Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur. Sprache als bestätigendes Merkmal. Vermittlung bestätigender Merkmale
Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG (wie Urteil vom 19. Oktober 2000 – BVerwG 5 C 44.99 – zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt).
Normenkette
BVFG 1993 § 6 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Entscheidung vom 18.11.1998; Aktenzeichen 24 B 98.1669) |
VG Würzburg (Entscheidung vom 04.05.1998; Aktenzeichen 8 K 97.1484) |
Tenor
Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. November 1998 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Nachdem dem 1958 in Kasachstan geborenen Kläger im Mai 1996 ein Aufnahmebescheid erteilt und die Klägerin als dessen Ehefrau darin einbezogen worden war, reisten die Kläger am 17. November 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Bescheiden vom 30. Oktober 1997 wurden die Anträge der Kläger auf Ausstellung von Spätaussiedlerbescheinigungen aus eigenem bzw. abgeleitetem Recht abgelehnt, weil dem Kläger „die bestätigenden Merkmale deutsche Sprache, Erziehung und Kultur nicht vermittelt” worden seien.
Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 4. Mai 1998 verpflichtet, dem Kläger eine Spätaussiedlerbescheinigung und der Klägerin eine Bescheinigung als Ehegattin eines Spätaussiedlers auszustellen. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger wie seine sechs Geschwister von beiden volksdeutschen Eltern deutsch erzogen worden sei.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Vom Kläger sei nicht nachgewiesen worden, dass eines der in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG aufgeführten Bestätigungsmerkmale zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus der früheren Sowjetunion vorgelegen habe. Kurz nach seiner Einreise sei festgestellt worden, dass er Deutsch weder sprechen noch verstehen könne. Es sei nicht ausreichend, wenn Deutsch lediglich in der Jugendzeit bis zur Selbständigkeit gesprochen worden sei. Beweisanträge mit dem Beweisthema, dass der Kläger von seinen Eltern im deutschen Volkstum erzogen wurde, und zur Frage, in welchem Kulturkreis der Kläger erzogen wurde, seien unerhebliche Beweisermittlungsanträge.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision beantragen die Kläger, den Berufungsbeschluss aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen. Der Kläger sei deutscher Volkszugehöriger, weil ihm, wie seinen Geschwistern, von seinen deutschen Eltern deutsche Erziehung vermittelt worden sei. Soweit das Berufungsgericht annehme, zum deutschen Volkstum könne nicht erzogen sein, wer nicht Deutsch spreche, werde die Bedeutung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG zu Unrecht auf die Feststellung muttersprachlich erworbener deutscher Sprachkenntnisse reduziert, obwohl diese Vorschrift neben der Sprache auch Erziehung und Kultur als Regelbeispiele bestätigender Merkmale benenne. Soweit das Berufungsgericht davon ausgehe, dass es schlechthin nicht ausgeschlossen sei, auch ohne Vermittlung der deutschen Sprache als Muttersprache oder bevorzugte Umgangssprache deutsche Erziehung und Kultur in einer das deutsche Volkstum bestätigenden Weise vermittelt zu bekommen, habe das Berufungsgericht zu Unrecht eine solche Fallgestaltung nicht darin gesehen, dass ausgehend von der familiären Erziehung seiner Geschwister im deutschen Volkstum auch seine, des Klägers, familiäre Erziehung im deutschen Volkstum anzunehmen sei.