Entscheidungsstichwort (Thema)
Lehrter Bahnhof. Verkürzung des Bahnsteigdachs. Planfeststellung. Plangenehmigung. Änderung eines Planfeststellungsbeschlusses vor Fertigstellung des Vorhabens. konkurrierende Bauleitplanung. Lärmschutz im Städtebau. kommunale Planungshoheit. Änderung eines Schienenwegs. Auflagenschwelle. Rechtsbeeinträchtigung. Planbefolgungsanspruch. Plangewährleistungsanspruch. Verbundplanung. Abwägungsgebot. Prioritätsgrundsatz
Leitsatz (amtlich)
Haben in einem Detail einer eisenbahnrechtlichen Planfeststellung (hier: Länge einer Bahnsteigüberdachung), die vor der räumlich konkurrierenden Bauleitplanung Planreife erlangt hatte, gemeinsame planerische Vorstellungen beider Planungsträger Ausdruck gefunden, rechtfertigt dies nicht die Annahme eines Planbefolgungs- oder Plangewährleistungsanspruchs, den die Gemeinde einer Plangenehmigung entgegenhalten kann, mit der nachträglich eine Änderung dieses Details zugelassen wird.
Normenkette
GG Art. 28 Abs. 2 S. 1; VwVfG § 74 Abs. 2 S. 2, § 75 Abs. 1, 2 S. 1, § 76; AEG § 18 Abs. 1-2; BauGB § 36 Abs. 1 S. 1; BImSchG § 41 Abs. 1; 16. BImSchV § 1 Abs. 1-2
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
I.
Der Kläger – das Land Berlin – wendet sich gegen eine Plangenehmigung, soweit damit – abweichend von dem Planfeststellungsbeschluss vom 12. September 1995 für das Bauvorhaben Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich Berlin (VZB) – eine verkürzte Bahnsteigüberdachung des Lehrter Bahnhofs zugelassen worden ist.
Das Bauvorhaben VZB war vom Eisenbahn-Bundesamt auf der Grundlage von § 78 VwVfG zugelassen worden. Vorhabenträger war für die neue Nord-Süd-Fernbahnverbindung einschließlich des Kreuzungsbereichs mit der Stadtbahn und des dort neu zu errichtenden Lehrter Bahnhofs die Deutsche Bahn AG, die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen. Insbesondere für die B 96 und den Teilabschnitt der U 5 war dagegen der Kläger Vorhabenträger. Zeitgleich wurde vom Kläger eine Überarbeitung des im Entwurf vorliegenden Bebauungsplans II-139 eingeleitet, der im Hinblick auf die Teilung der Stadt entlang des innerstädtischen Grenzverlaufs eine Autobahn (sog. Westtangente) vorsah. Das neue Bebauungsplanverfahren II-201 wurde 1994 durch einen städtebaulichen Wettbewerb “Stadtquartier Lehrter Bahnhof” vorbereitet, zu dessen Vorgaben es gehörte, in diesem Areal 30 % Wohnraum vorzusehen.
Die Siegerentwürfe berücksichtigten die seinerzeit bereits vorliegenden Planungen für den neuen Lehrter Bahnhof. Danach war vorgesehen, dass die kurvenförmig gekrümmte Bahnsteiganlage der Stadtbahntrasse, die in westöstlicher Richtung auf einem Viadukt verläuft, mit einer Stahl-Glaskonstruktion überspannt und die unterirdisch verlaufende Nord-Südtrasse durch zwei bügelförmige Gebäudescheiben markiert wird, in deren Mitte sich das tonnenförmige Glasdach der Bahnhofshalle erstreckt.
Das Plangebiet des Bebauungsplanentwurfs II-201 umfasst den Bereich von der alten Stadtbahntrasse an der Invalidenstrasse im Norden bis zum südlich verlaufenden Spreebogen und endete im Osten am Humboldthafen und im Südwesten an der Straße Alt-Moabit. Dabei wurde das Bahngelände einschließlich des alten und des neuen Lehrter Bahnhofs überplant, um die städtebauliche Einbindung und Erschließung der planfestzustellenden Bahnanlagen sicherzustellen. Dies ist das Plangebiet des als Teilplan fortgeschriebenen Entwurfs für den Bebauungsplan II-201a (Stadtquartier Lehrter Bahnhof).
