Entscheidungsstichwort (Thema)
Politische Verfolgung im andauernden Bürgerkrieg. Bürgerkriegspartei als staatsähnliche Organisation. quasi-staatliche Verfolgung
Leitsatz (amtlich)
1. Politische Verfolgung durch eine Bürgerkriegspartei (hier: in Afghanistan) kann nicht bereits mit der Erwägung verneint werden, es fehle an einer dauerhaft verfestigten Gebietsherrschaft „nach außen”. Die anhaltende äußere militärische Bedrohung schließt das Bestehen eines staatsähnlichen (quasi-staatlichen) Herrschaftsgefüges im Innern nicht zwingend aus (im Anschluss an BVerfG, NVwZ 2000, 1165, insoweit unter Aufgabe von BVerwGE 105, 306).
2. Auch Bedrohungen der Herrschaft im Innern schließen die Annahme der Staatsähnlichkeit nicht aus, sofern eine De-facto-Gebietsgewalt vorhanden ist, die tatsächlich eine prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtige Ordnung von gewisser Stabilität errichtet hat.
Normenkette
GG Art. 16a Abs. 1; AuslG § 51 Abs. 1, § 53 Abs. 4; EMRK Art. 3
Verfahrensgang
Hessischer VGH (Entscheidung vom 08.07.1996; Aktenzeichen 13 UE 962/96.A) |
VG Kassel (Entscheidung vom 18.10.1995; Aktenzeichen 3 E 13/94.A (3)) |
Tenor
Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Juli 1996 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der 1958 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit. Er verließ sein Heimatland Mitte Januar 1992 und reiste über Karatschi mit dem Flugzeug nach Deutschland, wo er Asyl beantragte. Er trug vor, er habe seit 1973 der kommunistischen Partei Afghanistans (DVPA/Khalq-Fraktion) angehört. Er sei zuletzt Oberst der afghanischen Luftwaffe gewesen und habe an zahlreichen Kampfeinsätzen gegen die Mudjaheddin teilgenommen. Anfang Februar 1990 habe er sich an einem Putsch gegen die vom Parcham-Flügel der DVPA geführte Regierung Nadschibullah beteiligt. Der Umsturzversuch sei gescheitert; er sei inhaftiert worden, habe aber aus dem Gefängnis entkommen und ausreisen können.
Den Asylantrag des Klägers lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) ab (Nr. 1 des Bescheides) und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Nr. 2) sowie des § 53 AuslG (Nr. 3) nicht vorliegen; außerdem enthielt der Bescheid eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nach Afghanistan (Nr. 4). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, die Verfolgung, die der Kläger bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte, sei keine politische Verfolgung, weil es infolge des andauernden Bürgerkriegs zurzeit keine staatliche oder staatsähnliche Gewalt gebe. Auch Abschiebungshindernisse lägen nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG in Bezug auf Afghanistan verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof die Beklagte verpflichtet, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festzustellen; die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) hat er zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 8. Juli 1996 ausgeführt: Der Kläger sei politisch Verfolgter. Zwar sei in Afghanistan gegenwärtig und auf absehbare Zeit eine landesweite, zu politischer Verfolgung fähige Herrschaftsmacht nicht vorhanden. Nach der Machtübernahme durch die Mudjaheddin Ende April 1992 hätten sich jedoch über Provinzgrenzen hinweg autonome Teilbereiche herausgebildet, in denen – wenn auch nur regional begrenzt – staatliche bzw. staatsähnliche Gewalt ausgeübt werde.
Eine solche Gewalt gehe zunächst von der Regierung Rabbani in Kabul aus, die jedenfalls für den ihr verbliebenen Machtbereich generelle Regelungen zur Ordnung der Lebensverhältnisse in den beherrschten Gebieten erlassen habe, die grundsätzlich für alle in diesen Territorien lebenden Menschen in gleicher Weise Geltung hätten. Entsprechende – als übergreifende staatsähnliche Friedensordnungen anzusehende – Rechtsordnungen seien auch in den anderen Machtzonen Afghanistans errichtet worden (so in mindestens drei weiteren Machtbereichen: der Taliban im Süden und Westen, des Kommandanten Kadir im Osten und des Generals Dostum im Norden; UA S. 48 ff., 58 und 68). Der Feststellung staatlicher bzw. quasi-staatlicher Gewalt stünden weder die Zersplitterung der Macht und die hieraus folgende Unberechenbarkeit ihrer Ausübung noch die Unfähigkeit der Machthaber entgegen, die Beachtung des staatlichen bzw. quasi-staatlichen Gewaltmonopols im jeweiligen Einflussbereich sicherzustellen.
