Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Aktenzeichen A 13 S 486/99) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 6. Dezember 2000 und der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 10. November 1998 werden hinsichtlich der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als sie Ziff. 1 des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 7. Mai 1998 betreffen.
Insoweit wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt 2/3 der Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz und die Kosten des Revisionsverfahrens. Die Beklagte trägt 1/3 der Kosten des Verfahrens erster Instanz, der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten 1/3 der Kosten des Verfahrens zweiter Instanz.
Tatbestand
I.
Der 1964 geborene Kläger ist togoischer Staatsangehöriger. Er reiste 1993 nach Deutschland ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 1. Dezember 1993 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte ihm die Abschiebung nach Togo an.
Das Verwaltungsgericht hob mit dem rechtskräftig gewordenen Gerichtsbescheid vom 4. April 1995 den Ablehnungsbescheid des Bundesamts auf, soweit dem Kläger darin die Abschiebung nach Togo angedroht wurde, und wies die Klage im Übrigen ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger müsse im Falle seiner Rückkehr nach Togo befürchten, von den Sicherheitskräften in asylerheblicher Weise verfolgt zu werden, weil aus dem Ausland zurückkehrende Flüchtlinge generell als Regimegegner angesehen würden.
Mit Bescheid vom 7. Mai 1998 widerrief das Bundesamt die mit dem Gerichtsbescheid „getroffene Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG” und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Togo an. Den auf § 73 Abs. 3 AsylVfG gestützten Bescheid begründete es damit, dass die Gefahren, vor denen § 53 AuslG schützen wolle, nachträglich weggefallen seien. Trotz zahlreicher Rückführungen im Rahmen des UNHCR-Rückkehrerprogramms seien dem Auswärtigen Amt bislang keine Fälle bekannt geworden, in denen ein abgeschobener Asylbewerber bei seiner Rückkehr nachweislich besonderen Schwierigkeiten bei der Einreise ausgesetzt gewesen wäre.
Das Verwaltungsgericht hat den Widerrufsbescheid des Bundesamts mit der Begründung aufgehoben, dass nach Togo abgeschobene Asylbewerber nach wie vor eine unmenschliche Behandlung durch die staatlichen Behörden befürchten müssten.
Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Der angefochtene Widerrufsbescheid sei rechtswidrig. Auf § 73 Abs. 3 AsylVfG könne der Widerruf nicht gestützt werden, da das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses rechtskräftig festgestellt habe. Der Widerruf könne auch nicht in eine Feststellung des Bundesamts umgedeutet werden, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich Togos vorliegen. Zwar wäre die Abschiebung des Klägers zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht nach § 53 AuslG unzulässig, der Umdeutung stehe jedoch die Rechtskraft des Gerichtsbescheids vom 4. April 1995 entgegen. Eine wesentliche Veränderung der Sachlage, die zu einer Befreiung von der Rechtskraftbindung führe, habe seitdem nicht stattgefunden. Die für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen wesentlichen Faktoren in Togo hätten sich nicht erheblich verändert. Ebenso wenig wie damals begründe gegenwärtig die Stellung eines Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland und der Auslandsaufenthalt für einen in seinen Heimatstaat zurückkehrenden Togoer das ernsthafte Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten. Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Gegenstand der Revision ist nur der Widerruf der Feststellung über das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt). Gegen die Aufhebung der Abschiebungsandrohung in diesem Bescheid hat die Beklagte keine Revision eingelegt.
Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Es misst dem Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts vom 4. April 1995 eine Bedeutung zu, die er nicht hat, und verkennt so Umfang und Reichweite seiner Rechtskraft. Das Berufungsgericht hat deshalb zu Unrecht die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) gegen die Aufhebung des hier allein noch streitigen Teils des Widerrufsbescheids zurückgewiesen. Der Widerruf, der in die erneute Feststellung des Bundesamts umzudeuten ist, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich Togos vorliegen, erweist sich im Ergebnis als rechtmäßig.