Nach den gemeinsamen Vorstellungen der Vorhabenträger, wie sie im Planfeststellungsbeschluss vom 12. September 1995 zum Ausdruck kamen, sollte die für das Bauvorhaben VZB zugelassene Bahnplanung zwar “Eckpunkte für die Bauleitplanung” (S. 317) setzen, den Kläger aber nicht daran hindern, eine Überplanung der vorhandenen Bahnflächen einzuleiten. So wurden etwa die beiden Bügelbauten und die Nutzung des unter der Stadtbahntrasse liegenden Viadukts nicht in den Planfeststellungsbeschluss einbezogen. Das südlich an den neuen Bahnhof angrenzende Gelände wurde als Baustelleneinrichtungsfläche ausgewiesen, sollte anschließend aber ebenfalls unter Berücksichtigung der Ergebnisse des städtebaulichen Wettbewerbs (S. 415 f.) einer baulichen Nutzung zugeführt werden, die durch die Bauleitplanung vorzubereiten war. Zugleich sollte durch die Bauleitplanung eine “äußere Erschließung des Bahnhofs” (S. 319) gewährleistet werden, die dem von der Deutsche Bahn AG vorgestellten Erschließungskonzept “gleichwertig sein” sollte (S. 173). Die auf der Baustelleneinrichtungsfläche bisher befindlichen Bahnanlagen waren zum Abriss freigegeben worden.
In Anlehnung an das Ergebnis des städtebaulichen Wettbewerbs sieht der Bebauungsplanentwurf II-201a südlich des neuen Lehrter Bahnhofs einen weiträumigen Bahnhofsvorplatz mit einer sich westlich anschließenden Blockbebauung vor, die von der Stadtbahntrasse nur durch eine Straße getrennt wird; die Blockbebauung ist in ihrem Grundschema bereits in Planunterlagen des Planfeststellungsbeschlusses vom 12. September 1995 nachrichtlich dargestellt. Die textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanentwurfs sehen vor, dass südlich der Stadtbahntrasse ein Kerngebiet mit Wohnnutzung nach Maßgabe von sog. Lärmschutzgrundrissen entsteht; für die Wohnnutzung sind in den näher bezeichneten Blöcken mindestens 33 % der zulässigen Geschossflächen zu verwenden.
Am 25. Januar 2002 beantragte die Beigeladene im Wege der Planänderung u.a. die Erlaubnis, die Bahnsteigüberdachung des Lehrter Bahnhofs abweichend vom Planfeststellungsbeschluss vom 12. September 1995 von 454,6 m auf insgesamt 321,2 m zu kürzen. Am westlichen Ende war der Wegfall von acht Binderfeldern (97,5 m) vorgesehen. Die Dachverkürzung solle den Bau- und Montageaufwand reduzieren, damit die Stadtbahn so schnell wie möglich auf ihre neue Trasse verschwenkt und die nötige Baufreiheit im Umfeld des neuen Lehrter Bahnhofs geschaffen werde. Nur so könnten die Nord-Süd-Fernbahnstrecke und der Lehrter Bahnhof im Jahr 2006 zur Fußballweltmeisterschaft in Betrieb genommen werden.
Gegen die Planänderung erhob der Kläger im Rahmen der Anhörung der Träger öffentlicher Belange unter Vorlage einer schalltechnischen Untersuchung Bedenken. Er machte u.a. geltend, die Verkürzung des Daches stelle die mit Zustimmung des Berliner Abgeordnetenhauses im Bebauungsplanentwurf II-201a entwickelten Planungsvorstellungen in Frage. Die vorgesehenen Baublöcke würden um bis zu ca. 12 dB höheren Geräuschimmissionen ausgesetzt, die durch passiven Lärmschutz nicht mehr auszugleichen seien. Durch Lärmschutzwände aus Glas in Fortführung des Daches könnten die Geräuschbelastungen allerdings in etwa auf das Niveau reduziert werden, das der Bauleitplanung zugrunde liege.