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Eine Vermittlung bestätigender Merkmale i.S.v. § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG komme im Hinblick auf die nicht einmal rudimentären deutschen Sprachkenntnisse des Klägers nicht in Betracht. Eine Ausnahmesituation, in der volksdeutsche Erziehung und Kultur gegebenenfalls auch ohne deutsche Sprache vermittelt werden könne, liege nicht darin, dass Geschwister des Klägers als Spätaussiedler anerkannt seien. Zum einen erfolge die Vermittlung von Bestätigungsmerkmalen auch bei gemeinsam aufwachsenden Geschwistern nicht einheitlich. Vielmehr seien der persönliche Charakter, die jeweils persönlichen Kontakte, die persönlichen Affinitäten und Aversionen gerade auch in einem fremdsprachigen Umfeld entscheidend dafür, ob die Vermittlung deutschen Volkstums gelinge oder nicht. Zum anderen sei die bestands- oder rechtskräftig festgestellte Spätaussiedlereigenschaft der Geschwister des Klägers für das vorliegende Verfahren nicht bindend.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht stützt in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium des Innern die Auffassung des Berufungsgerichts. Der Kläger könne eine objektive Bestätigung seines Bekenntnisses zum deutschen Volkstum in dem von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG geforderten Sinn nicht nachweisen. Wenigstens eines der in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG genannten Bestätigungsmerkmale müsse zum Zeitpunkt des Verlassens des Aussiedlungsgebietes (noch) feststellbar sein. Das Bestätigungsmerkmal „Sprache” könne beim Kläger nicht in einer den Anforderungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG genügenden Ausprägung festgestellt werden. Von einer Vermittlung deutscher Kultur oder deutscher Erziehung könne bei denjenigen Personen nicht ausgegangen werden, die eine andere als die deutsche Sprache als Mutter- oder bevorzugte Umgangssprache pflegten. Da bei diesen Personen das Tatbestandsmerkmal „familiär vermittelte Deutschkenntnisse” nicht erfüllt sei, werde auf diese Weise der Anwendungsbereich der beiden anderen objektiven Bestätigungsmerkmale „deutsche Kultur” oder „deutsche Erziehung” zwar eingeschränkt, aber nicht ausgeschlossen. Für diese beiden Bestätigungsmerkmale verbleibe der Bereich, in dem die „Regelvermutung” nicht anzuwenden sei, bedürfe dann aber substantiierter Begründung. Die Bejahung der Tatbestandsmerkmale „Kultur” oder „Erziehung” setze zumindest nennenswerte familiär vermittelte Passivkenntnisse der deutschen Sprache sowie, hieraus in der Praxis ohne weiteres folgend, ein zumindest „primitives” Ausdrucksvermögen in Deutsch voraus. Der Kläger könne sich auch nicht auf die Fiktion des § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BVFG berufen, denn auch nach seinem Vortrag, seine Geschwister seien deutschsprachig aufgewachsen, sei die Vermittlung deutscher Sprache und Kultur ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Kläger ist begründet. Die angefochtene Berufungsentscheidung verletzt Bundesrecht. Das führt zu ihrer Aufhebung und mangels Entscheidungsreife zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Das Berufungsgericht geht zu Unrecht davon aus, dass nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829) eines der dort aufgeführten bestätigenden Merkmale zum Zeitpunkt der Ausreise aus dem Aussiedlungsgebiet vorgelegen haben müsse.
§ 6 BVFG regelt, wer deutscher Volkszugehöriger ist, Absatz 1 für die bis zum 31. Dezember 1923 Geborenen und Absatz 2 für die nach dem 31. Dezember 1923 Geborenen. Zwar ist es gerechtfertigt, zur Auslegung des § 6 Abs. 1 BVFG auf die Auslegung des wortgleichen § 6 BVFG a.F. (vor der Änderung durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 ≪BGBl I S. 2094≫ bis zum 31. Dezember 1992 geltende Fassung) in Bezug auf die bekenntnisfähigen Personen zurückzugreifen. Dagegen ist es nicht zulässig, § 6 Abs. 2 BVFG, insbesondere dessen Satz 1 Nr. 2, unter weitgehendem Rückgriff auf die Auslegung des § 6 BVFG a.F. auszulegen und die rechtliche Bedeutung bestätigender Merkmale in § 6 BVFG a.F. einerseits und in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG andererseits gleichzusetzen. An der auf solchen Ansätzen beruhenden bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. BVerwGE 102, 214; 105, 60) wird nicht festgehalten.
