Entscheidungsstichwort (Thema)
Überschuldung. Ablösung einer Hypothek mit Eigenmitteln des Eigentümers aus sonstigem Vermögen. gewerblich genutztes Grundstück. Enteignung nach Aufbaugesetz-DDR. irrtümliche Annahme der Überschuldung. analoge Anwendung des § 1 Abs. 2 VermG
Leitsatz (amtlich)
Mit Billigung des staatlichen Verwalters aus dem sonstigen Vermögen des Alteigentümers zur Ablösung einer Hypothek eingesetzte Eigenmittel sind als „sonstige Vebindlichkeiten” (vgl. Urteil vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – BVerwGE 98, 87 ff.) bei der Ermittlung der Überschuldung eines Grundstücks im Rahmen von § 1 Abs. 2 VermG zu berücksichtigen.
Ein Rückübertragungsanspruch in analoger Anwendung des § 1 Abs. 2 VermG kommt nicht in Betracht, wenn die staatlichen Stellen der DDR bei der Inanspruchnahme des Grundstücks irrtümlich von dessen Überschuldung ausgegangen sind.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 2-3
Verfahrensgang
VG Berlin (Entscheidung vom 16.06.1999; Aktenzeichen 7 A 619.96) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Juni 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt die Rückübertragung des 1 459 m² großen, aus den Flurstücken 93 (jetzt 184) und 92 (jetzt 185) bestehenden Grundstücks W.straße 26 in … nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes.
Das Grundstück gehörte ursprünglich der Mutter der Klägerin, die diese später beerbte. Es ist Teil eines zuvor 3 782 m² großen, aus den Flurstücken 91, 92 und 93 bestehenden Grundstücks, aus dem es 1969 im Wege der Trennvermessung hervorgegangen ist. Zu DDR-Zeiten war es – zumindest zuletzt – mit Werkstattgebäuden bebaut und wurde gewerblich genutzt. Nachdem die im Westen lebende Mutter der Klägerin zunächst einen privaten Verwalter beauftragt hatte, kam das Grundstück 1952 gemäß der Verordnung vom 4. September 1952 unter staatliche Verwaltung durch den VEB … Dieser vermietete es zunächst an die private Kfz-Firma K., die im Jahr 1975 von der PGH …als Mieter abgelöst wurde; dabei kaufte der neue Mieter dem Vormieter die von diesem errichteten oder seinerseits erworbenen Baulichkeiten ab. Die PGH … setzte als Mieter die nach einem Schreiben des VEB …vom 20. Mai 1985 „verfallenen Bauten … in eigener Regie und zu eigenen Lasten” instand. In einer Ertragswertberechnung vom 16. März 1984 wurde der Wert von Grund und Boden mit 9 210 M und der Bauzustand der Gebäude mit „unbenutzbar” angegeben; als Baumaßnahmen wurden der Teilabriss (= 2 000 M) und die Dachsanierung (= 6 000 M) vermerkt. Die Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben ergab einen Fehlbetrag von jährlich 1 066,51 M.