Mit Plangenehmigung vom 14. Juni 2002 – dem Kläger am 17. Juni 2002 zugestellt – änderte das Eisenbahn-Bundesamt den am 12. September 1995 festgestellten Plan wie beantragt ab und wies die Bedenken des Klägers zurück. Lärmvorsorgemaßnahmen seien bei der Planfeststellung nicht zu treffen gewesen, weil die maßgebliche Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) in Anwendung der Schall 03 vorschreibe, bei Bahnhöfen vom Schienenlärm auf freier Strecke auszugehen, so dass die abschirmende Wirkung des Bahnhofsgebäudes – wie geschehen – seinerzeit nicht zu berücksichtigen gewesen sei. Die mit der Plangenehmigung zugelassene Verkürzung des Bahnsteigdachs stelle aber auch keine Änderung des Schienenwegs durch einen erheblichen baulichen Eingriff im Sinne der 16. BImSchV dar. Hier werde nur eine Bahnbetriebsanlage geändert, so dass die Änderung rechtlich keine Lärmerhöhung bewirke, die Lärmschutzansprüche auslösen könne. Schließlich scheide ein Anspruch auf Lärmschutz, der in Anwendung von § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG erwogen werden könne, schon deswegen aus, weil das Plangebiet noch dem Eisenbahnbetrieb gewidmet sei und demnach nicht der kommunalen Planungshoheit unterfalle. Die Verkürzung der Überdachung werde im Rahmen der fachplanerischen Abwägung zwar als eine schwerwiegende und nachhaltige Störung einer konkreten Planungsabsicht des Klägers gewürdigt. Die für die Planänderung sprechenden Belange seien aber als schwerwiegender einzuschätzen. Es bestehe ein überwiegendes Interesse an einer schnellstmöglichen Fertigstellung der Verkehrsinfrastruktur im zentralen Bereich von Berlin, um im Jahr 2006 ein Großereignis wie die Fußballweltmeisterschaft verkehrlich bewältigen zu können. Mit der Planänderung werde der entscheidende Hinderungsgrund für den Baufortschritt beseitigt. Auch sei eine Inbetriebnahme des Lehrter Bahnhofs und des ausgebauten Knotens Berlin für eine bundesweite verkehrliche Anbindung der Stadt von höchster Priorität.
Am 17. Juli 2002 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen vorträgt: In Ausführung des städtebaulichen Entwicklungsrechts habe er mit verschiedenen
Gesellschaften öffentlichrechtliche städtebauliche Verträge geschlossen. Die durch die Plangenehmigung ausgelöste zusätzliche Lärmbelastung führe dazu, dass diese Verträge ohne Änderung der vorgesehenen Wohnnutzungsanteile und ohne zusätzlichen erheblichen Kostenaufwand für Lärmschutzvorkehrungen nicht mehr realisiert werden könnten. Dies führe zu einer Reduzierung der ihm gemäß § 154 Abs. 3 BauGB zustehenden Ausgleichs- und Ablösebeträge. Hierin sehe er eine Verletzung seiner Finanzhoheit. Die Plangenehmigung verletze außerdem seine kommunale Planungshoheit. Es werde dort zu Unrecht angenommen, dass eine immissionsschutzrechtliche Betrachtung der Dachverkürzung unter dem Gesichtspunkt, dass der Schienenweg i.S. von § 41 BImSchG und der 16. BImSchV wesentlich geändert werde, entfallen könne. Unerheblich sei, ob die Bahnsteigüberdachung seinerzeit im Planfeststellungsbeschluss vom 12. September 1995 als Lärmschutzmaßnahme festgesetzt worden sei. Entscheidend sei vielmehr, dass im vorliegenden Fall Fachplanung und Bauleitplanung von Anfang an vollständig aufeinander abgestimmt gewesen seien. Dem habe die Erkenntnis zugrunde gelegen, dass die im Bereich des neuen Lehrter Bahnhofs auftretenden Konflikte sich nur in einem Verbund von Fachplanung und Bauleitplanung bewältigen ließen. Unter diesen Umständen habe sich die Fachplanung nicht ohne sein Einverständnis von der Festsetzung der langen Bahnsteigüberdachung lösen dürfen, auf deren lärmabschirmende Wirkung er bei seiner Bauleitplanung habe vertrauen dürfen. Zumindest leide die Plangenehmigung insoweit an einem Abwägungsmangel. Sie gehe zu Unrecht davon aus, dass die von ihm überbeplanten Flächen nicht seiner kommunalen Planungshoheit unterlägen. Der Planfeststellungsbeschluss vom 12. September 1995 habe die für den Eisenbahnbetrieb nicht mehr benötigten Flächen nämlich konkludent aus dem Fachplanungsvorbehalt entlassen. Zumindest sperre eine etwa fortbestehende eisenbahnrechtliche Widmung die in Rede stehenden Flächen für eine Bauleitplanung nicht. Die Fachplanung habe ihren Vorbehalt aufgegeben und die Planungsverantwortung für die Gestaltung des Bahnhofsumfelds ihm als Träger der Bauleitplanung überlassen.
