Entscheidungsstichwort (Thema)
Wein. Weinbezeichnung. geregelte fakultative Angabe. ergänzender traditioneller Begriff. Verwechslungsgefahr. Irreführung. “Reserve”. “Privat-Reserve”
Leitsatz (amtlich)
Die Verwendung der Bezeichnungen “Réserve/Grande Réserve” und “Reserve/Privat-Reserve” für einen deutschen Wein ist nicht schon deshalb unzulässig, weil das deutsche Weinrecht diese Bezeichnungen nicht definiert.
Die in Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 aufgeführten ergänzenden traditionellen Begriffe sind gegen Aneignung, Nachahmung oder Anspielung unbedingt nur in der jeweiligen Sprache geschützt. Übersetzungen in eine andere Sprache sind nur dann unzulässig, wenn die Gefahr der Verwechslung mit dem geschützten Begriff oder der Irreführung des Verbrauchers besteht.
Für die Frage der Irreführung ist darauf abzustellen, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher die fragliche Angabe wahrscheinlich auffassen wird.
Zur Gefahr der Irreführung durch die Bezeichnungen “Réserve”, “Grande Réserve” oder “Privat-Reserve” für einen deutschen Wein.
Normenkette
VO (EG) Nr. 1493/1999 Art. 47, Nr. 753/2002 Art. 23
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 21.09.2004; Aktenzeichen 7 A 10692/04) |
VG Neustadt a.d. Weinstraße (Entscheidung vom 29.01.2004; Aktenzeichen 2 K 1628/03.NW) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. September 2004 wird zurückgewiesen, soweit es die Bezeichnung “Reserve” betrifft. Im Übrigen wird das Urteil aufgehoben; insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens unter Einschluss der im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof entstandenen außergerichtlichen Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Der Kläger ist Inhaber eines Weinguts in der Pfalz, das mit der Firmenbezeichnung “Consulat des Weins” im Handelsregister eingetragen ist.
Bei einer Überprüfung im November 2002 wurde festgestellt, dass der Kläger acht Weine herstellte, die er wie folgt etikettierte: Die Hauptetiketten trugen in der oberen Hälfte in großen Blockbuchstaben die Firmenbezeichnung “Consulat des Weins” und darunter in etwas kleinerem Format die Angabe “Grande Réserve” für zwei Weine der gehobenen, “Réserve” für vier Weine der mittleren und “Terroir” bzw. “Terroir Palatinat” für zwei Weine der niedrigeren Preisklasse. Auf den Rücketiketten aller Weine wollte der Kläger die Bezeichnung “Domaine Ludwigshöhe” und darüber u.a. die Qualitätsstufe der Weine (“Qualitätswein”), das Anbaugebiet (“Pfalz”) sowie die jeweilige amtliche Prüf- und Abfüller-Nummer angeben.
Mit Bescheid der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) Trier vom 19. Dezember 2002 untersagte der Beklagte dem Kläger, Weine mit der Angabe (1.) “Domaine Ludwigshöhe”, (2.) “Terroir Palatinat”, (3.) “Consulat des Weins – Réserve” bzw. “Réserve” und (4.) “Consulat des Weins – Grande Réserve” bzw. “Grande Réserve” zu bezeichnen und in den Verkehr zu bringen. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen, die Verwendung der beanstandeten Angaben sei irreführend und deshalb unzulässig. Mit seinem Widerspruch erklärte sich der Kläger bereit, gegebenenfalls auf die Verwendung der französischen Begriffe “Réserve” und “Grande Réserve” zugunsten der deutschen Bezeichnungen “Reserve” und “Privat-Reserve” zu verzichten. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2003 zurück. Mit weiterem Schreiben vom 21. Mai 2003 erklärte er, dass er auch die Bezeichnung “Privat-Reserve” für unzulässig halte.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger noch die Aufhebung der Ziffern 3 und 4 der Untersagungsverfügungen sowie die Feststellung, dass die Verwendung der Bezeichnung “Reserve” und “Privat-Reserve” in Verbindung mit der Bezeichnung “Consulat des Weins” und in Alleinstellung zulässig ist.
