Leitsatz (amtlich)
1. § 4 Abs. 1 Satz 1 SÜG ist eine Rechtsvorschrift des Bundes über die Geheimhaltung im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG.
2. Neben den Voraussetzungen des materiellen Tatbestandes des § 4 Abs. 1 Satz 1 SÜG müssen die Einstufung der Dokumente als Verschlusssachen nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SÜG und die materielle Rechtfertigung einer Einstufung als mindestens VS-Vertraulich vorliegen, um die 60-jährige Schutzfrist des § 11 Abs. 3 BArchG zu begründen.
Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 07.05.2020; Aktenzeichen OVG 12 B 4.19) |
VG Berlin (Urteil vom 20.12.2018; Aktenzeichen 2 K 178.17) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. Mai 2020 wird zurückgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts teilweise geändert und die Berufung der Klägerin auch insoweit zurückgewiesen, als sie den Zugang zu den geschwärzten Passagen der mit den Teilentscheidungen vom 26. Oktober und 20. Dezember 2016 und 21. April 2017 bereitgestellten Dokumenten begehrt.
Im Übrigen wird das Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin ist Journalistin. Sie begehrt vom Bundeskanzleramt Zugang zu Unterlagen des Bundessicherheitsrates aus den Jahren 1972 bis 1985 betreffend die Länder Argentinien, Chile, Paraguay und Uruguay sowie Einsicht in die zugehörigen Find- und Recherchemittel.
Rz. 2
Der Antrag der Klägerin vom 4. Juli 2016 hatte teilweise Erfolg. Mit drei ohne Rechtsbehelfsbelehrungen ergangenen Teilentscheidungen vom 26. Oktober und vom 20. Dezember 2016 sowie vom 21. April 2017 stellte das Bundeskanzleramt teilweise geschwärzte Unterlagen zur Nutzung bereit und mit abschließendem Bescheid vom 5. August 2017 ein ebenfalls teilweise geschwärztes Dokument. Hinsichtlich weiterer 26 Dokumente aus dem Zeitraum von 1981 bis 1985 lehnte es den Informationszugang ab, weil sie als Verschlusssachen eingestuft seien und eine Aufhebung der Einstufung wegen einer Gefährdung des Wohles der Bundesrepublik Deutschland nicht in Betracht komme. Die Find- und Registraturmittel der VS-Registratur beim Bundeskanzleramt seien selbst mindestens als VS-Geheim eingestuft.
Rz. 3
Das Verwaltungsgericht verpflichtete mit Urteil vom 20. Dezember 2018 die Beklagte, der Klägerin Zugang zu den Dokumenten Nr. 2 bis 23 sowie 26 und 27 zu gewähren, wies im Übrigen die Klage ab und stellte (hinsichtlich der Dokumente 1, 24 und 25) das Verfahren ein. Die vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufungen der Beteiligten hat das Oberverwaltungsgericht überwiegend zurückgewiesen. Die Berufung der Beklagten sei nur insoweit begründet, als hinsichtlich der Dokumente Nr. 4, 6/7, 10/11, 12/13/14, 17/18 und 20/21 einem Zugangsanspruch der Klägerin eine 60-jährige Schutzfrist entgegenstehe. Die Darlegungen der Beklagten genügten, um ohne Kenntnis des Inhalts dieser Unterlagen deren weitere Einstufung als Verschlusssache mit dem Grad geheim zu rechtfertigen. Hinsichtlich der übrigen in den Dokumenten Nr. 2, 3, 5, 8/9, 15/16, 19, 22/23 und 26 sowie 27 enthaltenen Informationen seien die Darlegungen der Beklagten zur Plausibilisierung der Geheimhaltungsbedürftigkeit im gegenwärtigen Zeitpunkt und nach Ablauf der allgemeinen archivrechtlichen Schutzfrist von 30 Jahren nicht ausreichend. Die Berufung der Klägerin sei nur insoweit begründet, als sie die ungeschwärzte Zugänglichmachung der ihr mit den stattgebenden Teilentscheidungen teilgeschwärzt überlassenen Unterlagen anstrebe. Hierzu habe sich das Urteil des Verwaltungsgerichts zu Unrecht nicht verhalten. Eine Recherche durch das Bundeskanzleramt nach etwa vorhandenen weiteren Unterlagen könne die Klägerin nicht verlangen, weil dadurch ein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand entstünde. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Nutzung der Mittel der Schriftgutverwaltung des Bundeskanzleramtes, mit denen Unterlagen des Bundessicherheitsrates registriert werden.
Rz. 4
Gegen dieses Urteil richten sich die vom Senat zugelassenen Revisionen der Klägerin und der Beklagten.
Rz. 5
Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend: § 4 SÜG stelle keine Rechtsvorschrift des Bundes über die Geheimhaltung im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG dar. Die aufgrund des § 35 SÜG erlassene Verschlusssachenanweisung rechtfertige kein anderes Ergebnis, weil es sich dabei nicht um eine Rechtsvorschrift mit Außenwirkung handele. Das Berufungsgericht habe den Untersuchungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, indem es die materielle Rechtfertigung der weiteren Einstufung der Dokumente Nr. 4, 6/7, 10/11, 12/13/14, 17/18 und 20/21 als VS-Geheim ohne eigene Kenntnis der entsprechenden Unterlagen angenommen habe. Dem Anspruch auf Erschließung weiterer Unterlagen stehe der Versagungsgrund des unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwandes nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BArchG nicht entgegen. Die behördlichen Find- und Recherchemittel seien vom archivrechtlichen Nutzungsanspruch mitumfasst; sie seien auch amtliche Informationen im Sinne des Informationsfreiheitsgesetzes.