Der Kläger macht sich ferner eine gutachtliche Stellungnahme zu Eigen, wonach im Falle sich überschneidender Planungen verschiedener Planungsträger sich das Abwägungsgebot in einem Abstimmungsgebot fortsetze. Dies habe bei der Überplanung von nicht länger benötigtem und für die Entwidmung vorgesehenem Bahngelände zur Folge, dass eine Abweichung von abgestimmten Planungen nur aus zwingenden Gründen möglich sei, an denen es hier fehle.
Der Kläger beantragt,
die Plangenehmigung der Beklagten zu dem Plan der Beigeladenen zur 26. Änderung des Planfeststellungsbeschlusses vom 12. September 1995 für die Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich Berlin (VZB) – Lehrter Bahnhof, Änderung der Überdachung der Stadtbahn (westlicher Teil) – vom 14. Juli 2002 aufzuheben,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, zum Schutz der durch den Bebauungsplanentwurf II-201 a vorgesehenen Nutzungen aktive Lärmschutzmaßnahmen in dem Umfang festzusetzen, wie er durch das mit dem Planfeststellungsbeschluss für die Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich Berlin (VZB) vom 12. September 1995 bestandskräftig festgestellte Bahnsteigdach in seiner ursprünglichen Länge bewirkt worden wäre.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie treten dem Vortrag des Klägers entgegen und verteidigen die angefochtene Plangenehmigung.
Während des Klageverfahrens ist die Bahnsteigüberdachung in der durch die Plangenehmigung zugelassenen Bauweise fertig gestellt worden. Der Kläger hat eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens für seine Behauptung beantragt, dass die nachträgliche Errichtung der westlichen Überdachung technisch möglich und nicht mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wäre.
Entscheidungsgründe
II.
Die Klage ist unbegründet.
Die angefochtene Plangenehmigung verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er kann weder die beantragte teilweise Aufhebung der Plangenehmigung (Hauptantrag) noch die Anordnung aktiver Lärmschutzmaßnahmen (Hilfsantrag) beanspruchen.
1. Die durch die Verkürzung des Bahnsteigdachs bewirkte neue Lärmbetroffenheit, auf die der Kläger sich beruft, wenn er die Plangenehmigung als rechtswidrig bezeichnet, ist entgegen seiner Ansicht nicht nach dem Maßstab zu beurteilen, den § 41 Abs. 1 BImSchG und die 16. BImSchV für den Fall der wesentlichen Änderung eines Schienenwegs (vgl. die Überschrift von § 41 BImSchG und § 1 Abs. 1 der 16. BImSchV) vorgeben. Die Plangenehmigung (S. 13) geht zutreffend davon aus, dass der immissionsschutzrechtliche Begriff des Schienenwegs nur die Teile einer Eisenbahntrasse umfasst, die typischerweise geeignet sind, auf die Lärmverursachung Einfluss zu nehmen. Dazu gehört die Gleisanlage mit ihrem Unter- und Oberbau einschließlich einer Oberleitung (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai1998 – BVerwG 11 C 3.97 – Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 18, S. 49 = NVwZ 1999, 67 ≪68≫; Urteil vom 14. November 2001 – BVerwG 11 A 31.00 – BVerwGE 115, 237 ≪insoweit nicht abgedruckt≫ = NVwZ 2002, 733 ≪734≫). Wenn – wie hier – eine sonstige Betriebsanlage der Eisenbahn geändert wird, ist deswegen aus dem Umstand, dass dieses Vorhaben dem Planfeststellungsvorbehalt des § 18 Abs. 1 Satz 1 AEG unterfällt, nicht zu folgern, dass zugleich eine wesentliche Änderung i.S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 der 16. BImSchV vorliegt, die im Falle der Überschreitung der Immissionsgrenzwerte des § 2 der 16. BImSchV zwingend Ansprüche auf Lärmschutz auslöst.