Die einzelnen Macht- und Einflusszonen seien in ihren Randbereichen zwar weiterhin umstritten und umkämpft; ohne dauerhafte Friedenslösung sowie ohne anerkannte und abgesicherte Grenzen zwischen den einzelnen Territorien könnten erneut umfassendere Konflikte mit der möglichen Folge des Untergangs eines gesamten Machtbereichs (wie dem des Kommandanten Ismail Khan im Westen) ausbrechen. Dies stelle die Existenz einer staatlichen oder quasi-staatlichen Herrschaftsgewalt aber nicht in Frage. Die Phase des umfassenden, das ganze Land ergreifenden Bürgerkriegs, in dem die einzelnen Gruppierungen nur die Rolle kämpfender Bürgerkriegsparteien einnähmen, sei mit der weitgehenden Einstellung der Kampfhandlungen in den Provinzen und der Konzentration des Kampfgeschehens auf Kabul beendet. Allerdings seien die Machthaber von örtlichen Regenten und Militärkommandanten abhängig, deren Loyalität wegen deren Eigenständigkeit und wegen des Fehlens fester ethnischer, religiöser oder politischer Bindungen zweifelhaft sei. Die in den einzelnen Machtzonen herrschenden Gewalten müssten daher ständig mit dem Abfall einzelner Orts- oder Regionalherrscher und zugleich mit dem Verlust von Macht und Einfluss in bestimmten Teilregionen rechnen. Anders stelle sich die Situation in den größeren Städten, insbesondere in den Machtzentren wie Kabul, Mazare-Sharif, Jalalabad und Kandahar sowie Herat dar, wo die herrschenden Kräfte eine effektive Gewalt ausüben könnten. Dass es ihnen gelingen könnte, in absehbarer Zeit den Einfluss örtlicher Gewalten in ihrem gesamten Bereich entscheidend zurückzudrängen und die Ausübung einer umfassenden Gebietsgewalt zu erreichen, sei jedoch wenig wahrscheinlich.
Der Kläger wäre in den von staatlichen bzw. quasi-staatlichen Kräften beherrschten städtischen Regionen in der Gefahr, Opfer asylrechtlich bedeutsamer Verfolgung zu werden. Ihm drohe als ehemaligem ranghohen Offizier und bekannten Piloten, der an Kampfeinsätzen gegen die Mudjaheddin im gesamten Land teilgenommen habe, bei einer Rückkehr in sein Heimatland durch alle Machthaber politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Darüber hinaus bestehe für ihn die Gefahr, ohne zureichenden Schutz durch die jeweiligen Machthaber Opfer privater Vergeltungs- oder Racheaktionen zu werden. Eine inländische Fluchtalternative bestünde für ihn auch im Machtbereich des Generals Dostum, der überdies derzeit weder vom Ausland noch vom Landesinneren Afghanistans aus direkt erreicht werden könne, nicht. Die Berufung des Bundesbeauftragten bleibe ohne Erfolg, weil das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht ein Abschiebungshindernis aus § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK angenommen habe. Dem Kläger drohe nämlich eine unmenschliche Behandlung durch staatliche bzw. staatsähnliche Herrschaftsgewalten in Afghanistan.
Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Bundesbeauftragten hat das Bundesverwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass beim Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans vorliegen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Berufungen des Klägers und des Beteiligten sowie die Revision des Beteiligten zurückgewiesen. Soweit die Vorinstanzen dem Kläger Asyl nach Art. 16 a Abs. 1 GG und Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG sowie nach § 53 Abs. 4 AuslG in Verbindung mit Art. 3 EMRK zugesprochen hätten, verletzten ihre Entscheidungen Bundesrecht. Das Berufungsgericht habe insoweit einen bundesrechtlich nicht uneingeschränkt zutreffenden Maßstab bei der Beurteilung zugrunde gelegt, ob dem Kläger in Afghanistan Nachstellungen durch eine quasi-staatliche Gebietsgewalt drohten.
