Verfahrensgang
OVG für das Land Brandenburg (Urteil vom 07.12.2011; Aktenzeichen 12 B 7.11) |
VG Berlin (Urteil vom 11.11.2010) |
Tenor
Soweit die Klage auf Rückzahlung von 91 560 EUR nebst Zinsen gerichtet war, wird das Verfahren eingestellt. Insoweit sind das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. November 2010 und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. Dezember 2011 wirkungslos. Im Übrigen wird die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgericht BerlinBrandenburg vom 7. Dezember 2011 zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Klägerin wendet sich gegen die Auferlegung einer Zahlungspflicht gemäß § 18 des Gesetzes über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen vom 8. Juli 2004 (BGBl I S. 1578 – im Folgenden: TEHG).
Sie betreibt in Sachsen-Anhalt ein Werk zur Herstellung von Kartoffelprodukten. Zu der Anlage gehört unter anderem eine mit Erdgas befeuerte, emissionshandelspflichtige Kesselanlage. In ihrem Zuteilungsantrag für die erste Handelsperiode 2005 bis 2007 ermittelte die Klägerin den prognostizierten Erdgasverbrauch der Kesselanlage ohne eine Umrechnung von Betriebs- in Normvolumen, die die auftretenden Druck- und Temperaturunterschiede berücksichtigt. Auf der Grundlage ihrer durch einen unabhängigen Sachverständigen verifizierten Angaben wurden der Klägerin daher weniger Berechtigungen zugeteilt, als sie bei Ansatz eines Umrechnungsfaktors hätte erhalten können.
In ihrem Emissionsbericht für das Jahr 2005 berechnete die Klägerin die durch den Einsatz von Erdgas bedingten Emissionen ebenfalls ohne Berücksichtigung eines Umrechnungsfaktors; sie gab die Gesamtemissionen der Anlage mit 15 326 t Kohlendioxid an. Der mit der Prüfung des Berichts beauftragte Sachverständige stellte das Fehlen des Umrechnungsfaktors fest. Da die Klägerin der Auffassung war, dass die Berichterstattung konsistent zum Zuteilungsantrag zu erfolgen habe, nahm er noch vor Ablauf der Abgabefrist telefonisch Kontakt mit der Deutschen Emissionshandelsstelle (DEHSt) auf. Nachdem er in Gesprächen mit den Mitarbeitern der DEHSt, deren Inhalt im Einzelnen streitig ist, darauf hingewiesen worden war, dass der Bericht allenfalls unter Vorbehalt – unter ausdrücklichem Hinweis auf die vom Anlagenbetreiber vertretene Rechtsauffassung – verifiziert werden könne, bestätigte er im Ergebnis die ausgewiesenen Gesamtemissionen. Ergänzend wies er auf den nach seiner Auffassung vorliegenden systematischen Fehler hin:
„Es ist insofern als wahrscheinlich (gesicherte Daten zu den jeweiligen Vordrücken und Temperaturen liegen ja nicht vor) anzunehmen, dass der emissionshandelspflichtige Verbrauch ohne entsprechende Korrektur um ca. 10 – 15 % zu niedrig bestimmt wird.
Aufgrund des sehr hohen Fehlers, der durchgängig und in ähnlicher Größe bereits bei der Zuteilung vorhanden war und vom damaligen Verifizierer zwar im Prinzip wohl gesehen, aber nicht korrekt eingeschätzt wurde, vertritt der Betreiber die Auffassung, es sei eine unbillige Härte, wenn die Verbrauchsermittlung jetzt korrigiert würde, ohne auch den Zuteilungsantrag zu korrigieren. Um Konsistenz mit dem Zuteilungsantrag zu wahren, wird die CO(2)-Emission 2005 deshalb vom Betreiber unter Beibehaltung dieses Fehlers ermittelt und im Emissionsbericht der zu niedrige Gasverbrauch angegeben.
Der Bericht wird deshalb nur unter Vorbehalt testiert.”
Zum 30. April 2006 gab die Klägerin eine dem Emissionsbericht entsprechende Anzahl an Berechtigungen ab.
Nach Anhörung zur beabsichtigten Festsetzung einer Zahlungspflicht übersandte die Klägerin einen korrigierten Emissionsbericht für das Jahr 2005, der unter Berücksichtigung der Umrechnung von Betriebs- in Normvolumen Gesamtemissionen von 17 615 t Kohlendioxid ausweist, und gab weitere 2 289 Emissionsberechtigungen ab.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 2007 setzte die Beklagte eine Zahlungspflicht nach § 18 Abs. 1 Satz 1 TEHG in Höhe von 91 560 EUR fest und stellte darüber hinaus fest, dass die Klägerin verpflichtet war, bis zum 30. April 2007 die noch fehlenden 2 289 Berechtigungen abzugeben.