Die Besorgnis des Klägers, dass die zitierte Rechtsprechung in der Praxis zu unausgewogenen Ergebnissen führen könne, ist unbegründet. Der erkennende Senat hält deswegen nach erneuter Überprüfung an seiner Auslegung des § 41 BImSchG fest. Soweit der dieser Vorschrift zu entnehmende kodifikatorische Anspruch nicht durchgreift, weil eine wesentliche Änderung des Schienenwegs zu verneinen ist, hat die Rechtsprechung anerkannt, dass der Anwendungsbereich von § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG eröffnet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Februar 1995 – BVerwG 4 C 26.93 – BVerwGE 97, 367 ≪371≫; Urteil vom 17. November 1999 – BVerwG 11 A 4.98 – BVerwGE 110, 81 ≪88≫). Die dort normierte Auflagenschwelle stellt für den Planbetroffenen sicher, dass er vorhabenbedingte Nachteile nicht zu dulden hat, wenn sie ihm ohne Ausgleich nicht zumutbar wären (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2002 – BVerwG 4 A 44.00 – NVwZ 2003, 209 ≪210≫). Das gilt auch für verkehrsbedingte Lärmeinwirkungen, die von einem Vorhaben ausgehen, das die Fachplanung unter Überwindung entgegenstehender kommunaler Belange zugelassen hat.
2. Allerdings sind im vorliegenden Fall auch die Anspruchsvoraussetzungen des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nicht erfüllt. Zwar kann sich der Senat den Erwägungen, mit denen die Plangenehmigung eine Rechtsbeeinträchtigung verneint hat (S. 30), nicht uneingeschränkt anschließen. Im Ergebnis beruft sich der Kläger aber ohne Erfolg darauf, die Plangenehmigung beeinträchtige seine Rechte (vgl. auch § 18 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AEG).
a) Die kommunale Planungshoheit, auf deren Verletzung sich der Kläger beruft, verschafft der Gemeinde grundsätzlich keine Rechtsposition, die von der Fachplanung nicht im Wege der Abwägung überwunden werden kann. Selbst der Fachplanung entgegenstehende Festsetzungen eines Bebauungsplans sind nur als ein abwägungserheblicher Gemeinwohlbelang zu berücksichtigen (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 24. November 1994 – BVerwG 7 C 25.93 – BVerwGE 97, 143 ≪153≫). Erst recht hat das für konkrete Planungsabsichten einer Gemeinde zu gelten, die noch nicht in einem Bebauungsplan Ausdruck gefunden haben. Hierauf muss die Fachplanung lediglich abwägend so weit wie möglich Rücksicht nehmen, nämlich in der Weise, dass durch die Fachplanung von der Gemeinde konkret in Betracht gezogene städtebauliche Planungsmöglichkeiten nicht unnötigerweise “verbaut” werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 – BVerwG 4 C 26.94 – BVerwGE 100, 388 ≪394≫).
Ausnahmen von dem Grundsatz, dass die kommunale Planungshoheit fachplanerisch im Wege der Abwägung überwindbar ist, sind zwar denkbar. So kommt etwa in Betracht, dass sich eine Gemeinde mit Erfolg gegen die fachplanerische Zulassung eines Vorhabens zur Wehr setzen kann, wenn dieses wegen seiner Großräumigkeit wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzieht (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 27. März 1992 – BVerwG 7 C 18.91 – BVerwGE 90, 96 ≪100≫). Die vorliegende Fallgestaltung rechtfertigt die Annahme einer solchen Ausnahme jedoch nicht.
b) Wie im Sachbericht im Einzelnen dargestellt wurde, haben der Kläger und der Rechtsvorgänger der Beigeladenen hinsichtlich des “Stadtquartiers Lehrter Bahnhof” gemeinsame planerische Vorstellungen entwickelt. Ohne dass es auf die Ergebnisse der unzähligen “Abstimmungsrunden” im Einzelnen ankommt, kann insbesondere davon ausgegangen werden, dass auch in der planfestgestellten Gestaltung des neuen Lehrter Bahnhofs einschließlich seiner Überdachung eine abgestimmte Planungsvorstellung der Vorhabenträger Ausdruck gefunden hat. Es kann ferner als richtig unterstellt werden, dass der Kläger – wie er im Übrigen durch Vorlage des im Bebauungsplanverfahren eingeholten schalltechnischen Gutachtens vom 5. Dezember 1996 belegt hat – seine planerischen Aussagen zu der Blockbebauung, die südlich des Bahnhofs entstehen soll, an dem Schallschutz orientiert hat, den die planfestgestellte Bahnsteigüberdachung geboten hätte. Das Vertrauen, das er in die Beibehaltung dieses Schallschutzes gesetzt hat, ist jedoch nicht in der Weise schutzwürdig, dass der Kläger gegen die nachträgliche Änderung der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung mit Erfolg den Einwand erheben könnte, zumindest ohne die Anordnung eines gleichwertigen Schallschutzes werde er in seinen Rechten verletzt. Einen derart weitgehenden Schutz seiner Belange gibt die Rechtsordnung nicht her.
c) Auszugehen ist von den Rechtswirkungen der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung. Den Erlass der angefochtenen Plangenehmigung hinderte kein Planbefolgungsanspruch aus dem Planfeststellungsbeschluss vom 12. September 1995. Der Kläger macht selbst nicht geltend, dass der Planfeststellungsbeschluss hinsichtlich der Bahnsteigüberdachung mehr als eine Bauerlaubnis enthält. Der Gedanke, dass das Dach wegen seiner schalldämmenden Wirkung zugleich als Lärmschutzvorrichtung festgesetzt worden sein könnte, ist auch nicht nahe liegend. Die Plangenehmigung (S. 12 f.) weist zutreffend darauf hin, dass die abschirmende Wirkung des Bahnhofsgebäudes in der schalltechnischen Untersuchung, die Grundlage der Planfeststellung geworden ist, nicht berücksichtigt wurde. Dies entsprach der Regel der Schall 03, auf die in der Anlage 2 zur 16. BImSchV verwiesen wird und wonach Bahnhöfe wie eine “freie Strecke” gerechnet werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2000 – BVerwG 11 A 7.00 – NVwZ-RR 2001, 360). Das Ergebnis, dass aktiver Lärmschutz nicht anzuordnen war, weil in der Umgebung des geplanten Bahnhofs seinerzeit eine schutzwürdige Nutzung nicht zu berücksichtigen war, ist rückblickend auch nicht rechtlich zu beanstanden.
d) Die übrigen Rechtswirkungen der Planfeststellung rechtfertigen einen Planbefolgungs- oder Plangewährleistungsanspruch hinsichtlich der Bahnsteigüberdachung ebenso wenig. Die Planfeststellung bewirkt, dass für das Vorhaben die Verbotswirkung des in § 18 Abs. 1 Satz 1 AEG normierten Erlaubnisvorbehalts entfällt. Das ist die in § 75 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwVfG angesprochene und vom Vorhabenträger mit seinem Antrag angestrebte Genehmigungswirkung der Planfeststellung. Dritten gegenüber geht sie mit der Gestaltungs- und Ausschlusswirkung einher, die in § 75 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 VwVfG geregelt ist. Einen Schutz des Vertrauens in die unveränderte Verwirklichung des planfestgestellten Vorhabens kennt das Gesetz nicht. Dies lässt sich mittelbar der Regelung in § 20 Abs. 4 Satz 1 AEG entnehmen, wonach eine eisenbahnrechtliche Planfeststellung, deren Durchführung nicht innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit begonnen worden ist, außer Kraft tritt, es sei denn, sie wird auf Antrag hin, den nur der Vorhabenträger stellen kann, befristet verlängert. Auch vor Ablauf der genannten Fristen haben Dritte keinen Anspruch auf Plangewährleistung. § 76 VwVfG lässt vor Fertigstellung des Vorhabens ein Planänderungsverfahren zu. Eine Änderung, die Belange anderer berührt, darf danach zwar nur nach Durchführung eines Anhörungsverfahrens zugelassen werden. Das heißt aber nicht, dass Dritte eine Planänderung verhindern können, weil sie auf die Verwirklichung der Planfeststellung vertraut haben. Wenn die Planänderung – wie hier – zum Gegenstand einer Plangenehmigung nach § 18 Abs. 2 AEG gemacht (vgl. dazu z.B. Dürr, in: Knack, VwVfG, 7. Aufl. 2000, § 76 Rn. 35) und deswegen auf ein Anhörungsverfahren nach § 20 Abs. 1 AEG i.V.m. § 73 VwVfG verzichtet wird, gilt nichts anderes.
e) Der Hinweis des vom Kläger herangezogenen Gutachters, dass – wie bei der Zulassung von Bahnanlagen, die einer Mischnutzung zugeführt werden sollen – auch die Probleme einer Überplanung von nicht länger benötigtem und für die Entwidmung vorgesehenem Bahngelände nur durch eine “Verbundplanung” bewältigt werden können, rechtfertigt kein abweichendes Ergebnis. Anzumerken ist vorweg, dass der Gutachter aus den Rücksichtnahmepflichten, die aus einer wechselseitigen Abstimmung für die Planungsträger erwachsen sollen, selbst offenbar nicht folgern will, dass die im vorliegenden Fall in Rede stehende Änderungsplanung von einer Einverständniserklärung des Klägers abhängig war. Die Forderung nach einer “Verbundplanung” zielt in Fällen der Mischnutzung aber gerade darauf ab, die erweiterte Zuständigkeit, die der Planfeststellungsbehörde kraft Sachzusammenhangs für fremd genutzte Anlagenteile zuwachsen soll, dadurch wieder einzuschränken, dass diese Kompetenz “dann freilich im Einvernehmen mit der Gemeinde” (so Ronellenfitsch, “Bahnhof 2000” in: Speyerer Forschungsberichte 175, S. 213 ≪233≫) auszuüben sei, was sich aus der Vorschrift des § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB ergebe, die die kommunale Planungshoheit sichere (S. 272). Ob diesem Lösungsansatz beim Problem der Mischnutzung zu folgen ist, mag dahinstehen. Denn im Fall der Bahnsteigüberdachung des Lehrter Bahnhofs beruht die abgestimmte Planungsvorstellung nicht darauf, dass die Planfeststellungsbehörde eine “überschießende” Abwägungskompetenz (S. 261) wahrgenommen hätte. Zumindest dieser Teil des Bahnhofs ist ausschließlich eine Bahnanlage und hat mit der in anderen Bereichen angestrebten Mischnutzung nichts zu tun. Eine Anwendung von § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB scheidet insoweit im Falle einer Planänderung aus. Für einen Vertrauensschutz, der sich in der Anerkennung einer “abwägungsfesten” Rechtsposition äußern könnte, ist aber ebenso wenig eine Rechtsgrundlage ersichtlich. Wenn in räumlicher und zeitlicher Hinsicht konkurrierende Planungsträger Wert darauf legen, eine rechtliche Bindung an gemeinsam erarbeiteten Planungsvorstellungen zu erzeugen, kommt zu diesem Zweck nur der Abschluss eines öffentlichrechtlichen Vertrages (vgl. § 54 Satz 1 VwVfG) in Betracht. Dass hinsichtlich der Gestaltung der Bahnsteigüberdachung ein Vertragsschluss zustande gekommen ist, behauptet der Kläger nicht.
f) Auch die hier vom Kläger ins Feld geführte kommunale Finanzhoheit bietet ihm keine weitergehenden Abwehrrechte gegen die angefochtene Plangenehmigung. Von einer nicht mehr zu bewältigenden Einengung der Finanzspielräume (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1997 – BVerwG 11 A 65.95 – Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 27; Urteil vom 27. August 1997 – BVerwG 11 A 18.96 – NVwZ-RR 1998, 290 ≪292≫) kann mangels eines entsprechenden klägerischen Vortrags nicht ausgegangen werden.
3. Bleibt die durch die Planänderung ausgelöste Beeinträchtigung unterhalb der Auflagenschwelle des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, hatte der Kläger nur einen Anspruch darauf, dass seine gegenläufigen Belange mit dem ihnen zukommenden Gewicht abwägend berücksichtigt wurden (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 2 AEG). Diesem Erfordernis ist bei Erlass der Plangenehmigung genügt worden.
a) Grundsätzlich hat diejenige Planung Rücksicht auf die konkurrierende Planung zu nehmen, die den zeitlichen Vorsprung hat und hinreichend verfestigt ist (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 5. November 2002 – BVerwG 9 VR 14.02 – UPR 2003, 152). Diesen Prioritätsgrundsatz hat die Plangenehmigung ihrer Abwägung zugrunde gelegt. Die Plangenehmigung geht nämlich davon aus, dass die Bauleitplanung vor der Änderungsplanung für die Bahnsteigüberdachung Planungsreife erlangt hatte. Obwohl in der Plangenehmigung (S. 30) von der fehlenden kommunalen Planungshoheit die Rede ist, sind die konkurrierenden Planungsvorstellungen des Klägers abwägend berücksichtigt worden. Es kann auch nicht angenommen werden, dass dabei den Belangen des Klägers ein zu geringes Gewicht beigemessen worden ist. Die Plangenehmigung (S. 29 f.) geht nämlich ausdrücklich “von einer erheblichen und nachhaltigen Störung der kommunalen Planungsabsicht in Bezug auf den B-Planentwurf II-201a” aus und meint lediglich, dass darin zu sehende städtebauliche Belange mit anderen, für das Vorhaben sprechenden Belangen überwunden werden können. Dagegen ist nichts zu erinnern.
b) Der Planungsbehörde kann keine Fehlgewichtung vorgeworfen werden. Der Kläger trägt selbst nicht substantiiert vor, dass die Beschleunigung der Bauabläufe, die mit der Planänderung angestrebt wurde, etwa nur ein Vorwand oder aus anderen Gründen nicht hinreichend gewichtig war, um den Vorzug vor den gegenläufigen Planungsvorstellungen erlangen zu können, die in dem Bebauungsplanentwurf II-201a Ausdruck erlangt haben. Dass die Bemühungen der Beigeladenen, durch die Dachverkürzung die Inbetriebnahme des Lehrter Bahnhofs für das Jahr 2006 sicherzustellen, auch im wohlverstandenen Interesse des Klägers lagen, ist in der Plangenehmigung (S. 38) berücksichtigt worden und erscheint einleuchtend. Die Beigeladene hat in diesem Zusammenhang unwidersprochen auf Pressemeldungen verwiesen, denen zu entnehmen ist, dass die Planänderung – zumindest unter diesem Aspekt – von maßgeblichen Entscheidungsträgern des Klägers öffentlich begrüßt worden ist.
c) Was das Gewicht der in die Abwägung eingestellten Belange des Klägers angeht, ist die Einstufung der von der Planänderung ausgehenden Beeinträchtigung als eher konservativ zu bezeichnen. Objektiv betrachtet spricht nichts dafür, dass durch die Lärmerhöhung, wie sie in der im Klageverfahren vom Kläger vorgelegten schalltechnischen Untersuchung vom 9. Mai 2003 beschrieben wird, das mit dem Bebauungsplanentwurf II-201a angestrebte Ziel, das “Stadtquartier Lehrter Bahnhof” durch einen erheblichen Anteil von Wohnnutzung ausgewogen und damit attraktiv zu gestalten, insgesamt in Frage gestellt wird. Eine Planungskonzeption wird nämlich nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1998 – BVerwG 4 CN 3.97 – BVerwGE 108, 71 ≪76≫). Nach den Aussagen des Lärmgutachtens sind lediglich einige trassennahe Bereiche der Blockbebauung zukünftig extrem lärmbelastet. Es verbleiben dem Kläger aus diesem Grunde ausreichende planerische Spielräume, die Bauleitplanung – unter Berücksichtigung der sich aus der DIN 18005-1 (Ausgabe Juli 2002) ergebenden Anforderungen – der veränderten Lärmsituation anzupassen, ohne dabei die ursprüngliche Planungskonzeption aufzugeben.
4. Dem Beweisantrag des Klägers ist der Senat nicht gefolgt. Die unter Beweis gestellte Behauptung war für seine Entscheidung ohne Belang. Die Frage, ob die nachträgliche Errichtung der westlichen Überdachung technisch möglich ist und welcher Aufwand hierfür ggf. erforderlich wäre, ist in der mündlichen Verhandlung nur erörtert worden, um Möglichkeiten für eine vergleichsweise Erledigung des Rechtsstreits zu sondieren.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Hien, Dr. Storost, Vallendar, Prof. Dr. Rubel, Dr. Eichberger
Fundstellen
Haufe-Index 954302 |
NuR 2004, 658 |
DVBl. 2004, 263 |