Entscheidungsstichwort (Thema)
Außenbereich. Mobilfunksendeanlage. Ortsgebundenheit. Raum-/Gebietsgebundenheit. Schonung des Außenbereichs. integrierte Verhältnismäßigkeitsprüfung. Zumutbarkeit. Alternativstandort im Innenbereich
Leitsatz (amtlich)
Zur Inanspruchnahme der Privilegierung als öffentliche Versorgungsanlage nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB genügt bei Mobilfunksendeanlagen anstelle der Ortsgebundenheit ihre Raum- bzw. Gebietsgebundenheit.
Auf technisch geeignete Standortalternativen im Innenbereich muss sich der Bauherr einer Mobilfunksendeanlage nur verweisen lassen, wenn sie ihm zumutbar sind.
Normenkette
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 17.02.2012; Aktenzeichen 8 S 1796/10) |
VG Stuttgart (Entscheidung vom 30.06.2009; Aktenzeichen 6 K 1177/09) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs für das Land Baden-Württemberg vom 17. Februar 2012 geändert.
Die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 30. Juni 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Rz. 1
Die Klägerin plant, realisiert, betreibt und vermarktet Antennenstandorte für Mobilfunk, Richtfunk und Rundfunk. Sie begehrt eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Mobilfunksendeanlage auf einem (gepachteten) Grundstück im Außenbereich der beigeladenen Gemeinde, bestehend aus einem 30,32 m hohen Stahlgittermast mit zwei Plattformen und 6 m hohem Stahlrohraufsatz, zwei Fertigteil-Funkcontainern sowie einem 25 m2 großen geschotterten Parkplatz. Die Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur legt für den Gesamtstandort und die Montagehöhe von 33,75 m standortbezogene Sicherheitsabstände von 7,05 m in Hauptstrahlrichtung und von 1,40 m vertikal (90 °) fest.
Rz. 2
Das Landratsamt lehnte den Bauantrag ab, weil die beigeladene Gemeinde das insoweit erforderliche Einvernehmen nicht erteilt habe. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos.
Rz. 3
Das Verwaltungsgericht verpflichtete den Beklagten, der Klägerin die Baugenehmigung nach Maßgabe ihres Bauantrags zu erteilen. Diese Entscheidung hob der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 17. Februar 2012, das den Bevollmächtigten der Klägerin am 29. Februar 2012 zugestellt wurde, auf und wies die Klage ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Das Vorhaben der Klägerin stehe mit § 35 BauGB nicht im Einklang. Es sei nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB privilegiert. Zwar handele es sich bei der Mobilfunksendeanlage um eine Anlage für die Versorgung mit “Telekommunikationsdienstleistungen”. Diese sei auch öffentlich, weil sie der Versorgung der Allgemeinheit mit entsprechenden Diensten diene. Es fehle aber an der Ortsgebundenheit. Diese liege lediglich vor, wenn die Funktion der Anlage nur von einem Standort im Außenbereich aus erfüllt werden könne. Hieraus folge, dass § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB nicht erfüllt sei, wenn es im Innenbereich funktechnisch geeignete Alternativstandorte gebe. Ob diese für das Telekommunikationsunternehmen zivilrechtlich verfügbar seien, spiele dabei keine Rolle. Da im vorliegenden Fall nach der von der Klägerin vorgelegten “Suchkreisanalyse” Alternativstandorte im Innenbereich gegeben seien, könne von der erforderlichen Ortsgebundenheit der geplanten Mobilfunkanlage nicht ausgegangen werden. Auch § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB sei nicht einschlägig. Es handele sich bei dem Vorhaben der Klägerin somit um ein sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB. Dieses beeinträchtige die durch landwirtschaftliche Bodennutzung geprägte natürliche Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB).
Rz. 4
Mit Schriftsatz vom 26. März 2012, der am 30. März 2012 beim Verwaltungsgerichtshof einging, hat die Klägerin die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt. Nach entsprechendem Hinweis durch den Senat beantragten ihre Bevollmächtigten am 27. April 2012 die Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsfrist wegen überlanger Postlaufzeit. Zur Begründung der Revision trägt die Klägerin vor, das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verstoße bezüglich der Anforderungen an die Ortsgebundenheit nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB gegen Bundesrecht.