Rz. 6
Die Klägerin beantragt,
unter teilweiser Abänderung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. Mai 2020 und des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Dezember 2018 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin zurückzuweisen und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundeskanzleramtes vom 5. August 2017 und des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2018 zu verpflichten, ihr über die im Bescheid vom 5. August 2017 genannten Dokumente hinaus sämtliche Unterlagen des Bundessicherheitsrates mit Bezug zu Argentinien, Chile, Paraguay und Uruguay in der Zeit zwischen 1972 und 1985 bereitzustellen und ihr die Erlaubnis zur Einsichtnahme zu erteilen sowie ihr Zugang zu den Find- und Recherchemitteln beim Bundeskanzleramt zu gewähren, um nach den oben genannten Unterlagen in Archiv- und Datenbanken des Bundeskanzleramtes zu recherchieren und die Erlaubnis zur Nutzung der aufgefundenen Unterlagen zu erteilen
und
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Rz. 7
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. Mai 2020 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Dezember 2018 abzuändern und die Klage abzuweisen
sowie
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Rz. 8
Sie macht insbesondere geltend: Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei der Zugang zu den Dokumenten mit den lfd. Nrn. 2, 3, 5, 8/9, 15/16, 19, 22/23 und 26 sowie 27 aufgrund des Eingreifens der 60-jährigen Schutzfrist ausgeschlossen. Hierfür sei - insoweit abweichend von der früheren Gesetzeslage - die formelle Einstufung eines Dokuments als Verschlusssache ausreichend. Die fortdauernde Geheimhaltungsbedürftigkeit der genannten Dokumente ergebe sich aus dem Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung und der möglichen Gefährdung des Staatswohles in Gestalt der äußeren Sicherheit und der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland. Das Oberverwaltungsgericht habe die Anforderungen an die Plausibilisierung fortdauernder Geheimhaltungsbedürftigkeit überspannt. Ferner habe das Berufungsgericht den Klagegegenstand verkannt, indem es die Berufung der Klägerin insoweit für begründet erachtet habe, als die Beklagte Zugang zu den ungeschwärzten Unterlagen, die Gegenstand der stattgebenden Teilentscheidungen waren, zu gewähren habe.
Entscheidungsgründe
Rz. 9
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg (1.). Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet (2.).
Rz. 10
1. Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Einen Anspruch der Klägerin auf Zugang zu den Dokumenten Nr. 4, 6/7, 10/11, 12/13/14, 17/18 und 20/21 hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht verneint und der Berufung der Beklagten insoweit stattgegeben (a). In Übereinstimmung mit Bundesrecht hat das Berufungsgericht erkannt, dass die Klägerin eine Recherche nach etwa vorhandenen weiteren Unterlagen des Bundessicherheitsrates beim Bundeskanzleramt nicht verlangen kann (b) und sie keinen Anspruch auf Nutzung der Find- und Recherchemittel des Bundeskanzleramtes hat (c).
Rz. 11
a) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Nutzung der im Schlussbescheid des Bundeskanzleramtes vom 5. August 2017 mit den Nummern 4, 6/7, 10/11, 12/13/14, 17/18 und 20/21 bezeichneten Dokumente.
Rz. 12
aa) Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 11 Abs. 6 i. V. m. § 10 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Nutzung und Sicherung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz - BArchG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 6. September 2021 (BGBl. I S. 4122), die das Berufungsgericht zugrunde legen müsste, wenn es jetzt entschiede. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG steht jeder Person nach Maßgabe dieses Gesetzes das Recht zu, auf Antrag Archivgut des Bundes - im Anwendungsbereich des § 11 Abs. 6 BArchG auch potentielles Archivgut - zu nutzen.
Rz. 13
(1) Zutreffend nimmt das Oberverwaltungsgericht an, dass der Anspruch auf Nutzung von - wie hier - noch bei öffentlichen Stellen des Bundes befindlichen Unterlagen, die älter als 30 Jahre sind, in entsprechender Anwendung der sonst für die Nutzung von Archivgut gegenüber dem Bundesarchiv geltenden Vorschriften der § 10, § 11 Abs. 1 bis 5, § 12 und § 13 BArchG gegenüber den Vorschriften des Informationsfreiheitsgesetzes als speziellere Anspruchsgrundlage Vorrang hat. Nach § 1 Abs. 3 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz - IFG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 5. September 2005 (BGBl. I S. 2722) gehen Regelungen in anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen mit Ausnahme des § 29 VwVfG und des § 25 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) dem Informationsfreiheitsgesetz vor. Diese Vorschrift dient der Sicherung des Vorrangs des Fachrechts gegenüber dem Informationsfreiheitsgesetz. Um dies zu erreichen, wird das Informationsfreiheitsgesetz (nur) durch Normen verdrängt, die einen mit § 1 Abs. 1 IFG - abstrakt - identischen sachlichen Regelungsgehalt aufweisen und sich als abschließende Regelung verstehen (BVerwG, Urteile vom 29. Juni 2017 - 7 C 24.15 - BVerwGE 159, 194 Rn. 12 und vom 17. Juni 2020 - 10 C 16.19 - BVerwGE 168, 280 Rn. 9). Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits entschieden, dass zu den vorgehenden Regelungen auch die Vorschrift des § 5 Abs. 1 BArchG i. d. F. vom 6. Januar 1988 (BGBl. I S. 62), die den Zugang zu Archivgut betraf, gehörte (BVerwG, Urteil vom 17. März 2016 - 7 C 2.15 - BVerwGE 154, 231 Rn. 42). Nichts anderes gilt für den hier einschlägigen ergänzenden archivrechtlichen Anspruch nach § 11 Abs. 6 BArchG auf die Nutzung von Unterlagen, die trotz ihres Alters noch nicht dem Bundesarchiv zur Übernahme angeboten wurden. Die Vorschrift des § 11 Abs. 6 BArchG, die die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG betreffend den Zugang zu Archivgut für entsprechend anwendbar erklärt, hat ebenfalls einen mit § 1 Abs. 1 IFG - abstrakt - identischen sachlichen Regelungsgehalt. Sie vermittelt jeder Person bei Vorliegen der spezialgesetzlichen Voraussetzungen ein Recht auf Nutzung von Unterlagen bei öffentlichen Stellen des Bundes, die älter als 30 Jahre sind, und versteht sich für diesen Tatbestand nach ihrem Wortlaut, der gesetzlichen Systematik sowie nach ihrem Sinn und Zweck als abschließende Regelung (vgl. die Begründung der Bundesregierung für den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Bundesarchivrechts vom 15. September 2016, BT-Drs. 18/9633 S. 71).
Rz. 14
(2) Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 6 BArchG liegen vor. Bei den in der Schlussentscheidung genannten Dokumenten handelt es sich um Aufzeichnungen auf Papier (vgl. § 1 Nr. 10 BArchG), die in der Zeit von 1981 bis 1985 zuletzt inhaltlich bearbeitet wurden, also entstanden sind (vgl. § 1 Nr. 5 BArchG). Die Dokumente sind mithin älter als 30 Jahre. Sie unterliegen, weil sie bisher weder an das Bundesarchiv (vgl. § 2 BArchG) noch an das Zwischenarchiv (vgl. § 8 BArchG) abgegeben wurden, der Verfügungsgewalt des Bundeskanzleramtes, einer öffentlichen Stelle des Bundes im Sinne von § 1 Nr. 9 BArchG.
