Entscheidungsstichwort (Thema)
Sondervermögen Deutsche Reichsbahn. Restitutionsanspruch des Alteigentümers. Widmung. Widmungsvermögen. Nutzung. Baumaßnahmen als Nutzung. Inbetriebnahme. Kontinuität der Aufgabenerfüllung
Leitsatz (amtlich)
Eine Parzelle, die am 3. Oktober 1990 zum Ausbau einer Bahnstrecke bestimmt war und hierfür zur Verfügung stand, gehört auch schon vor ihrer tatsächlichen Nutzung zum so genannten Widmungsvermögen der Deutschen Reichsbahn (Art. 26 Abs. 1 Satz 2 EV).
Die Durchführung widmungskonformer Baumaßnahmen auf einer solchen Parzelle stellt – bezogen auf den Stichtag 25. Dezember 1993 – eine den Restitutionsanspruch des Alteigentümers verdrängende Nutzung für Bahnzwecke i.S. von § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 VZOG dar.
Normenkette
Einigungsvertrag (EV) Art. 26 Abs. 1, Art. 21 Abs. 3 i.V.m, Art. 22 Abs. 1 S. 7; VZOG § 11 Abs. 1 S. 3 Nr. 1, § 18 Abs. 1 S. 1, § 21 Abs. 2
Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 15.02.2001; Aktenzeichen 3 A 2099.97) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Februar 2001 geändert.
Der Bescheid der Präsidentin der Treuhandanstalt vom 6. Mai 1994 wird aufgehoben, soweit darin die von der Klägerin beanspruchte Teilfläche von 126 qm dem Beigeladenen zugeordnet worden ist. Die Beklagte wird verpflichtet, diese Teilfläche der Klägerin zuzuordnen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Beklagte und der Beigeladene je zur Hälfte, die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen trägt die Beklagte.
Tatbestand
I.
Die Deutsche Bahn AG (Klägerin) wendet sich gegen die Restitution einer von ihr beanspruchten Teilfläche eines Grundstücks an das beigeladene Land Berlin.
Die umstrittene 126 m(2) große Fläche ist Teil des insgesamt 832 m(2) umfassenden, im Grundbuch von Berlin-Weißensee verzeichneten Flurstücks 11, das im Zuge der Bahnlinie zwischen dem Bahnhof Wartenberg und der Sellheimbrücke liegt. Die Grundbucheintragung lautet auf “Eigentum des Volkes, Rechtsträger VEG Tierproduktion Berlin”. Voreigentümerin des Grundstücks war die Stadtgemeinde Berlin als Rechtsvorgängerin des Beigeladenen.
Im Zusammenhang mit der Planung der S-Bahnverlängerung vom Bahnhof Wartenberg zum Karower Kreuz – parallel zur vorhandenen Bahnstrecke – schlossen die Deutsche Reichsbahn, Reichsbahndirektion Berlin, und die VEG Tierproduktion Berlin im Februar 1988 einen “Vorvertrag über den Rechtsträgerwechsel”, wonach die Deutsche Reichsbahn eine Teilfläche des Flurstücks 50/6 im Umfang von 435 m(2) als Rechtsträger übernehmen sollte. Der Rechtsträgerwechsel sollte nach Vermessung und Vorliegen der Liegenschaftsunterlagen erfolgen. Die Reichsbahn sollte ab 1. März 1988 unter Übernahme der Rechte und Pflichten eines Rechtsträgers zur Nutzung der Teilfläche berechtigt sein. Der Rechtsträgerwechsel wurde wegen Engpässen im Vermessungswesen der Reichsbahn nicht förmlich realisiert. Unter dem 27. Juli 1989 erteilte die staatliche Plankommission des Ministerrats der DDR die Standortgenehmigung für die “Baumaßnahmen Karower Kreuz, 2. Ausbaustufe, Verlängerung Wartenberg-Sellheimbrücke”, die als Bestandteil der dortigen Bahnböschung und des Kreuzungsbauwerks auch die hier umstrittene Teilfläche einbezog. Vorarbeiten für den vorgesehenen Ausbau der vorhandenen Bahnstrecke begannen 1989; Baubeginn für den fraglichen Abschnitt war der 1. August 1991. Die von der Klägerin beanspruchte Fläche ist Teil der im Bereich der Brücke mittlerweile fertig gestellten S-Bahntrasse.