Rz. 5
Der Beklagte hat sich nicht geäußert.
Rz. 6
Die Beigeladene hält die Revision bereits für unzulässig und verteidigt im Übrigen das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 7
Die Revision hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Rz. 8
1. Die Revision ist zulässig. Sie wurde von der Klägerin zwar nicht innerhalb der am 29. März 2012 abgelaufenen Monatsfrist des § 139 Abs. 1 Satz 1 VwGO eingelegt. Der Klägerin ist jedoch – auf ihren rechtzeitigen Antrag – Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelfrist gemäß § 60 VwGO zu gewähren, da die Versäumung der Revisionsfrist durch ihre Bevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) unverschuldet erfolgte. Es kann davon ausgegangen werden, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen grundsätzlich am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Ohne konkrete Anhaltspunkte muss ein Rechtsmittelführer deshalb nicht mit Postlaufzeiten rechnen, die die ernsthafte Gefahr der Fristversäumung begründen (BGH, Beschlüsse vom 20. Mai 2009 – IV ZB 2/08 – NJW 2009, 2379 Rn. 8 m.w.N. und vom 21. Oktober 2010 – IX ZB 73/10 – NJW 2011, 458 Rn. 15). Nach der eidesstattlichen Versicherung der Sekretärin der Bevollmächtigten der Klägerin wurde der Revisionsschriftsatz am 27. März 2012 ( = Dienstag) zur Post gegeben. Der Umschlag war ordnungsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof adressiert und ausreichend frankiert. Die Bevollmächtigten der Klägerin durften daher erwarten, dass der Schriftsatz jedenfalls innerhalb von 2 Werktagen ankommt, zumal er nur von Stuttgart nach Mannheim befördert werden musste (siehe auch Urteil vom 24. September 1997 – BVerwG 11 C 10.96 – NVwZ 1998, 1075 = juris Rn. 22).
Rz. 9
2. Die Revision ist auch begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht, weil ihm ein fehlerhaftes Verständnis des § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB zugrunde liegt. Der Verwaltungsgerichtshof überspannt die Anforderungen, die an ein Vorhaben zu stellen sind, das der “öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen” im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB dient. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung.
Rz. 10
Nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB ist ein Vorhaben im Außenbereich zulässig, wenn öffentliche Belange i.S.v. § 35 Abs. 3 BauGB nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und es der öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen dient. Dass es sich bei der Mobilfunksendeanlage um ein Vorhaben der öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen handelt, ist unstreitig, ebenso, dass die ausreichende Erschließung hierfür gesichert ist. Davon ist auch der Verwaltungsgerichtshof ausgegangen. Die Entscheidung über den Bauantrag der Klägerin hängt somit davon ab, ob ihr Vorhaben die erforderliche Ortsgebundenheit aufweist (dazu unter 2.1) und der privilegierten Zweckbestimmung “dient” (dazu unter 2.2) sowie, ob ihm öffentliche Belange entgegenstehen (dazu unter 2.3).
