Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 263 594,43 € nebst Zinsen in Höhe von jährlich 4 v.H. seit dem 23. Dezember 2004 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt elf Zwölftel, der Kläger trägt ein Zwölftel der Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der durch die Anrufung des unzuständigen Verwaltungsgerichts Köln entstandenen Mehrkosten, die der Kläger trägt.
Tatbestand
I
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für die Errichtung und den Betrieb einer atomrechtlichen Landessammelstelle, die in den Jahren 1993 bis 1997 angefallen sind. Er begann im Jahr 1993 mit der Errichtung einer Landessammelstelle am Kernkraftwerk Greifswald, die als Übergangslösung konzipiert war. Im Jahr 1995 übertrug er die Wahrnehmung der entsprechenden Aufgaben an die Energiewerke Nord GmbH. Mit Inbetriebnahme der regulären Landessammelstelle im Jahr 1999 auf dem Gelände des Zwischenlagers Nord in Rubenow (Lubmin) wurde der Betrieb der übergangsweise eingerichteten Landessammelstelle eingestellt.
Ab 1994 forderte die Beklagte die Bundesländer jährlich schriftlich auf, die im abgelaufenen Jahr im Rahmen der atomrechtlichen Auftragsverwaltung angefallenen Ausgaben geltend zu machen. Beigefügt war den Schreiben jeweils ein Anforderungsvordruck, in dem unter Nr. 4.1 die Kosten für “Ganzkörpermessgeräte, mit denen im Falle besonderer Gefährdung auf Anordnung der Aufsichtsbehörde die Aufnahme radioaktiver Stoffe durch den menschlichen Körper festgestellt werden kann”, anzugeben, unter Nr. 4.2 “Zweckausgaben im Zusammenhang mit der Überwachung grenznaher ausländischer Kernanlagen” zu bezeichnen und unter Nr. 4.3 “Sonstige Zweckausgaben” aufzuführen waren. Dem Sozialministerium des Klägers ging ein solches Anforderungsschreiben (nach Bekunden des Klägers) erstmals im August 1995 zu, es betraf die im Haushaltsjahr 1994 angefallenen Kosten.
Die Beklagte vertritt seit den 1980er Jahren die Auffassung, Personalkosten der Landessammelstellen seien Verwaltungskosten und deshalb den Ländern nicht zu erstatten. Nachdem auf der 24. Sitzung der Arbeitsgruppe Landessammelstellen im Mai 1998 – unter Beteiligung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – der Bund und die Länder sich auf Abgrenzungskriterien zur Unterscheidung der von den Ländern zu tragenden Verwaltungsausgaben von den vom Bund zu erstattenden Zweckausgaben verständigt hatten, beantragte der Kläger erstmals im August 1998 die Erstattung von Zweckausgaben in Höhe von 585 436,18 DM für den Zeitraum von 1993 bis 1996, deren Umfang er später auf 560 115,76 DM (286 382,64 €) herabsetzte. Im Juni 2000 machte er weitere, ab 1997 angefallene und insbesondere das Jahr 1999 betreffende Zweckausgaben geltend.
Die Beklagte lehnte die Erstattung der für die Jahre 1993 bis 1996 angeforderten Kosten wegen Verwirkung ab.