Dem Antrag des Beigeladenen auf Restitution des Grundstücks entsprach die Präsidentin der Treuhandanstalt mit Bescheid vom 6. Mai 1994. Im Juni 1994 beantragte die Klägerin die Zuordnung einer Teilfläche von 435 m(2) des Flurstücks 50/6 unter Hinweis auf die dort im Bau befindliche S-Bahnverlängerung. Dieser Antrag wurde von der Beklagten nicht beschieden.
Zur Begründung ihrer auf die Aufhebung des Bescheids vom 6. Mai 1994 und auf die Verpflichtung der Beklagten auf Zuordnung der umstrittenen, im Laufe des Verfahrens auf 126 m(2) reduzierten Teilfläche zielenden Klage macht die Klägerin geltend: Auf der Teilfläche befänden sich Gleisanlagen und das Widerlager einer Eisenbahnbrücke. Es handele sich deshalb um bahnnotwendiges Vermögen, das nach Art. 26 Abs. 1 des Einigungsvertrages – EV – kraft Gesetzes auf die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Sondervermögens Deutsche Reichsbahn übergegangen, jedenfalls aber auf die Klägerin gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 2 EV antragsgemäß zu übertragen sei. Die Restitution der umstrittenen Teilfläche an den Beigeladenen sei nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 VZOG ausgeschlossen.
Nach Ansicht der Beklagten und des Beigeladenen steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zu, weil die Arbeiten zur Errichtung der Bahnlinie auf der umstrittenen Teilfläche an den Stichtagen 3. Oktober 1990 und 25. Dezember 1993 noch im Gange gewesen seien und somit von einer Nutzung der Fläche für Bahnzwecke nicht gesprochen werden könne.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und dies wie folgt begründet:
Der angefochtene Bescheid der Beklagten sei rechtmäßig. Das beigeladene Land erfülle die in Art. 21 Abs. 3, 22 Abs. 1 Satz 7 EV genannten Restitutionsvoraussetzungen. § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 VZOG stehe der Rückgabe an den Beigeladenen nicht entgegen. Die umstrittene Teilfläche sei nämlich bei Inkrafttreten dieser Vorschrift am 25. Dezember 1993 nicht für eine öffentliche Aufgabe entsprechend den Art. 21, 26, 27 und 36 EV genutzt worden. Die Errichtung und Vorhaltung von Gleisanlagen auf einem zu restituierenden Grundstück stelle für sich allein keine die Restitution ausschließende Nutzung dar. Die bloße – wenn auch objektivierte – Absicht, ein Grundstück künftig für öffentliche Zwecke zu nutzen, könne der effektiven Nutzung nur dann gleichgestellt werden, wenn letztere absehbar bevorgestanden habe. Die Voraussetzung sei hier nicht erfüllt, weil im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz der Bahnbetrieb auf der fraglichen S-Bahnstrecke weder aufgenommen worden noch die Betriebsaufnahme absehbar gewesen sei.
Hiergegen wendet die Klägerin im Revisionsverfahren folgendes ein:
Die Baumaßnahmen auf der umstrittenen Teilfläche (Brücken- und Kreuzungsbauwerke) seien im Sommer 1993 abgeschlossen worden. Die Fertigstellung des Gesamtprojekts bis zur Herstellung der Betriebsfähigkeit sei bisher daran gescheitert, dass der Beigeladene die seinem Kostenanteil entsprechenden Finanzmittel nicht freigegeben habe. Bei den auf der Teilfläche errichteten Kunstbauten handele es sich um Bahnanlagen im Sinne der §§ 4 Abs. 1, 8 Eisenbahnbetriebsordnung (EBO). Solche Bahnanlagen erfüllten stets den Tatbestand des Art. 26 Abs. 1 Satz 2 EV im Sinne einer Widmung zum Bahnbetrieb.
Nach Ansicht der Beklagten handelt es sich bei der umstrittenen Teilfläche nicht um bahngewidmetes Vermögen. Ein Zuordnungsanspruch stehe der Klägerin daher nicht zu. Die Widmung zu Bahnzwecken sei an die jeweilige Nutzung zum 3. Oktober 1990 geknüpft. Im vorliegenden Fall scheitere die Annahme einer Widmung daran, dass die umstrittene Liegenschaft am 3. Oktober 1990 von der Klägerin weder genutzt worden noch nutzbar gewesen sei.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Die Klägerin kann die Zuordnung verlangen, weil die beanspruchte Teilfläche am 3. Oktober 1990 zum Sondervermögen Deutsche Reichsbahn in der Form des Widmungsvermögens (Art. 26 Abs. 1 Satz 2, 2. Altern. EV) gehörte und von ihrer Rechtsvorgängerin am Stichtag 25. Dezember 1993 für Bahnzwecke genutzt wurde.