Gegen die Übertragung der Auslegungskriterien und -begriffe zu den bestätigenden Merkmalen im Sinne von § 6 BVFG a.F. auf § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG spricht zunächst der Umstand, dass der Gesetzgeber die zu § 6 BVFG a.F. in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Kriterien für die Beurteilung der deutschen Volkszugehörigkeit nicht in § 6 Abs. 2 BVFG n.F. übernommen hat. Das alte, bis zum 31. Dezember 1992 geltende Recht unterschied zwischen drei Personengruppen: Bei den bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen bereits bekenntnisfähigen Personen musste zu dem Bekenntnis zum deutschen Volkstum ein das Volkstumsbekenntnis bestätigendes Merkmal wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur hinzutreten (BVerwGE 98, 367 [368 f.]). Bei den bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen wegen ihres Alters noch bekenntnisunfähigen Frühgeborenen kam es für die deutsche Volkszugehörigkeit auf die kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen in der Familie prägende Bekenntnislage an, die ihnen zugerechnet wurde (BVerwGE 92, 70 [73]), während bei den nach dem Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen geborenen Spätgeborenen erforderlich war, dass in der Person des Spätgeborenen ein die Identifikation mit der volksdeutschen Bekenntnislage der Eltern bestätigendes Merkmal vorlag (BVerwGE 98, 367 [369 f.]). Diese Unterscheidung hat der Gesetzgeber nicht übernommen (BVerwGE 99, 133 [137]). Als bekenntnisfähig im Sinne des § 6 Abs. 1 BVFG gelten nunmehr „zur administrativen Erleichterung” (vgl. BTDrucks 12/3212 S. 23) nur noch die bis zum 31. Dezember 1923 Geborenen, während alle danach Geborenen zu einer einheitlichen Gruppe zusammengefasst werden, deren Volkszugehörigkeit sich einheitlich nach § 6 Abs. 2 BVFG bestimmt. Das verbietet es, je unterschiedliche Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal der bestätigenden Merkmale aus § 6 BVFG a.F. auf das Tatbestandsmerkmal der bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 BVFG zu übertragen.
Gegen die Übertragung des Verständnisses der bestätigenden Merkmale im Sinne des alten Rechts auf § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG spricht weiter, dass der Gesetzgeber nicht der Stellungnahme des Bundesrates gefolgt ist, der § 6 BVFG ausgehend von dessen alter Fassung und dessen Struktur, dass das Volkstumsbekenntnis bestätigende Merkmale vorliegen müssen, wie folgt fassen wollte (BTDrucks 12/3341 S. 1):
„§ 6
Volkszugehörigkeit
Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in der Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat und bekennt, sofern diese Bekenntnisse neben der Abstammung durch die Merkmale wie Sprache, Erziehung und Kultur nachgewiesen werden.”
Vielmehr hat der Gesetzgeber die Anforderungen an die deutsche Volkszugehörigkeit der nach dem 31. Dezember 1923 Geborenen „in einem neuen Absatz 2 zu § 6 festgelegt” (BTDrucks 12/3341 S. 13).
§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BVFG macht anders als § 6 Abs. 1 BVFG die Eigenschaft, deutscher Volkszugehöriger zu sein, kumulativ (Nummer 2 a.E.: „und”) von drei Voraussetzungskomplexen abhängig, wobei es allerdings genügen kann, wenn innerhalb eines Voraussetzungskomplexes nur eine von zwei oder mehreren möglichen Voraussetzungen erfüllt ist (BVerwGE 99, 133).
In § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG wird vorausgesetzt,
- dass die Person von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt (Nummer 1),
- dass der Person die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt haben (Nummer 2) und
- dass die Person sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete zur deutschen Nationalität erklärt, sich bis dahin auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt hat oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte (Nummer 3). Da die Erklärung zur deutschen Nationalität ein Unterfall des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum ist (s. Nummer 3: „auf andere Weise”), setzt Nummer 3 alternativ entweder ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder – ohne dass es auf ein Bekenntnis ankäme – voraus, dass die Person nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehörte.