Rz. 15
(3) Einem Anspruch der Klägerin auf Nutzung der Dokumente mit den Nummern 4, 6/7, 10/11, 12/13/14, 17/18 und 20/21 stehen jedoch § 11 Abs. 6 i. V. m. Abs. 3, § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG entgegen. Nach § 11 Abs. 6 i. V. m. Abs. 3 BArchG darf potentielles Archivgut des Bundes, das aus Unterlagen besteht, die der Geheimhaltungspflicht, soweit hier einschlägig, nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG unterliegen, erst 60 Jahre nach seiner Entstehung genutzt werden. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG haben die öffentlichen Stellen des Bundes u. a. dem Bundesarchiv auch Unterlagen zur Übernahme anzubieten, die, soweit hier einschlägig, den Rechtsvorschriften des Bundes über die Geheimhaltung unterliegen.
Rz. 16
Zutreffend weist das Oberverwaltungsgericht darauf hin, dass § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG unmittelbar nur die Anbietungspflicht für Unterlagen, die einer Geheimhaltungspflicht unterliegen, regelt und klarstellt, dass die öffentlichen Stellen des Bundes dem Bundesarchiv auch Unterlagen anzubieten haben, die den Rechtsvorschriften des Bundes über die Geheimhaltung oder § 30 der Abgabenordnung unterliegen. Dadurch wird einer Kollision der allgemeinen Anbietungspflicht nach § 5 BArchG mit Vorschriften gleichrangiger formeller Gesetze vorgebeugt, die ein Hindernis für das Anbieten danach geheimhaltungsbedürftiger Unterlagen darstellen könnten (vgl. BT-Drs. 18/9633 S. 57).
Rz. 17
Ungeachtet dieser spezifischen Funktion der Vorschrift schließt § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG durch die Bezugnahme in § 11 Abs. 6 i. V. m. Abs. 3 BArchG den Zugang zu potentiellem Archivgut bei öffentlichen Stellen vor Ablauf von 60 Jahren nach seiner Entstehung aus, wenn die Unterlagen den Rechtsvorschriften des Bundes über die Geheimhaltung unterliegen. Der Begriff der Rechtsvorschrift erfasst nur Normen mit Außenwirkung, also Gesetze im formellen Sinne und Rechtsverordnungen (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Juli 2016 - 7 C 3.15 - Buchholz 404 IFG Nr. 19 Rn. 10 und vom 13. Dezember 2018 - 7 C 19.17 - BVerwGE 164, 112 Rn. 30).
Rz. 18
(a) § 1 Abs. 2 Satz 4 der Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates (GO BSR), wonach die Sitzungen des Bundessicherheitsrates geheim sind, stellt keine "Rechtsvorschrift" im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG dar. Eine Außenwirkung weist § 1 Abs. 2 Satz 4 GO BSR nicht auf. Der Bundessicherheitsrat ist nach § 1 Abs. 1 GO BSR ein Kabinettausschuss der Bundesregierung. Die Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates enthält nur Regierungsinnenrecht und berechtigt und verpflichtet als solches im Wesentlichen nur die dort genannten Mitglieder der Bundesregierung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. September 1987 - 7 N 1.87 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 17 S. 3 und Urteile vom 28. Juli 2016 - 7 C 3.15 - Buchholz 404 IFG Nr. 19 Rn. 16 und vom 13. Dezember 2018 - 7 C 19.17 - BVerwGE 164, 112 Rn. 30 f.); das rechtliche Verhältnis zwischen Staat und Bürger betrifft sie nicht.
Rz. 19
(b) Die Regelungen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern für Bau und Heimat zum materiellen Geheimschutz (Verschlusssachenanweisung - VSA) vom 10. August 2018 (GMBl S. 826) sind ebenfalls keine nach außen wirkenden Rechtsvorschriften. Abgesehen davon, dass es sich bei Verwaltungsvorschriften mangels Außenwirkung nicht um Rechtsvorschriften handelt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. September 1987 - 7 N 1.87 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 17 S. 4 und Urteil vom 28. Juli 2016 - 7 C 3.15 - Buchholz 404 IFG Nr. 19 Rn. 16), stellt dies auch die Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf zur Neuregelung des Bundesarchivrechts vom 15. September 2016 zu § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG ausdrücklich klar (BT-Drs. 18/9633 S. 57 f.). § 11 Abs. 3 i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG enthält keine § 3 Nr. 4 Alt. 2 IFG entsprechende Regelung, wonach der Anspruch auf Informationszugang auch dann nicht besteht, wenn die Information einer durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht unterliegt.
Rz. 20
(c) § 4 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes und den Schutz von Verschlusssachen (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) i. d. F. vom 16. Juni 2017 (BGBl. I S. 1634), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 5. Juli 2021 (BGBl. I S. 2274, 2275), ist demgegenüber eine Rechtsvorschrift des Bundes über die Geheimhaltung im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG. Danach sind Verschlusssachen im öffentlichen Interesse, insbesondere zum Schutz des Wohles des Bundes oder eines Landes, geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, unabhängig von ihrer Darstellungsform.
Rz. 21
Bei dieser Vorschrift handelt es sich auch um ein Gesetz im formellen Sinn, das den Geheimnisschutz bereichsspezifisch ausgestaltet und nach materiellen Kriterien die Unterlagen beschreibt, die der Geheimhaltung unterliegen sollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2011 - 7 C 6.10 - Buchholz 400 IFG Nr. 4 Rn. 14 zu § 3 Nr. 4 IFG). § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG ist, ebenso wie der Versagungsgrund des § 3 Nr. 4 IFG, als Rezeptionsnorm ausgestaltet, die als Ausschlussgrund den spezialgesetzlichen Geheimhaltungsvorschriften den Vorrang einräumt.
Rz. 22
(aa) Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Rechtsprechung des Fachsenats, wonach § 4 SÜG kein Gesetz im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO sei, weil die Vorschrift lediglich eine allgemeine Definition der Verschlusssachen und eine generelle Vorgabe für die Abstufung der Geheimhaltungsgrade enthalte (BVerwG, Beschluss vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 23). Die Entscheidung des Fachsenats ist nicht nur zu einer anderen Norm, § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO, sondern auch zu einer anderen Fassung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes ergangen. Nach § 4 Abs. 1 SÜG in der vom 20. April 1994 bis zum 20. Juni 2017 geltenden Fassungen waren Verschlusssachen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung eingestuft wurden. Die aktuelle Fassung des § 4 Abs. 1 Satz 1 SÜG enthält demgegenüber ein materielles Tatbestandsmerkmal, wonach der Geheimschutz insbesondere dem Wohl des Bundes und der Länder dient. Die Einstufung als Verschlusssachen ist nunmehr hiervon getrennt in § 4 Abs. 2 SÜG geregelt. Im geltenden Wortlaut des § 4 SÜG kommt die Intention des Gesetzgebers, einen materiellen gesetzlichen Tatbestand zu schaffen, zum Ausdruck. In der Begründung der Bundesregierung den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes vom 22. Februar 2017 betreffend heißt es, gesetzliche Regelungen seien, um ein angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten, auch zum materiellen Geheimschutz, z. B. zum Schutz von Verschlusssachen, erforderlich, um hier die erforderliche Vertraulichkeit zu gewährleisten (BT-Drs. 18/11281 S. 1). Da der materielle Geheimschutz bisher nur in untergesetzlichen Bestimmungen zu finden gewesen sei, sollten im Interesse des Staatswohles auch Regelungen zum materiellen Geheimschutz in das Sicherheitsüberprüfungsgesetz aufgenommen werden (a. a. O. S. 39). Die Neufassung des § 4 SÜG enthalte die wesentlichen gesetzlichen Grundlagen, die für einen effektiven materiellen Geheimschutz erforderlich seien.