Auf die Verfassungsbeschwerde des Klägers hat das Bundesverfassungsgericht (1. Kammer des Zweiten Senats) das Verfahren – mit Ausnahme der Entscheidung zu § 53 Abs. 6 AuslG – zur erneuten Entscheidung an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen (Beschluss vom 10. August 2000 – 2 BvR 260/98 und 1353/98 –). Das Bundesverfassungsgericht hat die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an staatsähnliche Herrschaftsorganisationen in einem andauernden Bürgerkrieg als zu eng beanstandet. Das Bundesverwaltungsgericht habe dem Erfordernis einer dauerhaft stabilisierten Herrschaftsmacht „nach außen” – zwischen den Bürgerkriegsparteien – zu viel Gewicht beigemessen. Die Frage, ob nach dem Fortfall der bisherigen Staatsgewalt von einer Bürgerkriegspartei politische Verfolgung ausgehen könne, beurteile sich unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Asylrechts maßgeblich danach, ob diese „nach innen” zumindest in einem Kernterritorium ein Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität tatsächlich errichtet habe. Es sei nunmehr Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts, die Erscheinungsformen der quasi-staatlichen Verfolgung unter Beachtung des Verfassungsrechts begrifflich zu präzisieren. Außerdem sei erneut fachgerichtlich zu beurteilen, ob die Annahme politischer Verfolgung ausgeschlossen sei, weil alle in Afghanistan herrschenden Machthaber zur Aufrechterhaltung ihrer militärischen Herrschaft mehr oder minder auf autonome örtliche Kommandanten angewiesen seien.
Zur ergänzenden Begründung der Revision trägt der Bundesbeauftragte vor, das Bundesverwaltungsgericht habe in der aufgehobenen Entscheidung nicht ausschließlich auf das Andauern des Bürgerkriegs und den Kampf um die Macht in ganz Afghanistan abgestellt. Vielmehr habe es die Zielsetzung der Bürgerkriegsparteien ersichtlich im unmittelbaren Zusammenhang mit der mangelnden Stabilisierung der allgemeinen Situation im gesamten Bürgerkriegsgebiet und der Möglichkeit des jederzeitigen und überall möglichen Aufflackerns von Kämpfen oder des Abfalls mehr oder minder autonomer örtlicher Kommandanten und Clanführer gesehen. Dies sei indes auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Der Kläger macht noch geltend, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfe die Funktion des Asylrechts nicht unberücksichtigt bleiben, politisch Verfolgten Schutz zu gewähren. Daher stehe anders als in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Fähigkeit der Herrschaftssicherung nach innen und damit die asylrechtlich entscheidende Beziehung zwischen dem Verfolgten und dem Verfolger am Ausgangspunkt der Dogmatik. Einer asylrechtlich bedeutsamen Verfolgung sei der Kläger nach dem Berufungsurteil zwar nicht auf gesamtstaatlicher, aber doch auf regionaler Ebene ausgesetzt. Dabei sei auf die aktuelle Lage und die Herrschaft der Taliban abzustellen. Für eine Berücksichtigung der nachträglichen Entwicklung im Revisionsverfahren als Ausnahme von der Bindung des Revisionsgerichts nach § 137 Abs. 2 VwGO sprächen Gründe der Prozessökonomie. Von den Taliban werde quasi-staatliche Herrschaftsgewalt ausgeübt. An die erforderliche Stabilität nach innen dürften im Hinblick auf die Schutzbedürftigkeit des von der Verfolgung Betroffenen nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. Wenn die Machthaber zur Aufrechterhaltung ihrer militärischen Herrschaft mehr oder minder auf autonome örtliche Kommandanten angewiesen seien, schließe dies allerdings auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts politische Verfolgung aus. Die vom Bundesverfassungsgericht entworfene Konzeption der übergreifenden Friedensordnung beruhe auf dem Begriff der effizienten Herrschaftsausübung. Eine inhaltliche Bestimmung dieses Begriffs sei rechtlich kaum möglich. Dem hierfür maßgeblichen Völkerrecht komme es primär auf die Durchsetzungsfähigkeit einer Herrschaftsorganisation an. Entscheidend sei insoweit, ob eine Organisation in der Lage sei, nach innen Anordnungen und Regeln durchzusetzen. Für die Bestimmung der für einen Quasi-Staat erforderlichen gewissen Stabilität in einem Kernterritorium sei daher der Begriff der völkerrechtlichen Deliktsfähigkeit ein geeignetes Abgrenzungskriterium. Gemessen an diesen Grundsätzen halte das Berufungsurteil einer revisionsgerichtlichen Überprüfung stand, wenn es feststelle, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die frühere Zersplitterung der Macht und die hieraus folgende Unberechenbarkeit der Machtausübung überwunden gewesen sei. Der auf dem Land noch bestimmende Einfluss lokaler Machthaber bestehe in den größeren Städten gerade nicht.
Entscheidungsgründe
II.