Das Verwaltungsgericht Neustadt a.d.W. hat die Klage mit Urteil vom 29. Januar 2004 abgewiesen. Die umstrittenen Weinbezeichnungen seien unzulässig. Sie ähnelten auch in französischer oder deutscher Schreibung geschützten spanischen, italienischen und portugiesischen Bezeichnungen so sehr, dass von einer verbotenen Nachahmung gesprochen werden müsse. Hinzu komme ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot.
Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 21. September 2004 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Weinbezeichnungsrecht behalte die traditionellen spanischen bzw. portugiesischen, italienischen und französischen Begriffe “Reserva/Gran Reserva” bzw. “Riserva/Gran Riserva” oder “Réserve/Grande Réserve” den spanischen, portugiesischen, italienischen und griechischen Weinen vor, mit denen sie verbunden seien, und schütze sie gegen widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung. Die vom Kläger verwendeten oder beabsichtigten Bezeichnungen stellten bei Alleinstellung eine derartige Nachahmung, bei Verwendung zusammen mit der Firmenbezeichnung “Consulat des Weins” jedenfalls eine Anspielung dar. Hierfür bedürfe es keiner Wortidentität; unzulässig seien auch ähnliche Begriffe, selbst solche in anderer, hier der deutschen Sprache. Dass die Bezeichnungen des Klägers zwischenzeitlich als Marken eingetragen seien, ändere nichts; auch Marken mit traditionellen Bezeichnungen dürften nur verwendet werden, wenn der Wein die traditionelle Bezeichnung führen dürfe. Erweise sich die Klage schon hiernach als unbegründet, so könne dahinstehen, ob die umstrittenen Bezeichnungen auch deshalb unzulässig seien, weil sie geeignet seien, den Verbraucher irrezuführen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers. Er macht geltend, das geltende Weinbezeichnungsrecht schütze die traditionellen Begriffe “Reserva/Gran Reserva” bzw. “Riserva/Gran Riserva” nur in der jeweiligen – spanischen, portugiesischen bzw. italienischen – Landessprache, nicht jedoch in einer anderen Sprache. Dasselbe gelte für die entsprechende griechische Bezeichnung, die nur in Griechisch (und in kyrillischer Schrift), nicht jedoch in Französisch geschützt sei. Die Verwendung vergleichbarer Bezeichnungen für Weine aus einem anderen Mitgliedstaat stelle daher weder eine Nachahmung noch eine Anspielung dar. Die Marke “Consulat des Weins – Réserve/Grande Réserve” wäre vom Europäischen Markenamt auch nicht eingetragen worden, wenn sie unzulässig wäre; denn die bezeichnungsrechtliche Zulässigkeit werde vom Markenamt selbstständig geprüft. Selbst wenn die spanischen, portugiesischen, italienischen und griechischen Bezeichnungen nicht nur gegen Nachahmung oder Anspielung in der jeweiligen Landessprache geschützt seien, so sei die Nachahmung oder Anspielung doch nur unzulässig, wenn sie auch irreführend sei. Die Gefahr einer Irreführung habe das Berufungsgericht jedoch nicht festgestellt; sie bestehe auch nicht. Er – der Kläger – erwecke nicht den Anschein, dass der jeweils geschützte Begriff auch für seine Weine gelte, schon weil diese unzweifelhaft aus Deutschland stammten. Die Verwendung französischer Bezeichnungen solle seinen Weinen lediglich einen “edlen” Anstrich verleihen, was vom Verbraucher nicht missverstanden werde. Dass auch die Weinaufsichtsbehörden keine Irreführung befürchteten, werde durch den Umstand belegt, dass zahlreiche Weine aus Drittstaaten (Bulgarien, Argentinien, Chile, USA, Südafrika, Australien) mit vergleichbaren Bezeichnungen ohne Beanstandung in der Europäischen Gemeinschaft auf dem Markt angeboten würden.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Ergänzend führt er aus, dass die Bezeichnung “Reserve” in Deutschland nicht als traditioneller Begriff anerkannt sei und deshalb allenfalls als “andere Angabe, die für den Verbraucher nützlich sein könne”, angesehen werden könne. Eine derartige “andere Angabe” sei aber unzulässig, wenn ihre Verwendung zu einer Erosion definierter und geschützter traditioneller Begriffe führe.
