Entscheidungsstichwort (Thema)
Erschließungsbeiträge
Verfahrensgang
VG Arnsberg (Urteil vom 23.11.2013; Aktenzeichen 6 K 2697/12) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 28. November 2013 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen.
Rz. 2
Er ist Eigentümer des Grundstücks Gemarkung M., Flur …, Flurstück 192…, welches an die M.straße angrenzt. Diese besteht aus einem Hauptzug sowie einer hiervon abgehenden Stichstraße. In den Jahren 1970/71 wurde sie als Baustraße angelegt. Die M.straße und das Grundstück des Klägers liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 19 aus dem Jahr 1969. Im Zuge eines vom Kläger eingeleiteten Baugenehmigungsverfahrens zur Errichtung eines Wohngebäudes übersandte ihm die Beklagte den Entwurf eines Ablösungsvertrags mit dem Hinweis, der Kläger werde im Falle des Vertragsabschlusses nach der endgültigen Herstellung der Straße nicht zu einem weiteren Erschließungsbeitrag oder zur Nachzahlung etwaiger Mehrkosten herangezogen. Die Beteiligten unterzeichneten den Vertrag unter dem 29. April 1974. Darin verpflichtete sich der Kläger, die auf sein Grundstück anfallenden anteiligen Kosten des Ausbaus der Erschließungsanlagen als Vorausleistung auf den später entstehenden Erschließungsbeitrag zu zahlen. Darüber hinaus vereinbarten die
Beteiligten, die Vorausleistung solle gemäß § 133 Abs. 3 Satz 2 BBauG den für das Grundstück nach der Herstellung der Erschließungsanlagen zu zahlenden Erschließungsbeitrag endgültig tilgen. Ein Anspruch des Klägers, den Ausbau der Erschließungsanlage zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verlangen, wurde ausdrücklich ausgeschlossen. Unter Zugrundelegung des in der damaligen Erschließungsbeitragssatzung festgelegten Einheitssatzes sowie unter Berücksichtigung weiterer Kosten veranschlagte die Beklagte den beitrags- und umlagefähigen Gesamtaufwand auf 261 272,47 DM und verteilte diesen auf die zu erschließenden Grundstücke anhand deren Flächen und Frontlängen. Den danach auf den Kläger entfallenden Betrag i.H.v. 3 710,37 DM zahlte dieser nachfolgend.
Rz. 3
Die M.straße wurde im Jahr 2007 endgültig hergestellt und im Februar 2012 dem öffentlichen Verkehr gewidmet. Den umlegungsfähigen Erschließungsaufwand ermittelte die Beklagte mit 277 939,35 EUR (Hauptzug) und 129 232,80 EUR (Stichstraße). Nach Anhörung des Klägers begründete die Beklagte die beabsichtigte Nacherhebung von Erschließungsbeiträgen mit dem Überschreiten der sogenannten Missbilligungsgrenze, da der auf das Grundstück des Klägers entfallende Erschließungsbeitrag den von ihm gezahlten Ablösungsbetrag um mehr als das Doppelte übersteige. Mit Bescheid vom 23. August 2012 zog die Beklagte den Kläger zu einem Erschließungsbeitrag i.H.v. 6 170,38 EUR heran und setzte die noch zu erbringende Zahlung unter Anrechnung der Ablösungssumme i.H.v. umgerechnet 1 897,08 EUR auf 4 273,30 EUR fest.
Rz. 4
Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid mit Urteil vom 28. November 2013 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, mit der Erfüllung der Zahlungsverpflichtung aus dem Ablösungsvertrag sei die Erschließungsbeitragspflicht des Klägers erloschen. Der preissteigerungsbedingte Wertverlust der Ablösungssumme sei der Risikosphäre der Beklagten zuzurechnen. Eine Anpassung des Vertrags nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage scheide deshalb aus. Aufgrund der vorliegenden Besonderheiten sei dessen Wirksamkeit auch nicht durch Anwendung der Missbilligungsgrenze entfallen. Mit der Regelung, dass allein die Beklagte den Zeitpunkt des Straßenausbaus bestimme, habe sie die mit einem späteren Ausbau verbundenen Risiken übernommen. Eine Zeitdauer von fast 40 Jahren zwischen der Ablösungsvereinbarung und der Herstellung der Erschließungsanlage führe zudem regelmäßig zu einem Überschreiten der Missbilligungsgrenze. Bei deren ausnahmsloser Geltung könne die Gemeinde dem Ablösungsvertrag durch einen verzögerten Ausbau die vereinbarten Rechtswirkungen nehmen. Aus § 133 Abs. 3 BauGB folge, dass die Gemeinde nach der Vereinnahmung von Vorausleistungen Erschließungsanlagen zeitnah herstellen müsse. Auch deshalb dürften Nachteile einer verspäteten Herstellung nicht dem Beitragspflichtigen aufgebürdet werden.