Nach der Zurückverweisung des Verfahrens durch das Bundesverfassungsgericht ist über die Revision des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) erneut zu entscheiden. Ausgenommen ist die rechtskräftig gewordene, aber auflösend bedingte (vgl. Urteil vom 19. Mai 1998 – BVerwG 9 C 5.98 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 198, unter Hinweis auf das Urteil vom 15. April 1997 – BVerwG 9 C 19.96 – BVerwGE 104, 260, 263), Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG im ersten Revisionsurteil. In dem noch anhängigen Umfang ist die Revision des Beteiligten begründet. Das Berufungsurteil steht insoweit mit Bundesrecht nicht in Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Senat kann auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend selbst entscheiden, ob dem Kläger ein Anspruch auf Asyl nach Art. 16 a Abs. 1 GG und auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zusteht oder ob er hilfsweise ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK geltend machen kann. Die Sache ist deshalb an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger als ehemaliger ranghoher Offizier und Kampfpilot der Luftwaffe des früheren kommunistischen Regimes Nadschibullah damit rechnen muss, bei einer Rückkehr nach Afghanistan von allen lokalen und regionalen Machthabern verfolgt und gegenüber privaten Vergeltungs- oder Racheaktionen schutzlos gelassen zu werden. Daraus kann sich ein Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16 a Abs. 1 GG und auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG indes nur ergeben, wenn die drohende Verfolgung eine „politische” im Sinne des Asylrechts ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat dies mit der Erwägung bejaht, dass sich in Afghanistan trotz des Fehlens einer gesamtstaatlichen Gewalt weitgehend autonome Teilbereiche herausgebildet hätten, in denen – wenn auch nur in regional begrenzter Form – staatliche bzw. staatsähnliche Gewalt ausgeübt werde, die zu politischer Verfolgung im Sinne des Asylrechts fähig sei (UA S. 21). Die insoweit zugrunde gelegten Maßstäbe und Schlussfolgerungen sind mit Bundesrecht nicht in vollem Umfang vereinbar; das gilt auch unter Beachtung der zurückverweisenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Eine Verfolgung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann „politisch”, wenn sie im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen um die Gestaltung und Eigenart der allgemeinen Ordnung des Zusammenlebens von Menschen und Menschengruppen steht, also – im Unterschied etwa zu einer privaten Verfolgung – einen öffentlichen Bezug hat und von einem Träger überlegener, in der Regel hoheitlicher Macht ausgeht, der der Verletzte unterworfen ist. Politische Verfolgung ist somit grundsätzlich staatliche Verfolgung. Dem Staat stehen solche staatsähnlichen (quasi-staatlichen) Organisationen gleich, die den jeweiligen Staat verdrängt haben oder denen dieser das Feld überlassen hat und die ihn daher insoweit ersetzen. Staatlichkeit und Staatsähnlichkeit in diesem Sinne stellen ab auf das Vorhandensein einer in sich befriedeten Einheit, die nach innen alle Gegensätze, Konflikte und Auseinandersetzungen durch eine übergreifende Ordnung in der Weise relativiert, dass diese unterhalb der Stufe der Gewaltsamkeit verbleiben und die Existenzmöglichkeit des Einzelnen nicht in Frage stellen, insgesamt also die Friedensordnung nicht aufheben. Die Macht, zu schützen, schließt indes die Macht, zu verfolgen, mit ein. Daher hebt die Asylgewährleistung im Grundgesetz ganz auf die Gefahren ab, die aus einem bestimmt gearteten Einsatz verfolgender Herrschaftsgewalt erwachsen; sie will den Einzelnen vor gezielten, an asylerhebliche Merkmale anknüpfenden Rechtsverletzungen schützen, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Darin liegt als Kehrseite beschlossen, dass Schutz vor den Folgen anarchischer Zustände oder der Auflösung der Staatsgewalt nicht durch Art. 16 a Abs. 1 GG versprochen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502, 1000, 961/86 – BVerfGE 80, 315, 333 f., 336; Beschluss vom 10. August 2000 – 2 BvR 260/98 und 1353/98 – NVwZ 2000, 1165 = DVBl 2000, 1518 m.w.N.).
Kann ein Verfolgter weder Asyl nach Art. 16 a GG noch asylrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG beanspruchen, so braucht er nicht schutzlos zu sein. Die Bundesrepublik Deutschland gestattet ebenso wie andere Staaten in Europa Flüchtlingen, die durch Bürgerkriege oder schwere innere Unruhen zur Flucht veranlasst worden sind (sog. „De-facto-Flüchtlinge”), aus humanitären Gründen den Aufenthalt, obwohl die Voraussetzungen für eine Anerkennung als politisch verfolgter Flüchtling nicht gegeben sind (BVerfGE 74, 51, 66 f.; 80, 315, 346). Darüber hinaus gewähren das Ausländerrecht in §§ 32, 32 a, 33, 53, 54 und 55 AuslG sowie Art. 3 EMRK einen Schutz gegen Abschiebung (vgl. BVerfG a.a.O.; BVerwGE 99, 331; 101, 328, 340; 102, 249; 104, 260; 104, 265; 109, 1, 5f.; 109, 12, 17; vgl. auch Beschluss vom 23. Februar 2000 – BVerwG 9 B 65.00 – Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 30).