Zuvor hatte der VEB … im Februar 1983 um ein Darlehen für Instandhaltungsmaßnahmen in Höhe von 3 000 M gebeten, das die Sparkasse der Stadt Berlin am 10. März 1983 mangels ausreichender Sicherheit ablehnte. Zu diesem Zeitpunkt war im Grundbuch neben zwei Eigentümergrundschulden zu Gunsten der Alteigentümerin u.a. unter laufender Nummer III/6 ein hypothekarisch gesichertes Tilgungsdarlehen mit einem noch offenen Betrag von 35 300 M zu Gunsten der Sparkasse der Stadt Berlin eingetragen, das erst am 8. November 1983 gelöscht wurde. Unter Hinweis auf die Ablehnung der Kreditierung beantragte der VEB als staatlicher Verwalter im April 1984 die Inanspruchnahme des Grundstücks und dessen Überführung in Volkseigentum auf der Grundlage des § 3 der 2. Durchführungsbestimmung zum Aufbaugesetz vom 29. September 1972 sowie zugleich die Erklärung des Grundstücks zum Aufbaugebiet. Am 28. Mai 1984 bestätigte der Stadtbezirksbaudirektor, „dass das Grundstück … im Aufbaugebiet liegt/zum Aufbaugebiet erklärt wird” und in das Register der Aufbaugebiete eingetragen wurde. Mit Bescheid vom 11. Januar 1985 nahm der Magistrat von Berlin mit Wirkung vom 1. Juli 1984 das Grundstück gemäß der 2. Durchführungsbestimmung zum Aufbaugesetz vom 29. September 1972 i.V.m. § 9 des Entschädigungsgesetzes vom 25. April 1960 in Anspruch und bestellte den VEB … zum Rechtsträger. In dem Bescheid heißt es u.a.: „Das Entschädigungsverfahren wird entsprechend den Bestimmungen des o.a. Gesetzes vom 25. April 1960 ohne Antrag durchgeführt”. Am 21. Februar 1985 wurde das Grundbuch in Eigentum des Volkes umgeschrieben. Zur Festsetzung einer Entschädigung kam es nicht.
Auf die Bitte des Magistrats von Berlin um spezifizierte Angabe der auf dem Grundstück lastenden dinglichen Forderungen reagierte die Sparkasse der Stadt Berlin im April 1985 mit der Mitteilung, es seien keine Forderungen feststellbar. Dabei blieb sie auch nach dem Hinweis auf die Eintragung von Grundpfandrechten im Grundbuch zu ihren Gunsten; die unter III/3 eingetragenen 7 000 M seien 1961 und die unter III/6 eingetragenen 35 300 M seien 1983 zurückgezahlt worden. Erneute Recherchen bei der Sparkasse ergaben im Jahr 1987, dass die Forderung unter laufender Nr. III/6 am 31. Dezember 1982 nur noch mit 12 385,95 M valutiert hatte und durch Verrechnung mit der Entschädigungszahlung aus der Teilinanspruchnahme eines anderen, ebenfalls staatlich verwalteten Grundstücks der Mutter der Klägerin (vgl. Vereinbarung vom 9. November 1982 bezüglich Flurstück 91/2) vollständig beglichen worden war. Konsequenzen aus dieser Feststellung wurden nicht gezogen.
Im Juni 1987 beantragte die PGH … die Übertragung des volkseigenen Grundstücks und der darauf befindlichen „unbeweglichen Grundmittel” auf der Grundlage der Anordnung vom 11. Oktober 1974 für die Übertragung volkseigener unbeweglicher Grundmittel an sozialistische Genossenschaften. Wegen Schwierigkeiten bei der danach erforderlichen Ermittlung des Zeitwertes der – bereits abgeschriebenen, u.a. teils von der privaten Firma K., teils von der PGH errichteten – Gebäude wurde ein anderer Weg beschritten und der PGH – nach vorherigem Rechtsträgerwechsel – mit Wirkung vom 1. September 1987 das unbefristete Nutzungsrecht am Grundstück und das Eigentum an den aufstehenden Gebäuden verliehen. Durch Vermögenszuordnungsbescheid vom 2. November 1995 stellte der Oberfinanzpräsident der OFD Berlin fest, dass die Bundesrepublik Deutschland Eigentümerin des Grundstücks geworden sei.