Rz. 5
Die Beklagte macht mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision, deren Einlegung der Kläger vorab in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zugestimmt hat, geltend, der Ablösungsvertrag habe seine Wirksamkeit verloren. Die Missbilligungsgrenze gelte ausnahmslos und damit auch dann, wenn die Differenz zwischen dem Ablösungsbetrag und dem Erschließungsbeitrag auf einem langen Zeitraum zwischen dem Vertragsschluss und der Entstehung der Beitragspflicht beruhe. Es widerspreche der Beitragsgerechtigkeit, den Grundstückseigentümer, der keinen Ablösungsvertrag geschlossen habe, trotz vergleichbarem Erschließungsvorteil mit höheren Erschließungskosten als denjenigen zu belasten, der einen Vertrag geschlossen habe. Aufgrund der gesetzlichen Beitragserhebungspflicht könne die Differenz zwischen der Ablösungssumme und dem Erschließungsbeitrag nicht der Gemeinde aufgebürdet werden.
Rz. 6
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 28. November 2013 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Rz. 7
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 8
Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil verstößt nicht gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Beklagte aufgrund des mit dem Kläger wirksam geschlossenen Vertrags vom 29. April 1974 (1.) kein Recht zur Nacherhebung der Differenz zwischen dem damaligen Ablösungsbetrag und dem nunmehr auf das Grundstück des Klägers entfallenden Erschließungsbeitrag hat. Soweit im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November 1990 (8 C 36.89 – BVerwGE 87, 77) eine absolute Missbilligungsgrenze entwickelt worden ist, hält der Senat daran nicht fest (2.). Auch nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage kann die Beklagte weder die Anpassung des Vertrags verlangen noch von ihm zurücktreten (3.).
Rz. 9
1. Der Kläger und die Beklagte haben im Vertrag vom 29. April 1974 wirksam die Ablösung des künftigen Erschließungsbeitrags des Klägers vereinbart.
Rz. 10
Gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB entsteht die Beitragspflicht des Eigentümers oder Erbbauberechtigten eines Grundstücks für den darauf entfallenden Anteil am beitragsfähigen Erschließungsaufwand mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage. Ist die Erschließung demnach grundsätzlich von der Gemeinde vorzufinanzieren, so kann diese gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB schon vor Entstehung der Beitragspflicht Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag erheben. Alternativ hierzu eröffnet § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB – wie auch die bei Abschluss des vorliegenden Ablösungsvertrags geltende Vorgängerregelung des § 133 Abs. 3 Satz 2 BBauG – den Gemeinden als Ausnahme von dem gesetzlichen Verbot vertraglicher Vereinbarungen über Erschließungskosten die Möglichkeit, mit dem Eigentümer oder Erbbauberechtigten eines Grundstücks vor Entstehung der Beitragspflicht einen öffentlichrechtlichen Vertrag über die Ablösung des gesamten Erschließungsbeitrags zu schließen (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1982 – 8 C 24.81 – BVerwGE 64, 361 ≪363 f.≫ und vom 1. Dezember 1989 – 8 C 44.88 – BVerwGE 84, 183 ≪188≫). Ein solcher Ablösungsvertrag bewirkt, dass ein anderenfalls mit Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht begründetes abstraktes Schuldverhältnis zwischen der Gemeinde und dem Grundeigentümer gar nicht erst entsteht, indem schon in einem Zeitpunkt, in dem die Anlage noch nicht endgültig hergestellt und folglich die Höhe des dafür anfallenden Aufwands nicht bekannt ist, eine abschließende vertragliche Regelung über die Belastung eines Grundstücks mit Erschließungskosten getroffen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 1990 – 8 C 36.89 – BVerwGE 87, 77 ≪79≫).