Bei der Auslegung des § 6 BVFG a.F., des jetzigen § 6 Abs. 1 BVFG, einerseits und des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG andererseits ist zu beachten, dass diese bestätigenden Merkmale in beiden Bestimmungen in einem jeweils anderen textlichen Zusammenhang stehen. So stellen § 6 BVFG a.F. für die bei Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen bekenntnisfähigen Personen und § 6 Abs. 1 BVFG für die bis zum 31. Dezember 1923 geborenen Personen in Bezug auf das bestätigende Merkmal der deutschen Sprache nicht darauf ab, wann und von wem sie erlernt wurde; entscheidend war, dass sie im maßgeblichen Bekenntniszeitraum, also kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen, die vorrangig benutzte Sprache war. Demgegenüber verlangt § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in Bezug auf das bestätigende Merkmal der deutschen Sprache, dass sie durch die Eltern, einen Elternteil oder andere Verwandte vermittelt worden ist, wobei die Sprachvermittlung bzw. deren Ende nur in seltenen Ausnahmefällen zeitlich mit dem Verlassen des Aussiedlungsgebietes zusammenfallen werden.
In § 6 BVFG a.F. und § 6 Abs. 1 BVFG beziehen sich die bestätigenden Merkmale unmittelbar und ausschließlich auf ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Denn es wird verlangt, dass die Person sich in ihrer Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, und weiter, dass dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale bestätigt wird. Hiermit ist nicht die Bestätigung des Bekenntnisvorgangs, sondern des Bekenntnisinhalts gemeint, also der Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, zur deutschen Nationalität. Ein bloßes Lippenbekenntnis genügt nicht, vielmehr muss das Bekenntnis in der Lebenswirklichkeit eine Entsprechung finden (BVerwGE 102, 214 [217]). Das setzt (auch) objektive Zugehörigkeitsmerkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur voraus. Wegen des direkten Bezugs und der vorausgesetzten Zeitgleichheit müssen die bestätigenden Merkmale in § 6 BVFG a.F. bzw. § 6 Abs. 1 BVFG zur Zeit des Bekenntnisses vorliegen (§ 6 Abs. 1 BVFG: „… sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird”).
In § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG stehen die bestätigenden Merkmale dagegen nicht in einem unmittelbaren und ausschließlichen Bezug zu einem Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Denn der Tatbestand des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG ist auch dann erfüllt, wenn kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum vorliegt, die Person aber nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört. Auch in diesem Fall verlangt Nummer 2, dass bestätigende Merkmale vermittelt worden sind. Die bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 BVFG beziehen sich also nicht auf ein Bekenntnis, sondern unmittelbar auf die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, zur deutschen Nationalität (vgl. auch BTDrucks 12/3212 S. 22: „Bestätigungsmerkmale …, die sie dem deutschen Volkstum zuweisen”).
Anders als § 6 BVFG a.F. und § 6 Abs. 1 BVFG, die bestätigende Merkmale als aktuelle Bestätigung der durch Bekenntnis erklärten Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum voraussetzen, verlangt § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG weder für die Erklärung zur deutschen Nationalität noch für das Bekenntnis zum deutschen Volkstum noch für die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität durch den Herkunftsstaat in Nummer 3 eine Bestätigung durch bestätigende Merkmale. Bestätigende Merkmale sind vielmehr in der der Nummer 3 vorhergehenden Nummer 2 dahin geregelt, dass Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte sie „vermittelt haben” müssen. Tatbestandsvoraussetzung nach Nummer 2 ist also nicht eine aktuelle Bestätigung der Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum, sondern die Vermittlung bestätigender Merkmale als ein in der Vergangenheit liegender Vorgang. Dementsprechend knüpft auch die Fiktion nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BVFG daran an, dass die Vermittlung bestätigender Merkmale nicht möglich oder nicht zumutbar war.
Die Zeit(dauer), in der die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte Sprache, Erziehung, Kultur „vermittelt haben” (grundsätzlich die Zeit von der Geburt bis zur Selbständigkeit), und die Zeit, in der diese Vermittlung abgeschlossen ist, in der sie also Sprache, Erziehung, Kultur „vermittelt haben” (grundsätzlich mit Eintritt der Selbständigkeit), decken sich nicht oder nur zufällig mit der für das Bekenntnis nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG maßgeblichen Zeit „bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete”. Da sie einen in der Vergangenheit, und zwar häufig lange Zeit vor dem Verlassen der Aussiedlungsgebiete liegenden Vorgang bezeichnen, können die bestätigenden Merkmale im Sinne der Nummer 2 nicht die Funktion haben, eine bekannte oder herkunftsstaatlich zugeordnete Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum durch eine aktuelle Entsprechung in der objektiven Lebenswirklichkeit zu belegen.