Das Element der „Staatlichkeit” oder „Quasi-Staatlichkeit” von Verfolgung darf nicht losgelöst vom verfassungsrechtlichen Tatbestandsmerkmal des „politisch” Verfolgten betrachtet und geprüft werden. Es muss vielmehr in Beziehung gesetzt bleiben zu der Frage, ob eine Maßnahme den Charakter einer politischen Verfolgung im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG aufweist, vor der dem davon Betroffenen Schutz gewährt werden soll. Die Prüfung bestimmter staatstheoretischer Merkmale für die Annahme vorhandener oder neu entstehender Staatlichkeit kann mithin für die Beurteilung, ob Verfolgungsmaßnahmen die Qualität politischer Verfolgung haben, nicht schlechthin konstitutiv, sondern nur – wenn auch in gewichtiger Weise – indiziell sein. Maßgeblich für die Bewertung einer Maßnahme als politische Verfolgung ist, dass der Schutzsuchende einerseits in ein übergreifendes, das Zusammenleben in der konkreten Gemeinschaft durch Befehl und Zwang ordnendes Herrschaftsgefüge eingebunden ist, welches den ihm Unterworfenen in der Regel Schutz gewährt, andererseits aber wegen asylerheblicher Merkmale von diesem Schutz ausgenommen und durch gezielt zugefügte Rechtsverletzungen aus der konkreten Gemeinschaft ausgeschlossen wird, was ihn in eine ausweglose Lage bringt, der er sich nur durch die Flucht entziehen kann. Die Frage, ob in einer Bürgerkriegssituation nach dem Fortfall der bisherigen Staatsgewalt von einer Bürgerkriegspartei politische Verfolgung ausgehen kann, beurteilt sich folglich maßgeblich danach, ob diese zumindest in einem Kernterritorium ein solches Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität – im Sinne der o.a. übergreifenden Friedensordnung – tatsächlich errichtet hat (BVerfG, Beschluss vom 10. August 2000 a.a.O.).
Die Möglichkeit politischer Verfolgung kann daher – abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – nicht bereits mit der Erwägung verneint werden, es fehle bei allen um die Macht im ganzen Staatsgebiet fortwährend kämpfenden Bürgerkriegsparteien an einer dauerhaft verfestigten Gebietsherrschaft nach außen, d.h. vor allem zwischen den sich bekriegenden Machthabern. Die anhaltende (äußere) militärische Bedrohung schließt das Bestehen eines staatsähnlichen Herrschaftsgefüges im Innern nicht zwingend aus. Je nach ihrer Stärke kommt einer solchen Bedrohung zwar erhebliches indizielles Gewicht für eine solche Annahme zu, das aber in dem Maße abnimmt, in dem der Bürgerkrieg ohne entscheidende Veränderung der Machtverhältnisse andauert (BVerfG, Beschluss vom 10. August 2000 a.a.O.).
Für die danach in erster Linie maßgebliche Frage nach der Beschaffenheit des Herrschaftsgefüges im Innern des beherrschten Gebietes zwischen dem verfolgenden Machthaber und den ihm unterworfenen Verfolgten bedarf es der Feststellung und Bewertung, ob eine übergreifende Friedensordnung mit einem prinzipiellen Gewaltmonopol existiert, die von einer hinreichend organisierten, effektiven und stabilen Gebietsgewalt in einem abgrenzbaren (Kern-)Territorium getragen wird. Das setzt vor allem – wie das Bundesverwaltungsgericht ständig und insoweit vom Bundesverfassungsgericht unbeanstandet ausgesprochen hat (vgl. das aufgehobene Revisionsurteil vom 4. November 1997 – BVerwG 9 C 34.96 – BVerwGE 105, 306, 310 m.w.N.) – eine gewisse Stetigkeit und Dauerhaftigkeit der Herrschaft voraus, verkörpert vorrangig in der Durchsetzungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit des geschaffenen Machtapparates. Auch bei einem anhaltenden Bürgerkrieg erfordert dies, dass zwischenzeitlich entstandene Machtgebilde voraussichtlich stabil sein werden. Dabei kommt es entscheidend auf die Lage im Innern an und nur ergänzend indiziell auf etwaige äußere Gefährdungen, welche die Herrschaft nachhaltig in Frage stellen. Besondere Bedeutung kommt der Zeitspanne zu, während deren die Herrschaftsorganisation bereits Bestand hat. Je länger sich ein Machtgebilde hält, desto eher muss es als dauerhafte, schutz- und verfolgungsmächtige Gebietsgewalt angesehen werden. Besteht es erst kurze Zeit, spricht dies – zumal in einem andauernden Bürgerkrieg – gegen eine „stabilisierte”, zu politischer Verfolgung fähige Herrschaft (vgl. das Bosnien-Urteil vom 6. August 1996 – BVerwG 9 C 172.95 – BVerwGE 101, 328, 334 zu einer Zeitspanne von zwei Monaten). Eine zeitliche Grenze, die generell und unabhängig von der Bewertung der gesamten Lage im Einzelfall Geltung beansprucht, gibt es gleichwohl nicht. Sie kann nur tatrichterlich wertend festgestellt werden und entzieht sich der abstrakten rechtlichen Maßstabsbildung. Die Tatsachengerichte müssen jedoch beachten, dass allein wegen eines andauernden äußeren Bürgerkriegsgeschehens die Annahme politischer Verfolgung nicht praktisch auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen sein kann (BVerfG, Beschluss vom 10. August 2000 a.a.O.).