Inwieweit der Deutschen Bahn Aktiengesellschaft eigentumsrechtliche Ansprüche auf ehemaliges Volkseigentum zustehen, beurteilt sich zunächst nach Art. 26 Abs. 1 EV i.V.m. § 18 Abs. 1 Satz 1 VZOG und §§ 20 – 23 ENeuglG. Entscheidende materiellrechtliche Voraussetzung hierfür ist, dass der beanspruchte Vermögensgegenstand zum Beitrittszeitpunkt als zum Sondervermögen Deutsche Reichsbahn (nachfolgend abgekürzt: SV DRB) gehörig der Bundesrepublik Deutschland zugefallen war oder ihr jedenfalls zustand (1.). Zweifel daran, dass im vorliegenden Fall bei Bejahung der Zugehörigkeit der umstrittenen Teilfläche zum SV DRB gerade die Klägerin zur Geltendmachung dieses Anspruchs befugt ist, bestehen nicht. Da andererseits der Beigeladene unstreitig die Restitutionsvoraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV erfüllt, kann die Klägerin auch bei zu bejahender Zugehörigkeit der Fläche zum SV DRB nur obsiegen, wenn der Rückgabeanspruch des Alteigentümers aufgrund von § 11 Abs. 1 Satz 3 VZOG ausgeschlossen ist (2.). Beide Erfolgsvoraussetzungen liegen nach Überzeugung des Senats vor.
1. Die von der Klägerin beanspruchte Fläche gehörte zum Beitrittszeitpunkt zum Sondervermögen Deutsche Reichsbahn.
1.1 Von einem das betreffende Grundstück erfassenden gesetzlichen Eigentumsübergang gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EV kann allerdings nicht ausgegangen werden. Hierunter fallen nach der Rechtsprechung des Senats nur solche Vermögensgegenstände, die zum Zeitpunkt des Beitritts in eindeutiger Weise (“offenkundig”) als zum SV DRB gehörig erkennbar waren (vgl. Urteil vom 26. Mai 1999 – BVerwG 3 C 27.98 – BVerwGE 109, 128, 130). Diese Voraussetzung wäre zu bejahen, wenn die Parzelle ausweislich des Grundbuchs im Eigentum oder in der Rechtsträgerschaft der Klägerin oder einer ihrer Vorläufereinrichtungen gestanden hätte (vgl. Kroker/Teige, VIZ 02, 385). Das ist hier nicht der Fall, weil die Grundbucheintragung auf Volkseigentum und Rechtsträgerschaft eines VEG lautete.
1.2 Die Klägerin kann aber eine Zuordnung der Fläche gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 2 EV verlangen. Die dort geregelten Tatbestände begründen Ansprüche auf Vermögenszuweisung durch konstitutiv wirkenden Bescheid einer Zuordnungsstelle (Urteil vom 23. August 2001 – BVerwG 3 C 17.01 – BVerwGE 115, 62, 67 = Buchholz 111 Art. 26 EV Nr. 6, S. 29). Von den in Art. 26 Abs. 1 Satz 2 EV aufgeführten zwei Alternativen (zu denen die Zugehörigkeit zum DRB-Altvermögen als weiterer Zuordnungsgrund hinzutritt, vgl. Urteil vom 23. August 2001 – BVerwG 3 C 17.01 – BVerwGE 115, 62) kommt hier nur die zweite in Betracht (sog. Widmungsvermögen). Danach gehören auch solche Vermögensrechte zum Sondervermögen Deutsche Reichsbahn, die nach dem 8. Mai 1945 “ihrem Betrieb oder dem ihrer Vorgängerverwaltung gewidmet worden sind”. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
Zwar war dem DDR-Recht das Institut der Widmung fremd, so dass es an einem exakten Prüfungsmaßstab fehlt. Das ist indes keine Besonderheit des DDR-Rechts. Bei öffentlichen Sachen im Anstalts- oder Verwaltungsgebrauch – zu denen auch die Betriebsanlagen der Bahn gehören – erfolgt nämlich nach deutscher Verwaltungspraxis in aller Regel keine förmliche Widmung, vielmehr wird die Widmung als durch schlüssiges Handeln erklärt angesehen (vgl. Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 3. Aufl., S. 50).