Den Restitutionsantrag der Klägerin vom 3. Januar 1991 lehnte das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Berlin, das die Sache gemäß § 25 Abs. 1 Satz 3 VermG im Hinblick auf ein paralleles Verfahren auf Erteilung der Grundstücksverkehrsgenehmigung an sich gezogen hatte, nach vorheriger Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 24. Oktober 1996 ab, da kein Schädigungstatbestand eingreife. Insbesondere komme § 1 Abs. 2 VermG nicht in Betracht, weil das Grundstück bei der Inanspruchnahme mit Ausnahme zweier für die Frage der Überschuldung irrelevanten Eigentümergrundschulden unter laufender Nr. III/1 und 2 lastenfrei gewesen sei; denn die Übrigen in Abteilung III eingetragenen Verbindlichkeiten seien zwischenzeitlich zurückgezahlt worden, so dass die Ablehnung des Kreditantrags nicht mehr den wahren Verhältnissen entsprochen habe. Aus diesen Gründen scheide auch die Feststellung der Entschädigungsberechtigung aus.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihr Restitutionsbegehren weiter verfolgt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt: Der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG sei erfüllt. Denn die bei Inanspruchnahme des Grundstücks bevorstehenden Instandsetzungsmaßnahmen hätten tatsächlich einen Aufwand von über 8 000 M verursacht; außerdem hätte die Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben – wie sich aus der Ertragswertberechnung im März 1984 ergebe – einen jährlichen Fehlbetrag von 1 066,51 M belegt. Schließlich sei die Kreditablehnung seinerzeit rechtens gewesen, weil damals die Hypothek unter laufender Nr. 6 noch nicht durch Verrechnung getilgt gewesen sei. Ferner seien auch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 VermG erfüllt, weil der staatliche Verwalter – wie der erst ein Jahr nach Ablehnung des Kredits gestellte Inanspruchnahmeantrag belege – die Instandsetzungsmaßnahmen nicht ernstlich beabsichtigt habe und der Vorgang insgesamt zeige, dass nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sei.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat mit Urteil vom 16. Juni 1999 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das Grundstück habe keiner schädigenden Maßnahme im Sinne von § 1 VermG unterlegen. § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG sei nicht erfüllt, weil für die hier vorliegende Enteignung nach dem Aufbaugesetz der DDR grundsätzlich eine Entschädigung vorgeschrieben gewesen sei und der rechtswidrige Verstoß hiergegen für § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG nicht genüge. § 1 Abs. 2 VermG scheide ebenfalls aus, da die erforderliche Überschuldung im Zeitpunkt der Inanspruchnahme am 11. Januar 1985 weder eingetreten gewesen sei noch unmittelbar bevorgestanden habe. Denn die auf dem Grundstück ruhenden Verbindlichkeiten seien zu dieser Zeit abgelöst gewesen. Die irrige Annahme einer Überschuldungslage durch die staatlichen Stellen der DDR fallen nicht unter § 1 Abs. 2 VermG, denn die nur angenommene Überschuldung könne keine Folge nicht kostendeckender Mieten sein. Für eine entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 2 VermG auf diesen Fall sei kein Raum. Bei einer bloß angenommenen Überschuldung könne sich die § 1 Abs. 2 VermG zugrunde liegende wirtschaftliche Zwangslage von vornherein nicht verwirklichen; die daraufhin vollzogene Überführung in Volkseigentum beruhe nicht auf der Mietenpolitik der DDR und habe damit keinen Bezug zu der in § 1 Abs. 2 VermG umschriebenen Zwangslage. § 1 Abs. 3 VermG begründe den Rückübertragungsanspruch ebenfalls nicht, da kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich sei, dass der Enteignungszweck nur vorgeschoben worden sei oder für den geltend gemachten Enteignungszweck offensichtlich keine gesetzliche Grundlage existiert habe, wobei die einfache Rechtswidrigkeit unterhalb der Schwelle der Willkür nicht genüge.
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 1 Abs. 2 VermG.
Sie beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Juni 1999 sowie den Bescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen Berlin vom 24. Oktober 1996 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, das Grundstück W.straße 26 in … an die Klägerin zurückzuübertragen.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene wendet sich ebenfalls gegen die Revision.