Der Kläger hat am 23. Dezember 2004 beim Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen. Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger aus: Die öffentlich-rechtliche Streitigkeit sei nichtverfassungsrechtlicher Art. Der Erstattungsanspruch habe seinen Rechtsgrund im atomrechtlichen Verwaltungsverfahren. Erstattungsfähig als Zweckausgaben seien sowohl Investitionskosten für die Errichtung der Landessammelstelle als auch laufende Kosten zur Erfüllung des Verwaltungsauftrags, also auch Personalkosten. Die geltend gemachten Ansprüche seien nicht verwirkt. Seit 1992 hätten zwischen dem Bund und den Ländern Unklarheiten darüber bestanden, ob die Betriebskosten der Landessammelstellen zu den Zweckausgaben gehörten. Vor 1998 habe es keine Kriterien für die Abrechnung der Aufwendungen gegeben. Die Beklagte habe daher im Jahr 1998 nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger seine Ansprüche endgültig nicht mehr geltend machen würde. Außerdem seien die Anforderungsschreiben nicht an das zuständige Ministerium des Klägers adressiert gewesen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 286 382,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält den Rechtsstreit für verfassungsrechtlicher Art. Verfassungsrechtlicher Art sei insbesondere die Abgrenzung von Zweckausgaben und Verwaltungsausgaben. Der Kläger hätte seine Aufwendungen im nahen zeitlichen Zusammenhang mit ihrem Entstehen anmelden können. Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern hätten nur über die Erstattungsfähigkeit der Verwaltungskosten der Landessammelstelle bestanden. Verwaltungskosten für den Betrieb der Landessammelstelle seien nicht erstattungsfähig. Jedenfalls seien Erstattungsansprüche für Aufwendungen in den Jahren 1993 bis 1996 verwirkt. Eine verlässliche und planbare Haushaltswirtschaft erfordere die zeitnahe Anmeldung. Die Belastung eines Haushalts mit lange zurückliegenden Verwaltungskosten sei unzulässig. Die Rechtspflicht zur Geltendmachung der Ansprüche in einem üblichen Anmelde- und Abfrageverfahren folge aus dem Grundsatz der Bundestreue. Die Untätigkeit des Klägers sei nicht dadurch gerechtfertigt, dass zwischen Bund und Ländern über den Umfang der Zweckausgaben diskutiert worden sei. Die Untätigkeit habe eine Vertrauensgrundlage geschaffen, zumal andere Länder ihre Forderungen rechtzeitig geltend gemacht hätten.
Entscheidungsgründe
II
Die Klage ist zulässig und zum überwiegenden Teil begründet.
1. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung erstinstanzlich zuständig, da eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt (§ 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art ist, richtet sich danach, inwieweit das streitige Rechtsverhältnis entscheidend durch Verfassungsrecht geprägt wird (Beschlüsse vom 13. August 1999 – BVerwG 2 VR 1.99 – BVerwGE 109, 258 ≪259≫ m.w.N. = Buchholz 11 Art. 44 GG Nr. 2 und vom 8. Mai 2002 – BVerwG 3 A 1.01 – BVerwGE 116, 234 ≪237 f.≫ = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 289). Eine entscheidende Prägung durch Verfassungsrecht ist regelmäßig anzunehmen, wenn um föderale Ansprüche, Verbindlichkeiten oder Zuständigkeiten gestritten wird, welche auf Normen des Grundgesetzes gestützt werden, die gerade das verfassungsrechtlich geordnete Verhältnis zwischen Bund und Ländern betreffen (BVerfG, Urteil vom 22. Mai 1990 – 2 BvG 1/88 – BVerfGE 81, 310 ≪319≫ m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der geltend gemachte, aus Art. 104a Abs. 2 GG abgeleitete Klageanspruch wurzelt nicht im verfassungsrechtlichen Grundverhältnis zwischen dem Bund und einem Land, sondern in einem engeren Rechtsverhältnis, das durch Normen des einfachen Rechts geprägt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 – 2 BvG 1/02, 2/02 – BVerfGE 109, 1 ≪6≫; BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2007 – BVerwG 3 A 2.05 – BVerwGE 128, 99 ≪102≫ = Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 20). Prägend ist hier das auf § 24 Abs. 1 Satz 1 AtG beruhende Auftragsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Kläger. Aus dieser Vorschrift geht hervor, dass die Errichtung und der Betrieb eines atomrechtlichen Landessammellagers im Auftrag des Bundes ausgeführt wird (§ 9a Abs. 3 Satz 1 AtG). Der Streit zwischen den Beteiligten betrifft nicht den Rechtsgrund, sondern die Höhe des Erstattungsanspruchs und die Begründetheit von Einwendungen oder Einreden.