Rz. 11
2.1. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Zulässigkeit von öffentlichen Versorgungsanlagen im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 1 BauGB an ähnliche Voraussetzungen geknüpft, wie sie für die in § 35 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 BauGB ebenfalls genannten ortsgebundenen Betriebe gelten (Urteil vom 21. Januar 1977 – BVerwG 4 C 28.75 – Buchholz 406.11 § 19 BBauG/BauGB Nr. 38). Ortsgebunden ist ein Gewerbe danach nur dann, wenn es nach seinem Gegenstand und seinem Wesen ausschließlich an der fraglichen Stelle betrieben werden kann. Erforderlich ist hierfür, dass der Betrieb auf die geographische oder die geologische Eigenart der Stelle angewiesen ist, weil er an einem anderen Ort seinen Zweck verfehlen würde (Urteile vom 5. Juli 1974 – BVerwG 4 C 76.71 – Buchholz 406.11 § 35 BBauG/BauGB Nr. 112 und vom 7. Mai 1976 – BVerwG 4 C 43.74 – BVerwGE 50, 346 ≪348≫). Entsprechendes gilt, allenfalls graduell abgeschwächt, für die in Halbsatz 1 genannten Vorhaben. Auch Anlagen dieser Art nehmen an der Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB nur dann teil, wenn sich auf die Frage, weshalb das Vorhaben gerade hier ausgeführt werden soll, eine die fragliche Stelle gleichsam individualisierende Antwort geben lässt (Urteil vom 21. Januar 1977 a.a.O. = juris Rn. 23 a.E.). Dieser Standortbezug ist bei den in § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB genannten Anlagen der öffentlichen Versorgung vor allem insoweit gegeben, als sie leitungsgebunden sind (Urteil vom 16. Juni 1994 – BVerwG 4 C 20.93 – BVerwGE 96, 95 ≪98≫), denn insofern könnte ohne Berührung des Außenbereichs die den Versorgungsunternehmen obliegende umfassende Versorgungsaufgabe nicht erfüllt werden. An einer solchen spezifischen Gebundenheit fehlt es jedoch, wenn der Standort im Vergleich mit anderen Stellen zwar Lagevorteile bietet, das Vorhaben aber nicht damit steht oder fällt, ob es hier und so und nirgendwo anders ausgeführt werden kann (Urteil vom 21. Januar 1977 a.a.O.). Diese Rechtsprechung hat der Senat in seinem Urteil vom 16. Juni 1994 (a.a.O.) noch einmal ausdrücklich bestätigt. Eine “kleinliche” Prüfung der Ortsgebundenheit ist allerdings nicht angebracht. Spezifischer Standortbezug ist nicht gleichbedeutend mit einer gleichsam quadratmetergenau erfassbaren Zuordnung des Vorhabens zu der in Anspruch genommenen Örtlichkeit. So sehr es sich verbietet, bei der Auslegung des Merkmals der Ortsgebundenheit engherzig zu verfahren, so sehr verbietet es sich indes auch, von dem Erfordernis abzusehen, dass sich die räumliche Beziehung, auf die das Vorhaben seiner Funktion nach angewiesen ist, nur an einer näher eingrenzbaren Stelle und nicht beliebig anderswo im Außenbereich herstellen lässt (Urteil vom 16. Juni 1994 a.a.O. ≪101≫). Wird bei Anlagen der öffentlichen Versorgung der bei gewerblichen Betrieben maßgebliche kleinräumliche Bezugsrahmen verlassen, so verliert der Begriff der Ortsgebundenheit jegliche Konturen. Von einer individualisierenden Antwort auf die Frage der Lokalisierung kann dann keine Rede mehr sein, wenn der gesamte Außenbereich einer Gemeinde oder einer Vielzahl von Gemeinden als potentiell geeigneter Standort in Betracht kommt (Urteil vom 16. Juni 1994 a.a.O. ≪101 f.≫). Von diesen Grundsätzen abzuweichen, die mittlerweile auch in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden haben (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Jan. 2013, § 35 Rn. 52; Rieger, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl. 2006, § 35 Rn. 40; Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand April 2013, § 35 Rn. 34 unter ausdrücklicher Aufgabe der in der Vorauflage unter Rn. 36 geäußerten gegenteiligen Ansicht; a.A. nach wie vor: Dürr, in: Brügelmann, BauGB, Stand September 2012, § 35 Rn. 50; Rathjen, Zur Zulässigkeit von Mobilfunksendeanlagen, ZfBR 2001, 304 ≪308≫; offen bei Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl. 2009, § 35 Rn. 28), sieht der Senat zwar keine Veranlassung (vgl. auch Beschluss vom 9. März 2011 – BVerwG 4 B 46.10 – BauR 2011, 1150 Rn. 4, 5 = ZfBR 2011, 573). Sie bedürfen jedoch im Hinblick auf die Besonderheiten der Mobilfunktechnologie einer Modifikation.