Rz. 23
(bb) Dass es sich bei § 4 Abs. 1 Satz 1 SÜG um eine materielle Rechtsvorschrift des Bundes über die Geheimhaltung im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG handelt, verdeutlichen die weiteren Regelungen in § 4 SÜG. Nach § 4 Abs. 1a Satz 1 SÜG dürfen von einer Verschlusssache nur Personen Kenntnis erhalten, die aufgrund ihrer Aufgabenerfüllung Kenntnis haben müssen. Keine Person darf über eine Verschlusssache umfassender oder eher unterrichtet werden, als dies aus Gründen der Aufgabenerfüllung notwendig ist (§ 4 Abs. 1a Satz 2 SÜG). Gemäß § 4 Abs. 3 SÜG ist, wer aufgrund dieses Gesetzes oder sonst in berechtigter Weise Zugang zu einer Verschlusssache erlangt, zur Verschwiegenheit über die ihm dadurch zur Kenntnis gelangten Informationen verpflichtet (Nr. 1) und hat durch Einhaltung der Schutzmaßnahmen, die aufgrund dieses Gesetzes erlassen worden sind, dafür Sorge zu tragen, dass keine unbefugte Person Kenntnis von der Verschlusssache erlangt (Nr. 2). Demnach unterscheidet sich die Geheimhaltungsvorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 SÜG mit ihren zur Wahrung der Geheimhaltungsbedürftigkeit ergangenen Regelungen nicht grundsätzlich von der in § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG genannten Tatbestandsalternative der Unterlagen, die § 30 der Abgabenordnung (AO) unterliegen. Danach haben Amtsträger das Steuergeheimnis zu wahren und verletzt ein Amtsträger das Steuergeheimnis, wenn er personenbezogene Daten eines anderen unbefugt offenbart oder verwertet. Diese Vorschrift enthält - wie § 4 Abs. 1 Satz 1 SÜG - unbestimmte Rechtsbegriffe, die durch Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über den Anspruch des Antragstellers auf Nutzung von (potentiellem) Archivgut ausgelegt werden müssen. Dass in der geltenden Fassung des Bundesarchivgesetzes nur noch § 30 AO als spezielle gesetzliche Vorschrift neben den Rechtsvorschriften des Bundes über die Geheimhaltung in § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG genannt wird, hat nach der Gesetzesbegründung allein den Hintergrund, dass eine Auflistung der der Geheimhaltung unterliegenden Vorschriften im Sinne von § 2 Abs. 4 Nr. 1 BArchG a. F. wegen der großen Zahl und der häufigen Gesetzesänderungen inopportun gewesen wäre (vgl. BT-Drs. 18/9633 S. 58).
Rz. 24
(cc) Die Geheimhaltungsvorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 SÜG weist allerdings die Besonderheit auf, dass neben dem Vorliegen der materiellen Voraussetzungen dieses Tatbestandes eine Einstufung als Verschlusssache von einer amtlichen Stelle des Bundes oder auf deren Veranlassung in einen Geheimhaltungsgrad nach § 4 Abs. 2 SÜG vorliegen muss. Die Einstufung einer Verschlusssache des Geheimhaltungsgrades VS-Nur für den Dienstgebrauch ist gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 4 SÜG nach § 16 Abs. 1 Satz 1 VSA, der als Verwaltungsvorschrift die Beklagte intern bindet, auf 30 Jahre befristet und nach § 17 Abs. 1 VSA kann diese Einstufungsfrist nicht verlängert werden. Demnach kommen für die Geltung der 60-jährigen Schutzfrist nach § 11 Abs. 3 BArchG für Verschlusssachen von vornherein nur die Einstufungen als streng geheim (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 SÜG), geheim (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 SÜG) oder VS-Vertraulich (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 SÜG) in Betracht.
Rz. 25
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass entgegen der Auffassung der Beklagten die bloß formelle Einstufung eines Dokuments als Verschlusssache nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SÜG nicht ausreichend ist, um das Eingreifen der 60-jährigen Schutzfrist zu rechtfertigen. Vielmehr müssen hierfür die materiellen Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 SÜG sowie die materielle Rechtfertigung der Einstufung der Unterlagen als mindestens VS-Vertraulich vorliegen. Weshalb die Möglichkeit nach § 12 Abs. 3 BArchG, die Schutzfrist des § 11 Abs. 3 BArchG um höchstens 30 Jahre zu verkürzen oder zu verlängern, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt, dafür sprechen könnte, dass für die weitere Geheimhaltungspflicht eines Dokuments die formelle Einstufung als Verschlusssache ausreichend sei, wie die Beklagte meint, erschließt sich nicht. Die Einführung des § 12 Abs. 3 BArchG erfolgte im Interesse der Informationszugangsfreiheit (vgl. BT-Drs. 18/9633 S. 72). Diesem Zweck würde es zuwiderlaufen, wenn die Änderung herangezogen würde, um die Geltung der verlängerten Schutzfrist von der bloßen Einstufung der Unterlagen als Verschlusssachen durch die Behörde abhängig zu machen. Im Übrigen erfordert auch der Schutz von Amtsgeheimnissen gegenüber Informationszugangsansprüchen nicht lediglich eine formale Einstufung als Verschlusssache, sondern materielle Gründe, die eine solche Einstufung rechtfertigen (vgl. zu § 3 Nr. 4 IFG Urteile vom 29. Oktober 2009 - 7 C 22.08 - NVwZ 2010, 321 Rn. 47 ff. und vom 28. Februar 2019 - 7 C 20.17 - NVwZ 2019, 1050 Rn. 33).