Verfassungsrechtlicher Art ist auch nicht der Streit um die Abgrenzung von Zweckausgaben und Verwaltungskosten. Nach der Grundregel des Art. 104a Abs. 1 GG trägt diejenige Körperschaft, die die Verwaltungskompetenz besitzt, auch die Ausgaben. Als Ausnahme von dieser Regel bestimmt Art. 104a Abs. 2 GG, dass der Bund die Ausgaben trägt, die sich aus dem Handeln der Länder im Auftrag des Bundes ergeben (Zweckausgaben). Die Verwaltungsausgaben wiederum tragen nach der gegenüber Absatz 2 speziellen Vorschrift des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 GG die Körperschaften, bei deren Behörden sie entstehen. Verwaltungsausgaben sind die Kosten für die Unterhaltung und den Betrieb des Verwaltungsapparats. Sie stehen im Gegensatz zu den Zweckausgaben, die durch die Erfüllung der Verwaltungsaufgaben anfallen (Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 104a Rn. 9 m.w.N.). Ob projektbezogene Personalkosten zu den Zweckausgaben oder den Verwaltungsausgaben gehören, ist eine Frage der Auslegung des einfachen Rechts. Sie ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin geklärt, dass Personalkosten den Zweckausgaben unterfallen, soweit sie der entsprechenden Sachaufgabe zurechenbar sind. Zweckausgaben erfassen nicht nur die zweckgebundenen sächlichen Kosten, sondern auch personelle Kosten, die die Erfüllung der Sachaufgabe erfordert (Urteil vom 2. Februar 1995 – BVerwG 2 A 1.92 – Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 13). Das folgt daraus, dass der Zweck der übertragenen Sachaufgabe nicht ohne Einsatz von Personal erreicht werden kann.
Den dem Senat vorliegenden Akten lässt sich nicht entnehmen, dass der Kläger in seine Erstattungsforderung Personalkosten eingestellt hat, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der ihm übertragenen Aufgabe stehen. Auch die Beklagte behauptet das nicht. Ihre Auffassung, dass personelle Aufwendungen für den Betrieb der Landessammelstelle – z.B. auch die Hausmeisterkosten – generell nicht zu den Zweckausgaben gerechnet werden könnten, trifft nicht zu.
2. Die Einwände, die die Beklagte gegen die Höhe des geltend gemachten Erstattungsanspruchs erhoben hat, sind zum überwiegenden Teil nicht begründet.
Gegenstand des Klageverfahrens ist nach dem Klageantrag der im Schreiben des Klägers an die Beklagte vom 11. August 2004 bezeichnete Betrag von 560 115,76 DM (286 382,64 €). Nach den Angaben des Klägers in seinem Schriftsatz vom 8. Dezember 2005 stehen allerdings den im Zeitraum von 1993 bis 1996 angefallenen Zweckausgaben von 548 621,91 DM Einnahmen in Höhe von 33 076 DM gegenüber. Dargelegt hat der Kläger damit einen Erstattungsanspruch nur in Höhe von 515 545,91 DM (263 594,43 €). Die Zuordnung von Ausgaben in dieser Höhe für die Errichtung und den Betrieb der Landessammelstelle in den Jahren 1993 bis 1996 hat die Beklagte weder im Verwaltungsverfahren noch im Prozess in Frage gestellt. Die im Prozess vorgetragenen Einwendungen gegen die Höhe des dargelegten Erstattungsanspruchs sind unsubstantiiert. Der Kläger hat seine Ausgaben und zuletzt auch seine Einnahmen detailliert aufgelistet; bereits im Verwaltungsverfahren hatte er auch den Einwand der mangelnden Prüffähigkeit einzelner Rechnungsposten entkräftet. Im April 2004 fanden hierüber zwischen der Beklagten und dem Kläger Verhandlungen statt. Angesichts der Darlegung des Anspruchs im Einzelnen wäre es Aufgabe der Beklagten gewesen, die aus ihrer Sicht nicht erstattungsfähigen Rechnungspositionen zu substantiieren, um dem Gericht weiterführende Ermittlungen zur Höhe der Forderung zu ermöglichen. Daran fehlt es. Mit nicht substantiierten Einwänden lässt sich ein dargelegter Anspruch nicht bestreiten (BGH, Urteil vom 24. Januar 2008 – VII ZR 280/05 – BGHZ 175, 118 m.w.N.).