Rz. 12
Mobilfunksendeanlagen dienen der drahtlosen Übertragung von Sprache bzw. von Daten. Träger der Informationen sind hochfrequente elektromagnetische Funkwellen. Zur Gewährleistung einer flächendeckenden Versorgung mit mobilen Telekommunikationsdiensten, zu der die Mobilfunkbetreiber gemäß der ihnen vergebenen Lizenzen verpflichtet sind, werden die zu versorgenden Gebiete in “Funkzellen” gegliedert. Die einzelnen Funkzellen sind i.d.R. wabenförmig und erstrecken sich über das gesamte Bundesgebiet. Sie verfügen über unterschiedliche Größen. Jede dieser Funkzellen wird von einer fest installierten Sende- und Empfangsanlage versorgt, der Mobilfunkbasisstation. Die von einer Anlage abgestrahlte Leistung, d.h. die Stärke des elektromagnetischen Feldes, richtet sich dabei unter anderem nach der Größe der Funkzelle und nach der Menge der zu übertragenden Daten (vgl. Martens/Appelbaum, Rechtliche Vorgaben für Errichtung, Änderung und Betrieb von Mobilfunkstationen, Zivil- und öffentlich-rechtliche Aspekte, NZM 2002, 642 ≪643≫). Mobilfunkbasisstationen können nicht an beliebiger Stelle errichtet werden, da sie Teil eines übergreifenden, aus vielen Waben bestehenden Mobilfunknetzes sind. Sie sind daher wegen des Zuschnitts der zu versorgenden Flächenzelle und deren topografischen Gegebenheiten auf bestimmte Standorte angewiesen. Dabei sind die Standorte so zu wählen, dass sie eine Versorgung der Flächenzelle bei relativ geringer Sendeleistung gewährleisten, ohne benachbarte Flächenzellen zu stören. Zudem sind die topografischen Gegebenheiten dahingehend zu berücksichtigen, dass durch geländebedingte Abschirmungen keine Versorgungslücken entstehen (VGH München, Beschluss vom 31. Januar 2001 – 14 ZS 00.3418 – BauR 2002, 439 = BRS 64 Nr. 95 S. 409 = juris Rn. 5.). In der Regel kommt für die Errichtung einer Mobilfunksendeanlage aber nicht nur ein ganz konkreter Standort in Betracht; vielmehr können aufgrund der Wabenstruktur des Mobilfunknetzes regelmäßig mehrere Standorte für deren Errichtung geeignet sein. Diese werden vom Mobilfunkbetreiber im Wege einer sog. Suchkreisanalyse ermittelt, in welcher das maßgebliche Areal für eine Mobilfunksendeanlage beschrieben wird (vgl. Gemeinsame Erklärung der Mobilfunkbetreiber ≪E-Plus, O2, T-Mobile und Vodafone D2≫ und der Kommunalen Landesverbände ≪Städtetag Baden-Württemberg, Gemeindetag Baden-Württemberg und Landkreistag Baden-Württemberg≫ im Einvernehmen mit der Landesregierung Baden-Württemberg vom 15. November 2004 S. 4, GA VGH Mannheim Bl. 193). Die Besonderheit von Mobilfunksendeanlagen liegt also darin, dass sie, um ihre Funktion im Funknetz des Unternehmers erfüllen zu können, zwar in einem bestimmten Gebiet errichtet werden müssen, innerhalb dieses Bereichs aber regelmäßig mehrere Standorte in Betracht kommen. Sie sind also auf einen bestimmten Standort i.d.R. nicht in derselben Weise angewiesen wie etwa ein Gewerbebetrieb, der Bodenschätze abbaut (VGH München vom 13. Oktober 2009 – 1 B 08.2884 – juris Rn. 25; siehe auch Roeser, in: a.a.O. § 35 Rn. 36a). Würde am Merkmal der “Ortsgebundenheit” im herkömmlichen Sinn uneingeschränkt festgehalten, fielen Mobilfunksendeanlagen regelmäßig aus dem Anwendungsbereich des § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB heraus, weil sie keiner Bindung an einen bestimmten Standort unterliegen. Sie sind nicht orts-, sondern lediglich raum- bzw. gebietsgebunden. Etwas anderes würde nur dann gelten, soweit die topografischen Verhältnisse die Einbeziehung der Anlage in die übergeordnete Mobilfunkstruktur oder weitere – überörtliche – Funktionen der Anlage ausnahmsweise einen ganz bestimmten Standort im Außenbereich erforderten (so im Beschluss vom 9. März 2011 – BVerwG 4 B 46.10 – BRS 78 Nr. 114).