Rz. 26
(dd) Nach allem unterliegen Aufzeichnungen der 60-jährigen Schutzfrist nach § 11 Abs. 3 i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG, wenn sie gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 SÜG Verschlusssachen im öffentlichen Interesse, insbesondere zum Schutz des Wohles des Bundes oder eines Landes, geheimhaltungsbedürftige Tatsachen sind, die zudem als Verschlusssachen im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SÜG eingestuft sind und jedenfalls die materiellen Voraussetzungen für die Einstufung als VS-Vertraulich gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 SÜG erfüllen. Diesen Maßstab hat das Berufungsgericht verkannt, indem es stattdessen lediglich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Nr. 2 SÜG geprüft und bejaht hat. Nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 SÜG werden Verschlusssachen als geheim eingestuft, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann. Damit hat das Oberverwaltungsgericht einen zu strengen Maßstab zugrunde gelegt.
Rz. 27
Das angefochtene Urteil beruht insoweit auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Entscheidung stellt sich allerdings im Ergebnis als richtig dar, weil die Voraussetzungen für das Eingreifen der 60-jährigen Schutzfrist hier aus anderen Gründen vorliegen (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO).
Rz. 28
(ee) Das Oberverwaltungsgericht konnte ohne Kenntnis der Dokumente allein aufgrund der Angaben der Beklagten einen Nutzungsanspruch der Klägerin wegen des Eingreifens der 60-jährigen Schutzfrist versagen. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) liegt nicht vor.
Rz. 29
In Streitigkeiten um Informationszugangsrechte besteht keine generelle Pflicht zur Durchführung eines "in-camera"-Verfahrens. Das gilt nicht nur für prozedurale Geheimhaltungsgründe, die sich aus dem jeweiligen den Informationszugang regelnden Fachgesetz ergeben und die - unabhängig vom Inhalt der Akten - darauf zielen, die Art und Weise des Zustandekommens behördlicher Akten und Unterlagen zu schützen, mithin dem Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses dienen. Der konkrete Akteninhalt muss auch für die Feststellung materieller Geheimhaltungsgründe - wie hier - nicht zwingend rechtserheblich sein. Das Gericht der Hauptsache ist deshalb gehalten, vor Erlass eines Beweisbeschlusses zunächst die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen, um den Sachverhalt aufzuklären und festzustellen, ob über das Vorliegen der geltend gemachten Geheimhaltungsgründe gegebenenfalls auch ohne Einsicht in die betreffenden Unterlagen entschieden werden kann (BVerwG, Beschlüsse vom 6. April 2011 - 20 F 20.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 63 Rn. 8 f. und vom 23. Mai 2016 - 7 B 47.15 - juris Rn. 8; Urteil vom 28. Februar 2019 - 7 C 20.17 - NVwZ 2019, 1050 Rn. 38). Zu diesem Zweck muss die Behörde, die den grundsätzlich gegebenen Informationszugang versagen will, soweit dies unter Wahrung der von ihr behaupteten Geheimhaltungsbedürftigkeit der Informationen möglich ist, in nachvollziehbarer Weise Umstände darlegen, die auch für den Antragsteller, der die Informationen gerade nicht kennt, den Schluss zulassen, dass die Voraussetzungen des in Anspruch genommenen Versagungsgrundes vorliegen (BVerwG, Urteil vom 27. November 2014 - 7 C 18.12 - Buchholz 404 IFG Nr. 13 Rn. 19). Eine Einsicht in die zurückgehaltenen Unterlagen wird nur dann entscheidungserheblich, wenn die Angaben der Behörde - unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Erörterung der Sach- und Rechtslage - für eine Prüfung der fachgesetzlichen Ausnahmegründe nicht ausreichen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2010 - 20 F 1.10 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 59 Rn. 7).
Rz. 30
Der Prüfung, ob das angefochtene Urteil auf einer Verletzung der Aufklärungspflicht beruht, ist die materiell-rechtliche Beurteilung der Vorinstanz zugrunde zu legen (BVerwG, Beschluss vom 23. Mai 2016 - 7 B 47.15 - juris Rn. 13). Davon ausgehend musste sich dem Berufungsgericht die Notwendigkeit eines "in-camera"-Verfahrens nicht aufdrängen. Das Oberverwaltungsgericht hat im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geprüft, ob anhand der Darlegungen der Beklagten verifiziert werden kann, dass ein Versagungsgrund nach § 11 Abs. 3 BArchG vorliegt. Dies hat das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen Verfahrensrecht bejaht.
Rz. 31
Den nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanz lässt sich entnehmen, dass die im Tenor ihrer Entscheidung angeführten Dokumente als Verschlusssachen eingestuft sind und deren Einstufung als jedenfalls VS-Vertraulich zum maßgebenden Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung weiterhin materiell gerechtfertigt war, weil ihre Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland schädlich sein kann (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 3 SÜG).
Rz. 32
Die Darlegungen der Beklagten zu den einzelnen Dokumenten hat das Berufungsgericht wie folgt zusammengefasst: Das Dokument Nr. 4 - Vorlage an den Bundeskanzler mit Hinweisen auf die Sitzung des Bundessicherheitsrates am 23. April 1982 - beinhalte im Lagebericht des Generalinspekteurs Ausführungen über strategische Erwägungen der USA im Hinblick auf ihre in Deutschland stationierten Truppen sowie Einzelheiten der Bewaffnung mit Mittelstreckenraketen. Die Dokumente Nr. 6/7 - Vorlage an den Bundeskanzler mit Hinweisen zur Sitzung des Bundessicherheitsrates am 4. März 1985 (Entwurf und 1. Ausfertigung) - enthielten geheime Grundlageninformationen, aus denen hervorgehe, wie die Bundesregierung bzw. der Bundessicherheitsrat mit strategischen Verteidigungsinitiativen eines Bündnispartners, hier der Initiative der USA zum Aufbau eines Abwehrschirms im Weltraum gegen Interkontinentalraketen (SDI) umgehe. In den Dokumenten Nr. 10/11 - Ergebnisprotokoll der Sitzung des Bundessicherheitsrates am 28. April 1982 (Entwurf und 1. Ausfertigung) - würden Aussagen über die (vermuteten) Erkenntnisse und militärischen Potentiale der damaligen Sowjetunion getätigt, die auch für die Beurteilung der aktuellen Erkenntnisfähigkeit Deutschlands noch von Bedeutung seien. Die Dokumente Nr. 12/13/14 - Ergebnisprotokoll der Sitzung des Bundessicherheitsrates am 1. September 1982 (Entwurf, 1. Ausfertigung und Kopie) - enthielten ebenfalls technische Details der Mittelstrecken-Waffensysteme sowie nach wie vor aktuelle militärtaktische Erwägungen. Die Dokumente Nr. 17/18 - Ergebnisprotokoll der Sitzung des Bundessicherheitsrates am 4. Februar 1981 (Entwurf und 1. Ausfertigung) - beinhalteten Informationen zu den Auslandsaktivitäten bestimmter Staaten, die Deutschland im Vertrauen auf ihre Geheimhaltung überlassen worden seien. Weiter enthalte das Ergebnisprotokoll interne Informationen der Bündnispartner zu deutsch-französischen Gemeinschaftsprojekten im Rüstungsbereich und zu französischen Kasernen. Schließlich beträfen die Dokumente Nr. 20/21 - Ergebnisprotokoll der Sitzung des Bundessicherheitsrates am 15. Dezember 1981 (Entwurf und 1. Ausfertigung) - Bewertungen der damaligen Verhältnisse in Polen einschließlich kritischer Äußerungen.