Der Oberbundesanwalt tritt hingegen der Revision bei.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht begründet (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil verletzt mit seiner Annahme, das streitige Grundstück sei nicht überschuldet gewesen, § 1 Abs. 2 VermG (– 1. –). Ob dies zutrifft und ob die übrigen Anspruchsvoraussetzungen nach dieser Vorschrift vorliegen oder ob sich das angefochtene Urteil insoweit möglicherweise als im Ergebnis richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO), lässt sich mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen derzeit nicht abschließend beurteilen (– 2. –). Andere vermögensrechtliche Schädigungstatbestände, die die Zurückverweisung entbehrlich machen könnten, greifen zu Gunsten der Klägerin nicht ein (– 3. –).
1. Das angefochtene Urteil verstößt gegen § 1 Abs. 2 VermG.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG dreierlei voraus: Erstens müssen für das bebaute Grundstück oder Gebäude in der Zeit vor dem Eigentumsverlust nicht kostendeckende Mieten erzielt worden sein. Diese Kostenunterdeckung muss zweitens zu einer bereits eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Überschuldung geführt haben. Drittens muss die Überschuldung wesentliche Ursache für den Eigentumsverlust gewesen sein (Urteile vom 24. Juni 1993 – BVerwG 7 C 27.92 – BVerwGE 94, 16 ≪19≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 4 S. 5 ≪8≫, vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – BVerwGE 98, 87 ≪89≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 39 S. 86 ≪88≫, vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – BVerwGE 108, 281 ≪282≫ = Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 1 S. 1 ≪2≫, vom 2. Februar 2000 – BVerwG 8 C 25.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 7 S. 14 ≪17≫ und vom 28. März 2001 – BVerwG 8 C 4.00 – ZOV 2001, 262). Zwischen den nicht kostendeckenden Mieten und der Überschuldung muss ebenso wie grundsätzlich zwischen Überschuldung und Eigentumsverlust eine ursächliche Beziehung bestehen.
b) Zugunsten des Alteigentümers streitet bei Mietwohngrundstücken in allen Punkten jeweils die Vermutung der erforderlichen kausalen Verknüpfung; ob die ursächliche Beziehung zwischen Überschuldung und Eigentumsverlust nicht nur bei „freiwilliger” Eigentumsaufgabe, sondern auch bei Enteignungen im Rahmen von § 1 Abs. 2 VermG vermutet werden kann, ist bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden (vgl. Urteil vom 30. Mai 1996 – BVerwG 7 C 49.95 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 79 S. 231 ≪235≫ und Beschluss vom 1. September 1998 – BVerwG 7 B 167.98 – RÜ BARoV 1998 Nr. 18 S. 13 f.). Von der Erfahrungstatsache, dass die Niedrigmietenpolitik der DDR eine Kostenunterdeckung zur Folge hatte, kann im Einzelfall so lange ausgegangen werden, wie sich nicht aus der konkreten Ertragssituation Gegenteiliges ergibt (Urteil vom 11. Februar 1999, a.a.O., S. 283 bzw. 3). Die Erfahrungstatsache nicht kostendeckender Mieten und die Vermutung einer kausalen Beziehung zur Überschuldung des Grundstücks greift ferner dann nicht, wenn es sich – wie hier – um gewerblich genutzte Grundstücke handelt (Urteil vom 22. Februar 2001 – BVerwG 7 C 17.00 – VIZ 2001, 374 ≪376≫). Zwar ist der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG auch auf bebaute Grundstücke anwendbar, die zu gewerblichen Zwecken vermietet waren; die Besonderheiten gewerblicher Mieten in der DDR geben jedoch Anlass, bei der Vermietung von Gewerberäumen anders als bei Wohnräumen nicht die von der Rechtsprechung aufgestellte Vermutung gelten zu lassen, dass nicht kostendeckende Mieten gezahlt wurden (Urteil vom 22. Februar 2001, a.a.O.). Zugunsten des Alteigentümers wird ferner im Regelfall (zur bisher noch nicht entschiedenen Besonderheit bei Enteignungen siehe oben) die Kausalität – im Sinne eines bestimmenden oder doch wesentlich mitbestimmenden Motivs – zwischen Überschuldung und Eigentumsverzicht vermutet (Urteile vom 16. März 1995, a.a.O., S. 99 bzw. S. 97, vom 2. Februar 2000, a.a.O., S. 21 und vom 28. März 2001, a.a.O., S. 264).