Rz. 11
Voraussetzung für das wirksame Zustandekommen eines solchen Vertrags ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 2 BBauG, § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB, dass eine Ablösung des Erschließungsbeitrags im Ganzen und vor Entstehen der Beitragspflicht für ein später der Beitragspflicht unterliegendes Grundstück erfolgt. Darüber hinaus müssen der Vereinbarung Ablösungsbestimmungen der Gemeinde zugrunde liegen, die festlegen, wie der mutmaßliche Erschließungsaufwand ermittelt und verteilt werden soll. Dabei ist die Gemeinde nicht verpflichtet, den Ablösungsbestimmungen und der Erschließungsbeitragssatzung einen identischen Verteilungsmaßstab zugrunde zu legen. Der in den Ablösungsbestimmungen enthaltene Verteilungsmaßstab muss jedoch geeignet sein, den für eine bestimmte Erschließungsanlage mutmaßlich entstehenden beitragsfähigen Aufwand angemessen vorteilsgerecht den Grundstücken zuzuordnen. Maßgebend ist insoweit, dass die Vertragsparteien von der Eignung des Verteilungsmaßstabs ausgegangen sind und ausgehen konnten (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1982 – 8 C 24.81 – BVerwGE 64, 361 ≪365 ff.≫). Dies schließt die missbräuchliche Vereinbarung eines von Anfang an offenkundig zu geringen oder überhöhten Ablösungsbetrags aus.
Rz. 12
Diesen Anforderungen genügt der vorliegende Vertrag. Ihm liegen mit der Anknüpfung an die seinerzeit geltende Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten insbesondere hinreichende Ablösungsbestimmungen zugrunde (vgl. § 12 der Erschließungsbeitragssatzung vom 22. Dezember 1969 i.d.F. der Änderungssatzung vom 22. März 1971).
Rz. 13
2. Erlaubt das Gesetz mithin eine abschließende Ablösungsvereinbarung zu einem Zeitpunkt, in dem regelmäßig noch (erhebliche) Unsicherheiten über den weiteren Geschehensablauf bis zur endgültigen Herstellung der beitragsfähigen Erschließungsanlage einschließlich der Höhe des dafür entstehenden Aufwands bestehen, so sind Ablösungsverträgen beträchtliche Risiken – insbesondere die Gefahr einer Abweichung des Erschließungsbeitrags von der Ablösungssumme – immanent (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 1990 – 8 C 36.89 – BVerwGE 87, 77 ≪79 f.≫). Die Realisierung eines solchen ablösungstypischen Risikos allein lässt daher die Wirksamkeit des Vertrags unberührt.
Rz. 14
a) Das Bundesverwaltungsgericht hat allerdings im vorgenannten Urteil ausgeführt, die geltende Rechtsordnung lasse keine uneingeschränkte Verwirklichung dieser Risiken zu. Vielmehr setze das Erschließungsbeitragsrecht dem Ausmaß einer von den Vertragspartnern hinzunehmenden Differenz zwischen der Höhe eines Ablösungsbetrags und der Höhe eines (ohne die Ablösung) auf ein Grundstück entfallenden Erschließungsbeitrags eine absolute Grenze ohne Rücksicht darauf, ob diese Differenz auf ablösungstypische Risiken zurückgehe. Der Ablösungsbetrag sei als ein vorgezogener Erschließungsbeitrag in das Regelungssystem des gesetzlichen Erschließungsbeitragsrechts eingebettet. Aus der gesetzlichen Beitragserhebungspflicht sowie dem Gebot der Abgabengerechtigkeit folge eine Missbilligungsgrenze, welche überschritten werde, wenn der Betrag, der dem Grundstück als Erschließungsbeitrag zuzuordnen sei, mindestens das Doppelte oder höchstens die Hälfte des vereinbarten Ablösungsbetrags ausmache. Im ersten Fall stehe der Gemeinde ein Nacherhebungsrecht, im zweiten dem Grundeigentümer ein Rückzahlungsanspruch zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 1990 – 8 C 36.89 – BVerwGE 87, 77 ≪82 ff.≫).