Indem das Gesetz die bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in den Kontext der Vermittlung durch die Eltern, einen Elternteil oder andere Verwandte stellt, weist er ihnen anders als in § 6 Abs. 1 BVFG nicht die Funktion zu, eine aktuelle Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage zu bestätigen, sondern lässt es ausreichen, dass den Kindern bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt worden sind, dass bei ihnen also mit Abschluss des Vermittlungsvorgangs die Grundlage für eine (mögliche) deutsche Bewusstseinslage geschaffen war. Bekennen sich die Kinder dann zum deutschen Volkstum oder rechnet sie der Herkunftsstaat der deutschen Nationalität zu (Nummer 3), finden dieses Bekenntnis bzw. diese Zuordnung insofern in der Lebenswirklichkeit eine Entsprechung, als diese nicht inhaltsleer sind.
Die Dauer der Vermittlung bestätigender Merkmale ist in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht besonders bestimmt und richtet sich deshalb nach der Dauer des familiären Erziehungseinflusses, der in der Regel mit der Dauer des Sorgerechts gleichgesetzt werden kann. Grundsätzlich beginnt sie im Säuglingsalter und endet mit der Selbständigkeit. Der Eintritt der Selbständigkeit kann in diesem Zusammenhang nicht generell auf ein bestimmtes Alter festgelegt werden, sondern ist im Einzelfall zu beurteilen; er wird regelmäßig schon angenommen werden können, wenn der Jugendliche sein Elternhaus bzw. den Haushalt des ihn erziehenden Verwandten verlässt, und ist spätestens mit der Volljährigkeit gegeben.
Unter den bestätigenden Merkmalen kommt der Sprache besondere Bedeutung zu; denn die Vermittlung von Erziehung und Kultur wird regelmäßig über die Sprache erfolgen (s. BTDrucks 12/3212 S. 23). Während sich in der Anfangszeit die Sprachvermittlung insbesondere in Form der Nachahmung der von den Eltern, einem Elternteil oder anderen Verwandten gesprochenen Sprache vollzieht, wird sie im Laufe der Jahre in eine Verfestigung der gelernten Sprache und eine Vertiefung und Erweiterung der Sprachkenntnisse durch fortgesetzten Sprachgebrauch übergehen. Dabei richten sich Ausmaß und Intensität der geforderten Sprachvermittlung nach dem Sprachvermögen der Eltern, des Elternteils oder anderer Verwandter. Die deutsche Sprache muss nicht als Hochsprache vermittelt worden sein, es reicht aus, wenn sie so vermittelt worden ist, wie sie im Elternhaus – z.B. in Form des Dialekts – gesprochen wurde (BVerwGE 102, 214 [220]).
Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG ist insbesondere die Muttersprache (BTDrucks 12/3212 S. 22). Unter Muttersprache wird allgemein die als Kind von den Eltern (oder sie ersetzenden Bezugspersonen) erlernte Sprache verstanden (vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, 20. Auflage 1996; Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1982; Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 2. Auflage 1989). Soweit in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. Urteil vom 3. November 1998 – BVerwG 9 C 4.97 – Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 90) zum Begriff der Muttersprache weitergehend davon ausgegangen worden ist, sie müsse „so vertieft worden (sein), dass sie auch im Erwachsenenalter entsprechend der Herkunft und dem Bildungsstand als die dem Betreffenden eigentümliche Sprache umfassend beherrscht wird”, kann daran für § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht festgehalten werden.