c) Die auf der Niedrigmietenpolitik der DDR gegründete Kostenunterdeckung muss zu einer Überschuldung des Grundstücks geführt haben. Die Prüfung der Schuldensituation des Grundstücks fordert eine Gegenüberstellung des Zeitwerts der Immobilie – darunter ist ihr Beleihungswert in der Praxis der DDR zu verstehen (vgl. Beschluss vom 20. November 2000 – BVerwG 7 B 147.00 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 11) – und der ihr zuzuordnenden Verbindlichkeiten (Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 1 S. 1 ≪4≫). Kann die konkrete Beleihungsgrenze nicht festgestellt werden, ist eine Berechnung des Zeitwerts nach dem Mittel von Sach- und Ertragswert maßgeblich, wobei unter bestimmten Umständen vereinfachend auf den Einheitswert zurückgegriffen werden darf (Urteil vom 11. Februar 1999, a.a.O., und Beschluss vom 19. Januar 2000 – BVerwG 8 B 349.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 5 S. 11). Auf der Passivseite der Bilanz sind die objektbezogenen Verbindlichkeiten einschließlich der dinglich gesicherten Altbelastungen aus der Zeit vor der Gründung der DDR einzustellen (Urteil vom 11. Februar 1999, a.a.O.). Zu den auf dem Grundstück lastenden Verbindlichkeiten können auch die Aufwendungen für notwendige Instandsetzungsarbeiten gehören, die der Eigentümer aus seinem sonstigen Vermögen finanziert hat, sofern der Einsatz der Eigenmittel nach Anlass, Art und Umfang mit der Aufnahme eines Immobilienkredites vergleichbar ist, also darlehensersetzenden Charakter hat (Urteil vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – BVerwGE 98, 87 ≪94≫). Bei einem derartigen, durch die Verwendung für Instandsetzungsmaßnahmen objektbezogenen Eigenmitteleinsatz liegt zwar eine Verschuldung im engeren Sinne nicht vor, weil das Grundstück in Höhe der Eigenmittel gerade lastenfrei gehalten wurde; in wirtschaftlicher Hinsicht ist der die Aufnahme eines Darlehens ersetzende Einsatz von eigenen, nicht aus den Mieterträgen stammenden Geldmitteln aber nicht anders als der Einsatz entsprechender Fremdmittel zu bewerten. Dementsprechend sind derartige Eigenmittel in der Höhe als „Verschuldung” zu berücksichtigen, die ein entsprechender Kredit bei üblicher Tilgung zum Zeitpunkt des Eigentumsverlustes noch aufgewiesen hätte (Urteil vom 16. März 1995, a.a.O.).
d) Mit dieser Rechtsprechung steht das angefochtene Urteil nicht in Einklang.