Entsprechendes gilt für Bedrohungen der Herrschaftsgewalt im Innern, etwa durch örtliche Machthaber, autonome Stammes- oder Clanfürsten oder rebellierende Untertanen. Je länger sich die Herrschaftsorganisation trotz solcher Bedrohungen ohne wesentliche Änderung der Machtverhältnisse behauptet, umso weniger ist die Annahme einer staatsähnlichen Gewalt ausgeschlossen. Maßgebend ist insoweit namentlich die Fähigkeit, derartige Konflikte über längere Zeit zumindest zu begrenzen. Neben dem Zeitfaktor können ferner Anzahl, Größe und machtpolitisches Gewicht autonomer oder nicht befriedeter, dem Zugriff der Herrschaftsorganisation entzogener Gebiete von Bedeutung sein. Je zahlreicher und gewichtiger solche Herrschaftsexklaven sind, umso eher kann dies bei der gebotenen prognostischen Bewertung die tatsächliche Territorialgewalt und damit die staatsähnliche Qualität der Herrschaftsorganisation in Frage stellen.
Nicht entscheidend für die Annahme einer staatsähnlichen Herrschaftsorganisation sind demgegenüber die Legitimität der Machtausübung, deren Akzeptanz durch alle oder eine Mehrheit der Gewaltunterworfenen, die Willkürfreiheit der Herrschaft oder die Beachtung eines menschenrechtlichen Mindeststandards sowie – entgegen der Auffassung des Klägers – die völkerrechtliche Deliktsfähigkeit. Maßgeblich ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lediglich, ob eine De-facto-Gebietsgewalt vorhanden ist, die tatsächlich eine prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtige Ordnung von gewisser Stabilität errichtet hat. Kennzeichnend dafür ist vor allem die Erringung eines weitgehenden – auch für die Staaten typischen – tatsächlichen (Schutz- und) Gewaltmonopols im Innern, ohne das eine gemeinschaftsorientierte Friedensordnung nicht lebensfähig ist (vgl. etwa Urteil vom 6. August 1996 a.a.O. BVerwGE 101, 328, 331; Urteil vom 15. April 1997 – BVerwG 9 C 15.96 – BVerwGE 104, 254, 257 f.). Dagegen ist es weniger wichtig, in welchen organisatorischen und rechtlichen Formen, Einrichtungen oder Institutionen die Herrschaftsmacht ausgeübt wird; erst recht ist es nicht unabdingbar, dass bestimmte Verwaltungsstrukturen oder zivilisatorische Errungenschaften der Daseinsvorsorge wie Bildungs- und Kultureinrichtungen oder etwa ein funktionierendes Gesundheitswesen existieren. Gibt es allerdings solche Strukturen, so spricht dies für eine verfestigte, auf Dauer angelegte übergreifende Ordnungsmacht.