Der vom Bundesverwaltungsgericht zu § 6 BVFG a.F. entwickelte Begriff der bevorzugten Umgangssprache behält für § 6 Abs. 1 BVFG Bedeutung. Denn mit Sprache im Sinne dieser Bestimmungen soll das Bekenntnis zum deutschen Volkstum aktuell objektiv bestätigt werden. Das rechtfertigt es, auf die vorrangig benutzte Sprache abzustellen. Dagegen wird der Begriff der bevorzugten Umgangssprache dem geänderten Kontext des Begriffs der Sprache im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht gerecht. Denn dafür kommt es nicht auf eine bevorzugt „benutzte” Umgangssprache an, sondern allein auf die von den Eltern, einem Elternteil oder anderen Verwandten vermittelte Sprache.
Die Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG muss „zumindest Gewicht” haben (BTDrucks 12/3212 S. 23). Der wesentliche Gesichtspunkt für Ausmaß und Intensität der Sprachvermittlung ergibt sich aus der geänderten Funktion der bestätigenden Merkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG. Da der Gesetzgeber in den vermittelten bestätigenden Merkmalen Sprache, Erziehung, Kultur die objektive Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage, für die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum sieht, setzt eine Sprachvermittlung voraus, dass die Eltern, ein Elternteil oder andere Verwandte ihre vorhandenen deutschen Sprachkenntnisse möglichst umfassend an das Kind weitergeben. Denn je intensiver deutsche Sprache vermittelt worden ist, umso tragfähiger ist die Grundlage für eine deutsche Bewusstseinslage. Das bedeutet aber nicht, dass dem Kind als Sprache nur oder jedenfalls überwiegend Deutsch vermittelt worden sein muss. Ein derart enges Verständnis kann weder dem Gesetz noch den Gesetzesmaterialien entnommen werden. Es würde auch an der Realität in den Aussiedlungsgebieten vorbeigehen. Denn wer nicht in reinen oder überwiegend deutschsprachigen Siedlungsgebieten aufgewachsen ist, musste realistischerweise, sollte er nicht „sprachlos” in Kinderkrippe, Kindergarten oder Schule kommen, bereits von Kindesbeinen an auch die Landessprache erlernen. Es reicht demnach aus, wenn das Kind im Elternhaus die deutsche Sprache und die Landessprache erlernt und gesprochen hat, also mehrsprachig aufgewachsen ist. Wurden dem Kind im Elternhaus Deutsch und die Landessprache vermittelt, hat sein späteres Bekenntnis zum deutschen Volkstum eine objektive, durch die Vermittlung der deutschen Sprache bis zur Selbständigkeit bestätigte Grundlage. Deutsch muss nicht vorrangig vor der Landessprache vermittelt worden sein. Denn von der Existenz anderer Landessprachen in den Herkunftsgebieten ausgehend verlangt der Gesetzgeber in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG weder bei volkstumsmäßig verschiedenen noch bei volkstumsmäßig gleichen Eltern eine alleinige oder jedenfalls überwiegende deutsche Sprachvermittlung. Vielmehr genügt es, wenn die Eltern ihren Kindern die deutsche Sprache so beibringen und diese mit ihnen so sprechen, wie sie selbst diese beherrschen.
War die Vermittlung deutscher Sprache wegen der Verhältnisse im Herkunftsgebiet nicht möglich oder nicht zumutbar, gelten die Voraussetzungen nach Nummer 2 als erfüllt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG). Hat die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit nicht die ganze Zeit bis zur Selbständigkeit, aber doch für längere Zeit angedauert, so ist bei Ausmaß und Intensität der Sprachvermittlung zu Gunsten des Kindes zu berücksichtigen, dass sich die Sprachvermittlung nicht über die ganze Länge der Prägephase erstrecken konnte.
Auch wenn im Herkunftsgebiet die Vermittlung deutscher Sprache weder unmöglich noch unzumutbar war, ist doch zu berücksichtigen, dass eine Sprachvermittlung dort insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit, aber auch danach oft nur im Familienkreis und nur mit begrenzten Mitteln möglich war. So standen als Folge der Verschleppung und Vertreibung häufig keine Hilfsmittel wie Bücher zur Verfügung, so dass weitgehend keine visuelle, sondern nur eine auditive Sprachvermittlung möglich gewesen sein wird. Das erschwert die Sprachvermittlung. Auch Restriktionen in der Religionsausübung können sich erschwerend auf die deutsche Sprachvermittlung ausgewirkt haben.