Ohne die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen, stützt es sich allein auf die Annahme, das streitige Grundstück sei im Zeitpunkt der Inanspruchnahme durch Überführung in Volkseigentum nicht überschuldet gewesen. Zur Begründung verweist es allein auf die infolge der Ablösung der Grundpfandrechte – mit Ausnahme zweier insoweit irrelevanter Eigentümergrundschulden – eingetretene Lastenfreiheit. Diese Begründung verstößt gegen Bundesrecht, weil sie den Überschuldungsbegriff des § 1 Abs. 2 VermG nicht zutreffend würdigt. Die im Zeitpunkt der Ablehnung des Kredits für die beabsichtigten Instandsetzungsmaßnahmen im März 1983 unstreitig noch offene Hypothek unter laufender Nr. III/6 in Höhe von nominal 35 300 M, die am 31. Dezember 1982 noch in Höhe von 12 385,95 M valutierte, kann auch dann eine Überschuldung des Grundstücks begründen, wenn der sich aus den Akten ergebende Umstand berücksichtigt wird, dass diese Hypothek vor der Enteignung des Grundstücks durch Verrechnung mit Entschädigungsansprüchen der Alteigentümerin abgelöst wurde. Denn ein für die Überschuldungssituation des Grundstücks maßgeblicher Rechnungsposten entfällt nicht schon dadurch, dass der Eigentümer vor dem Eigentumsverlust aus sonstigen Mitteln sein Grundstück schuldenfrei gemacht hat. Insoweit nimmt die Revision zutreffend Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der der Einsatz von Eigenmitteln für Instandsetzungsmaßnahmen jedenfalls dann (fiktiv) als das Grundstück belastende Verbindlichkeit angesehen wird, wenn der Eigenmitteleinsatz grundstücksbezogen erfolgte und nach Art und Umfang darlehensersetzenden Charakter hatte (vgl. Urteil vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – BVerwGE 98, 87 ≪94≫). Diese Rechtsprechung ist jedenfalls auf die vom staatlichen Verwalter ohne Beteiligung der Alteigentümerin gebilligte Ablösung von Grundpfandrechten aus Eigenmitteln der Alteigentümerin entsprechend zu übertragen, weil ihr Grundgedanke auf diesen Sachverhalt in gleicher Weise zutrifft. Denn es ist nicht einzusehen, weshalb die Inanspruchnahme von Fremdmitteln etwa zur Umschuldung oder zur Ablösung eines Grundpfandrechts als auf dem Grundstück lastende Verbindlichkeit bei der Ermittlung der Überschuldung zu behandeln wäre, wohingegen der wirtschaftlich gleichartige Vorgang dann zur Entschuldung führen würde, wenn der Eigentümer – aus welchen Gründen auch immer – statt der Fremdmittel Eigenmittel einsetzte. Voraussetzung für die Annahme des Charakters der Eigenmittel als grundstücksbezogene Verbindlichkeiten ist im einen wie im anderen Fall jedoch, dass sie nach Art und Umfang der Aufnahme von Fremdmitteln vergleichbar sind. Für den hier zu beurteilenden Sachverhalt bedeutet dies, dass laufende Tilgungsleistungen aus dem sonstigen Vermögen des Eigentümers nicht geeignet sind, die Verschuldungsbilanz fiktiv zu erhöhen; findet jedoch eine mit einer Umschuldung oder mit einer Tilgung unter Fremdmittelaufnahme vergleichbare, vom staatlichen Verwalter geduldete Ablösung eines Grundpfandrechts aus eigenen Mitteln statt, so spricht nichts dagegen, die infolge dieses Eigenmitteleinsatzes eingetretene Löschung bei der Prüfung der Überschuldungslage fiktiv nicht zu berücksichtigen. Um einen solchen Fall handelt es sich hier. Die Ablösung der mindestens noch in Höhe von über 12 000 M valutierenden Hypothek durch Entschädigungsleistungen aufgrund der Enteignung eines anderen Grundstücks ist wirtschaftlich und rechtlich aus dem sonstigen Vermögen der Rechtsvorgängerin der Klägerin erfolgt. Ihr Umfang ist einer Umschuldung oder Fremdmittelaufnahme vergleichbar; es handelt sich nicht um die übliche laufende Tilgung einer Verbindlichkeit. Damit ist der entscheidungstragenden Begründung des angefochtenen Urteils für die Verneinung der Überschuldungslage der Boden entzogen.
2. Die Sache ist nicht spruchreif, so dass der Senat nicht selbst durchentscheiden kann (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG vorliegen, lässt sich auf der Grundlage der knappen Tatsachenfeststellungen in dem angefochtenen Urteil nicht abschließend beurteilen.