Rz. 13
In Anbetracht der beschriebenen technischen Besonderheiten von Mobilfunksendeanlagen ist der Senat mit dem Verwaltungsgerichtshof und der obergerichtlichen Rechtsprechung (siehe z.B. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Februar 2011 – OVG 10 S 6.10 – NVwZ-RR 2011, 435; VGH München, Urteil vom 13. Oktober 2009 – 1 B 08.2884 – juris) der Auffassung, dass das Merkmal der “Ortsgebundenheit” bei einer Mobilfunksendeanlage bereits dann erfüllt ist, wenn sie an einem funktechnisch hierfür geeigneten Standort im Außenbereich errichtet werden soll, um das Angebot an Telekommunikationsdienstleitungen zu verbessern, etwa weil durch die Anlage eine bestehende Versorgungslücke geschlossen werden soll. Es genügt mithin eine Raum- bzw. Gebietsgebundenheit, die durch eine entsprechende Standortanalyse des Vorhabenträgers nachzuweisen ist.
Rz. 14
Der Senat hat jedoch stets betont, dass das Gebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichs als Leitgedanke den gesamten § 35 BauGB beherrscht (so bereits Urteil vom 19. Juni 1991 – BVerwG 4 C 11.89 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 273; siehe auch Urteile vom 12. März 1998 – BVerwG 4 C 10.97 – BVerwGE 106, 228 ≪235 f.≫ = Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 334, vom 17. Dezember 2002 – BVerwG 4 C 15.01 – BVerwGE 117, 287 ≪303, 304≫ = Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 355 und vom 17. Oktober 2012 – BVerwG 4 C 5.11 – NVwZ 2013, 805 = NuR 2013, 121 = juris Rn. 19). Dieses Gebot gibt die Richtung vor, in der die einzelnen Regelungen des § 35 BauGB auszulegen sind (Urteil vom 16. Juni 1994 – BVerwG 4 C 20.93 – BVerwGE 96, 95 ≪100≫). Vor diesem Hintergrund bedarf die Ausdehnung der “Ortsgebundenheit” auf eine “Raum- bzw. Gebietsgebundenheit” von Mobilfunksendeanlagen für den Fall, dass sich hierdurch Standortalternativen im Innenbereich ergeben, eines der Standortwahlfreiheit des Bauherrn einschränkendes Korrektivs, das allerdings nicht nur der grundsätzlichen Vorzugswürdigkeit solcher Standorte vor einer Inanspruchnahme des Außenbereichs Rechnung trägt, sondern auch einbezieht, ob dem Bauherrn der immerhin im Außenbereich privilegierten Anlage ein Ausweichen auf einen Standort im Innenbereich konkret zugemutet werden kann. Der Senat sieht dieses Korrektiv darin, dass die Prüfung der “Ortsgebundenheit” bei Mobilfunksendeanlagen um eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anzureichern ist. Danach kann die “Ortsgebundenheit” nur dann bejaht werden, wenn – neben der Raum- bzw. Gebietsgebundenheit des Vorhabens – dem Bauherrn ein Ausweichen auf einen – nach der von ihm im Genehmigungsverfahren vorzulegenden Standortanalyse – ebenfalls geeigneten Standort im Innenbereich nicht zumutbar ist. Das ist dann anzunehmen, wenn geeignete Innenbereichsstandorte aus tatsächlichen (z.B. der Grundstückseigentümer lässt die Errichtung der Anlage auf seinem Grundstück nicht zu) oder rechtlichen (z.B. die Errichtung einer Mobilfunksendeanlage an einem geeigneten Standort ist bauplanungsrechtlich oder aufgrund örtlicher Bauvorschriften unzulässig) Gründen nicht zur Verfügung stehen. Mit dieser Einschränkung wird den Erfordernissen der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs hinreichend Rechnung getragen, ohne die technischen Besonderheiten des Mobilfunks zu vernachlässigen. Einer Standortalternativenprüfung im Außenbereich wird hierdurch nicht das Wort geredet, denn eine solche findet im Baugenehmigungsverfahren nicht statt (vgl. auch Beschlüsse vom 26. Juni 1997 – BVerwG 4 B 97.97 – NVwZ-RR 1998, 357 = juris Rn. 6 und vom 13. November 1996 – BVerwG 4 B 210.96 – BauR 1997, 444 = juris Rn. 4; VGH München, Urteil vom 16. Juli 2008 – 14 B 06.2506 – juris Rn. 14; OVG Münster, Beschluss vom 27. August 1992 – 10 B 3439/92 – NWVBl 1993, 101 = NVwZ 1993, 279 = juris Rn. 4).