Rz. 15
b) Hieran hält der erkennende Senat nicht fest. Eine absolute, von der Ursache des Auseinanderfallens von Ablösungsbetrag und Erschließungsbeitrag unabhängige, allein an die Höhe der Differenz anknüpfende Grenze ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Sie lässt sich nicht mit dem „Wesen” des Ablösungsbetrages als „vorgezogener” Erschließungsbeitrag und der Einbettung des Ablösungsvertrags in das Regelungssystem des gesetzlichen Erschließungsbeitragsrechts begründen (so BVerwG, Urteil vom 9. November 1990 – 8 C 36.89 – BVerwGE 87, 77 ≪82 f.≫). Die Annahme, die aus § 127 Abs. 1 BauGB ableitbare Pflicht zur möglichst umfassenden Abwälzung der für die Herstellung von beitragsfähigen Erschließungsanlagen entstandenen Kosten auf die Grundstückseigentümer zwinge zur Annahme einer absoluten Missbilligungsgrenze, berücksichtigt nicht hinreichend, dass der Gesetzgeber selbst mit § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB eine Ausnahme von der Pflicht zur Beitragserhebung ermöglicht, und zwar in Kenntnis des mit dieser Vertragsgestaltung geradezu typischerweise verbundenen Risikos einer – auch erheblichen – Abweichung der vertraglich vereinbarten Beträge von den ohne die Ablösung auf das Grundstück entfallenden Erschließungsbeiträgen. Hätte der Gesetzgeber der Fortgeltung eines Ablösungsvertrags eine spezifisch erschließungsbeitragsrechtliche und dazu noch „absolute” Grenze setzen wollen, hätte er dies durch eine entsprechende Regelung zum Ausdruck bringen müssen. Das Fehlen einer solchen gesetzlichen Regelung kann nach Überzeugung des Senats nicht durch eine aus dem allgemeinen Regelungssystem des gesetzlichen Erschließungsbeitragsrechts abgeleitete und zudem noch gegriffene richterrechtliche Missbilligungsgrenze überspielt werden. Dies gilt umso mehr, als die gesetzliche Konzeption des Ablösungsvertrags dazu führt, dass mit Abschluss eines solchen Vertrags und der Entrichtung des Ablösungsbetrags durch den Grundeigentümer für das betroffene Grundstück das beitragsrechtliche Rechtsregime erst gar nicht zum Entstehen gelangt. Hinzu kommt, dass die Pflicht der Gemeinde zur Beitragserhebung nach § 127 Abs. 1, § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB für die gemeindliche Beteiligung an den Erschließungskosten nur eine Mindest-, nicht jedoch eine Höchstgrenze festsetzt; der gemeindliche Anteil kann daher mehr als 10 v.H. des beitragsfähigen Erschließungsaufwands betragen (vgl. VGH München, Urteil vom 12. März 1971 – 290 VI 70 – VGHE 24, 64 ≪67≫; Ernst/Grziwotz, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand November 2014, § 129 Rn. 19; Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 129 Rn. 30).
Rz. 16
Das durch Art. 3 Abs. 1 GG unterstützte Gebot der Abgabengerechtigkeit trägt eine absolute Missbilligungsgrenze ebenfalls nicht. Zum einen liegen schon keine vergleichbaren Sachverhalte vor, wenn im einen Fall der Grundstückseigentümer im Wege der Ablösungsvereinbarung den Bau der Anlage unter Umständen über viele Jahre oder – wie hier – sogar Jahrzehnte hinweg vorfinanziert, während sich im anderen Fall der Eigentümer eines vergleichbar großen Grundstücks erst im Nachhinein im Beitragswege an der Finanzierung beteiligt. Zum anderen würde eine absolute Missbilligungsgrenze auch dann Anwendung finden, wenn – wie es durchaus nicht selten der Fall sein wird – alle oder die Mehrzahl der Grundstückseigentümer eines Baugebiets Ablösungsverträge abgeschlossen haben, es also nicht oder nicht in großem Umfang dazu käme, dass gleich große Grundstücke eines Abrechnungsgebiets trotz gleich großen Erschließungsvorteils unterschiedlich belastet würden. Die Freiwilligkeit der vertraglichen Regelung unterscheidet die Ablösungsvereinbarung schließlich auch von dem Vorfinanzierungsinstitut der Vorausleistung, das zudem in § 133 Abs. 3 Satz bis 4 BauGB eine Reihe von Schutzregelungen zugunsten des Vorausleistungspflichtigen kennt.