Das Berufungsurteil wird diesen Grundsätzen nicht voll gerecht. Wie der Senat im ersten Revisionsurteil dargelegt hat, sind die Ausführungen des Berufungsgerichts im Ergebnis dahin zu verstehen, dass in ganz Afghanistan spätestens seit dem Sturz des kommunistischen Regimes Ende April 1992 keine handlungsfähige Staats- oder Reststaatsgewalt mehr besteht. Der Kläger muss daher nicht damit rechnen, bei der Rückkehr in sein Heimatland von einer handlungsfähigen Staatsgewalt politisch verfolgt zu werden. Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, dem Kläger drohe politische Verfolgung durch staatsähnliche Organisationen, die sich inzwischen in allen Gegenden Afghanistans herausgebildet hätten, hat es einen bundesrechtlich nicht uneingeschränkt zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt. Das Berufungsgericht stellt für die Bestimmung eines Machtgebildes als staatsähnlich entscheidend darauf ab, ob neben bestimmten organisatorischen Strukturen eine „übergreifende Friedensordnung” vorhanden ist (UA S. 17 f.). Das entpricht zwar im Ansatz den vorstehenden Grundsätzen (vgl. auch das erste Revisionsurteil vom 4. November 1997 a.a.O. BVerwGE 105, 306, 309 f. und zu früheren Entscheidungen des Berufungsgerichts Urteil vom 15. April 1997 a.a.O. BVerwGE 104, 254, 257 ff.). Das Berufungsgericht hat aber bei der Annahme einer solchen Friedensordnung zu einseitig auf das Bestehen einer abstrakten Rechtsordnung im Sinne übergreifender rechtlicher Regeln abgestellt (vgl. UA S. 57 f.). Das Bundesverwaltungsgericht hat dies bereits im ersten Revisionsurteil beanstandet; auch das Bundesverfassungsgericht setzt eine tatsächlich ausgeübte, übergreifende Herrschaft voraus, die das Zusammenleben in der konkreten Gemeinschaft durch Befehl und Zwang ordnet. Damit ist es ferner unvereinbar, wenn das Berufungsgericht eine übergreifende, staatsähnliche Friedensordnung allein wegen der prinzipiellen Versagung des Schutzes für bestimmte Personengruppen verneinen will (vgl. UA S. 17/18 und Urteil vom 15. April 1997 a.a.O. BVerwGE 104, 254, 257 f.). Insoweit verletzt das Berufungsurteil nach wie vor Bundesrecht.
Dagegen ist die im ersten Revisionsurteil als zu gering beanstandete Gewichtung der Stabilität der Gebietsherrschaft „nach außen” nicht rechtsfehlerhaft. Insoweit stimmt das Berufungsurteil mit den Anforderungen an staatsähnliche Organisationen in der zurückverweisenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts überein. Insbesondere lässt es erkennen, dass es die Stabilität nach außen (d.h. in Afghanistan zwischen den zum maßgeblichen Zeitpunkt um die Vorherrschaft ringenden Bürgerkriegsparteien und -allianzen) berücksichtigt und ihr ein je nach den Umständen erhebliches indizielles Gewicht nicht abspricht. Daraus lässt sich indessen nicht herleiten, dass sich das Berufungsurteil im Ergebnis als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO). Denn es fehlt an einer hinreichend aussagekräftigen, anhand des richtigen Maßstabs gewonnenen Tatsachengrundlage sowie an einer tatrichterlichen Gesamtbewertung aller maßgeblichen Beurteilungsfaktoren, ob in Afghanistan zu politischer Verfolgung fähige quasi-staatliche Herrschaftsorganisationen existieren. Wie in der Revisionsverhandlung erörtert, können die unzureichenden Feststellungen auch nicht dadurch vervollständigt werden, dass der Senat neue Tatsachen zur Entwicklung der Lage in Afghanistan seit der letzten Berufungsverhandlung im Juli 1996 verwertet.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es zwar ausnahmsweise zulässig, im Revisionsverfahren entscheidungserhebliche unstreitige oder allgemeinkundige neue Tatsachen zu berücksichtigen – wie etwa hier, dass es heute in Afghanistan nur noch zwei Bürgerkriegsparteien und damit nur noch zwei als staatsähnlich in Betracht kommende Herrschaftsgebilde gibt, nämlich das über 85 bis 95% der Fläche Afghanistans (650 000 Quadratkilometer) herrschende Regime der Taliban und die sog. Nordallianz, angeführt von General Massoud und dem früheren Präsidenten Rabbani. Das setzt aber grundsätzlich voraus, dass dem Revisionsgericht eine abschließende Sachentscheidung ermöglicht wird und die Nichtberücksichtigung mit der Prozessökonomie in so hohem Maße unvereinbar wäre, dass ihr der Vorrang vor dem Grundsatz der Unbeachtlichkeit neuer Tatsachen im Revisionsverfahren eingeräumt werden darf (vgl. Urteil vom 20. Oktober 1992 – BVerwG 9 C 77.91 – BVerwGE 91, 104, 105 ff. m.w.N.; zu Asylverfahren ferner Urteil vom 30. März 1999 – BVerwG 9 C 23.98 – BVerwGE 109, 12, 21 f.; Urteil vom 6. August 1996 a.a.O. BVerwGE 101, 328, 340; Urteil vom 19. Januar 1993 – BVerwG 9 C 8.92 – InfAuslR 1993, 235; Urteil vom 28. Februar 1984 – BVerwG 9 C 981.81 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 19; vgl. auch Urteil vom 23. Februar 1993 – BVerwG 1 C 16.87 – Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 64 = NVwZ 1993, 781). Eine solche Ausnahmesituation liegt hier nicht vor. Die als allgemeinkundig in Betracht zu ziehenden Tatsachen reichen nämlich nicht aus, um bei der gebotenen Gesamtschau der tatsächlichen Verhältnisse die Staatsähnlichkeit der inzwischen etablierten Herrschaftsorganisationen abschließend zu beurteilen. Es muss deshalb vorliegend bei der Regel bleiben, dass die Tatsacheninstanzen den entscheidungserheblichen Sachverhalt ermitteln und würdigen, während das Revisionsgericht auf die rechtliche Überprüfung beschränkt ist (vgl. auch Urteil vom 25. Januar 1995 – BVerwG 9 C 279.94 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 176).
Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Senat schließlich auch deshalb verwehrt, weil es noch der Neubewertung bedarf, ob Bedrohungen der Herrschaft im Innern die Annahme staatsähnlicher Gewalt ausschließen. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu im ersten Revisionsurteil ausgeführt (a.a.O. BVerwGE 105, 306, 312), gegen die Annahme staatsähnlicher Gebietsgewalt spreche die Feststellung des Berufungsgerichts, alle derzeit in Afghanistan herrschenden Machthaber seien zur Aufrechterhaltung ihrer militärischen Herrschaft mehr oder minder auf autonome örtliche Kommandanten angewiesen, deren Loyalität zweifelhaft sei. Sie müssten hiernach ständig mit dem Abfall einzelner Orts- oder Regionalherrscher und mit entsprechendem Gebietsverlust rechnen. Außerdem könne es jederzeit zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Kräften auf örtlicher oder regionaler Ebene kommen, wobei die Machthaber jeweils nur schlichtend und vermittelnd eingreifen könnten. Damit aber sei die Durchsetzung des für eine staatsähnliche Organisation unverzichtbaren territorialen Gewaltmonopols in Frage gestellt. Das Bundesverfassungsgericht ist den Erwägungen hierzu im ersten Revisionsurteil nicht entgegengetreten; es hat lediglich angemerkt (Beschluss vom 10. August 2000 a.a.O. BA S. 9 = NVwZ 2000, 1165, 1167 = DVBl 2000, 1518, 1519 f.), es bedürfe „erneuter fachgerichtlicher Beurteilung, ob der vom Bundesverwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass alle derzeit in Afghanistan herrschenden Machthaber zur Aufrechterhaltung ihrer militärischen Herrschaft mehr oder minder auf autonome örtliche Kommandanten angewiesen seien, die Annahme politischer Verfolgung ausschließt”. Auch das erfordert eine – dem Berufungsgericht vorbehaltene – umfassende Neubewertung der tatsächlichen Verhältnisse in Afghanistan anhand des vorstehend präzisierten Maßstabs für die Annahme quasi-staatlicher politischer Verfolgung.
Der Senat kann danach im Revisionsverfahren nicht selbst entscheiden, ob in Afghanistan zu politischer Verfolgung im Sinne des Asylrechts (Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1 AuslG) fähige Herrschaftsorganisationen bestanden haben oder bestehen, die den Kläger bei einer Rückkehr wegen seiner früheren exponierten Stellung in der vom Berufungsgericht festgestellten Art und Weise beachtlich wahrscheinlich verfolgen würden. Dies alles hat das Berufungsgericht in dem erneuten Berufungsverfahren anhand des geänderten Prüfungsmaßstabs noch einmal zu beurteilen. Anders als der Senat im Revisionsverfahren hat es dabei aktuelle Tatsachen zugrunde zu legen (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG); im Übrigen sind für die tatrichterliche Prognose die allgemeinen Anforderungen des Überzeugungsgrundsatzes zu beachten (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO; vgl. Urteil vom 4. November 1997 – BVerwG 9 C 11.97 – InfAuslR 1998, 242; Urteil vom 5. Juli 1994 – BVerwG 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200, 208 ff.). Sollte das Berufungsgericht einen Anspruch auf Asyl nach Art. 16 a Abs. 1 GG und nach § 51 Abs. 1 AuslG verneinen, müsste es das hilfsweise geltend gemachte Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK (unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung durch den Staat oder eine staatsähnliche Gewalt) nach entsprechend erleichterten Anforderungen prüfen.
Unterschriften
Dr. Paetow, Hund, Richter, Beck, Dr. Eichberger
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.02.2001 durch Battiege Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BVerwGE, 16 |
NVwZ 2001, 815 |
DÖV 2001, 560 |
InfAuslR 2001, 353 |
ZAR 2001, 137 |
AuAS 2001, 131 |
DVBl. 2001, 997 |