Entscheidungsstichwort (Thema)
Beihilfe. Angemessenheit und Notwendigkeit der Aufwendungen. fehlerhafte Arztrechnung. Angabe der Diagnose. Hinweise des BMI. Analogabrechnung. Fälligkeit der Arztrechnung. nachträgliche Ergänzung oder Korrektur der Diagnose. Feststellung der Notwendigkeit der ärztlichen Leistung. zivilrechtliche Rechtsprechung zur GOÄ. Unklarheit in der Auslegung der GOÄ
Leitsatz (amtlich)
Fehlerhafte Arztrechnungen bleiben für den Beihilfeanspruch dann ohne Folgen, wenn im Verwaltungsgerichtsverfahren die Notwendigkeit und Angemessenheit der erbrachten ärztlichen Leistung festgestellt wird.
Normenkette
BhV i.d.F. vom 27. Juni 1997 § 5 Abs. 1 S. 1; BhV i.d.F. vom 27. Juni 1997 § 5 Abs. 1 S. 2; BhV i.d.F. vom 27. Juni 1997 § 5 Abs. 1 S. 4; BhV i.d.F. vom 27. Juni 1997 § 17 Abs. 3; BhV i.d.F. vom 27. Juni 1997 § 17 Abs. 4; GOÄ § 6 Abs. 2, § 12 Abs. 1, 4
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 10.03.2006; Aktenzeichen 1 A 1142/04) |
VG Köln (Urteil vom 11.12.2003; Aktenzeichen 16 K 9377/98) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. März 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die 1955 geborene Klägerin ist Ruhestandsbeamtin und macht Ansprüche auf Gewährung von Beihilfe geltend. Ihrem Beihilfeantrag waren zwei Rechnungen ihres behandelnden Arztes über zusammen 103 Einzelpositionen für den Behandlungszeitraum vom 9. bis 30. Dezember 1997, ein ärztlicher Bericht zur Erläuterung der Liquidation sowie eine Begründung für die durchgeführten Laboruntersuchungen beigefügt. Mit Bescheiden vom 16. Februar 1998, 4. März 1998 und 12. Oktober 1998 lehnte die Beklagte den Beihilfeantrag ab, da aufgrund erheblicher Zweifel an der Notwendigkeit und Angemessenheit der ärztlichen Leistungen die Beiziehung eines ärztlichen Gutachters erforderlich sei. Die Klägerin habe die hierfür notwendige Schweigepflichtentbindungserklärung nicht vorgelegt und damit gegen ihre Mitwirkungspflicht verstoßen.
Die Klage hatte in den Vorinstanzen überwiegend Erfolg. So hat das Berufungsgericht der Klägerin Beihilfeansprüche für die Kosten der Einführung von Medikamenten in einem parenteralen Katheder zuerkannt, obwohl die Arztrechnungen hierzu keine Angaben enthalten. Es reiche aus, dass die Notwendigkeit dieser Behandlungsmethoden aufgrund der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen nachträglich festgestellt werden könne. Entsprechendes gelte für die Kosten der Stuhluntersuchungen. Deren Notwendigkeit sei zu bejahen, obwohl die Diagnose des behandelnden Arztes ergänzungsbedürftig sei. Die Kosten der Ultraschalluntersuchungen der Lendenwirbelsäule seien beihilfefähig, weil sie – wenn auch aus anderen als den vom behandelnden Arzt angegebenen Gründen – notwendig gewesen seien. Schließlich bestehe ein Beihilfeanspruch für die Kosten der Infusion eines Blutverdünnungsmittels, obwohl der behandelnde Arzt in der Rechnung weder die Leistung nachvollziehbar beschrieben noch vermerkt habe, dass es sich um eine im Gebührenverzeichnis der GOÄ nicht enthaltene, aber der Gebührennummer 286 gleichwertige Leistung handele.
Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass die Liquidation des Arztes, die gemäß § 17 Abs. 3 und 4 BhV dem Antrag auf Gewährung einer Beihilfe beizufügen sei, den Anforderungen des § 12 Abs. 2 bis 4 GOÄ entsprechen müsse. Sie müsse auch die Diagnosen benennen, da sich die Notwendigkeit einer Behandlung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV ohne Diagnose nicht zuverlässig beurteilen lasse. Allerdings könne der Beihilfeberechtigte grundsätzlich fehlende Angaben nachträglich durch den ihn behandelnden Arzt ergänzen bzw. falsche Angaben berichtigen lassen und die nachträgliche Ergänzung bzw. Berichtigung ins Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren einführen. Dies lasse sich einerseits aus der auch im Beihilferecht geltenden behördlichen Beratungspflicht gemäß § 25 VwVfG schließen und folge andererseits aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 79 BBG). Die Beihilfestelle müsse im Regelfall dem Beihilfeberechtigten Gelegenheit geben, Zweifel an der Notwendigkeit oder Angemessenheit geltend gemachter Aufwendungen durch eine von ihm einzuholende Stellungnahme des behandelnden Arztes zu widerlegen.
Die fehlende “entsprechende” Geltendmachung einer ärztlichen Leistung (Analogabrechnung) in der Arztrechnung stehe hier trotz § 12 Abs. 1 GOÄ der Gewährung einer Beihilfe nicht entgegen, da aufgrund der Beweisaufnahme im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowohl der Klägerin als auch der Beklagten bekannt sei, dass und aus welchen Gründen die Abrechnung entsprechend der GOÄ-Nummer erfolgt sei. Damit sei dem Sinn und Zweck des § 12 Abs. 4 GOÄ, die Nachvollziehbarkeit ärztlicher Rechnungen zu gewährleisten, entsprochen worden.
Die Beklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,
das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. März 2006 aufzuheben, soweit es die Beklagte verpflichtet, der Klägerin eine Beihilfe zu den für die Behandlungen im Dezember 1997 nach der GOÄ Nr. 285, 286, 261, 252, 253, 3781, 4069, 3735, 3741, 4069, 4745 und 410 abgerechneten Gebühren zu gewähren und darauf 4 % Zinsen zu zahlen, und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Dezember 2003 auch insoweit zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Beihilfe für die Aufwendungen, die Gegenstand des Revisionsverfahrens sind.
Ob die Klägerin einen Anspruch auf Beihilfe für ärztliche Behandlungen hat, bestimmt sich auf der Grundlage der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Bundes für Beihilfen in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfevorschriften – BhV –) in der im Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen geltenden Fassung vom 27. Juni 1997 (GMBl S. 429). Zwar genügen die Beihilfevorschriften nicht den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts, jedoch gelten sie zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit vorerst für einen Übergangszeitraum weiter, um dem Gesetzgeber die Möglichkeit einzuräumen, die erforderlichen Regelungen zu treffen. Damit ist gewährleistet, dass die Leistungen im Krankheitsfall weiterhin nach einem einheitlichen Handlungsprogramm erbracht werden (Urteile vom 17. Juni 2004 – BVerwG 2 C 50.02 – BVerwGE 121, 103 und vom 25. November 2004 – BVerwG 2 C 30.03 – Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 16).
Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Die behördliche Entscheidung darüber unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle (vgl. Urteile vom 30. Mai 1996 – BVerwG 2 C 10.95 – Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 12, vom 28. Oktober 2004 – BVerwG 2 C 34.03 – Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 15 und vom 25. November 2004 – BVerwG 2 C 30.03 – a.a.O.). Dabei bleibt die Fehlerhaftigkeit von Arztrechnungen dann ohne Folgen für den Beihilfeanspruch, wenn im Verwaltungsgerichtsverfahren die Notwendigkeit und Angemessenheit der erbrachten ärztlichen Leistung festgestellt wird.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass zwar die Angabe der Diagnose für die Beurteilung der Notwendigkeit einer bestimmten ärztlichen Leistung unabdingbar ist, diese Angabe aber im Gerichtsverfahren nachgeholt oder korrigiert werden kann.
a) Die Beihilfevorschriften enthalten keine weitere Umschreibung dessen, was unter Notwendigkeit der Aufwendungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV zu verstehen ist. Bei der Prüfung der Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung wird zwar regelmäßig der Beurteilung des Arztes zu folgen sein, weil dieser über die erforderliche Sachkunde verfügt (vgl. Urteile vom 28. November 1963 – BVerwG 8 C 72.63 – Buchholz 238.91 BGr 1942 Nr. 2 und vom 29. Juni 1995 – BVerwG 2 C 15.94 – Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 15). Dies ändert nichts daran, dass die Beihilfestelle nur mit Kenntnis der Diagnose darüber entscheiden kann, ob eine bestimmte ärztliche Leistung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV notwendig war.