Angesichts dessen kommt es darauf an, ob der betreffende Vermögensgegenstand durch hoheitliche Entscheidung eine öffentliche Zweckbestimmung erfahren hat und damit einer besonderen, öffentlich-rechtlichen Nutzungsordnung unterstellt worden ist (vgl. Beschlüsse vom 24. Oktober 2001 – BVerwG 3 B 56.01 – Buchholz 111 Art. 26 EV Nr. 8 S. 36 und vom 18. September 1998 – BVerwG 3 B 25.98 – Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 29 S. 45; Papier, a.a.O. S. 39). Die als Widmungsakt in Betracht zu ziehende Maßnahme muss einem verfügungsbefugten Verwaltungsträger zuzurechnen sein und den Willen erkennen lassen, die Sache künftig in bestimmter Weise zu nutzen (vgl. Beschluss vom 25. Mai 2001 – BVerwG 3 B 30.01 – Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 45, S. 30).
Keine unabdingbare Wirksamkeitsvoraussetzung der Widmung ist entgegen der Ansicht der Beklagten die tatsächliche Nutzung der gewidmeten Sache. Es reicht aus, dass der Gegenstand zu dem festgelegten Zweck zur Verfügung gestellt worden ist und genutzt werden konnte. Dass die Widmung zeitlich nicht zusammenfallen muss mit der faktischen Indienststellung bzw. Nutzung der Sache zu dem vorgesehenen Zweck, wird deutlich bei Widmungen, die im Rahmen von Planfeststellungsverfahren erfolgen (vgl. hierzu Urteil vom 16. Dezember 1988 – BVerwG 4 C 48.86 – BVerwGE 81, 111, 113 f. bzgl. bahngewidmeter Anlagen). Denn derartigen Verfahren folgt die Nutzung in der Regel erst mit gehörigem Abstand nach.
Ein Zusammenhang zwischen Widmung und Nutzung besteht freilich insofern, als bei Fehlen eines eindeutigen Widmungsbeschlusses aus einer zulässigen tatsächlichen Nutzung u.U. auf eine diesbezügliche Widmung geschlossen werden kann (vgl. Beschluss vom 24. Oktober 2001, a.a.O.). Die Nutzung ist insoweit ein Indiz für einen entsprechenden Widmungsbeschluss.
1.3 In Hinblick auf die streitbefangene Fläche lagen am 3. Oktober 1990 die für ihre Widmung zu Bahnbetriebszwecken erforderlichen Merkmale vor. Aufgrund hoheitlicher Entscheidungen stand nämlich zu dieser Zeit fest, dass die Fläche der Verlängerung der S-Bahnlinie Wartenberg Sellheimbrücke dienen sollte und hierfür der Bahn unter Ausschluss sonstiger Rechtsträger zur Verfügung gestellt war.
Ausschlaggebende Bedeutung kommt insoweit der als “Vor-Vertrag über den Rechtsträgerwechsel” bezeichneten Vereinbarung vom 10. Februar 1988 zu. Bei unverzüglicher Umsetzung aller darin getroffenen Abreden wären die Widmungsvoraussetzungen mit dem Übergang der Rechtsträgerschaft auf die Reichsbahn unzweifelhaft gegeben gewesen. Sie sind aber auch trotz der aufgetretenen Umsetzungsmängel im Ergebnis zu bejahen. Die im Gefolge eines entsprechenden Vertrages zu erfüllenden Förmlichkeiten, z.B. auch die Eintragung des Wechsels im Grundbuch, sind von untergeordneter Bedeutung und stellen im Allgemeinen keine Wirksamkeitsvoraussetzung für einen Rechtsträgerübergang dar (vgl. Lammert/Rauch/Teige, Rechtsfragen der Vermögenszuordnung, 1996, S. 65 f.).