a) Es fehlen bereits verlässliche Angaben zu der Tatbestandsvoraussetzung nicht kostendeckender Mieten. Für den Mietwohnungsmarkt geht das Bundesverwaltungsgericht – wie oben dargelegt – von der allgemein bekannten Erfahrungstatsache der Kostenunterdeckung der staatlich reglementierten Mieten aus. Aufgrund der daraus resultierenden „Vermutung” oder „allgemein anerkannten Erfahrungstatsache” bedarf es bei Wohnungsmieten weiterer Ermittlungen hierzu – sowie zur ebenfalls vermuteten kausalen Beziehung zur Überschuldung – nur dann, wenn der konkrete Sachverhalt Besonderheiten aufweist, die der allgemeinen Erfahrungstatsache entgegenstehen (vgl. Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – BVerwGE 108, 281 ≪283≫ und vom 22. Februar 2001 – BVerwG 7 C 17.00 – VIZ 2001, 374 ≪377≫). Zwar unterlag auch der Mietzins für Gewerberaum in der DDR der staatlichen Preisbindung und Preisüberwachung; im Altbaubereich waren die Gewerbemieten grundsätzlich in gleicher Weise auf dem Niveau von 1936 „eingefroren”, im Neubausektor unter Rückgriff u.a. auf Preise von 1944 auf unrealistische – nicht kostendeckende – Höhe beschränkt (Urteil vom 22. Februar 2001, a.a.O., S. 376 m.w.N.). Da jedoch wegen des Fehlens der systemimmanenten Mietpreiskontrolle bei sozialistischen Handelsgenossenschaften nicht auszuschließen ist, dass bei der Vermietung gewerblich genutzter Räume an sie Mieten über dem zulässigen Stopp-Preis vereinbart wurden, rechtfertigt es dieses mögliche „Vollzugsdefizit bei der Preiskontrolle”, bei der Vermietung von Gewerberäumen anders als bei Wohnräumen „nicht die vom Senat aufgestellte Vermutung gelten zu lassen, dass nicht kostendeckende Mieten gezahlt wurden” (Urteil vom 22. Februar 2001, a.a.O.). In den Verwaltungsvorgängen finden sich nur spärliche Angaben zur Miethöhe und keinerlei Feststellungen zur zulässigen, in der Regel nicht kostendeckenden Stoppmiete. Das Verwaltungsgericht wird ggf. auch der Frage nachgehen müssen, ob vor und im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Grundstücks im Hinblick auf die behauptete Errichtung aller oder einzelner Gebäude durch die jeweiligen Nutzer überhaupt „Mieten” für Gewerberäume gezahlt worden sind. Sollte dies nicht der Fall gewesen sein, wäre das Grundstück wie ein unbebautes Grundstück zu behandeln mit der Folge, dass der Grundgedanke des § 1 Abs. 2 VermG nicht zum Tragen käme und der Fall nicht unter § 1 Abs. 2 VermG zu subsumieren wäre. Denn die Niedrigmietenpolitik der DDR könnte dann die Überschuldung nicht wesentlich verursacht haben; es fehlte dann sowohl am Tatbestandsmerkmal der Erhebung nicht kostendeckender Mieten als auch an dem daran anknüpfenden Erfordernis der Kausalität („infolgedessen”). Das Verwaltungsgericht wird diese Fragen – ggf. durch Befragung der seinerzeitigen Nutzer, insbesondere der PGH … bzw. ihrer Rechtsnachfolger sowie durch Einsicht in möglicherweise noch vorhandene Unterlagen – näher aufklären müssen.
b) Die gebotene Kausalität zwischen der Mietenpolitik der DDR und der Überschuldung hängt ferner von der Art der mit Eigenmitteln getilgten Hypothek ab. Die Überschuldung eines Grundstücks beruht grundsätzlich nicht auf den nicht kostendeckenden Mieten, wenn das Grundstück bei Gründung der DDR durch Belastungen aus der Zeit vor deren Gründung überschuldet war (Urteil vom 11. Februar 1999, a.a.O., S. 288) oder wenn die Überschuldung auf dinglichen Belastungen beruhte, die nach der Gründung der DDR für grundstücksfremde Zwecke aufgenommen wurden (Urteil vom 11. Februar 1999, a.a.O., S. 285 ff.). Wäre die durch Verrechnung mit Entschädigungszahlungen abgelöste Hypothek III/6 zur letztgenannten Kategorie zu zählen, wäre das Grundstück zwar – wie dargelegt – im Hinblick auf die eingesetzten Eigenmittel als „überschuldet” anzusehen, diese Überschuldung hätte aber mit der staatlichen Niedrigmietenpolitik nichts zu tun. Diese wäre für die Überschuldung nicht kausal. Das Verwaltungsgericht wird auch dieser Frage in eigener Verantwortung noch nachgehen müssen, auch wenn alles dafür spricht, dass die Hypothek III/6 zugunsten der Sparkasse der Stadt Berlin dem erforderlichen objektbezogenen Verwendungszweck diente.
