und dieser in seiner damaligen Fassung bestimmte, dass die Kosten zu übernehmen sind, die ein Träger der Sozialhilfe für den Aufenthalt eines Hilfeempfängers in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung “oder im Zusammenhang hiermit” aufgewendet hat, rechtfertigt dies – im Gegensatz zur Auffassung des Verwaltungsgerichts – nicht den Rück-(Umkehr-)schluss, dass § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG, der den Zusatz “oder im Zusammenhang hiermit” nicht enthält, Zusammenhangskosten nicht erfassen solle. Vielmehr kann daraus, dass weder § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG noch die Neufassung des § 103 BSHG einen solchen Zusatz enthalten, mit dem Berufungsgericht (S. 9 Mitte des Berufungsurteils) auch gefolgert werden, dass § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG “eine umfassende Zuständigkeitsregelung für alle Hilfearten nach dem BSHG für den Fall (darstellt), dass diese während der Unterbringung in einer der dort genannten Einrichtungen anfallen”.
Ob unter der Geltung des zum 1. Januar 2005 in Kraft tretenden neuen Rechts noch von einer solchen Gesamtfallzuständigkeit des für den gewöhnlichen Aufenthalt vor Aufnahme in die Einrichtung örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers ausgegangen werden kann, ist hier nicht zu entscheiden. Auch für die Auslegung des bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechts erlaubt das neue Recht (§ 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) keine tragfähigen Rückschlüsse, da nach der Gesetzesbegründung die Regelungen lediglich “im Wesentlichen” bzw. “weitgehend” inhaltsgleich sein sollen (vgl. BTDrucks 15/1514, S. 67), die Reichweite des in § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII geänderten Wortlauts indes nicht erläutert wird.
Das Berufungsgericht hat die Beklagte zu Recht auch nicht als nach § 43 Abs. 1 SGB I zu vorläufigen Leistungen verpflichtet gehalten.
Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Klägerin, vertreten durch ihre Tochter und Betreuerin, sich mit ihrem Hilfebegehren nicht zuerst an die Beklagte, sondern am 2. Juli 2002 telefonisch an den Beigeladenen zu 1 gewandt hat. Dass dies telefonisch geschah, ein schriftlicher Leistungsantrag dagegen erstmals an die Beklagte gerichtet war (unter dem 25. August 2002), ändert nichts daran, dass die Beklagte von der Klägerin wegen der Leistung von Blindenhilfe nicht im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB I “zuerst angegangen” war. Das Gesetz unterscheidet bei diesem Merkmal nicht danach, ob der betreffende Sozialleistungsträger (fern-) mündlich oder schriftlich mit dem Leistungsbegehren befasst worden ist (vgl. auch BVerwGE 91, 177 ≪179≫).
Die Frage einer vorläufigen Leistungsverpflichtung der Beklagten ist auch nicht anders zu beurteilen, wenn das maßgebliche Landesrecht – wie die Beigeladenen es übereinstimmend verstehen – die sachliche Zuständigkeit für die Blindenhilfe nicht den örtlichen Trägern der Sozialhilfe übertragen (sondern sie den überörtlichen Sozialhilfeträgern – hier also dem Beigeladenen zu 2 – belassen) hat. § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB I setzt einen Streit zwischen mehreren Leistungsträgern darüber voraus, “wer zur Leistung verpflichtet ist”. Die Vorschrift unterscheidet nicht danach, ob der Zuständigkeitsstreit die örtliche oder die sachliche Zuständigkeit betrifft und gilt daher auch für “bereichsinterne” Streitigkeiten über die örtliche und/oder die sachliche Zuständigkeit (vgl. auch BVerwG, a.a.O., zur Jugendhilfe).
Die Kostenentscheidung beruht, was die Kostenbelastung der Klägerin betrifft, auf § 161 Abs. 2 VwGO und im Übrigen auf § 154 Abs. 2 und 3, § 159 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen
Haufe-Index 1332407 |
DÖV 2005, 618 |
FEVS 2005, 346 |
ZfF 2006, 91 |
ZfF 2006, 93 |
DVBl. 2005, 783 |