Nach erfolglosem Widerspruch zahlte die Klägerin den festgesetzten Betrag an die DEHSt.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 11. November 2010 die angefochtenen Bescheide hinsichtlich der Zahlungspflicht aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 91 560 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 3. Dezember 2008 zu zahlen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 7. Dezember 2011 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin ihre Abgabepflicht aus § 6 Abs. 1 TEHG nicht verletzt habe. Sie habe fristgerecht eine ihrem Emissionsbericht entsprechende Anzahl von Berechtigungen abgegeben. Die Abgabepflicht werde durch den geprüften Emissionsbericht konkretisiert.
Die Beklagte rügt mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision eine Verletzung von § 6 Abs. 1 und § 18 Abs. 1 TEHG. Maßgebend für die Abgabepflicht nach § 6 Abs. 1 TEHG sei nicht die Emissionsmenge, die im geprüften Emissionsbericht ausgewiesen worden sei, sondern diejenige, die sich bei richtiger Anwendung der Vorschriften über die Emissionsermittlung ergebe. Das Urteil erweise sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Die richtige Methode der Ermittlung des Erdgasverbrauchs habe sich aus den MonitoringLeitlinien eindeutig ergeben. Für eine Berechtigung, zur Wahrung der Konsistenz mit einem fehlerhaften Zuteilungsantrag von den Monitoring-Leitlinien abzuweichen, fehle jeder rechtliche Anknüpfungspunkt. Zur Aufklärung über die Folgen einer Verletzung der Abgabepflicht sei die DEHSt nicht verpflichtet gewesen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. November 2010 und des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. Dezember 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des Oberverwaltungsgerichts und führt ergänzend aus: Es widerspreche jeglichem fairen Verwaltungshandeln, wenn eine Behörde eine Richtlinie für die Prüfung der Sachverständigen erlasse, darin ein Testat unter Vorbehalt im Hinblick auf offene zu klärende Rechtsfragen vorsehe, diese Vorgehensweise nach Kenntnis der Sachlage empfehle bzw. nicht ausschließe, um anschließend die Lösung der offenen Rechtsfrage in einem „harten” Sanktionsverfahren mit extrem hohen Sanktionszahlungen zu diktieren.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren. Er unterstützt die Revision der Beklagten.
Bezüglich des Klagantrags auf Rückzahlung von 91 560 EUR nebst Zinsen haben die Klägerin und die Beklagte das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
Im Übrigen ist die Revision nicht begründet. Die Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts beruht nicht auf einer Verletzung revisiblen Rechts. Die angefochtenen Bescheide sind, soweit eine Zahlungspflicht in Höhe von 91 560 EUR festgesetzt wird, rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Ob die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 TEHG für die Festsetzung einer Zahlungspflicht hätten nicht vorgelegen, weil die Klägerin fristgerecht eine ihren im geprüften Emissionsbericht ausgewiesenen Emissionen entsprechende Anzahl von Berechtigungen abgegeben habe, mit Bundesrecht, insbesondere mit Unionsrecht vereinbar ist (vgl. hierzu den Vorlagebeschluss vom 20. Februar 2014 – BVerwG 7 C 37.11), kann offen bleiben. Das Urteil erweist sich jedenfalls aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Beklagte hätte gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 TEHG von der Festsetzung einer Zahlungspflicht absehen müssen.
Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 TEHG kann von der Festsetzung einer Zahlungspflicht abgesehen werden, wenn der Verantwortliche seiner Pflicht nach § 6 Abs. 1 TEHG aufgrund höherer Gewalt nicht nachkommen konnte. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann ein Fall höherer Gewalt anerkannt werden, wenn sich Rechtssuchende auf eine äußere Ursache berufen, deren Folgen unvermeidbar und unausweichlich sind und den Betroffenen die Einhaltung ihrer Verpflichtungen objektiv unmöglich machen (Urteil vom 17. Oktober 2013 – Rs. C-203/12 Rn. 31, Billerud – NVwZ 2013, 1536 [noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht]). Auf eine absolute Unmöglichkeit ist der Begriff der höheren Gewalt nicht beschränkt (EuGH, Urteil vom 13. Oktober 1993 – Rs. C-124/92, Inter-Agra – Slg. 1993, I-5061 Rn. 11). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann auch ein rechts- oder treuwidriges Verhalten der Behörde einen Fall höherer Gewalt begründen (Urteile vom 31. Juli 2012 – BVerwG 4 A 5000.10 u.a. – BVerwGE 144, 1 Rn. 41 = Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 38 und vom 18. April 1997 – BVerwG 8 C 38.95 – Buchholz 454.71 § 27 2. WoGG Nr. 2 S. 8 f. = NJW 1997, 2966 – juris Rn. 16).
Ausgehend hiervon lag, soweit die Klägerin Berechtigungen für die in ihrem Emissionsbericht nicht ausgewiesenen 2 289 t Kohlendioxid nicht bereits zum 30. April 2006 abgegeben hat, ein Fall höherer Gewalt vor. Ihr Irrtum über die Anzahl der bis zum 30. April 2006 abzugebenden Berechtigungen war unvermeidbar und unausweichlich. Sie musste davon ausgehen, dass das unter Vorbehalt erteilte Testat ihres Emissionsberichts sie vor der Festsetzung einer Zahlungspflicht nach § 18 Abs. 1 Satz 1 TEHG schützt, wenn die vorbehaltene Frage, ob sie zur Wahrung der Konsistenz mit dem Zuteilungsantrag auch im Emissionsbericht auf die Umrechnung von Betriebs- in Normvolumen verzichten durfte, nach dem Abgabezeitpunkt verneint wird und sie bis dahin nur eine den testierten Emissionen entsprechende Anzahl von Berechtigungen abgegeben hat.
Die Möglichkeit, ein Testat unter Vorbehalt zu erteilen, war in der von der DEHSt herausgegebenen „Prüfungsrichtlinie zur Verifizierung von Zuteilungsanträgen und Emissionsberichten” sowohl in der Fassung vom 28. Dezember 2005 als auch vom 20. Januar 2006 (jeweils S. 12 f.) für das hier in Rede stehende Berichtsjahr 2005 ausdrücklich vorgesehen. Es heißt dort:
„Für das erste Berichtsjahr werden jedoch nicht alle für Berichterstattung und Verifizierung relevanten Fragen, insbesondere nicht alle Rechtsfragen zur Auslegung der Monitoring Leitlinien geklärt werden können. Daher steht der sachverständigen Stelle im ersten Berichtsjahr offen, ihr Testat in den folgenden Ausnahmefällen auch mit ‚Hinweisen' zu versehen, die einem Vorbehalt gleichkommen:
…
b) der Betreiber vertritt in Fragen der Auslegung der Monitoring Leitlinien (z.B. der von DEHSt und Ländern verlangten Konsistenz von Zuteilung und Berichterstattung, zu Einzelheiten unter II.4.) eine andere Rechtsauffassung, oder …
Ein Vorbehalt kann nur hinsichtlich der o.g. Umstände erklärt werden, d.h. im Übrigen muss eine vollumfängliche Prüfung und eine vorbehaltlose Bestätigung der Angaben erfolgen. Der Vorbehalt ist in allen Fällen im Prüfbericht als Teil des Testats zu erklären (Feld ‚Prüfungsentscheidung/Testat').”
Aus der Sicht der Sachverständigen und der Anlagenbetreiber konnte Zweck eines solchen Vorbehalts nur sein, den Anlagenbetreibern bei Einführung des Emissionshandels die Möglichkeit zu eröffnen, Auslegungsfragen zu den Monitoring-Leitlinien klären zu lassen, ohne dem Risiko der Zahlungspflicht nach § 18 Abs. 1 TEHG ausgesetzt zu sein. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts haben Mitarbeiter der DEHSt den Sachverständigen der Klägerin auf die Möglichkeit des Testats unter Vorbehalt sogar ausdrücklich hingewiesen. Dass die Mitarbeiter zugleich darauf hingewiesen hätten, dass die Zahlungspflicht trotz des Vorbehalts festgesetzt werden könne, hat die Beklagte selbst nicht vorgetragen. Dem Vertrauen der Klägerin fehlt auch nicht deswegen die Schutzwürdigkeit, weil sie die in Streit stehenden Berechtigungen vorsorglich hätte abgeben können. Eine normative Grundlage für eine vorsorgliche Abgabe von Berechtigungen über die im geprüften Emissionsbericht ausgewiesenen Emissionen hinaus und die Voraussetzungen einer späteren Frei- oder Rückgabe dieser Berechtigungen gab es nicht. Jedenfalls in der ersten Handelsperiode konnte sich auch noch nicht eine entsprechende Abgabepraxis entwickelt haben, an der sich die Klägerin hätte orientieren können.
Da eine Festsetzung der Zahlungspflicht unter den vorliegenden Umständen treuwidrig wäre, war das Ermessen der Beklagten dahin reduziert, von der Festsetzung abzusehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 161 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Nolte, Krauß, Dr. Philipp, Guttenberger, Brandt
Fundstellen