Zwar ist die Vereinbarung vom 10. Februar 1988 mit “Vor-Vertrag” überschrieben. Gleichwohl enthält sie eine für die Annahme einer Widmung hinreichende Festlegung der künftigen Zweckbestimmung der umstrittenen Fläche. Nach Vertragsinhalt, Aktenlage und übereinstimmender Ansicht der Beteiligten nimmt nämlich der “Vor-Vertrag” die Stelle des eigentlichen Vertrages über den Rechtsträgerwechsel ein. Auf seiner Grundlage ist dementsprechend in der Folgezeit verfahren worden, ohne dass es insoweit zu einem weiteren, ihn ablösenden Vertrag gekommen wäre. Schon allein der Umstand, dass der Deutschen Reichsbahn bereits am 1. März 1988 – also drei Wochen nach Vertragsschluss – die Nutzungsberechtigung und alle Rechte und Pflichten eines Rechtsträgers zukommen sollten, widerlegt die Vermutung, es handele sich möglicherweise nur um eine ergänzungsbedürftige, in ihrer Verbindlichkeit eingeschränkte Absichtserklärung. Dieser Rechtsträgerwechselvertrag erfüllt jedenfalls neben und in Verbindung mit der so genannten Standortgenehmigung sowie dem Beginn der Vorarbeiten die wesentlichen Kriterien einer Widmung. Ob die Standortgenehmigung schon für sich allein genommen als Widmungsakt gelten könnte, mag auf sich beruhen. Denn sie und die ihr folgenden Vorarbeiten bestätigen zumindest die definitive Bestimmung der Fläche für die S-Bahnverlängerung.
2. Dem Recht der Klägerin, von der Beklagten die Zuordnung der zum SV DRB gehörenden Teilfläche verlangen zu können, steht der hier nicht bestrittene Anspruch des Beigeladenen als Alteigentümer auf Restitution der nämlichen Parzelle gegenüber (Art. 21 Abs. 3 i.V.m. 22 Abs. 1 Satz 7 EV). Wie diese Anspruchskonkurrenz zu lösen ist, hat spätestens der Gesetzgeber des Registerverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Dezember 1993 (BGBl I S. 2182, 2225, 2232) in § 21 Abs. 2 VZOG klargestellt. Hiernach gelten die angeführten Restitutionsvorschriften und die Vorschriften der §§ 11 bis 16 VZOG u.a. auch für das in Art. 26 EV genannte Vermögen. Der Rückgabeanspruch des Alteigentümers geht somit prinzipiell dem aus der Zugehörigkeit zum SV DRB abgeleiteten Zuordnungsanspruch vor. Er kann jedoch im Einzelfall durch einen der in § 11 Abs. 1 Satz 3 VZOG normierten Gründe ausgeschlossen sein. Im vorliegenden Fall greift entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts der dort unter Nr. 1 geregelte Ausschlussgrund durch. Die Klägerin hat das Grundstück bei Inkrafttreten dieser Bestimmung – dem 25. Dezember 1993 – für eine dem Art. 26 EV entsprechende öffentliche Aufgabe genutzt, indem sie dort widmungskonform ein Brückenbauwerk errichtet hat und für die spätere Aufnahme des S-Bahnverkehrs bereithielt.
Das Verwaltungsgericht hat sich zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht auf den Beschluss vom 11. November 1998 (BVerwG 3 B 140.98 – Buchholz 428.2 § 11 Nr. 21) bezogen. Es ist einzuräumen, dass einige Bemerkungen in diesem Beschluss so verstanden werden können, als schlössen Baumaßnahmen, die am Stichtag noch nicht abgeschlossen waren oder jedenfalls noch nicht zur Realisierung des mit ihnen verfolgten Zweckes geführt haben, die Annahme einer Nutzung generell aus. Dies bedarf der Klarstellung. Der angegebene Beschluss bezieht sich auf ein Gebäude, dessen frühere Nutzung als Arbeitsamt aufgegeben worden war, ohne dass sich die vorgesehene neue Funktion am Stichtag – abgesehen von innerbürokratischen Vorgängen wie Zuständigkeitsklärungen, Mittelzuweisungen und Gutachten – nach außen hin auch nur andeutungsweise abgezeichnet hätte. Der Senat hält daran fest, dass unter diesen Umständen von einer tatsächlichen Nutzung des Gebäudes für die künftige Aufgabe noch nicht die Rede sein kann. Der vorliegende Fall unterscheidet sich davon in mehrfacher Hinsicht:
Zum einen geht es hier um ein zuvor unbebautes Grundstück. Dass ein solches durch seine Bebauung – hier namentlich mit dem Widerlager einer Eisenbahnbrücke – “genutzt” wird, ist evident, denn eine intensivere Form der Nutzung ist kaum vorstellbar. Im Unterschied zu bloßen Planungsarbeiten wird mit solchen Baumaßnahmen auf den Vermögensgegenstand in tatsächlicher Hinsicht zugegriffen. Fraglich kann nur sein, ob die Parzelle auch schon vor Abschluss der Bautätigkeit als für den Zweck genutzt angesehen werden kann, dem das Vorhaben zugute kommen soll. Dies ist nach Überzeugung des Senats zu bejahen. Auf einem unbebauten Grundstück können öffentliche Aufgaben i.S. von § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 VZOG in aller Regel – anders als bei fertigen Gebäuden – nur nach einer entsprechenden Bebauung oder Ausstattung wahrgenommen werden. Die Baumaßnahmen zielen m.a.W. darauf ab, die vorgesehene Aufgabe dort zu ermöglichen. Sie dienen daher mittelbar bereits vor ihrem Abschluss dem angestrebten Verwendungszweck. Der sich in der Bebauung dokumentierende Wille zur aufgabenkonformen Nutzung – hier für Bahnzwecke – nimmt diese Nutzung gleichsam vorweg und bezieht die Errichtungsphase in die Nutzung mit ein. Bei einem leer stehenden Gebäude, bei dem konkrete Einrichtungs- oder Umbaumaßnahmen noch nicht angelaufen sind, lässt sich ein vergleichbarer Zusammenhang nicht aufzeigen.
Zum anderen spricht im Fall der Klägerin der in dem Beschluss vom 11. November 1998 hervorgehobene Gesichtspunkt der Kontinuität der Aufgabenerfüllung für die Anerkennung einer bahnbezogenen Nutzung. Die durch § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 VZOG gewährte “Standortgarantie” soll die unterbrechungsfreie Fortführung der öffentlichen Aufgabe durch Belassung des beanspruchten Vermögensgegenstandes bei dem bisherigen Aufgabenträger ermöglichen. Sie vermeidet dadurch – freilich auf Kosten des Alteigentümers – die mit einer Ersatzbeschaffung verbundenen Aufwendungen und Verzögerungen. Zu den Aufgaben der Bahn gehört nicht nur die Abwicklung des laufenden Verkehrs, sondern auch – wenngleich nicht als Selbstzweck – die Erweiterung des Streckennetzes. Aus dem Kontinuitätsaspekt folgt bei einem sich – wie hier – über mehrere Jahre hinziehenden Großbauprojekt, dass die Bahn Gelegenheit haben muss, die begonnene Maßnahme zum Abschluss zu bringen. Solange das Vorhaben nicht endgültig aufgegeben worden ist, ist sie als berechtigt anzusehen, den restitutionsbelasteten Vermögensgegenstand im Rahmen des Widmungszwecks nicht nur zu nutzen, sondern ihn darüber hinaus auch eine Zeitlang für die eigentliche betriebliche Nutzung vorzuhalten bzw. vorzubereiten. Dabei verbietet es sich bei großflächigen Baumaßnahmen vor deren Abschluss von selbst, die Nutzung eines Teilstücks mit der Begründung in Abrede zu stellen, die vorgesehene Verwendung – hier: der S-Bahnbetrieb – stehe noch aus. Ist die beanspruchte Teilfläche in ein Großvorhaben integriert, beurteilt sich die Nutzung vielmehr nach einem ganzheitlichen Maßstab. Dieser Nutzungszusammenhang geht selbst dann nicht verloren, wenn der tatsächliche Betrieb nicht unmittelbar nach Fertigstellung der Anlage aufgenommen wird. Verzögerungen – etwa bedingt durch finanzielle Engpässe oder Rechtsstreitigkeiten – stehen der Annahme einer Nutzung i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 VZOG solange nicht entgegen, wie mit einer Betriebsaufnahme noch zu rechnen ist.
Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts liegen die vorstehend aufgezeigten Voraussetzungen für eine Bahnnutzung der beanspruchten Teilfläche vor. Die Klägerin hat darauf – wie gesagt – ein Brückenbauwerk errichtet und dieses am Stichtag für die dort nach wie vor beabsichtigte Aufnahme des S-Bahnverkehrs bereitgehalten. Deshalb scheitert der Restitutionsanspruch des Beigeladenen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 2 und 3 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Fundstellen
Haufe-Index 879743 |
BVerwGE 2003, 125 |
VIZ 2003, 182 |
NJ 2003, 157 |