Den Gründen, aus denen Aufwendungen des Klägers für die Errichtung und den Betrieb der Landessammelstelle ungedeckt blieben, muss nicht weiter nachgegangen werden. Im Rahmen der Auftragsverwaltung verfügen die Länder nur über eine beschränkte Sachkompetenz, weil sich die Bundesaufsicht sowohl auf die Gesetzmäßigkeit als auch auf die Zweckmäßigkeit der Gesetzesausführung erstreckt (Art. 85 Abs. 4 Satz 1 GG) und die Landesbehörde den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörde unterliegt (Art. 85 Abs. 3 Satz 1 GG). Den Ländern verbleibt allein die Wahrnehmungskompetenz für den Gesetzesvollzug, die ihrerseits durch die Weisungskompetenz des Bundes beschränkt ist. Für die Benutzung einer Landessammelstelle haben die Länder zwar Kosten zu erheben (§ 21a Abs. 1 AtG). Kommen sie dieser Pflicht nicht hinreichend nach, begründet das aber keine Befugnis des Bundes, die Erstattung der Zweckausgaben entsprechend zu verringern. Das folgt daraus, dass der Bund die Kostenkontrolle und die notwendige Kostenerhebung im Aufsichtsweg sicherstellen kann. Bleibt der Bund trotz seines Weisungsrechts untätig, kann er dieses Versäumnis nicht auf der Stufe des Aufwendungsersatzes nach Art. 104a Abs. 2 GG nachholen und Ansprüche des Landes wegen angeblich unzureichender Kostenerhebung nachträglich kürzen (Papier, in: FS Willi Blümel, 1999, S. 421 ≪429 ff.≫).
Ob die umfassende Ausgabenverantwortung des Bundes dann eine Einschränkung erfährt, wenn Belastungen des Bundes auf einer nicht ordnungsgemäßen Verwaltung des Landes beruhen, bedarf hier keiner Entscheidung. Das Bestehen eines entsprechenden, aus Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 GG herzuleitenden Haftungsanspruchs ist schon zweifelhaft, wenn der Bund im Vorfeld von seinem Weisungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat den Haftungsanspruch überdies auf schwerwiegende Verletzungen von Hauptpflichten, also auf den Kernbereich der zugewiesenen Pflichten beschränkt und eine Einstandspflicht für fahrlässiges Handeln ausgeschlossen (Urteil vom 18. Mai 1994 – BVerwG 11 A 1.92 – BVerwGE 96, 45 ≪57 f.≫ = Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 11). Nach diesem Maßstab scheidet eine Inanspruchnahme des Klägers von vornherein aus. Der Kläger macht plausible Gründe dafür geltend, dass es trotz Gebührenerhebung zu einer Unterdeckung der Betriebskosten kommen musste. Ursächlich war nach seinem Vorbringen namentlich der geringe Umfang der Einlagerungen. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass das Verwaltungshandeln des Klägers im Rahmen der Aufgabenübertragung unzureichend war.
3. Der Erstattungsanspruch des Klägers für die Jahre 1993 bis 1996 ist nicht verwirkt. Andere Gründe als die Verwirkung sind mangels einer entsprechenden gesetzlichen Regelung von vornherein ungeeignet, den Anspruch des Klägers zu Fall zu bringen. Das gilt namentlich für die von der Beklagten angeführten Praktikabilitätserwägungen (Jährlichkeit des Haushalts, Planbarkeit der Finanzwirtschaft) und für die sinngemäß geltend gemachte Präklusion.
Die Voraussetzungen einer Anspruchsverwirkung sind nicht gegeben. Für sie sind ein Zeitmoment und ein Umstandsmoment kennzeichnend. Beide Kriterien hängen entscheidend von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Öffentlich-rechtliche Ansprüche werden verwirkt, wenn ihre verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Dabei führt allein die Tatsache, dass sich der Berechtigte verspätet auf sein Recht beruft, noch nicht zur Verwirkung. Hinzukommen muss, dass der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Erst durch dieses Umstandsmoment wird eine Situation geschaffen, auf die der jeweilige Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (BVerfG, Entscheidung vom 26. Januar 1972 – 2 BvR 255/67 – BVerfGE 32, 305 ≪308≫; BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 1998 – BVerwG 2 B 152.97 – Buchholz 232 § 31 BBG Nr. 59).
Bei der nach objektiven Gesichtspunkten vorzunehmenden Beurteilung des Verhaltens des Klägers einerseits und der von der Beklagten geschaffenen Umstände andererseits kann keine Rede davon sein, dass die Beklagte sich darauf einrichten durfte, der Kläger werde einen ihm zustehenden Aufwendungsersatzanspruch nicht mehr geltend machen. Für ein solches Vertrauen fehlt es sowohl an der Grundlage als auch an dem Tatbestand, dass die Beklagte auf die Nichtausübung des Forderungsrechts vertraut hat:
Der wiederholte Einwand der Beklagten, die Praxis des jährlichen Anmeldeverfahrens habe sich seit den 1980er Jahren eingespielt und bewährt, kann dem erst 1990 der Bundesrepublik Deutschland beigetretenen Kläger nicht entgegengehalten werden. Der Kläger sah sich frühestens 1994 – nach seinem eigenen Vorbringen erst 1995 – den Abrechnungsmodalitäten für Ansprüche nach Art. 104a Abs. 2 GG gegenübergestellt. Die ab 1994 von der Beklagten für die jeweils zurückliegenden Haushaltsjahre an die Länder übersandten Abrechnungsbögen waren zu unbestimmt, um die mehrjährige Unterlassung ihrer Rücksendung durch den Kläger als illoyal erscheinen zu lassen. Das jeweilige Anforderungsschreiben bezog sich zwar auf “Zweckausgaben nach Art. 104a Abs. 2 GG im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung”. Der jeweilige Abrechnungsbogen führte insoweit aber nur Kosten für “Ganzkörpermessgeräte” (Nr. 4.1) und Kosten im “Zusammenhang mit der Überwachung grenznaher ausländischer Kernanlagen” (Nr. 4.2) auf. Da Kosten für die im Vergleich hierzu erheblich aufwändigere Errichtung von Landessammelstellen, die sich beim Kläger schon 1993 auf mehr als 175 000 DM beliefen, nicht aufgeführt waren, konnte der Kläger nicht sicher erkennen, dass diese den “Sonstigen Zweckausgaben” zuzuordnen waren.
Überdies berief sich der Kläger schon im frühen Stadium des Verwaltungsverfahrens zu Recht darauf, er habe vor 1998 keine prüffähigen Erstattungsansprüche geltend machen können, weil unklar gewesen sei, ob zu den erstattungsfähigen Zweckausgaben auch die beim Betrieb der Landessammelstelle angefallenen Personalkosten gehörten, ob Investitionskosten nur vorzufinanzieren und ob Betriebsdefizite durch kostendeckende Gebühren auszuschließen waren. An den vom Kläger im Schreiben vom 18. Juli 2002 dargestellten Abläufen und Klärungsbemühungen in der Arbeitsgruppe Landessammelstelle, im Länderausschuss für Atomkernenergie und in dessen Fachausschuss Recht zu zweifeln, sieht der Senat keinen Anlass. Angesichts dessen hätte sich der Beklagten schon Mitte der 1990er Jahre die Annahme aufdrängen müssen, dass diejenigen Länder, die keine Erstattungsansprüche angemeldet hatten, zunächst eine Klärung der Rechtslage zu erreichen suchten, bevor sie sich durch eine jährlich wiederkehrende Anmeldung umstrittener Forderungen einer Vielzahl möglicher Rechtsstreitigkeiten mit dem Bund aussetzten. Nach dem Inhalt der Verwaltungsakten des Parallelverfahrens BVerwG 7 A 2.07 sollte bereits im Sommer 1995 wegen der ungeklärten Rechtslage ein Tagesordnungspunkt “Abgrenzung von Zweck- und Verwaltungsausgaben bei Errichtung und Betrieb von Landessammelstellen nach Art. 104a Abs. 2, Abs. 5 GG” Gegenstand der Beratungen der Sitzung des Fachausschusses Recht des Länderausschusses für Atomkernenergie sein. Das konnte der Beklagten nicht verborgen geblieben sein, da der Länderausschuss unter der Federführung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit getagt und die Beklagte selbst Vorschläge zur sachlichen Verständigung und zur Vermeidung gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen dem Bund und den Ländern unterbreitet hat (Schreiben vom 6. November 1996). Nachdem ab 1998 Klarheit über die Aufschlüsselung der verschiedenen Kostenarten geschaffen worden war, wurde erst 2001 ein im Länderausschuss erarbeiteter neuer Abrechnungsbogen “für Erstattungen von Zweckausgaben nach Art. 104a Abs. 2 GG bei Landessammelstellen” eingeführt. Unter Würdigung aller Umstände ergibt sich, dass sich bei der Beklagten kein schutzwürdiges Vertrauen dahin bilden konnte, der Kläger werde zurückliegende Ersatzansprüche nicht mehr geltend machen.
Im Übrigen lässt der Einwand der Beklagten, sie habe keine Kenntnis von dem erst jetzt geltend gemachten Anspruch des Klägers gehabt, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Verwirkung aus einem weiteren Grund entfallen. Den Schutz vor unbekannten Forderungen hat das Verjährungsrecht zu gewährleisten, nicht aber der Grundsatz von Treu und Glauben (BAG, Beschluss vom 28. März 2001 – 7 ABR 21/00 – BAGE 97, 236); denn wer von einem möglichen Anspruch eines Dritten keine Kenntnis hat, kann grundsätzlich auch nicht darauf vertrauen, dass ein solcher nicht mehr geltend gemacht werde. Ein Sachverhalt dieser Art liegt hier vor, soweit die Beklagte sich darauf beruft, sie habe angenommen, dem Kläger seien keine durch Gebühren nicht gedeckte Kosten im Zusammenhang mit der Landessammelstelle entstanden.
4. Hiernach ist die Klage in Höhe von 263 594,43 € begründet. Die darüber hinausgehende Forderung ist mangels schlüssigen Vorbringens abzuweisen. Ebenso ist die Klage zum Teil abzuweisen hinsichtlich der Höhe der geforderten Prozesszinsen. Die Prozesszinsen belaufen sich gemäß §§ 291, 288 BGB in der bis zum 30. April 2000 geltenden Fassung auf 4 v.H.; diese Vorschriften sind auf die öffentlich-rechtliche Leistungsklage entsprechend anzuwenden (Urteil vom 28. Juni 1995 – BVerwG 11 C 22.94 – BVerwGE 99, 53 = Buchholz 310 § 90 VwGO Nr. 6). Eine jährliche Verzinsung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz scheidet aus. Die §§ 291, 288 BGB in der ab 1. Mai 2000 maßgeblichen Fassung gelten nur für Forderungen, die von diesem Zeitpunkt an fällig werden (Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB). Die Forderungen des Klägers sind schon zuvor fällig geworden.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17b Abs. 2 Satz 2 GVG.
Unterschriften
Sailer, Herbert, Krauß, Neumann, Guttenberger
Fundstellen