Rz. 33
Die Würdigung dieser von der Beklagten vorgetragenen Inhalte der Dokumente durch das Berufungsgericht, wonach sie auch aktuell noch Rückschlüsse auf die Verteidigungsstrategie und -fähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und des westlichen Bündnisses zulassen (Nr. 4, 10/11, 12/13/14) bzw. die außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährden (Nr. 6/7, 17/18 und 20/21), ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Die Beratung und Beschlussfassung im Bundessicherheitsrat unterfallen dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Zwar ist die Willensbildung der Bundesregierung in Bezug auf einen Kriegswaffenexportantrag mit dem jeweiligen Beschluss des Bundessicherheitsrates abgeschlossen. Die Bundesregierung ist jedoch selbst gegenüber den Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht verpflichtet, über die Mitteilung einer erfolgten Genehmigung hinaus Angaben zu der dieser Entscheidung vorausgegangenen Willensbildung innerhalb des Bundessicherheitsrates zu machen (BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 - BVerfGE 137, 185 Rn. 167 f.). Den Beratungen im Bundessicherheitsrat kann auch nach mehr als 30 Jahren noch eine erhebliche außen- und sicherheitspolitische Bedeutung zukommen. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist dies bei den genannten Dokumenten der Fall. Danach war ein Nutzungsanspruch der Klägerin zum Schutz des Wohles des Bundes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 SÜG zu versagen und war die Einstufung der hier streitgegenständlichen Dokumente jedenfalls als VS-Vertraulich nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 SÜG materiell gerechtfertigt.
Rz. 34
Eine Verkürzung der 60-jährigen Schutzfrist nach § 11 Abs. 6 i. V. m. § 12 Abs. 3 BArchG kommt schließlich nicht in Betracht, da ein öffentliches Interesse an einer Verkürzung nicht ersichtlich ist.
Rz. 35
b) Ohne Bundesrechtsverstoß hat das Berufungsgericht erkannt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Recherche nach etwa vorhandenen weiteren Unterlagen des Bundessicherheitsrates mit Bezug zu Argentinien, Chile, Paraguay und Uruguay in der Zeit zwischen 1972 und 1985 durch das Bundeskanzleramt hat. Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte mit Gewissheit ausschließen kann, dass sich einzelne Unterlagen mit thematischem Bezug in den Akten des Bundeskanzleramtes befinden. Dem klägerischen Begehren würde jedenfalls der Nutzungsversagungsgrund des § 13 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 11 Abs. 6 BArchG entgegenstehen. Danach können die öffentlichen Stellen des Bundes die Nutzung von Unterlagen einschränken oder versagen, wenn durch die Nutzung ein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand entstünde.
Rz. 36
aa) Im Hinblick auf die Frage, was unter einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand zu verstehen ist, verweist die Gesetzesbegründung zu § 13 Abs. 2 Nr. 2 BArchG nur auf das treuwidrige Verhalten eines Antragstellers, der von der Behörde verlange, nach dem Inhalt von Archivgut auch dann zu forschen, wenn die Suche dem Nutzer billigerweise selbst zuzumuten sei. Dies gelte insbesondere für aufwendige Personalrecherchen in Sachakten (vgl. BT-Drs. 18/9633 S. 75).
Rz. 37
Weitere Maßstäbe zur Auslegung von § 13 Abs. 2 Nr. 2 BArchG lassen sich der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 7 Abs. 2 Satz 1 IFG, der gleichfalls den Begriff des unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwands verwendet, entnehmen. § 7 Abs. 2 Satz 1 IFG zielt darauf ab, die informationspflichtige Stelle vor institutioneller Überforderung und einer Beeinträchtigung ihrer Funktionsfähigkeit zu schützen. Die Vorschrift schließt einen (teilweisen) Informationszugang wegen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwands aus, wenn die Erfüllung des (Teil-)Anspruchs einen im Verhältnis zum Erkenntnisgewinn des Anspruchstellers und der Allgemeinheit unvertretbaren Aufwand an Kosten oder Personal erfordern würde oder aber auch bei zumutbarer Personal- und Sachmittelausstattung sowie unter Ausschöpfung aller organisatorischen Möglichkeiten die Wahrnehmung der vorrangigen Sachaufgaben der Behörde erheblich behindern würde. Die informationspflichtigen Behörden sind grundsätzlich gehalten, sich in ihrer Arbeitsorganisation und Aktenführung auf die mit der Erfüllung von Informationsanträgen verbundenen (Zusatz-)Aufgaben einzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. März 2016 - 7 C 2.15 - BVerwGE 154, 231 Rn. 24).
Rz. 38
Legt man diese auf § 13 Abs. 2 Nr. 2 BArchG übertragbaren Maßstäbe dem vorliegenden Fall zugrunde, sind die Voraussetzungen des Nutzungsversagungsgrundes des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BArchG gegeben. Die Beklagte hat nach den Feststellungen der Vorinstanz unwidersprochen vorgetragen, eine Sicherheit, dass das Rechercheergebnis alle thematisch einschlägigen Unterlagen umfasst, könne nur gewonnen werden, wenn eine manuelle Suche im gesamten Aktenbestand der VS-Registratur aus dem in Rede stehenden Zeitraum durchgeführt würde. Dazu müssten etwa 30 000 Aktenbände mit jeweils durchschnittlich sechs Verschlusssachen ab dem Geheimhaltungsgrad VS-Vertraulich und ca. 20 offenen bzw. VS-Nur für den Dienstgebrauch eingestuften Dokumenten durchgesehen werden, insgesamt 780 000 Einzeldokumente. Danach ist die Einschätzung des Berufungsgerichts, ein zeitnahes Ergebnis sei nur mit einem enormen Personalaufwand erzielbar, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Es ist nicht erkennbar und es wird von der Klägerin auch nicht dargelegt, dass das Berufungsgericht seinen Würdigungsspielraum gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO überschritten hat.