Der Vertreter des Bundesinteresses hält das angefochtene Urteil für richtig.
Mit Beschluss vom 16. März 2006 hat der Senat das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof verschiedene Fragen zur Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 und der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1512/2005 zur Vorabentscheidung vorgelegt. Mit Urteil vom 13. März 2008 hat der Europäische Gerichtshof die Fragen des Senats beantwortet. Die Beteiligten und der Vertreter des Bundesinteresses haben hierzu unterschiedlich Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet, soweit die Vorinstanzen die Klage auf Feststellung, die Verwendung der Bezeichnung “Reserve” sei zulässig, abgewiesen haben. Im Übrigen hat sie Erfolg; sie führt insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Untersagungsverfügung einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gesehen und angenommen, dass die Begründetheit der Anfechtungsklage sich deshalb nach dem im Zeitpunkt seiner Entscheidung geltenden Recht beurteile. Auch die Feststellungsklage hat es nach aktuell geltendem Recht geprüft. Das lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
Der Senat hat auch die Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens einzubeziehen. Im Revisionsverfahren ist die Rechtslage maßgebend, die die Tatsacheninstanz zugrunde zu legen hätte, wenn sie zu dieser Zeit entschiede (Beschluss vom 16. März 2006 – BVerwG 3 C 16.05 – Buchholz 418.72 WeinG Nr. 29 = LRE 53, 139 = NVwZ-RR 2006, 605 Rn. 12; Urteil vom 16. Januar 1986 – BVerwG 3 C 66.84 – BVerwGE 72, 339 ≪340≫; vgl. auch Urteil vom 3. November 1994 – BVerwG 3 C 30.93 – Buchholz 418.15 Rettungswesen Nr. 2 S. 16).
Maßgebend sind damit die Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 über die gemeinsame Marktorganisation für Wein (ABl Nr. L 179 S. 1), zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates vom 22. Oktober 2007 (ABl Nr. L 299 S. 1) – im Folgenden: Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 –, die Verordnung (EG) Nr. 753/2002 der Kommission vom 29. April 2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 des Rates hinsichtlich der Beschreibung, der Bezeichnung, der Aufmachung und des Schutzes bestimmter Weinbauerzeugnisse (ABl Nr. L 118 S. 1), zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1471/2007 der Kommission vom 13. Dezember 2007 (ABl Nr. L 329 S. 9) – im Folgenden: Verordnung (EG) Nr. 753/2002 –, sowie das Weingesetz vom 8. Juli 1994 (BGBl I S. 1467) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Januar 2008 (BGBl I S. 27) – WeinG –.
Die hier maßgeblichen Vorschriften des Titels V Kapitel II der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 einschließlich der diesbezüglichen Anhänge finden auch ungeachtet des Inkrafttretens der Verordnung (EG) Nr. 479/2008 des Rates vom 29. April 2008 über die gemeinsame Marktorganisation für Wein (ABl Nr. L 148 S. 1) weiterhin Anwendung. Ausweislich Art. 128 Abs. 2, Art. 129 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung (EG) Nr. 479/2008 werden diese Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 erst ab dem 1. August 2009 von den entsprechenden Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 479/2008 ersetzt, sofern die Kommission im Wege der Durchführungsverordnung nichts anderes bestimmt.
2. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Verwendung der Bezeichnungen “Réserve/Grande Réserve” und “Reserve/Privat-Reserve” für einen deutschen Wein nicht schon deshalb unzulässig ist, weil das deutsche Weinrecht diese Bezeichnungen nicht definiert. Das trifft zu.
Art. 47 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a bis c in Verbindung mit Anhang VII Abschnitt A und B der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 unterscheidet bei der Bezeichnung von Wein zwischen obligatorischen und fakultativen Angaben und hinsichtlich der letzteren zwischen fakultativen Angaben, die unter bestimmten Voraussetzungen verwendet werden können (sog. geregelte fakultative Angaben), und sonstigen Angaben, die für die Verbraucher nützlich sein können (sog. andere Angaben).