Das Berufungsgericht hat den rechtskräftigen Gerichtsbescheid vom 8. Mai 1995 so verstanden, dass das Verwaltungsgericht damit das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und Art. 3 EMRK habe ausdrücklich feststellen wollen (UA S. 10 f.). Der Widerruf dieser Feststellung sei von vornherein unzulässig. Auch sei eine Umdeutung in die ein Abschiebungshindernis verneinende Neufeststellung wegen der entgegenstehenden Rechtskraftwirkung des Gerichtsbescheids nicht möglich (UA S. 62). Der dieser Auffassung zugrunde liegenden Deutung des Gerichtsbescheids vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Das Berufungsgericht überschreitet damit die Grenzen der zulässigen Auslegung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Dies hat der erkennende Senat zeitgleich in der insoweit gleich gelagerten Sache BVerwG 1 C 4.01 entschieden und näher begründet; hierauf wird verwiesen. Danach hat das Verwaltungsgericht in dem rechtskräftigen Gerichtsbescheid vom 4. April 1995 nicht selbst das Vorliegen von Abschiebungshindernissen gem. § 53 Abs. 4 AuslG festgestellt, sondern hierauf lediglich die Begründung für die Aufhebung der Abschiebungsandrohung gestützt.
Mangels der Feststellung von Abschiebungshindernissen im Gerichtsbescheid vom 4. April 1995 geht deren Widerruf durch den angefochtenen Bescheid des Bundesamts ins Leere. Der Widerrufsbescheid kann insoweit jedoch in die eigene, erneute Feststellung des Bundesamts umgedeutet werden, dass für den Kläger Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich Togos nicht vorliegen. Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden dürfen und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind unter diesen Voraussetzungen auch die Verwaltungsgerichte im Gerichtsverfahren ermächtigt, fehlerhafte Verwaltungsakte umzudeuten. Dies gilt auch im Revisionsverfahren, sofern die das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) ausreichen, den Beteiligten hierzu rechtliches Gehör gewährt worden ist und sie in ihrer Rechtsverteidigung hierdurch nicht beeinträchtigt sind (zu diesen Grundsätzen vgl. zuletzt Urteil vom 23. November 1999 – BVerwG 9 C 16.99 – BVerwGE 110, 111 ≪114 f.≫ m.w.N.). Alle diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Die neuerliche Entscheidung zu § 53 AuslG ist auf das gleiche Ziel wie der fehlerhaft verfügte Widerruf, nämlich darauf gerichtet, mit Bindungswirkung für die zur Durchführung der Abschiebung berufene Ausländerbehörde festzustellen, dass einer etwa notwendig werdenden Vollstreckung der Ausreisepflicht keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2, 4 und 6 AuslG (mehr) entgegenstehen. Einen Verwaltungsakt diesen Inhalts hätte das Bundesamt in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig erlassen können; insbesondere war es hierfür auch sachlich zuständig (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. November 1999, a.a.O., S. 115).
Der erneuten negativen Feststellung zu § 53 AuslG steht, anders als dies das Berufungsgericht und der Kläger meinen, auch nicht die Rechtskraft des Gerichtsbescheids vom 4. April 1995 entgegen. Das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Togos hat das Verwaltungsgericht in diesem Gerichtsbescheid nicht rechtskräftig festgestellt. Diese Frage ist dort auch nicht als für das hier streitige Verfahren vorgreiflich mit Rechtskraftbindung entschieden. Die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG war lediglich Vorfrage der Entscheidung über den Anspruch auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung. Sie hat deshalb nicht an der Rechtskraftbindung des Gerichtsbescheids vom 4. April 1995 teil. Dies hat der erkennende Senat in dem bereits erwähnten Urteil in der Sache BVerwG 1 C 4.01 entschieden; auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen.
Auch die inhaltlichen Voraussetzungen für den in die negative Feststellung über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG hinsichtlich Togos umgedeuteten Bescheid des Bundesamts liegen vor. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die weder von der Beklagten mit Revisionsgründen noch vom Kläger mit einer Gegenrüge (vgl. dazu Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 16. März 1976 – GmS-OGB 1.75 – BVerwGE 50, 369 ≪375≫; Urteil vom 15. Dezember 1993 – BVerwG 5 C 26.83 – BVerwGE 68, 290 ≪296 f.≫) angegriffen und damit für den Senat bindend sind (§ 137 Abs. 2 VwGO), drohte dem Kläger zu dem nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht im Falle seiner Abschiebung nach Togo nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Behandlung, die Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2, 4 und 6 AuslG begründet (UA S. 12 bis 61). Die dieser Annahme des Berufungsgerichts zugrunde liegende tatrichterliche Würdigung der festgestellten Verhältnisse in Togo und die rechtliche Subsumtion unter § 53 AuslG sind aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden und werden von den Beteiligten auch nicht angegriffen. Sie tragen die Feststellung, dass keine Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 Abs. 1, 2, 4 und 6 AuslG zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Togos vorliegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Dr. Mallmann, Richter, Beck, Dr. Eichberger
Fundstellen