Setzt demnach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht voraus, dass bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur beim Verlassen des Aussiedlungsgebietes vorliegen, ist vielmehr entscheidend, ob deutsche Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt worden sind, so ist die Kenntnis deutscher Sprache zur Zeit der Aus- bzw. Einreise zwar kein Tatbestandsmerkmal, ihr kommt aber im Rahmen des Beweises als Indiz für eine frühere Vermittlung deutscher Sprache Bedeutung zu. Bei einem Rückschluss vom bei Aus- bzw. Einreise aktuellen Sprachvermögen bzw. -unvermögen auf zurückliegende Sprachvermittlung sind beispielsweise zu berücksichtigen die Dauer des Aufenthalts im Elternhaus, die Umstände der Sprachvermittlung im Elternhaus, die Sprachbegabung und der Bildungsstand des Betreffenden, die Dauer seit der Trennung vom Elternhaus, die Möglichkeit, Deutsch weiter zu sprechen.
Der Berufungsbeschluss stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Zwar hat das Berufungsgericht ausgeführt, der im Verwaltungsverfahren und im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht festgestellte Sachverhalt ergebe nicht, dass dem Kläger das Bestätigungsmerkmal der deutschen Sprache von seinen Eltern vermittelt worden sei. Aber das Berufungsgericht hat diese Aussage zur Sprachvermittlung in seinem Beschluss nicht auf den mit der Selbständigkeit erreichten Zeitpunkt des Abschlusses der Sprachvermittlung bezogen, sondern auf den davon unabhängigen Zeitpunkt der Ausreise. Der Kläger habe die deutsche Sprache zum Zeitpunkt seiner Einreise „nicht einmal in rudimentärster Form … beherrscht”. Beweisangebote des Klägers zu seinem Sprachverhalten in seiner Jugend lehnte das Berufungsgericht u.a. mit der Begründung ab, es sei „nicht ausreichend, dass Deutsch lediglich in der Jugendzeit bis zur Selbständigkeit gesprochen wurde”.
Die Revision ist wegen der Rechtsverletzung begründet (§ 144 Abs. 3 VwGO). Eine Entscheidung in der Sache selbst ist nicht möglich (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).
Der Klage kann nicht aus den Gründen des Verwaltungsgerichtsurteils stattgegeben werden. Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung, dass der Kläger im deutschen Volkstum erzogen worden sei, was „auch ohne oder trotz unzureichender Vermittlung der deutschen Sprache möglich” sei. Für seine deutsche Erziehung spreche, dass beide Eltern Volksdeutsche gewesen seien und fünf oder alle sechs seiner Geschwister, also auch seinen jüngeren Bruder, deutsch erzogen hätten. Anhaltspunkte dafür, „dass deutsche Eltern alle ihre Kinder deutsch erzogen haben, nur einen (den Kläger) nicht”, lägen nicht vor. Eine solche Annahme könne auch nicht „aus fehlenden Sprachkenntnissen (des Klägers) abgeleitet werden”. Zwar spricht viel für den Ansatz des Verwaltungsgerichts, dass dann, wenn beide Eltern Deutsche sind und ihren Kindern deutsche Sprache und Erziehung vermittelt haben, sie das grundsätzlich bei allen ihren Kindern getan und nicht grundlos einen davon ausgenommen und anders behandelt haben. Aber für eine Entscheidung in der Sache fehlen noch gesicherte tatsächliche Feststellungen dazu, dass dem Kläger und seinen Geschwistern deutsche Erziehung vermittelt worden ist. Möglicherweise sind die Geschwister des Klägers bereits auf Grund ihrer deutschen Sprachkenntnisse und nicht auf Grund deutscher Erziehung als Volksdeutsche anerkannt worden. Auch bedarf noch der tatsächlichen Klärung, warum der Kläger bei einer mit seinen Geschwistern gleichen deutschen Erziehung anders als diese nur so wenig Deutsch sprechen und verstehen kann.
Unterschriften
Dr. Säcker, Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.10.2000 durch Müller Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen