Entscheidungsstichwort (Thema)
Alkoholische Getränke. Berufsausübung. feststellender Verwaltungsakt. Fußgänger. Genussmittel. kleinere Menge. Konkretisierung. Kraftfahrer. Kraftfahrzeugverkehr. Kundenkreis. Ladenöffnungszeiten. Ladenschlusszeiten. Mengenbeschränkung. Nachtzeit. Nichtreisende. Radfahrer. Reisebedarf. Reisende. Tankstelle. Verkaufsverbot. Versorgungsbedürfnis. Wettbewerbsneutralität. Zweck
Leitsatz (amtlich)
Erlaubt eine landesgesetzliche Regelung der Ladenöffnungszeiten Tankstellen nachts die Abgabe von Genussmitteln in “kleineren Mengen” als Reisebedarf, ist es mit Art. 12 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, den Verkauf alkoholischer Getränke mengenmäßig zu beschränken und den zulässigen Kundenkreis auf Kraftfahrer und deren Mitfahrer zu begrenzen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 70 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, Art. 103 Abs. 2, Art. 125a Abs. 1; LadSchlG § 6 Abs. 2; VwGO § 68 Abs. 1 S. 1, § 79 Abs. 1 Nr. 1; VwVfG § 28 Abs. 1; LadöffnG § 2 Abs. 2, § 6 S. 2, § 14 Abs. 2 S. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 19.03.2009; Aktenzeichen 6 A 11325/08) |
VG Neustadt a.d. Weinstraße (Urteil vom 13.11.2008; Aktenzeichen 4 K 816/08.NW) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19. März 2009 ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der Kläger wendet sich gegen einen inhaltsgleich an sämtliche Tankstellenbetreiber im Stadtgebiet gerichteten Bescheid der Beklagten, mit dem ihm Verkaufsbeschränkungen für die Abgabe alkoholischer Getränke an der von ihm betriebenen Tankstelle aufgegeben worden sind.
Rz. 2
Mit Verfügung vom 12. November 2007 untersagte die Beklagte dem Kläger ohne vorherige Anhörung den Verkauf alkoholischer Getränke in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr (Nr. 1 des Verfügungstenors) und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld an. Zur Begründung führte sie aus, die Tankstellen im Stadtgebiet würden an allen Tagen nach 22.00 Uhr alkoholische Getränke verkaufen. Dies geschehe größtenteils nicht im Zusammenhang mit der Betankung eines Fahrzeugs. Vielmehr suchten Kunden die Tankstellen allein zum Zweck des Erwerbs alkoholischer Getränke auf. Der Alkoholverkauf an Tankstellen nach 22.00 Uhr an Jedermann verstoße gegen Bestimmungen des Ladenöffnungsgesetzes Rheinland-Pfalz (LadöffnG). Gemäß § 6 i.V.m. § 2 Abs. 2 LadöffnG dürfe an Tankstellen in dem genannten Zeitraum neben Betriebsstoffen und Ersatzteilen für Kraftfahrzeuge nur Reisebedarf abgegeben werden. Nach dem Regelungszweck könne es sich dabei nur um Waren handeln, an denen ein Reisender Bedarf habe.
Rz. 3
Nachdem der Kläger dagegen Widerspruch erhoben hatte, änderte die Beklagte die Verfügung dahin ab, dass sie Ausnahmen vom Verkaufsverbot vorsah (Nr. 1 Satz 2 des Tenors). Zulässig blieb danach in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr der Verkauf von
– alkoholischen Getränken mit einem Alkoholgehalt bis zu 8 Volumenprozent in einer Menge bis zu 2 Liter pro Person oder
– alkoholischen Getränken mit einem Alkoholgehalt von über 8 bis 14 Volumenprozent in einer Menge bis zu 1 Liter pro Person oder
– alkoholischen Getränken mit einem Alkoholgehalt von über 14 Volumenprozent in einer Menge bis zu 0,1 Liter pro Person
als Reisebedarf an Reisende.
Rz. 4
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2008 wies der Stadtrechtsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 13. November 2008 abgewiesen.
Rz. 5
Auf die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des Klägers modifizierte die Beklagte mit Schriftsatz vom 17. März 2009 den Bescheidtenor in Nr. 1 Satz 2 dahingehend, dass sie den Begriff der Reisenden als “Kraftfahrer/innen und deren Mitfahrer/innen” (im Folgenden: Kraftfahrer und deren Mitfahrer) konkretisierte. Mit Urteil vom 19. März 2009 hat das Oberverwaltungsgericht die Zwangsmittelandrohung aufgehoben und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen. Die verfügte Beschränkung für den Verkauf alkoholischer Getränke finde ihre Rechtsgrundlage in § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG, wonach die zuständigen Behörden die Einhaltung des Ladenöffnungsgesetzes überwachten und die in diesem Zusammenhang erforderlichen Maßnahmen anordnen könnten. Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung sei nicht vom Vorliegen einer konkreten Gefahr abhängig. § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG ermächtige auch zur verbindlichen Klarstellung oder Konkretisierung der im Ladenöffnungsgesetz normierten Pflichten. Anlass für eine solche klarstellende Verfügung könnten auch Meinungsverschiedenheiten zwischen Behörde und Normadressaten sein. Die Ausgangsverfügung sei zwar nicht als Reaktion auf eine festgestellte oder drohende Zuwiderhandlung des Klägers und mangels Anhörung auch nicht aus Klarstellungsgründen ergangen. Jedenfalls im Widerspruchsverfahren hätten aber unterschiedliche Auffassungen bestanden.
Rz. 6
Die Verfügung der Beklagten konkretisiere in zulässiger Weise die Ausnahmeregelung in § 6 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 LadöffnG. Die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch die Verwaltung stelle keinen Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes dar. Der Gesetzgeber dürfe sich grundsätzlich unbestimmter Gesetzesbegriffe bedienen, müsse allerdings dabei wesentliche Bestimmungen selbst treffen. Die gesetzliche Formulierung “Genussmittel in kleineren Mengen” werde diesen Anforderungen gerecht und sei auch hinreichend bestimmt.
Rz. 7
Die Beklagte habe den Begriff des Reisebedarfs zutreffend ausgelegt. Die Beschränkung des Kundenkreises auf Reisende, das heißt Kraftfahrer und deren Mitfahrer, sei dem Wortlaut der maßgeblichen Vorschriften im Ladenöffnungsgesetz zwar nicht unmittelbar zu entnehmen. § 2 Abs. 2 LadöffnG gebe aber einen gewissen Anhaltspunkt für eine solche Sichtweise. Gesetzesbegründung, Systematik sowie Sinn und Zweck der § 6 Satz 2, § 2 Abs. 2 LadöffnG bestätigten dies. Nur zugunsten des Personenkreises der Kraftfahrer und Mitfahrer bestehe die Sonderregelung für Tankstellen.
Rz. 8
Die in der Verfügung erfolgte Festlegung der zulässigen Verkaufsmengen sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Quantifizierung der “Genussmittel in kleineren Mengen” müsse an dem Begriff des Reisebedarfs orientiert werden. Es könne sich nur um eine Menge handeln, die zum Verbrauch des Reisenden oder eines Begleiters bestimmt sein könne oder als Reisemitbringsel geeignet sei. Gemessen daran erscheine die getroffene Regelung großzügig, zumal die Beschränkung auf eine “kleinere Menge” in besonderem Maße für den Verbrauch alkoholischer Getränke durch den Fahrer eines Kraftfahrzeugs gelte. Die Deckung eines typischerweise auf Reisen entstehenden Bedarfs sei ausreichend gesichert.
Rz. 9
Die angefochtene Verfügung genüge den Bestimmtheitsanforderungen und sei ermessensgerecht. Die erläuternde Formulierung “Kraftfahrer und deren Mitfahrer” verdeutliche, dass als Kraftfahrer nicht jeder Führerscheininhaber oder Halter eines Kraftfahrzeugs gelte, sondern nur derjenige, der als Fahrer eines Kraftfahrzeugs Reisebedarf erwerben wolle. Nicht ermessensfehlerhaft sei es, dass die Beklagte ihre Anordnung auf alkoholische Getränke sowie auf die Nachtzeit beschränkt habe. Nur insoweit habe sie aufgrund bestimmter Vorkommnisse einen Handlungsbedarf gesehen. Dass sie damit gleichzeitig auf die Beachtung weiterer gesetzlicher Bestimmungen habe hinwirken wollen, stelle ebenso wenig einen Ermessensfehlgebrauch dar wie das einheitliche Vorgehen gegen alle Tankstellenbetreiber im Stadtgebiet. Die dem Kläger aufgebürdete Pflicht, seine Kunden zu überprüfen, sei nicht unzumutbar. Es lasse sich im Allgemeinen mit vertretbarem Aufwand feststellen, ob ein Kunde als Fahrer oder Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs zur Tankstelle gelangt sei.
Rz. 10
Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Auslegung des § 6 Satz 2 LadöffnG durch das Oberverwaltungsgericht verletze Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie andere Verbraucher als Kraftfahrer und deren Mitfahrer als Kunden ausschließe. Darüber hinaus verstoße die berufungsgerichtliche Auslegung gegen Art. 12 Abs. 1 GG und das Bestimmtheitsgebot. Die Auslegung entgegen dem Wortsinn sei zudem nicht mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar. Es verstoße gegen das Analogieverbot, wenn unter Überschreitung der Wortlautgrenze eine Ordnungswidrigkeit angenommen werde. Mit § 68 Abs. 1 VwGO und Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar sei, dass das Oberverwaltungsgericht die Einlegung und Begründung des Widerspruchs herangezogen habe, um einen hinreichenden Anlass für den Erlass der angefochtenen Verfügung zu bejahen.
Rz. 11
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 13. November 2008, das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19. März 2009 ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, soweit es die Berufung zurückweist, und der Bescheid der Beklagten vom 12. November 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2008, der Prozesserklärung vom 30. Oktober 2008 sowie des Schriftsatzes vom 17. März 2009 werden aufgehoben.
Rz. 12
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 13
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 14
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das angegriffene Urteil verletzt kein revisibles Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO.
Rz. 15
1. Nach § 137 Abs. 1 i.V.m. § 173 VwGO, § 560 ZPO ist der revisionsrechtlichen Beurteilung die berufungsgerichtliche Auslegung und Anwendung des irrevisiblen rheinland-pfälzischen Ladenöffnungsgesetzes zugrunde zu legen.
Rz. 16
Danach ist davon auszugehen, dass § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG die Beklagte ermächtigt, im Wege des Verwaltungsakts die sich aus § 6 Satz 2, § 2 Abs. 2 LadöffnG ergebenden Pflichten klarzustellen und zu konkretisieren, und dass es dazu nicht einer konkreten Gefahr bedarf, sondern hinreichender Anlass für eine derartige klarstellende Ordnungsverfügung auch Meinungsverschiedenheiten zwischen Behörde und Normadressat über die sich aus dem Ladenöffnungsgesetz ergebenden Rechte und Pflichten sein können. Des Weiteren ist für die revisionsrechtliche Prüfung zugrunde zu legen, dass § 6 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 LadöffnG den Verkauf alkoholischer Getränke an Tankstellen in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr ausschließlich an Reisende, das heißt Kraftfahrer und deren Mitfahrer, erlaubt. Ferner ist danach die von der Beklagten in der angefochtenen Verfügung festgelegte Mengenbeschränkung zur Bestimmung des Begriffs der “kleineren Menge” in § 2 Abs. 2 LadöffnG nicht zu beanstanden.
Rz. 17
Eine revisionsgerichtliche Kontrolle des irrevisiblen Landesrechts ist nicht deshalb eröffnet, weil das Oberverwaltungsgericht im Rahmen der Auslegung des Begriffs “Reisebedarf” in § 6 Satz 2, § 2 Abs. 2 LadöffnG auch auf Vorschriften des Gesetzes über den Ladenschluss (§ 2 Abs. 2, §§ 6, 9 Abs. 1 Satz 2 LadSchlG i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. Juni 2003, BGBl I S. 744, zuletzt geändert durch Verordnung vom 31. Oktober 2006, BGBl I S. 2407) eingegangen ist. Es hat die Bundesrechtsnormen lediglich als Interpretationshilfe für die Auslegung des Landesrechts herangezogen. Darin liegt keine revisionsgerichtlich überprüfbare Anwendung revisiblen Rechts (vgl. Urteile vom 21. September 2005 – BVerwG 6 C 16.04 – Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 40 S. 34 ≪38≫ und vom 31. März 2010 – BVerwG 8 C 16.08 – NVwZ 2010, 1157 Rn. 14 = Buchholz 415.1 Allg. KommunalR Nr. 175, jeweils m.w.N.).
Rz. 18
Die das Revisionsgericht bindende Auslegung und Anwendung des irrevisiblen Ladenöffnungsgesetzes sind revisionsrechtlich nur daraufhin zu prüfen, ob sie mit dem revisiblen Recht in Einklang stehen (vgl. z.B. Urteile vom 26. Februar 1974 – BVerwG 1 C 31.72 – BVerwGE 45, 51 ≪55≫ = Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 25 und vom 21. Juni 2006 – BVerwG 6 C 19.06 – BVerwGE 126, 149 Rn. 34 = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 264). Dies ist der Fall.
Rz. 19
2. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht dadurch gegen § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen, dass es aus dem Widerspruchsvorbringen des Klägers auf Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und der Beklagten über die sich aus § 6 Satz 2, § 2 Abs. 2 LadöffnG ergebenden Rechte und Pflichten geschlossen und infolge dessen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine klarstellende Ordnungsverfügung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG bejaht hat. Entgegen dem Revisionsvorbringen ergibt sich aus § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 19 Abs. 4 GG weder, dass das Oberverwaltungsgericht zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung auf den Zeitpunkt ihres Erlasses hätte abstellen müssen, noch dass es bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG das Widerspruchsvorbringen nicht hätte berücksichtigen dürfen. In der Einbeziehung des Widerspruchsvorbringens durch das Berufungsgericht liegt auch kein Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Rz. 20
a) Gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist Gegenstand der Anfechtungsklage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Im Verfahren der Anfechtungsklage ist daher für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts regelmäßig nicht auf den Zeitpunkt seines Erlasses abzustellen. Vielmehr ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Ergehens der Widerspruchsentscheidung maßgeblich (vgl. u.a. Beschluss vom 30. April 1996 – BVerwG 6 B 77.95 – Buchholz 310 § 79 VwGO Nr. 32 S. 5). Abweichend ist gegebenenfalls der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts zugrunde zu legen, sofern dies aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist (vgl. z.B. Urteil vom 15. November 2007 – BVerwG 1 C 45.06 – BVerwGE 130, 20 ≪22 f.≫ m.w.N. = Buchholz 402.242 § 55 AufenthG Nr. 7).
Rz. 21
Auf den Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides und nicht des Ausgangsbescheides ist regelmäßig auch dann abzustellen, wenn der Ausgangsbescheid an einem Rechtsfehler leidet, dieser Mangel jedoch aufgrund nachfolgender Maßnahmen im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung “geheilt” ist. Der Widerspruchsführer wird dadurch nicht benachteiligt. Er kann das Verfahren – wenn es nur um diesen Rechtsfehler ging – für erledigt erklären oder etwaige weitere Mängel ungehindert geltend machen (vgl. Beschluss vom 30. April 1996 a.a.O. S. 5 f.). Der Fall des Klägers gibt keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung. Dass der Kläger “erst” im Widerspruchsverfahren seine Rechtsauffassung zum Verständnis der Regelungen in § 6 Satz 2, § 2 Abs. 2 LadöffnG gegenüber der Beklagten vorgebracht hat, ist darauf zurückzuführen, dass die Beklagte fehlerhaft von einer Anhörung des Klägers abgesehen hatte. Bei einer ordnungsgemäßen Anhörung (§ 1 Abs. 1 LVwVfG RhPf i.V.m. § 28 Abs. 1 VwVfG) hätten die Meinungsverschiedenheiten, auf die sich das Berufungsgericht zur Begründung der Erforderlichkeit der angefochtenen Untersagungsverfügung gestützt hat, bereits vor Erlass der Verfügung zutage treten können. Der Verfahrensfehler rechtfertigt indes nicht, zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung auf den Zeitpunkt ihres Erlasses abzustellen. Denn der Anhörungsmangel ist nach § 1 Abs. 1 LVwVfG RhPf i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG geheilt worden, indem die Anhörung des Klägers im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt worden ist. Die im Interesse der Verfahrensökonomie vorgesehene Heilung eines Anhörungsmangels impliziert, dass in die Entscheidung über den Widerspruch auch solche Umstände einzubeziehen sind, die sich durch die nachgeholte Anhörung sei es zugunsten, sei es zum Nachteil des Betroffenen, neu ergeben.
Rz. 22
Etwas anderes folgt nicht daraus, dass der Kläger – ausgehend von der bindenden berufungsgerichtlichen Auslegung und Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG – durch die Wahrnehmung seines Widerspruchsrechts und seinen Vortrag im Widerspruchsverfahren unmittelbar dazu beigetragen hat, die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der angefochtenen Verfügung zu schaffen. Rechtlich erhebliche Interessen des Klägers sind insoweit nicht berührt. Namentlich geht seine Argumentation fehl, ein effektiver Rechtsschutz sei unter diesen Voraussetzungen verwehrt, weil der Verwaltungsakt stets als rechtmäßig beurteilt werden müsste, wenn man auf den Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung abstellte. Allein die Berücksichtigung des Widerspruchsvorbringens und ein daraus abgeleiteter Anlass für den Erlass eines Verwaltungsakts führen nicht dazu, dass dieser als rechtmäßig zu qualifizieren ist. Dazu müssen vielmehr zusätzlich die jeweiligen materiellrechtlichen Voraussetzungen im Übrigen vorliegen.
Rz. 23
b) Das Berufungsurteil verletzt danach auch nicht die in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Rechtsschutzgarantie. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert den Rechtsweg, wenn jemand geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die Rechtsschutzgarantie gewährleistet allerdings nicht selbst den sachlichen Bestand oder Inhalt einer als verletzt behaupteten Rechtsstellung; diese richtet sich vielmehr nach der Rechtsordnung im Übrigen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. September 2010 – 2 BvR 2349/08 – NVwZ-RR 2011, 1 ≪2≫ m.w.N.). Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sowie die Effektivität des Rechtsschutzes, das heißt eine tatsächlich wirksame und möglichst lückenlose gerichtliche Kontrolle (BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. Oktober 2010 – 2 BvR 1710/10 – juris Rn. 17 m.w.N.). Nach diesen Maßgaben begründet die berufungsgerichtliche Würdigung des Widerspruchsvorbringens des Klägers keinen Verstoß gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes. Für den Kläger ist weder verwaltungsbehördlicher- oder gerichtlicherseits eine unzumutbare Schranke für den Zugang zum Gericht errichtet worden noch ist die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes verkürzt worden.
Rz. 24
c) Vor diesem rechtlichen Hintergrund liegt auch die mit der Revision geltend gemachte Verletzung des rechtsstaatlichen Gebots des fairen Verfahrens nicht vor. Dies gilt gleichermaßen in Bezug auf das verwaltungsbehördliche Verfahren – für das der Grundsatz des fairen Verfahrens ebenfalls Geltung beansprucht (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. Mai 2009 – 1 BvR 1517/08 – NJW 2009, 3417 Rn. 28) – wie für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht. Aus demselben Grund ist der vom Kläger behauptete Gehörsverstoß nicht gegeben.
Rz. 25
3. Die Annahme des angegriffenen Urteils, § 6 Satz 2 LadöffnG erlaube die Abgabe von Reisebedarf nur an Kraftfahrer und deren Mitfahrer, verstößt nicht gegen die bundesgesetzliche Regelung in § 6 Abs. 2 LadSchlG. Den Bestimmungen des Ladenschlussgesetzes kommt für das Gebiet des Landes Rheinland-Pfalz keine Geltungskraft (mehr) zu. Mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl I S. 2034) ist die Gesetzgebungskompetenz für das Recht des Ladenschlusses in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder übertragen worden (Art. 70 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG). Das Gesetz über den Ladenschluss in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 2003 gilt zwar als Bundesrecht fort (Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG). Es kann aber nach Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG durch Landesrecht ersetzt werden. Von diesem Gesetzgebungsrecht hat das Land Rheinland-Pfalz mit dem Ladenöffnungsgesetz vom 21. November 2006 Gebrauch gemacht, indem es die Materie des Ladenschlusses respektive der Ladenöffnungszeiten vollumfänglich in eigener Verantwortung geregelt hat (LTDrucks 15/387 S. 12).
Rz. 26
4. Die berufungsgerichtliche Auslegung und Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG und des § 6 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 LadöffnG verletzen den Kläger nicht in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG.
Rz. 27
a) Die angefochtene Ordnungsverfügung greift in die Berufsausübungsfreiheit des Klägers ein, weil sie dessen berufliche Betätigung als Betreiber einer Tankstelle reglementiert. Mit den Anordnungen für den Verkauf alkoholischer Getränke in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr beschränkt die Verfügung den Kläger darin, den Kundenkreis sowie Art und Menge der abzugebenden Waren frei zu bestimmen (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 9. Oktober 2000 – 1 BvR 1627/95 – juris Rn. 27 und vom 29. September 2010 – 1 BvR 1789/10 – GewArch 2010, 489).
Rz. 28
b) Ein Eingriff in die Berufsfreiheit bedarf zu seiner Rechtfertigung gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage, die kompetenzgemäß erlassen worden ist. Der Eingriff muss zudem verhältnismäßig sein. Dies ist der Fall, wenn die Beschränkung der Berufsfreiheit durch hinreichende, der Art der betroffenen Betätigung und der Intensität des Eingriffs Rechnung tragende Gründe des Gemeinwohls legitimiert ist und die Beschränkung zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich ist sowie nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck steht. Gemessen daran ist die berufungsgerichtliche Auslegung und Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 6 Satz 2, § 2 Abs. 2 LadöffnG nicht zu beanstanden.
Rz. 29
aa) Ohne Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG hat das Oberverwaltungsgericht der Regelung in § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG – die wie das Ladenöffnungsgesetz im Übrigen kompetenzgemäß durch den Landesgesetzgeber erlassen worden ist (Art. 70 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) – die Befugnis der Beklagten entnommen, durch feststellenden Verwaltungsakt im Ladenöffnungsgesetz normierte Pflichten verbindlich klarzustellen und zu konkretisieren.
Rz. 30
Es ist den Verwaltungsbehörden nicht verwehrt, gesetzliche Ge- oder Verbote durch feststellenden Verwaltungsakt gegenüber dem Normadressaten zu konkretisieren (vgl. z.B. BVerwG, Urteile vom 24. Juni 1976 – BVerwG 1 C 56.74 – NJW 1977, 772 = Buchholz 451.20 § 14 GewO Nr. 12 und vom 16. Dezember 1977 – BVerwG 7 C 79.75 – Buchholz 442.03 § 52 GüKG Nr. 1 S. 1 ≪3≫; VGH Mannheim, Urteil vom 5. Dezember 2002 – 5 S 2625/01 – juris Rn. 24, 28 m.w.N.). Das Erfordernis einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung (vgl. Urteil vom 29. November 1985 – BVerwG 8 C 105.83 – BVerwGE 72, 265 ≪266≫ = Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 94 S. 15) ist hier nach der für den Senat bindenden berufungsgerichtlichen Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG erfüllt. Dies wird den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG gerecht.
Rz. 31
Der Klarstellung und Konkretisierung der sich aus § 6 Satz 2 LadöffnG ergebenden Pflichten in Gestalt einer Verbotsanordnung steht nicht entgegen, dass die Beklagte bei einer Nichtbefolgung der gesetzlichen Pflicht die Möglichkeit hat, ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einzuleiten (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c, Abs. 2 LadöffnG). Beide Maßnahmen sind von unterschiedlicher Art und nebeneinander zulässig (BVerwG, Urteile vom 24. Juni 1976 a.a.O. und vom 16. Dezember 1977 a.a.O.; VGH Mannheim, Urteil vom 5. Dezember 2002 a.a.O. Rn. 32).
Rz. 32
Aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsurteils, der rechtmäßige Erlass eines solchen klarstellenden und gesetzeskonkretisierenden Verwaltungsakts setze nicht eine konkrete Gefahr im Sinne des Gefahrenabwehrrechts voraus. Ein hinreichender Regelungsanlass könne sich auch aus Meinungsverschiedenheiten zwischen Behörde und Normadressaten über den Inhalt des in § 6 Satz 2 LadöffnG normierten Verkaufsverbots ergeben. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, auch im Vorfeld konkreter Gefahren Eingriffsermächtigungen zu schaffen, sofern die Eingriffsregelung ausreichend bestimmt ist und zwischen dem Anlass und den Auswirkungen des Eingriffs ein angemessenes Verhältnis besteht (vgl. Urteil vom 25. August 2004 – BVerwG 6 C 26.03 – BVerwGE 121, 345 ≪353≫ = Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 77). Beides ist hier der Fall. § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG ist hinreichend bestimmt. Dazu genügt, dass sich der Inhalt der Eingriffsbefugnis im Wege der Auslegung ermitteln lässt.
Rz. 33
Die Auswirkungen der angefochtenen Ordnungsverfügung stehen auch nicht außer Verhältnis zu ihren Erlassvoraussetzungen. Die Eingriffsintensität der Verfügung ist vergleichsweise gering, weil sie dem Kläger lediglich Verhaltenspflichten aufgibt, deren Einhaltung ihm schon – nach der bindenden Auslegung des Berufungsgerichts – das Ladenöffnungsgesetz selbst gebietet. Gemessen daran führt die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, es bestehe ein hinreichender Regelungsanlass für den Erlass der Ordnungsverfügung, nicht zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht des Klägers aus Art. 12 Abs. 1 GG. Das Berufungsgericht hat zugrunde gelegt, zwischen der Beklagten und dem Kläger hätten unterschiedliche Rechtsauffassungen zu dem Personenkreis bestanden, an den zur Nachtzeit alkoholische Getränke verkauft werden dürften. Der Kläger habe bestritten, alkoholische Getränke nachts ausschließlich an Reisende abgeben zu dürfen, und keine Bereitschaft erkennen lassen, die Abgabe von Reisebedarf während dieses Zeitraums auf Reisende zu beschränken. Auch habe der Kläger dasjenige, was er als “kleinere Menge” alkoholischer Getränke betrachte, nicht mit näheren Mengenangaben bezeichnet. Nach diesen für den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) durfte sich die Beklagte ermessensfehlerfrei veranlasst sehen, eine klarstellende und konkretisierende Regelung zu treffen.
Rz. 34
Die mit der Verfügung getroffene Verbotsanordnung ist geeignet, die Einhaltung der sich aus § 6 Satz 2 LadöffnG ergebenden Pflichten zu fördern. Sie stellt deren Inhalt klar. Die Eignung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Beklagte durch die Anordnung auch ordnungswidrigen Folgeerscheinungen des ungehinderten nächtlichen Verkaufs alkoholischer Getränke an Tankstellen (Lärmbelästigungen, Vermüllung) begegnen will. In der mengenmäßig unbegrenzten Abgabe alkoholischer Getränke sowie in der Abgabe auch an Nichtreisende liegt nach der Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht ein Verstoß gegen das Ladenöffnungsgesetz. Die mit der Ordnungsverfügung bezweckte Unterbindung dieses Verstoßes dient der Einhaltung des Gesetzes im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG und erweist sich mithin geeignet zur Zweckerreichung. Dass die Beklagte daneben auch die Bekämpfung von Folgeerscheinungen in den Blick genommen hat, ist in diesem Zusammenhang unbedenklich, zumal es sich dabei nicht um sachfremde Erwägungen handelt. Das Ladenöffnungsgesetz zielt ausdrücklich auch auf die Vermeidung immissionsschutzrechtlicher Probleme in der Nachtzeit ab (vgl. LTDrucks 15/387 S. 13, 14, 15).
Rz. 35
Das Einschreiten der Beklagten im Wege der Ordnungsverfügung erweist sich auch als erforderlich. Die Beklagte war nicht gehalten, sich zunächst auf ein Hinweis- und Informationsschreiben zu beschränken, um gegenüber dem Kläger die sich aus § 6 Satz 2 LadöffnG ergebenden Pflichten festzustellen. Sie durfte im Rahmen des ihr zukommenden Ermessensspielraums davon ausgehen, dass eine verbindliche Regelung, die gegebenenfalls von Maßnahmen des Verwaltungszwangs begleitet werden kann, effektiver auf eine Einhaltung der sich aus § 6 Satz 2 LadöffnG ergebenden Verkaufsbeschränkungen hinwirkt. Schließlich ist die Regelung im Verhältnis zu den Auswirkungen der Verfügung verhältnismäßig im engeren Sinne, weil die Anordnungen nicht über das hinausgehen, was sich unmittelbar aus § 6 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 LadöffnG ergibt, und diese Bestimmungen ihrerseits in der Auslegung, die sie durch das Berufungsgericht gefunden haben, mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar sind.
Rz. 36
bb) Die berufungsgerichtliche Auslegung des Begriffs des Reisebedarfs in § 6 Satz 2, § 2 Abs. 2 LadöffnG verletzt Art. 12 Abs. 1 GG nicht. Die Beschränkung des Kundenkreises auf Kraftfahrer und Mitfahrer ist durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls legitimiert und auch verhältnismäßig.
Rz. 37
Die Vorinstanz ist unter Auswertung der Gesetzesmaterialien (LTDrucks 15/387 S. 15 f.) davon ausgegangen, dass die Regelungen des Ladenöffnungsgesetzes in erster Linie den Schutz der Beschäftigten vor überlangen und sozial ungünstig liegenden Arbeitszeiten bezwecken. Mit der Ausnahmevorschrift des § 6 Satz 2 LadöffnG werde dem besonderen Versorgungsbedürfnis des Kraftfahrzeugverkehrs Rechnung getragen, auch während der allgemeinen Ladenschlusszeiten den Kraftstoff- und Reisebedarf decken zu können. Diesem Interesse der Kraftfahrer werde der Vorrang gegenüber dem Arbeitsschutzanliegen eingeräumt. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht die Gesichtspunkte der Wettbewerbsgleichheit und des Konkurrentenschutzes als Anliegen des Ladenöffnungsgesetzes festgestellt. Durch die Sonderregelung für den Verkauf von Reisebedarf an Tankstellen zur Nachtzeit solle die Wettbewerbsneutralität allenfalls unwesentlich zu Lasten anderer Einzelhändler beeinträchtigt werden. Bei diesen Zielsetzungen, die im Wesentlichen jenen des Ladenschlussgesetzes entsprechen, handelt es sich sämtlich um sachgerechte und vernünftige Gemeinwohlbelange (vgl. BVerfG, Urteile vom 16. Januar 2002 – 1 BvR 1236/99 – BVerfGE 104, 357 ≪360≫ und vom 9. Juni 2004 – 1 BvR 636/02 – BVerfGE 111, 10 ≪32 f., 41≫; BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1993 – BVerwG 1 C 17.91 – BVerwGE 94, 244 ≪250≫ = Buchholz 451.25 LadSchlG Nr. 28), die nicht in einem Ausschließlichkeitsverhältnis stehen. Während nach dem bindenden Auslegungsergebnis des Oberverwaltungsgerichts der Zweck des Arbeitsschutzes bei § 6 Satz 2 LadöffnG zurücktritt, lassen seine Ausführungen im Übrigen erkennen, dass dem Ziel der Deckung der Versorgungsbedürfnisse des Kraftfahrzeugverkehrs und dem Ziel der Sicherung der Wettbewerbsneutralität vergleichbares Gewicht zukommen soll. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Juni 2004 a.a.O. S. 41). Der Schutz vor Konkurrenz ist zwar nicht als eigenständiger Zweck zur Beschränkung der Berufsfreiheit anzuerkennen. Der Gesetzgeber darf aber Konkurrenzvorteile unterbinden, die mit der Verfolgung eines anderweitigen legitimen Schutzziels verbunden sein können (BVerfG, Urteil vom 9. Juni 2004 a.a.O. S. 33). Nach dem Normverständnis des Berufungsgerichts stehen der Versorgungszweck und das Anliegen des Konkurrentenschutzes in einem auf eine Zweckbalance ausgerichteten Verhältnis.
Rz. 38
Die Eignung eines Mittels setzt nur voraus, dass mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Dazu genügt die Möglichkeit der Zweckerreichung. Insoweit steht dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Prognosevorrang zu (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. September 2010 a.a.O. S. 490). Danach steht nicht in Frage, dass die vom Berufungsgericht angenommene Verkaufsbeschränkung des § 6 Satz 2, § 2 Abs. 2 LadöffnG sowohl geeignet ist, die vom Landesgesetzgeber bezweckte Befriedigung des Versorgungsbedürfnisses des Kraftfahrzeugverkehrs zu erreichen, als auch dem Ziel der Wettbewerbsneutralität Rechnung zu tragen. Die Ausnahme von den Ladenschlusszeiten zugunsten der Tankstellen dient dem Interesse der Kraftfahrzeugreisenden am Erhalt der Mobilität auch zur Nachtzeit, indem sie ihren Kraftstoff- und Reisebedarf decken können. Die Eingrenzung des zulässigen Kundenkreises auf Kraftfahrer und Mitfahrer sowie die Beschränkung des Warenangebots auf Reisebedarfsartikel trägt zur Wettbewerbsneutralität bei. Denn erlaubt § 6 Satz 2 LadöffnG den Tankstellen die Abgabe der in § 2 Abs. 2 LadöffnG genannten Waren nur an Reisende, sind die Auswirkungen auf die übrigen Einzelhändler regelmäßig gering (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Juni 2004 a.a.O. S. 42). Das restriktive Normverständnis trägt ferner dem nach Annahme des Oberverwaltungsgerichts gesetzlich intendierten Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung, der im Hinblick auf den mit dem Ladenöffnungsgesetz verfolgten Hauptzweck des Arbeitszeitschutzes eine enge Auslegung des Privilegierungstatbestandes in § 6 Satz 2 LadöffnG nahelegt. Dem widerspricht eine Freigabe des nächtlichen Warenverkaufs auch an Nichtreisende, weil Umsatzsteigerungen zu einem erhöhten Personaleinsatz führen könnten.
Rz. 39
Die Eignung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Effektivität des Verbots, zur Nachtzeit an Nichtreisende Waren zu verkaufen, von der Ausübung einer entsprechenden Kundenkontrolle durch die Tankstellenbetreiber abhängt. Nach den bindenden Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts kann vergleichsweise einfach festgestellt werden, ob ein Kunde aus einem Kraftfahrzeug ausgestiegen oder mit dem Fahrrad oder zu Fuß zur Tankstelle gekommen ist, weil das an der Kasse einer Tankstelle eingesetzte Personal den Zu- und Abfahrtsbereich sowie den Bereich der Tanksäulen “im Auge behalte”. Für ein im Gesetz angelegtes strukturelles Vollzugsdefizit fehlt es danach an Anhaltspunkten. Soweit nicht völlig auszuschließen ist, dass es infolge von Kontrollmängeln gleichwohl zu einem Verkauf an Nichtreisende kommt, zieht dies die grundsätzliche Eignung der in § 6 Satz 2 LadöffnG vorgesehenen Verkaufsregelung nicht in Zweifel.
Rz. 40
Die Normauslegung des Oberverwaltungsgerichts unterliegt auch hinsichtlich der Erforderlichkeit der von § 6 Satz 2 LadöffnG ausgehenden Beschränkungen der Berufsausübung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit des Mittels steht dem Gesetzgeber ebenfalls eine Einschätzungsprärogative zu (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. September 2010 a.a.O. S. 490 m.w.N.). Danach kann die von dem Kläger favorisierte Interpretation des § 6 Satz 2 LadöffnG im Sinne eines lediglich produktbezogenen Verkaufsverbots nicht als gleich wirksames Mittel angesehen werden. Es ist nicht ersichtlich, dass bei einer Freigabe des nächtlichen Warenverkaufs an Tankstellen auch an Nichtreisende, also an jedweden Kundenkreis, die Wettbewerbssituation der nicht privilegierten Einzelhändler gleichermaßen geschützt ist wie bei einer kundenbezogenen Verkaufsbeschränkung. Der Gesetzgeber durfte annehmen, eine restriktive Regelung tangiere die Wettbewerbsinteressen der nicht privilegierten Verkaufsstellen weniger, weil bei einem beschränkten Kundenkreis weniger Umsatz durch die Tankstellenbetriebe abgezogen wird.
Rz. 41
Die (auch) kundenbezogene Interpretation des Begriffs des Reisebedarfs in § 6 Satz 2 LadöffnG führt schließlich nicht zu einer unangemessenen Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit der Tankstellenbetreiber. Anhaltspunkte für eine wirtschaftlich unzumutbare Belastung lassen sich den bindenden Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht entnehmen. Dies gilt auch in Ansehung der Kontrollaufgaben, die – wie ausgeführt – einen vergleichsweise geringen Prüfaufwand verursachen.
Rz. 42
cc) Ebenfalls ohne Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, die von der Beklagten verfügten Mengenbeschränkungen für den Verkauf alkoholischer Getränke seien nicht zu beanstanden. Die in der Ordnungsverfügung vorgenommene Quantifizierung des Begriffs der “Genussmittel in kleineren Mengen” stellt eine zulässige Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der “kleineren Menge” dar, die der einheitlichen Handhabung und effizienten Kontrolle der Einhaltung des Ladenöffnungsgesetzes dient und die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Klägers nicht unzumutbar beschränkt.
Rz. 43
Als unbestimmter Rechtsbegriff bedarf die Formulierung der “kleineren Mengen” in § 2 Abs. 2 LadöffnG bei der Rechtsanwendung der Präzisierung. Die Aufgabe der Präzisierung und Konkretisierung obliegt – ungeachtet der etwaigen nachfolgenden uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung – zunächst den zuständigen Verwaltungsbehörden (vgl. Urteil vom 25. November 1993 – BVerwG 3 C 38.91 – BVerwGE 94, 307 ≪309≫ = Buchholz 418.72 WeinG Nr. 24). Um eine aus Gründen des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) gebotene einheitliche Verwaltungspraxis in ihrem Zuständigkeitsbereich zu gewährleisten und einen effizienten Verwaltungsvollzug zu ermöglichen, durfte die Beklagte gegenüber den Tankstellenbetreibern im Stadtgebiet den Begriff der “kleineren Mengen” von alkoholischen Getränken präzisierend ausfüllen. Dabei ist ihr mit Rücksicht auf die Verwaltungspraktikabilität auch nicht verwehrt, die Konkretisierung an einem typischerweise auftretenden Bedarf auszurichten.
Rz. 44
Mit Recht ist das Berufungsgericht – wie schon das Verwaltungsgericht – zu der Überzeugung gelangt, dass die in der angefochtenen Verfügung festgelegten Mengenbeschränkungen eine großzügige Auslegung des Begriffs der “kleineren Mengen” bedeuten. Es hat revisionsrechtlich fehlerfrei darauf abgestellt, es könne sich nur um eine Menge handeln, die zum Verbrauch des Reisenden oder eines Begleiters auf der Reise bestimmt sein könne oder als Reisemitbringsel geeignet sei. Dass die mengenmäßigen Festlegungen zu für den Kläger unverhältnismäßigen Verkaufsbeschränkungen führen, ist nach den Feststellungen der Vorinstanz nicht ersichtlich.
Rz. 45
5. In der Auslegung und Anwendung von § 14 Abs. 2 Satz 1, § 6 Satz 2 und § 2 Abs. 2 LadöffnG durch das Oberverwaltungsgericht liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Rz. 46
Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Das ist hier nicht der Fall. Nach den bindenden Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts hat die Beklagte gleichlautende Verfügungen an sämtliche Tankstellenbetreiber in ihrem Zuständigkeitsbereich gerichtet. Eine etwaige abweichende Verwaltungspraxis beim Vollzug des Ladenöffnungsgesetzes in anderen Städten in Rheinland-Pfalz ist unbeachtlich. Der Gleichheitsanspruch besteht nur gegenüber dem nach der Kompetenzverteilung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt.
Rz. 47
Ebenso wenig führt die kundenbezogene Auslegung des § 6 Satz 2 LadöffnG zu einer Ungleichbehandlung des Klägers. Nach dem Normverständnis des Berufungsgerichts betrifft die Beschränkung der beruflichen Betätigung unterschiedslos alle Tankstellenbetreiber im Geltungsbereich der Norm.
Rz. 48
Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz ergibt sich auch nicht, soweit andere Verbraucher als Kraftfahrer und deren Mitfahrer als Kunden ausgeschlossen werden. Keiner Klärung bedarf, ob dem Kläger insoweit eine Berufung auf Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt ist, weil er eine Ungleichbehandlung Dritter geltend macht. Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls nicht verletzt, weil mit der Zielsetzung des § 6 Satz 2 LadöffnG, dem besonderen Versorgungsbedürfnis der Kraftfahrzeugreisenden und ihrem Interesse an der Erhaltung ihrer Mobilität Rechnung zu tragen, ein sachlicher Grund für die Differenzierung zwischen der Gruppe der Reisenden (Kraftfahrer und Mitfahrer) und der Gruppe der Nichtreisenden (Radfahrer und Fußgänger) gegeben ist.
Rz. 49
6. Das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot nach Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 – 1 BvR 2307/94 u.a. – BVerfGE 102, 254 ≪337≫; BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2006 – BVerwG 10 C 9.05 – BVerwGE 126, 222 Rn. 29 f. = Buchholz 401.8 Verwaltungsgebühren Nr. 47) ist nicht verletzt. Das Tatbestandsmerkmal des Reisebedarfs in § 6 Satz 2 LadöffnG und der Begriff der “kleineren Mengen” in § 2 Abs. 2 LadöffnG sind hinreichend bestimmt, weil das Oberverwaltungsgericht ihren Bedeutungsinhalt mit den üblichen Auslegungsmethoden hat ermitteln können und ihr möglicher Wortsinn der Interpretation eine hinreichende Grenze zieht. Dasselbe gilt für die Eingriffsbefugnis nach § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG. Damit sind auch die Anforderungen des Gesetzesvorbehalts im Sinne der so genannten Wesentlichkeitstheorie (vgl. z.B. Urteil vom 18. Juli 2002 – BVerwG 3 C 54.01 – Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 103 m.w.N.) eingehalten.
Rz. 50
7. Schließlich begründet die berufungsgerichtliche Auslegung von § 6 Satz 2, § 2 Abs. 2 LadöffnG keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Eine verwaltungsrechtliche Bestimmung, die von einer Ordnungswidrigkeiten- oder Strafvorschrift in Bezug genommen wird, unterliegt nicht generell den strengen Beschränkungen des Art. 103 Abs. 2 GG, sondern nur, soweit sie zur Ausfüllung der ordnungswidrigkeitenrechtlichen oder strafrechtlichen Blankettnorm herangezogen wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. April 2006 – 1 BvR 2780/04 – NVwZ 2006, 926 ≪927≫). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Es geht um eine verwaltungsrechtliche Ordnungsverfügung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 LadöffnG und nicht um ein Ordnungswidrigkeitenverfahren nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c LadöffnG.
Rz. 51
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. von Heimburg, Dr. Deiseroth, Dr. Hauser, Dr. Held-Daab, Dr. Kuhlmann
Fundstellen
Haufe-Index 2688970 |
VR 2011, 285 |