Rz. 15
Mit diesen Grundsätzen steht die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs im Einklang, soweit dieser annimmt, bei der Mobilfunksendeanlage handele es sich um ein raumgebundenes Vorhaben, das grundsätzlich die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 1 BauGB erfülle. Nach den den Senat bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs (§ 137 Abs. 2 VwGO) kommen – ausweislich der vorgelegten “Suchkreisanalyse” – insgesamt elf Standorte in Betracht, um das Gemeindegebiet der Beigeladenen zukünftig ausreichend mit Mobilfunkdienstleistungen versorgen zu können. Hierunter war auch der verfahrensgegenständliche Standort. Der Verwaltungsgerichtshof hat weiter festgestellt, dass sich an der Situation der Unterversorgung im Gebiet der Beigeladenen bis zu seiner Entscheidung nichts geändert hat, insbesondere keine neuen Mobilfunkanlagen genehmigt und errichtet worden sind. Es ist damit von der Raum- bzw. Gebietsgebundenheit der Mobilfunksendeanlage auszugehen, weil sie auf einem funktechnisch hierfür geeigneten Standort im Außenbereich errichtet werden soll und hierdurch die Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen im Bereich der Beigeladenen verbessert wird.
Rz. 16
Mit Bundesrecht nicht vereinbar ist die angefochtene Entscheidung, soweit der Verwaltungsgerichthof annimmt, wenn die Funktion einer Mobilfunksendeanlage auch von einem Alternativstandort im Innenbereich aus erfüllt werden könne, rechtfertige der Gesichtspunkt der Raumgebundenheit die Inanspruchnahme des Außenbereichs ebenso wenig wie der Umstand, dass dieser Alternativstandort zivilrechtlich nicht verfügbar sei. Damit engt der Verwaltungsgerichtshof den Privilegierungstatbestand unzulässig ein. Eine mit dem Gebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichs nicht zu vereinbarende Aufweitung des § 35 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 1 BauGB für Mobilfunksendeanlagen lässt sich durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erreichen, die die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme geeigneter Innenbereichstandorte in den Vordergrund stellt. Aufgrund der mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) des Verwaltungsgerichtshofs steht fest, dass die Klägerin auf keinen der in der “Suchkreisanalyse” ermittelten Innenbereichsstandorte zugreifen kann. Das gilt namentlich für das Grundstück Fl.Nr. 1027/6 (UA S. 3). Damit fehlt es vorliegend an der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme geeigneter Innenbereichstandorte.