Die im Streit stehenden Bezeichnungen gehören nicht zu den obligatorischen Angaben. Sie zählen auch nicht zu den fakultativen Angaben, die nur unter bestimmten vom Erzeugermitgliedstaat, also von Deutschland, geregelten Voraussetzungen verwendet werden dürfen. Zwar soll mit ihnen im Sinne des Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 auf eine besondere Qualität des Weins hingewiesen werden, sei es aufgrund besonderer Lagerung und Reifung des Weins, sei es weil der Winzer die Erträge je Hektar Anbaufläche begrenzt. Derartige Angaben sind jedoch nur dann geregelte fakultative Angaben, wenn sie in den Rechtsvorschriften des Erzeugermitgliedstaats definiert sind. Die hier umstrittenen Bezeichnungen sind jedoch im deutschen Weinrecht nicht definiert.
Die in Rede stehenden Bezeichnungen können aber als andere Angaben im Sinne von Abschnitt B Nr. 3 des Anhangs VII der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 zulässig sein. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Verwendung einer Angabe, die sich – wie die vorliegend streitigen – auf ein Verfahren der Erzeugung, Bereitung und Reifung oder auf die Qualität eines Weins bezieht, nach dieser Vorschrift zulässig sein kann (Urteil vom 13. März 2008 – Rs. C-285/06, Schneider – EuZW 2008, 243 Rn. 29, 32).
3. Das Berufungsgericht hat die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts mit der Begründung zurückgewiesen, die Verwendung der französischen Bezeichnungen “Réserve/Grande Réserve” und der deutschen Bezeichnungen “Reserve/Privat-Reserve” sei unzulässig, weil dies eine widerrechtliche Aneignung oder Nachahmung geschützter Bezeichnungen anderer Weine oder eine widerrechtliche Anspielung auf solche darstelle, ohne dass es noch darauf ankäme, ob der Verbraucher hierdurch irregeführt werde. Das trifft nur für die deutsche Bezeichnung “Reserve” zu; nur insoweit steht das Berufungsurteil daher im Ergebnis mit Bundesrecht und europäischem Recht in Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
a) Gemäß Art. 24 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) 753/2002 sind die in Anhang III dieser Verordnung aufgeführten ergänzenden traditionellen Begriffe den Weinen vorbehalten, mit denen sie verbunden sind, und gegen widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung geschützt. Dieser Schutz gilt unbedingt in der Sprache bzw. in den Sprachen, in der bzw. in denen er in diesem Anhang III aufgeführt ist. Davon ist der Europäische Gerichtshof wie selbstverständlich ausgegangen (Urteil vom 13. März 2008 a.a.O. Rn. 38); insofern hat er sich den Schlussanträgen der Generalanwältin Trstenjak angeschlossen (Schlussanträge vom 25. Oktober 2007, insb. Rn. 78). Demgegenüber sind Übersetzungen in eine andere Sprache nur dann unzulässig, wenn die Gefahr besteht, dass die Person, für die diese Angabe bestimmt ist, sie mit dem geschützten ergänzenden traditionellen Begriff verwechselt oder dass diese Person irregeführt wird (EuGH, Urteil vom 13. März 2008 a.a.O. Rn. 28 ff., 32 sowie 39 ff., 44).