b) Die Beihilfevorschriften verlangen selbst an keiner Stelle ausdrücklich die Angabe der Diagnose (vgl. für die Arztrechnung § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 sowie § 17 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 BhV). Erst recht enthalten sie keinen Leistungsausschluss für den Fall, dass diese erst im gerichtlichen Verfahren nachgereicht oder korrigiert wird. Da Beihilfeleistungen nur für tatsächlich entstandene, dem Grunde nach notwendige und der Höhe nach angemessene Aufwendungen geltend gemacht werden können (§ 5 Abs. 1 Satz 1 BhV), muss zwar regelmäßig eine fällige Arztrechnung vorliegen, diese muss aber auch nach den für Arztrechnungen maßgeblichen Vorschriften der Gebührenordnung für Ärzte – GOÄ – nicht die Diagnose enthalten (vgl. § 12 GOÄ). Daher gelten für die Feststellung der Notwendigkeit einer ärztlichen Leistung die allgemeinen Regeln für die Sachverhaltsaufklärung in Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahren. Die Diagnose kann vom behandelnden Arzt jederzeit nachgereicht bzw. korrigiert werden. Ebenso genügt die Feststellung durch die Beihilfebehörde bzw. das Verwaltungsgericht auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 BhV).
§ 17 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 BhV, der den Nachweis der Aufwendungen durch Belege verlangt, ermöglicht es der Beihilfestelle, bereits im Verwaltungsverfahren nähere Belege – und damit auch die Angabe der Diagnose – zu fordern, um die Frage der Notwendigkeit der ärztlichen Leistung zu überprüfen. Dies bedeutet, dass die Beihilfestelle bei Unklarheiten zu einzelnen Positionen in der Arztrechnung zunächst beim Beamten nachfragt, damit dieser mit Hilfe seines Arztes die für die Prüfung der Beihilfefähigkeit erforderlichen Angaben nachreichen kann. Ein Anspruch des Beamten darauf, dass dies bereits im Festsetzungsverfahren geschieht, besteht indes nicht. Im Umkehrschluss kann aber auch nicht von der Beihilfestelle im gerichtlichen Verfahren eingewandt werden, dass Diagnosen nunmehr erst verspätet nachgereicht worden seien.
Hieran ändern auch die Hinweise des Bundesministeriums des Innern zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV nichts. In diesen wird die Angabe einer Diagnose, und zwar in der Arztrechnung verlangt. Einen Leistungsausschluss für den Fall des Nachreichens der Diagnose zu einem späteren Zeitpunkt enthalten die Hinweise jedoch nicht. Ein solcher Leistungsausschluss durch die Hinweise wäre auch unbeachtlich, da es hierzu einer gesetzlichen Grundlage bedürfte. Denn die Hinweise können nur norminterpretierend die Vorschriften konkretisieren und Zweifelsfälle im Sinne einer einfachen und gleichartigen Handhabung klären oder die Ausübung etwa vorhandener Ermessens- oder Beurteilungsspielräume lenken, sie können aber nicht selbständig neue Leistungsausschlüsse schaffen (vgl. Urteile vom 29. Juni 1995 – BVerwG 2 C 15.94 – a.a.O. und vom 30. Oktober 2003 – BVerwG 2 C 26.02 – BVerwGE 119, 168 ≪170 f.≫).
Die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 BhV, wonach die Beihilfestelle zur Entscheidung über die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung ein Gutachten des Amts- oder Vertrauensarztes einholen kann, berechtigt diese weder, für sämtliche in Rechnung gestellte ärztliche Leistungen die Gewährung von Beihilfe unter Hinweis auf die fehlende Mitwirkung des Beamten zu verweigern, wenn lediglich hinsichtlich einzelner ärztlicher Leistungen mangels Angabe der Diagnose deren Notwendigkeit nicht abschließend beurteilt werden kann, noch enthält sie einen Leistungsausschluss für solche Fälle. Im Gegenteil wäre die Vorschrift bedeutungslos, wenn ein Nachreichen von Diagnosen nicht möglich wäre.