Rz. 39
bb) Das Berufungsgericht ist auch mit Recht der Auffassung der Klägerin nicht gefolgt, das Bundeskanzleramt müsse sich, wenn es seiner gesetzlichen Andienungspflicht an das Bundesarchiv nicht nachkomme, im Hinblick auf seine Suchpflichten so behandeln lassen, wie das Bundesarchiv selbst. Dieses Verständnis findet im Bundesarchivgesetz keine Grundlage.
Rz. 40
Zwar muss sich das Bundeskanzleramt infolge der Nichtabgabe von über 30 Jahre alten Unterlagen an das Bundesarchiv auf die Wahrnehmung archivrechtlicher Aufgaben, wie die Bescheidung von Nutzungsanträgen nach § 11 Abs. 6 BArchG einschließlich der Berufung auf Schutzfristen und Versagungsgründe, einstellen. Jedoch gibt es keinen gesetzlichen Ansatzpunkt dafür, dass ihm, wie dem Bundesarchiv als dafür speziell eingerichteter Behörde, die Aufbereitung der eigenen Akten als Archivgut obliegt. Es fehlt an einer strikten Sanktionierung der Anbietungspflicht; der Nutzungsanspruch gegen die anbietungspflichtigen Stellen hat lediglich eine Anreizfunktion (BVerwG, Beschluss vom 25. September 2017 - 6 A 4.15 - juris Rn. 5).
Rz. 41
Bereits nach der früheren Fassung des Bundesarchivgesetzes war die Pflicht zur Anbietung nicht mehr benötigter Unterlagen nach § 2 BArchG a. F. nicht sanktionsbewehrt und unterlag auch keiner gesetzlichen Frist. Die Bereitschaft der anbietungspflichtigen Stellen zur Erfüllung der Anbietungspflicht wurde durch den gegen diese Stellen gerichteten Nutzungsanspruch aus § 5 Abs. 8 BArchG a. F. gefördert (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 2013 - 6 A 5.13 - Buchholz 402.71 BNDG Nr. 3 Rn. 18). In der aktuellen Fassung des Bundesarchivgesetzes ist zwar durch die Sollvorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 2 BArchG für die Erfüllung der in §§ 5 und 6 BArchG geregelten Anbietungspflicht eine Frist von 30 Jahren eingeführt worden. Jedoch gibt es auch in der Gesetzesbegründung keine Hinweise darauf, dass der Nutzungsanspruch nach § 11 Abs. 6 BArchG als Sanktionierung für die nicht rechtzeitige Anbietung der Unterlagen gegenüber dem Bundesarchiv verstanden werden könnte. Vielmehr ist es dem Gesetzgeber darum gegangen, bei öffentlichen Stellen des Bundes vorhandene Unterlagen, die noch nicht auf ihre Archivwürdigkeit geprüft werden konnten, in gleicher Weise wie Archivgut des Bundesarchivs dem Nutzer zugänglich zu machen, um alle Unterlagen von bleibendem Wert als "Gedächtnis des Staates" zu erfassen. Eine strikte Sanktionierung dieser Pflicht besteht daher nach wie vor nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. September 2017 - 6 A 4.15 - juris Rn. 5).
Rz. 42
c) Ebenfalls ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Berufungsgericht erkannt, dass die Klägerin keinen Zugang zu den Find- und Recherchemitteln des Bundeskanzleramts nach dem Bundesarchivgesetz und nach dem Informationsfreiheitsgesetz beanspruchen kann.
Rz. 43
aa) Der archivrechtliche Nutzungsanspruch aus § 11 Abs. 6 i. V. m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG verleiht entgegen der Ansicht der Klägerin keinen derartigen Zugangsanspruch.
Rz. 44
Zwar ist der Begriff der Unterlagen, die, wenn ihnen ein bleibender Wert zukommt, gemäß § 1 Nr. 2 BArchG zu Archivgut des Bundes werden und nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG genutzt werden können sowie zuvor gegebenenfalls einem Anspruch aus § 11 Abs. 6 i. V. m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG unterliegen, sehr weit. Denn nach § 1 Nr. 10 BArchG sind Unterlagen Aufzeichnungen jeder Art, unabhängig von der Art ihrer Speicherung. Der Gesetzgeber wollte mit dem Begriff der Aufzeichnung die unterschiedlichen Informationsträger und Speicherungsformen und damit das potentielle Archivgut möglichst umfassend erfassen (BT-Drs. 18/9633 S. 44 f.; BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2019 - 6 C 21.18 - BVerwGE 167, 173 Rn. 19). Find- und Recherchemittel sind, solange sie in Gebrauch sind, gleichwohl keine Unterlagen in diesem Sinne. Sie dienen vielmehr der Auffindung solcher Unterlagen. Vor diesem Hintergrund geht es jedenfalls in den durch § 11 Abs. 6 BArchG erfassten Fällen nicht an, behördliche Find- und Recherchemittel dem archivrechtlichen Nutzungsanspruch zwecks Effektuierung dieses Anspruchs zu unterstellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Januar 2022 - 6 A 7.20 u. a. - NVwZ 2022, 877 Rn. 61).
Rz. 45
bb) Ohne Verstoß gegen materielles Bundesrecht hat das Berufungsgericht im Hinblick auf die Find- und Recherchemittel des Bundeskanzleramtes auch einen Anspruch der Klägerin auf Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz verneint. Außerhalb der im Bundesarchivgesetz geregelten Tatbestände gelten die Regelungen des Informationsfreiheitsgesetzes ergänzend (vgl. BT-Drs. 18/9633 S. 71).
Rz. 46
Die Mittel der Schriftgutverwaltung sind zwar, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, amtliche Informationen.
Rz. 47
Mit Recht weist das Berufungsgericht indes darauf hin, dass es der Klägerin nicht um den Zugang zu Informationen in diesem Sinn geht, sondern dass sie die behördlichen Mittel der Schriftgutverwaltung zu nutzen beabsichtigt, um damit selbst in dem vorhandenen Schriftgut zu recherchieren. Ein solcher Anspruch ergibt sich aus dem Informationsfreiheitsgesetz nicht.
Rz. 48
2. Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet.
Rz. 49
a) Die Revision der Beklagten hat Erfolg, soweit sie einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen §§ 128, 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 88 VwGO durch ein zu weites Verständnis des Klagegegenstands rügt. Die Teilentscheidungen der Beklagten vom 26. Oktober und 20. Dezember 2016 sowie vom 21. April 2017 sind nicht Gegenstand der Klage geworden.
Rz. 50
Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden; es hat vielmehr das tatsächliche Rechtsschutzbegehren zu ermitteln. Für die Ermittlung des Rechtsschutzbegehrens gelten die Grundsätze für die Auslegung von Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB). Maßgeblich ist das Rechtsschutzziel, wie es in dem Klageantrag, der Klagebegründung und dem weiteren Vorbringen sowie in den sonstigen für das Gericht und die übrigen Beteiligten erkennbaren Umständen zum Ausdruck kommt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2018 - 3 C 11.16 - Buchholz 451.74 § 8 KHG Nr. 18 Rn. 14; Beschlüsse vom 13. Januar 2012 - 9 B 56.11 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 42 Rn. 7 und 27. Juli 2021 - 3 B 12.20, 3 PKH 1.20 - juris Rn. 4 jeweils m. w. N.).
Rz. 51
Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe die ungeschwärzte Zugänglichmachung der ihr mit den stattgebenden Teilentscheidungen bereits teilgeschwärzt überlassenen Unterlagen angestrebt, wird diesen Grundsätzen nicht gerecht. Die Klägerin hat ihren Antrag vom 4. Juli 2016 vielmehr auf Einsicht in die Akten des Bundessicherheitsrates, die die Länder Argentinien, Chile, Paraguay und Uruguay im Zeitraum von 1972 bis 1985 betreffen, beschränkt. In ihren Teilentscheidungen hat die Beklagte ausgeführt, dass sie nicht einschlägige Passagen in den überlassenen Dokumenten geschwärzt habe. Angesichts dessen wäre zu erwarten gewesen, dass die Klägerin im gerichtlichen Verfahren gegebenenfalls deutlich macht, auch Einsicht in die geschwärzten, nicht einschlägigen Passagen zu begehren. Dies hat die anwaltlich vertretene Klägerin jedoch nicht getan, sondern stattdessen ihren Vortrag und ihre Anträge auf die in der Schlussentscheidung vom 5. August 2017 genannten Dokumente und eventuell noch vorhandene weitere Unterlagen zu dem sie interessierenden Themenkreis beschränkt.
Rz. 52
b) Soweit das Oberverwaltungsgericht hinsichtlich der Dokumente Nr. 2, 3, 5, 8/9, 15/16, 19, 22/23 und 26 sowie 27 einen Nutzungsanspruch der Klägerin bejaht hat, verstößt das Urteil gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen kann über die Klage nicht abschließend entschieden werden. Die Sache ist deshalb insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Rz. 53
Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Darlegungen der Beklagten zur Plausibilisierung der Geheimhaltungsbedürftigkeit reichten nicht aus, das Eingreifen der 60-jährigen Schutzfrist nach § 11 Abs. 3 i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 1 BArchG zu rechtfertigen, hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Das Oberverwaltungsgericht hat die Ausführungen der Beklagten insoweit zu Unrecht am Maßstab der vollen gerichtlichen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gemessen und - ohne Einleitung eines sogenannten "in-camera"-Verfahrens nach § 99 VwGO - als nicht hinreichend konkret erachtet.
Rz. 54
Zwar besteht - wie bereits ausgeführt - auch für die Feststellung materieller Geheimhaltungsgründe keine generelle Pflicht zur Durchführung eines "in-camera"-Verfahrens, weshalb das Gericht der Hauptsache gehalten ist, zunächst die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen, um festzustellen, ob über das Vorliegen der geltend gemachten Geheimhaltungsgründe auch ohne Kenntnis der betreffenden Unterlagen entschieden werden kann. Die Darlegungsanforderungen dürfen hierbei, angesichts des bei materiellen Geheimhaltungsgründen aus der Natur der Sache folgenden "Darlegungs- und Beweisnotstands" der Behörde, nicht überspannt werden. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts bedarf es daher lediglich eines Mindestmaßes an Plausibilität (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 20 F 10.15 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 70 Rn. 10). Genügen die Darlegungen diesem Mindestmaß, dürfen Geheimhaltungsgründe nicht verneint werden, ohne die streitgegenständlichen Unterlagen zuvor anzufordern und ihre materiell zutreffende Einstufung in einem "in-camera"-Verfahren nachprüfen zu lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009 - 7 C 21.08 - Buchholz 400 IFG Nr. 2 Rn. 28). Die Begründungsanforderungen richten sich auch nach der Nähe der Unterlagen zum innersten Bereich der Willensbildung der Bundesregierung (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. März 2017 - 7 C 19.15 - Buchholz 404 IFG Nr. 23 Rn. 12 f. m. w. N. und vom 13. Dezember 2018 - 7 C 19.17 - BVerwGE 164, 112 Rn. 23).
Rz. 55
Die Darlegungen der Beklagten werden dem erforderlichen Mindestmaß an Plausibilität bei Zugrundelegung des zutreffenden materiell-rechtlichen Maßstabs des § 4 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SÜG gerecht. Bei den Dokumenten handelt es sich, ebenso wie bei den Unterlagen, deren weitere Geheimhaltungsbedürftigkeit das Oberverwaltungsgericht bejaht hat, um Vorlagen an den Bundeskanzler und Protokolle betreffend die Sitzungen des Bundessicherheitsrates - hier in den Jahren 1981 bis 1982. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts behandeln sie Forderungen der USA an die Bündnispartner, die strategische Konzeption der USA, insbesondere zu den Auswirkungen auf die Verteidigungsfähigkeit der NATO in Europa, zu unterstützen, die Neufassung der rüstungspolitischen Grundsätze, Einzelfälle des Rüstungsexports, detaillierte Erwägungen zu Rüstungsexportentscheidungen, die Malaysia, Thailand und Tunesien sowie ein Gemeinschaftsprogramm mit dem Vereinigten Königreich betreffen sowie "Chemiewaffen". Nachteilige Auswirkungen sieht die Beklagte vor allem darin, dass durch die Kenntnis der Informationen sicherheitspolitische Interessen und auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland sowie die aktuelle Willensbildung im Bundessicherheitsrat beeinträchtigt würden.
Rz. 56
Vor diesem Hintergrund kann ohne Einsicht in die betreffenden Unterlagen nicht ausgeschlossen werden, dass deren Offenlegung auch aktuell noch schädlich für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland sein kann (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 SÜG) und deshalb deren Geheimhaltung zum Schutz des Wohles des Bundes (§ 4 Abs. 1 Satz 1 SÜG) erfordert.
Fundstellen
BVerwGE 2023, 1 |
AfP 2022, 503 |
DÖV 2023, 88 |
JZ 2022, 696 |
LKV 2022, 3 |
VR 2023, 35 |
ZUM 2023, 66 |
DVBl. 2022, 3 |
GSZ 2022, 9 |