Rz. 17
2.2. Die Mobilfunksendeanlage dient auch der öffentlichen Telekommunikationsversorgung. Der Begriff des “Dienens” hat in § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB keine andere Bedeutung als in den anderen Alternativen des § 35 Abs. 1 BauGB (z.B. Urteil vom 7. Mai 1976 – BVerwG 4 C 43.74 – Buchholz 406.11 § 35 BBauG/BauGB Nr. 126 S. 22). Das Tatbestandsmerkmal bietet insbesondere keine Handhabe dafür, die Standortwahl zu korrigieren (Urteil vom 16. Juni 1994 a.a.O. ≪100≫ m.w.N.). Die eigentliche Zweckbestimmung dieses Erfordernisses liegt vielmehr darin, Missbrauchsversuchen begegnen zu können (so schon Urteil vom 16. Mai 1991 – BVerwG 4 C 2.89 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 272; siehe auch Urteil vom 22. Januar 2009 – BVerwG 4 C 17.07 – Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 379 = NVwZ 2009, 918 Rn. 21; Beschluss vom 3. Dezember 2012 – BVerwG 4 B 56.12 – BzAR 2013, 71 = juris Rn. 4). Es sollen Vorhaben verhindert werden, die zwar an sich objektiv geeignet wären, einem privilegierten Vorhaben zu dienen, mit denen aber in Wirklichkeit andere Zwecke verfolgt werden (Urteil vom 16. Mai 1991 a.a.O.). Deshalb ist das Merkmal des Dienens zu verneinen, wenn das Vorhaben zwar nach seinem Verwendungszweck gerechtfertigt sein mag, nach seiner Gestaltung, Beschaffenheit oder Ausstattung aber nicht durch diesen Verwendungszweck erschöpfend geprägt wird (vgl. Urteile vom 3. November 1972 – BVerwG 4 C 9.70 – BVerwGE 41, 138 ≪141≫ und vom 16. Mai 1991 a.a.O.).
Rz. 18
Die von der Klägerin geplante Mobilfunksendeanlage dient der öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen. Nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs (UA S. 17) sollen mit ihm Lücken oder Defizite in der Versorgung mit Mobilfunkdiensten im Bereich der beigeladenen Gemeinde beseitigt werden. Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Außenbereichs oder für die Verfolgung von Zwecken, die außerhalb des Bereichs der Telekommunikation liegen, oder für eine Überdimensionierung der Anlage sind nicht gegeben und werden auch nicht behauptet.
Rz. 19
2.3. Das die Klage abweisende Urteil des Verwaltungsgerichtshofs erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO), denn dem Vorhaben der Klägerin stehen keine öffentlichen Belange i.S.v. § 35 Abs. 3 BauGB entgegen. Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof – aus seiner Sicht konsequent – zur Frage, ob der Mobilfunksendeanlage öffentliche Belange gemäß § 35 Abs. 3 BauGB entgegenstehen, nicht Stellung genommen. Die Feststellungen im angefochtenen Urteil reichen jedoch aus, um dem Senat eine eigene Prüfung zu ermöglichen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Der Funkturm hält ausweislich der im Verfahren vorgelegten Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur die nach der Verordnung über elektromagnetische Felder (26. BImSchV) erforderlichen Abstände ein und ruft damit keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervor (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB). Auch ein Entgegenstehen der in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB genannten Belange ist nicht zu erkennen, zumal der Kreisbeauftragte für Naturschutz und Landschaftspflege keine Bedenken gegen das Vorhaben hatte, sofern die Anlage mit einheimischen Gehölzen eingegrünt werde (Bl. 35 der Bauakte). Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ist es zudem zweifelhaft, ob das Vorhaben der Klägerin das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, weil in der Nähe zum Vorhabensstandort eine Hochspannungsfreileitung verläuft (UA S. 18). Diesen Feststellungen kann jedenfalls entnommen werden, dass der entsprechende Belang dem klägerischen Vorhaben nicht entgegensteht. Andere öffentliche Belange, die dem Vorhaben entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Verpflichtungserklärung nach § 35 Abs. 5 Satz 2 BauGB wurde von der Klägerin abgegeben.
Rz. 20
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Gatz, Dr. Bumke, Petz, Dr. Decker
Fundstellen
Haufe-Index 5337547 |
BVerwGE 2014, 37 |
BauR 2013, 1824 |
GewArch 2014, 40 |
JA 2014, 397 |
JZ 2013, 543 |
NJ 2013, 11 |
VR 2013, 431 |
ZUM-RD 2014, 56 |
ZfBR 2013, 682 |
BayVBl. 2014, 118 |
DVBl. 2013, 3 |
GV/RP 2014, 562 |
KommJur 2013, 5 |
MMR 2013, 5 |
MMR 2014, 141 |
NJW-Spezial 2013, 654 |
FSt 2014, 335 |
FuBW 2014, 771 |
FuNds 2014, 769 |
GreifRecht 2013, 5 |
SächsVBl. 2013, 3 |
ThürVBl. 2013, 3 |