2. Zutreffend hat das Berufungsgericht außerdem entschieden, dass die fehlerhafte Abrechnung der Kosten der Infusion eines Blutverdünnungsmittels nach der Nummer 286 der GOÄ den Beihilfeanspruch nicht entfallen lässt, weil auch insoweit die Notwendigkeit und Angemessenheit der ärztlichen Leistung aufgrund der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen feststeht.
a) Die Angemessenheit der Aufwendungen beurteilt sich gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 BhV bei ärztlichen Leistungen ausschließlich nach dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Ärzte. Von der Ausnahme in § 5 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BhV abgesehen umschreiben die Beihilfevorschriften den Begriff der Angemessenheit nicht, sondern verweisen auf die Vorschriften der ärztlichen Gebührenordnung. Angemessen und demnach beihilfefähig sind Aufwendungen, die dem Arzt nach Maßgabe der GOÄ zustehen (vgl. Urteile vom 24. November 1988 – BVerwG 2 C 39.87 – Buchholz 270 § 5 BhV Nr. 1, vom 17. Februar 1994 – BVerwG 2 C 10.92 – BVerwGE 95, 117 ≪118≫, vom 30. Mai 1996 – BVerwG 2 C 10.95 – a.a.O., vom 28. Oktober 2004 – BVerwG 2 C 34.03 – a.a.O. und vom 25. November 2004 – BVerwG 2 C 30.03 – a.a.O.).
Ob der Arzt seine Forderung zu Recht geltend gemacht hat, ist eine der Beihilfegewährung vorgreifliche Rechtsfrage, die nach der Natur des Rechtsverhältnisses zwischen Arzt und Patient dem Zivilrecht zuzuordnen ist. Den Streit über die Berechtigung einer ärztlichen Liquidation entscheiden letztverbindlich die Zivilgerichte. Deren Beurteilung präjudiziert die Angemessenheit der Aufwendungen für ärztliche Leistungen im beihilferechtlichen Sinne. Ist eine Entscheidung im ordentlichen Rechtsweg nicht ergangen, hat der Dienstherr zu prüfen, ob die vom Arzt geltend gemachten Ansprüche nach materiellem Recht begründet sind (vgl. Urteile vom 30. Mai 1996 – BVerwG 2 C 10.95 – a.a.O., vom 28. Oktober 2004 – BVerwG 2 C 34.03 – a.a.O. und vom 25. November 2004 – BVerwG 2 C 30.03 – a.a.O.).
b) Der Honoraranspruch des behandelnden Arztes gegen die Klägerin folgt aus § 6 Abs. 2 GOÄ i.V.m. Nr. 286 GOÄ. Danach können selbstständige ärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden.
Die Frage, ob eine nach einer bestimmten GOÄ-Nummer abgerechnete ärztliche Leistung beihilfefähig ist, obwohl es sich um eine entsprechende Leistung im Sinne des § 6 Abs. 2 GOÄ handelt und dies entgegen § 12 Abs. 4 GOÄ nicht in der Rechnung vermerkt ist, betrifft zwar nicht unmittelbar die Frage, ob die ärztliche Leistung notwendig und angemessen ist, sondern, ob der vom Arzt hierfür geltend gemachte Betrag bereits fällig ist, denn nur insoweit sind dem Beamten Aufwendungen entstanden. Hier kann aber nichts anderes gelten als bei der Frage der Angemessenheit einer Aufwendung. Entscheidend ist für die Beurteilung der Angemessenheit vorgreiflich insoweit die Auslegung des ärztlichen Gebührenrechts durch die Zivilgerichte. Denn die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für eine ärztliche Behandlung setzt grundsätzlich voraus, dass der Arzt die Rechnungsbeträge auf der Basis einer zutreffenden Auslegung der Gebührenordnung in Rechnung gestellt hat, das geforderte Honorar ihm also von Rechts wegen zusteht (Urteil vom 25. November 2004 – BVerwG 2 C 30.03 – a.a.O. m.w.N.).