Der unbedingte Schutz gilt nicht nur gegenüber Weinen aus demselben Erzeugermitgliedstaat, sondern auch gegenüber Weinen aus einem anderen Erzeugermitgliedstaat. Auch dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden (Urteil vom 13. März 2008 a.a.O. Rn. 55 ff.). Daran ändert nichts, dass Deutschland und Österreich durch diese Auslegung anders behandelt werden als alle übrigen weinproduzierenden Mitgliedstaaten. Allerdings sind Deutschland und Österreich (sowie ggf. Italien mit Blick auf Südtirol und Frankreich mit Blick auf das Elsass) die einzigen weinerzeugenden Mitgliedstaaten, die über eine gemeinsame Sprache verfügen, bei denen mithin eine Verletzung einer geschützten Bezeichnung des jeweils anderen Staates ohne Übersetzung praktisch in Betracht kommt, während in allen anderen weinerzeugenden Mitgliedstaaten eine Verletzung geschützter Weinbezeichnungen praktisch nur im Wege der Übersetzung vorkommen kann. Der Senat hat deshalb in seinem Vorlagebeschluss vom 16. März 2006 (a.a.O. Rn. 29 ff.) erwogen, den unbedingten Bezeichnungsschutz nur gegenüber Weinen aus demselben Erzeugermitgliedstaat eingreifen zu lassen, es also gegenüber Weinen aus einem anderen Erzeugermitgliedstaat auch im Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich bei dem zusätzlichen Erfordernis der Irreführung bewenden zu lassen, auf das es im Verhältnis zwischen Erzeugermitgliedstaaten mit unterschiedlicher Sprache stets ankommt. Der Europäische Gerichtshof ist dem jedoch nicht gefolgt. Unter Hinweis auf die “praktische Wirksamkeit” (“effet utile”) hat er entschieden, dass der (unbedingte) Bezeichnungsschutz auch gegenüber Weinen aus einem anderen Erzeugermitgliedstaat gleichermaßen besteht (Urteil vom 13. März 2008 a.a.O. Rn. 57; vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 25. Oktober 2007 Rn. 83).
b) Die französischen Begriffe “Réserve” und “Grande Réserve” sind im Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 nicht aufgeführt; sie sind daher nicht als ergänzende traditionelle Begriffe geschützt.
Der Anhang III führt allerdings den deutschen Begriff “Reserve” als ergänzenden traditionellen Begriff Österreichs für Qualitätsweine auf. Dieser Begriff ist daher denjenigen (österreichischen) Weinen vorbehalten, denen er verliehen wurde. Andere Weine dürfen so nicht bezeichnet werden. Das gilt auch für Weine aus anderen Erzeugermitgliedstaaten und damit auch für Weine aus Deutschland. Damit darf der Kläger seine Weine nicht ebenfalls mit “Reserve” bezeichnen. Darin liegt eine Aneignung des für Österreich geschützten Begriffs, die schlechterdings unzulässig ist.
Die Bezeichnung “Privat-Reserve” ist hingegen nicht schlechterdings unzulässig. Der Begriff “Privat-Reserve” steht auch für Österreich nicht unter Schutz. Der Senat vermag in der Bezeichnung auch keine Nachahmung oder Anspielung auf den geschützten Begriff “Reserve” zu erkennen, die ohne Weiteres, also ohne die zusätzliche Feststellung der Gefahr einer Verwechslung oder einer Irreführung des Verbrauchers unzulässig wäre. Durch den Zusatz “Privat”, der zudem am Anfang der Bezeichnung steht, unterscheidet sich die Bezeichnung hinlänglich von dem geschützten Begriff “Reserve”. Sie unterscheidet sich vor allem deutlicher von ihm als die französische Übersetzung “Réserve”, die nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ebenfalls nicht schlechterdings unzulässig ist.
4. Ob der Kläger seine Weine mit den französischen Begriffen “Réserve” und “Grande Réserve” oder mit dem deutschen Begriff “Privat-Reserve” bezeichnen darf, hängt davon ab, ob diese Bezeichnungen geeignet sind, den Verbraucher irrezuführen. Da das Berufungsgericht hierzu bislang keine Feststellungen getroffen hat, ist die Sache insoweit zurückzuverweisen.
a) Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 führt für Portugal, Spanien, Italien, Österreich und Griechenland die ergänzenden traditionellen Begriffe “Reserva/Grande Reserva”, “Reserva/Gran Reserva”, “Riserva”, “Reserve” und “Epilogi e Epilegmenos” auf und stellt sie in portugiesischer, spanischer, italienischer, deutscher und griechischer Sprache unter Schutz. Die vom Kläger verwendeten Bezeichnungen “Réserve” und “Grande Réserve” sind Übersetzungen dieser Begriffe in die französische Sprache. Auch mit der deutschen Bezeichnung “Privat-Reserve” werden diese Begriffe nachgeahmt oder wird auf sie angespielt. Wie erwähnt, sind fakultative Angaben über Weine, zumal wenn sie Übersetzungen geschützter ergänzender traditioneller Begriffe darstellen, nur zulässig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass die Person, für die diese Angabe bestimmt ist, sie mit dem geschützten ergänzenden traditionellen Begriff verwechselt oder dass diese Person irregeführt wird. Dies folgt sowohl aus Art. 48 erster Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 als auch aus Art. 6 Abs. 1, Art. 24 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 (EuGH, Urteil vom 13. März 2008 a.a.O. Rn. 28 ff., 32 sowie 39 ff., 44).
b) Die Gefahr einer Verwechslung scheidet aus. Das liegt dermaßen offen zutage, dass es auch vom Revisionsgericht festgestellt werden kann.
Dies gilt schon für die französische Bezeichnung “Réserve/Grande Réserve”. Der Verbraucher, dem ein Wein mit dieser französischen Bezeichnung angeboten wird, assoziiert damit allenfalls ein nach französischen Regeln definiertes Qualitätsmerkmal, nicht aber eine Nachahmung eines portugiesischen, spanischen, italienischen, österreichischen oder griechischen Qualitätsmerkmals. Das gilt selbstverständlich für französische Weine selbst; niemand ist bislang auf den Gedanken verfallen, in der – verbreiteten – Bezeichnung französischer Weine mit den französischen Bezeichnungen “Réserve” oder “Grande Réserve” die Anmaßung eines Qualitätsmerkmals nach außerfranzösischen Regeln zu vermuten. Nichts anderes aber gilt für deutsche Weine. Zwar lenkt eine französische Bezeichnung für einen deutschen Wein die Gedanken des Verbrauchers möglicherweise auf nichtdeutsche Qualitätsstandards, jedoch allenfalls auf französische, keinesfalls aber auf solche eines dritten Landes.
Die Gefahr einer Verwechslung der deutschen Bezeichnung “Privat-Reserve” mit den portugiesischen, spanischen, italienischen oder griechischen Begriffen liegt noch viel ferner. Es ist schlechterdings ausgeschlossen, dass ein Verbraucher einen deutschen Wein, der eine deutschsprachige Bezeichnung führt, mit einem Qualitätsstandard aus dem nichtdeutschsprachigen Ausland in Verbindung bringt. Auch eine Verwechslung mit dem österreichischen Begriff “Reserve” liegt fern. Zwar gehören beide Bezeichnungen der deutschen Sprache an. Gerade deshalb aber kommt Abweichungen im Wortlaut besondere unterscheidende Bedeutung zu. Die Bezeichnung “Privat-Reserve” entfernt sich so weit von dem Begriff “Reserve”, dass eine Verwechslung nicht zu besorgen ist.
c) Zu prüfen bleibt aber, ob die Gefahr besteht, dass der Verbraucher irregeführt wird.
aa) Für den Begriff der Irreführung kommt es auf dessen gemeinschaftsrechtliche Bedeutung an; § 25 WeinG ist demgegenüber nicht anwendbar. Die gemeinschaftsrechtliche Regelung ist durch europäisches Verordnungsrecht getroffen, das unmittelbar gilt; sie ist abschließend und lässt damit keinen Raum für nationale Regelungen (vgl. § 1 Abs. 1 WeinG). Nach dem Gemeinschaftsrecht aber ist für die Frage der Irreführung darauf abzustellen, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher die fragliche Angabe wahrscheinlich auffassen wird (EuGH, Urteile vom 16. Juli 1998 – Rs. C-210/96, Gut Springenheide und Tusky – Slg. I-4657, 4681 Rn. 31 und vom 28. Januar 1999 – Rs. C-303/97, Sektkellerei Kessler – Slg. I-513, 532 Rn. 38; vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 25. Oktober 2007 Rn. 57). Es kommt damit weder auf den flüchtigen Verbraucher noch umgekehrt auf den Weinkenner an (so zutreffend Boch in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, C 400, Stand November 2003, Rn. 14 ff., 16 zu § 25 WeinG).