Rz. 17
c) Gerade das vorliegende Verfahren zeigt, dass die Annahme einer absoluten Wirksamkeitsgrenze zu unbilligen Ergebnissen führen kann. Mit ihr soll Fällen Rechnung getragen werden, in denen der vereinbarte Ablösungsbetrag den durch ihn ersetzten Erschließungsbeitrag mehr oder weniger total verfehlt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 1990 – 8 C 36.89 – BVerwGE 87, 77 ≪79, 82≫). Von einer solchen totalen Verfehlung kann jedoch keine Rede sein, wenn das erhebliche Auseinanderfallen – wie hier – allein oder weit überwiegend auf einer durch sachliche Gründe nicht gerechtfertigten Verzögerung der Herstellung der Erschließungsanlage und der dadurch eingetretenen Preissteigerung beruht. Der Kläger hat als Ablösungssumme einen Betrag gezahlt, der bei einer zeitnahen Herstellung der Erschließungsanlagen in keinem Missverhältnis zu dem Erschließungsbeitrag gestanden hätte. Nur dadurch, dass die Beklagte die Ablösungsbeträge anderweitig verwendet und mit der Fertigstellung der M.straße fast 40 Jahre zugewartet hat, konnte es zu einer Differenz der Beträge in diesem Ausmaß kommen. Inflationsbedingt hat sich der Wert des vom Kläger gezahlten Ablösungsbetrags unter Zugrundelegung des Verbraucherpreisindex bereits nach rund 20 Jahren halbiert (vgl. Statistisches Bundesamt, Verbraucherpreisindizes für Deutschland, Lange Reihe ab 1948, Stand November 2014, S. 2 ff.), während sich die Straßenbaukosten innerhalb dieses Zeitraums fast verdoppelt haben (vgl. Statistisches Bundesamt, Preisindizes für die Bauwirtschaft, Stand November 2014, S. 27 f.). Daher wäre es nicht zu rechtfertigen, mit dem Unterschiedsbetrag nicht die Gemeinde, welche die Ursache hierfür gesetzt und zudem von der frühzeitigen Überlassung des Ablösungsbetrags profitiert hat, sondern einseitig den Bürger zu belasten.
Rz. 18
3. Fallgestaltungen, in denen der Ablösungsbetrag außer Verhältnis zum mit der Fertigstellung der Anlagen vermittelten Erschließungsvorteil steht, ist daher nicht durch eine absolute Grenze Rechnung zu tragen, welche darüber hinaus zu dem von Zufällen nicht freien und mit Blick auf den Gleichheitssatz problematischen Ergebnis führt, dass der betroffene Grundeigentümer entweder nichts oder den vollen Differenzbetrag nachzahlen muss. Die Grenze der notwendigen Tolerierung eines derartigen Missverhältnisses bestimmt sich vielmehr im Einzelfall nach den bundesrechtlich in § 60 VwVfG verankerten, im öffentlichen Recht darüber hinaus seit langem allgemein anerkannten Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage anhand einer Abwägung aller sich im Zusammenhang mit Ablösungsverträgen ergebenden Umstände und gegenläufigen Interessen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 8 C 4.11 – BVerwGE 143, 335 Rn. 65; s. – in anderem Zusammenhang – auch Urteil vom 9. November 1990 – 8 C 36.89 – BVerwGE 87, 77 ≪83 f.≫). Diese Grundsätze finden nicht nur auf Dauerschuldverhältnisse, sondern auch auf öffentlichrechtliche Verträge Anwendung, die – wie hier – eine einmalige Leistungspflicht begründen; dies gilt auch dann, wenn die vertraglich geschuldete Leistung schon erbracht wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 8 C 4.11 – BVerwGE 143, 335 Rn. 46 f.). Damit ermöglicht die Rechtsordnung auch ohne Heranziehung einer absoluten Missbilligungsgrenze, Abweichungen zwischen dem Erschließungsbeitrag und der vereinbarten Ablösung eine Grenze zu ziehen, bei deren Bestimmung zudem den Umständen des Einzelfalls Rechnung getragen werden kann. Ein sich danach möglicherweise ergebendes Nacherhebungsrecht kann die Gemeinde indes nicht unmittelbar durch Erschließungsbeitragsbescheid durchsetzen. Vielmehr bedarf es der Geltendmachung des Anpassungsverlangens – ggf. im Wege der auf Vertragsanpassung gerichteten Leistungsklage (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1995 – 3 C 21.93 – BVerwGE 97, 331 ≪340 f.≫) – oder des Rücktritts vom Ablösungsvertrag (vgl. § 62 Satz 2 VwVfG i.V.m. § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB; s. auch BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 8 C 4.11 – BVerwGE 143, 335 Rn. 46 f. zur Abgrenzung von der Kündigung gem. § 60 VwVfG bei Dauerschuldverhältnissen).