Dies setzt auch die Fälligkeit der Gebührenforderung voraus. Damit die Arztrechnung fällig wird (vgl. § 12 Abs. 1 GOÄ) ist nach § 12 Abs. 4 GOÄ, wenn eine Leistung nach § 6 Abs. 2 GOÄ berechnet wird, die entsprechend bewertete Leistung für den Zahlungspflichtigen verständlich zu beschreiben und mit dem Hinweis “entsprechend” sowie der Nummer und der Bezeichnung der als gleichwertig erachteten Leistung zu versehen.
Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die ärztliche Vergütung erst fällig, wenn die Rechnung die formellen Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 bis 4 GOÄ erfüllt. Allerdings wird die Fälligkeit nicht davon berührt, dass die Rechnung mit dem materiellen Gebührenrecht nicht übereinstimmt (BGH, Urteile vom 21. Dezember 2006 – III ZR 117/06 – BGHZ 170, 252 und vom 13. Mai 2004 – III ZR 344/03 – BGHZ 159, 142 ≪152 f.≫). Daher ist es unerheblich, dass eine in einer Arztrechnung aufgeführte Gebührenposition nicht berechtigt ist, wenn die ärztliche Leistung nach einer anderen, in der Rechnung nicht aufgeführten Gebührennummer zu honorieren wäre. Zwar kommt der Patient zunächst nicht in Verzug. Ergibt sich jedoch im Zivilrechtsstreit, den die Gebührenforderung des Arztes aus einem anderen als den in der Rechnung angegebenen Rechtsgrund begründet, so hat die Gebührenklage Erfolg, ohne dass es der Ausstellung einer neuen Rechnung bedarf. Dies gilt auch in Fällen der analogen Abrechenbarkeit von Gebührennummern nach § 6 Abs. 2 GOÄ (BGH, Urteile vom 21. Dezember 2006 – III ZR 117/06 – a.a.O. und vom 13. Mai 2004 – III ZR 344/03 – a.a.O.).
Auch wenn nicht mit letzter Gewissheit feststeht, wie die Zivilgerichte hier entscheiden würden, ist mit Rücksicht auf die höchstrichterliche Klärung anzunehmen, dass die Klägerin entsprechend den Urteilen des BGH vom 13. Mai 2004 – III ZR 344/03 – und vom 21. Dezember 2006 – III ZR 117/06 – in einem Zivilrechtsstreit unterliegen würde. Derlei Unklarheiten bei der Auslegung der einschlägigen Gebührenordnung dürfen nicht zu Lasten des Beamten gehen. Dieser wäre sonst vor die Wahl gestellt, entweder auf sein Risiko eine rechtliche Auseinandersetzung über eine objektiv zweifelhafte Rechtsposition zu führen oder den an sich auf die Beihilfe entfallenden Anteil des zweifelhaften Rechnungsbetrages selbst zu tragen. Deshalb sind die Aufwendungen eines vom Arzt berechneten Betrages schon dann unter Zugrundelegung der Gebührenordnung beihilferechtlich als angemessen anzusehen, wenn sie einer vertretbaren Auslegung der Gebührenordnung entsprechen (Urteile vom 17. Februar 1994 – BVerwG 2 C 10.92 – a.a.O. und – BVerwG 2 C 17.92 – ZBR 1994, 227, vom 30. Mai 1996 – BVerwG 2 C 10.95 – a.a.O. und vom 25. November 2004 – BVerwG 2 C 30.03 – a.a.O.). Daher ist spätestens mit der Einholung des Sachverständigengutachtens und dessen Erläuterung im Verwaltungsprozess die Arztrechnung auch hinsichtlich der entsprechend erbrachten Leistung als eine fällige zu behandeln und somit beihilfefähig geworden.
Aus den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts folgt, dass sich der Gebührenanspruch des behandelnden Arztes aus § 6 Abs. 2 GOÄ i.V.m. Nr. 286 GOÄ ergibt. Aufgrund dessen kann die Klägerin in Höhe des Anspruchs Beihilfe verlangen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Albers, Prof. Dr. Kugele, Groepper, Dr. Heitz, Thomsen
Fundstellen
Haufe-Index 2016061 |
ZBR 2009, 39 |
RiA 2008, 286 |
BayVBl. 2009, 250 |
DVBl. 2008, 1461 |
NPA 2009 |
Städtetag 2009, 45 |