bb) Festzuhalten ist, dass in der Verwendung einer im deutschen Weinrecht nicht definierten Bezeichnung als solcher – allein deshalb, weil der Verbraucher annehmen könnte, es handele sich um eine definierte oder gar geschützte Bezeichnung – noch keine Irreführung liegen kann. Andernfalls wäre die Verwendung sämtlicher nicht definierter Bezeichnungen als irreführend unzulässig. Damit aber wäre die mit der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 beabsichtigte größere Freiheit im Weinbezeichnungsrecht wieder aufgehoben (Beschluss vom 27. März 2003 – BVerwG 3 B 62.02 – Buchholz 418.72 WeinG Nr. 28). Während das vorherige Weinbezeichnungsrecht nur die Verwendung ausdrücklich zugelassener Bezeichnungen gestattete (sog. Verbotsprinzip), sieht die Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 eine Öffnung auch für nicht ausdrücklich zugelassene Angaben vor, sofern die Verwendung nicht missbräuchlich erfolgt (sog. Missbrauchsprinzip; vgl. Hieronimi, WRP 2000, 458; BGH, Urteil vom 10. August 2000 – I ZR 126/98, Stich den Buben – GRUR 2001, 73 = ZLR 2001, 129 Rn. 20).
Allerdings ist denkbar, dass die Verwendung von Bezeichnungen in französischer Sprache, die in Frankreich definiert oder doch üblicherweise Weinen mit bestimmten Qualitätsmerkmalen vorbehalten sind, beim Verbraucher die Erwartung erwecken kann, der Wein – auch wenn er erkennbar kein französischer Wein ist – sei doch berechtigt, die französische Bezeichnung zu führen. Ein solcher Sachverhalt dürfte im Regelfall den Tatbestand der Irreführung erfüllen.
cc) Wie erwähnt, dürfte sich mit den portugiesischen, spanischen und italienischen geschützten ergänzenden traditionellen Begriffen “Reserva/Gran Reserva” bzw. “Riserva/Grande Riserva”, denen die vom Kläger verwendeten Bezeichnungen nachgebildet sind, typischerweise die Erwartung einer besonderen Qualität des Weins verbinden, sei es aufgrund besonderer Lagerung und Reifung des Weins, sei es, weil der Winzer die Erträge je Hektar Anbaufläche begrenzt. Dasselbe dürfte für die französischen Bezeichnungen “Réserve/Grande Réserve” nach französischem Weinrecht oder Herkommen und Gebrauch gelten. Ist dem so, dann liegt die Annahme nahe, dass der Verbraucher diese Erwartung auf einen deutschen Wein überträgt, für den dieselbe oder eine entsprechende Bezeichnung verwendet wird. Allerdings bedarf der besonderen Prüfung, ob dies für jeden durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher oder aber nur für den Weinkenner gilt.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass dieses objektive oder doch objektivierbare Kriterium durch die Weine des Klägers nicht erfüllt sei, da er die Bezeichnungen allein nach subjektiver Einschätzung vergebe. Der Kläger hat die Richtigkeit besonders dieser Annahmen des Verwaltungsgerichts im Berufungsrechtszug bestritten. Dem wird das Berufungsgericht nachzugehen haben.
dd) Hiervon unabhängig hat das Verwaltungsgericht eine Irreführung auch darin gesehen, dass die Bezeichnung “Réserve/Grande Réserve” auf dem Hauptetikett der Weine des Klägers blickfangartig hervorgehoben sei, während die Qualitätsstufe (“Qualitätswein b.A.”) lediglich auf dem Rücketikett angegeben werde. Das betrifft nicht die Zulässigkeit der strittigen Weinbezeichnungen als solcher, sondern die äußere Gestaltung der Etiketten und liegt deshalb außerhalb des Streitgegenstandes.
Unterschriften
Kley, Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert, Buchheister
Fundstellen
Haufe-Index 2026267 |
NWB 2008, 2885 |
DÖV 2009, 40 |
GewArch 2008, 501 |
ZLR 2008, 645 |
DVBl. 2008, 1137 |