Rz. 19
Voraussetzung für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage ist allerdings ein – zudem unzumutbares – Überschreiten des Risikorahmens, den die Partei, die eine Anpassung des Vertrags begehrt oder von ihm zurücktreten will, mit dem Vertragsschluss übernommen hat. Eine bloße Realisierung des vertraglich übernommenen Risikos hingegen lässt die Wirksamkeit des Vertrags ebenso unberührt wie der Umstand, dass eine Vertragspartei nach ihrer gegenwärtigen Interessenlage in den Vertragsschluss vernünftigerweise jetzt nicht mehr einwilligen würde. Vielmehr muss die Änderung der für den Vertragsinhalt maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse zu schwerwiegenden, bei Vertragsschluss nicht absehbaren Nachteilen für die Vertragspartei geführt haben, denen die Vertragspartner bei Kenntnis der Entwicklung billigerweise Rechnung getragen hätten (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 8 C 4.11 – BVerwGE 143, 335 Rn. 57, 64). Mehrkosten der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage, die – wie vorliegend – allein oder weit überwiegend inflationsbedingt sind, lassen danach als ablösungstypische Risiken die Geschäftsgrundlage eines Ablösungsvertrags grundsätzlich unberührt. Sie unterfallen einseitig dem Risikobereich der Gemeinde, welche es zudem in der Hand hat, mit dem Zeitpunkt der Fertigstellung auch darüber zu entscheiden, inwiefern die eingenommenen Ablösungsbeträge die Erschließungskosten abdecken (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 1990 – 8 C 36.89 – BVerwGE 87, 77 ≪79 f.).
Rz. 20
Auch soweit aus anderen, nicht preissteigerungsbedingten Gründen in Einzelfällen ein nicht mehr tolerierbares Missverhältnis zwischen der Belastung eines Grundstücks mit Erschließungskosten und dem ihm vermittelten Vorteil bestehen sollte, bedarf es keiner absoluten Grenze. Ob sich derartige Mehrkosten innerhalb des Rahmens der ablösungstypischen Risiken halten oder die Geschäftsgrundlage des Ablösungsvertrags berühren, ist ebenfalls anhand einer Abwägung aller Umstände und Interessen des Einzelfalls festzustellen. Auch insoweit ist allerdings die dem Ablösungsvertrag immanente Unsicherheit über die Höhe des Erschließungsaufwands und das damit einhergehende Risiko eines Auseinanderfallens von Ablösungsbetrag und Erschließungsbeitrag zu berücksichtigen. Eine Kostensteigerung, die den Betrag, der dem betroffenen Grundstück als Erschließungsbeitrag zuzuordnen ist, auf weniger als das Doppelte des vereinbarten Ablösungsbetrags anhebt, vermag sich daher auch dann, wenn sie ausstattungsbedingt ist, in der Regel nicht auf die vertragliche Bindung auszuwirken (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 1990 – 8 C 36.89 – BVerwGE 87, 77 ≪83 f.≫).
Rz. 21
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Bier, Buchberger, Prof. Dr. Korbmacher, Dr. Bick, Steinkühler
Fundstellen