c) Auch zum Zeitwert des streitigen Grundstücks, der zur Ermittlung der Überschuldung anzusetzen ist, sagt das angefochtene Urteil – von seinem Lösungsansatz aus verständlicherweise – nichts. Sollte es darauf ankommen, so sind auch diese Ermittlungen nachzuholen; dabei könnte auch die Behauptung des Beklagten von Bedeutung sein, die seinerzeit vorhandenen Gebäude seien kaum noch brauchbar gewesen und überdies von den Mietern selbst errichtet worden.
d) Sollte das Verwaltungsgericht nach der gebotenen Sachverhaltsaufklärung alle Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 VermG bejahen, wäre schließlich im Hinblick auf das 103 m² große Flurstück 93 (jetzt Flurstück 184) zu prüfen, ob und in welchem Umfang es als Straßenland (Gehweg) dient und seiner Rückübertragung deshalb möglicherweise der Restitutionsausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. b VermG entgegensteht.
3. Der Rückübertragungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus anderen vermögensrechtlichen Vorschriften; die für die Ermittlung des Anspruchs aus § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 VermG gebotene Zurückverweisung ist deshalb nicht entbehrlich.
a) Der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG greift nicht zugunsten der Klägerin ein. Das hat das Verwaltungsgericht unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zutreffend dargelegt. Die Revision erhebt hiergegen keine Einwände.
b) Die Enteignung des streitigen Grundstücks stellt auch keine unlautere Machenschaft im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG dar. Auch das hat das Verwaltungsgericht richtig erkannt (UA S. 6). Weder wurde der wahre „ungesetzliche” Enteignungszweck verschleiert und ein anderer legaler Zweck nur vorgeschoben noch entbehrte der angegebene wahre Enteignungszweck nach DDR-Recht erkennbar jeder gesetzlichen Grundlage. Auch dagegen wendet sich die Revision nicht. Deshalb sind nur ergänzend folgende Bemerkungen veranlasst: Da der einfache Gesetzesverstoß – der bei Verneinung der Überschuldung allenfalls in Betracht zu ziehen wäre – mangels eines manipulativen Elements für § 1 Abs. 3 VermG nicht ausreichen würde, käme unter diesem Blickwinkel nur das Verhalten der DDR-Stellen nach Erkenntnis der wahren Sachlage in Betracht. Die bloße Unterlassung der Rückabwicklung der Enteignung nach Aufdeckung des Irrtums über die Tilgung der Hypothek stellt aber noch keine unlautere Machenschaft dar.
c) Ein Restitutionsanspruch zugunsten der Klägerin folgt auch nicht aus einer analogen Anwendung des § 1 Abs. 2 VermG. Die irrtümliche Annahme des Überschuldungstatbestandes nach § 3 der 2. Durchführungsbestimmung zum Aufbaugesetz durch den Magistrat von Berlin und die daraufhin erfolgte Enteignung des Grundstücks ist mit dem in § 1 Abs. 2 VermG unmittelbar geregelten Sachverhalt nicht vergleichbar; die Auffassung der Klägerin, der Wortlaut des § 1 Abs. 2 VermG verlange keine objektive Überschuldung, trifft ersichtlich nicht zu. Die Vergleichbarkeit des geregelten und des nicht geregelten Sachverhaltes ist aber Voraussetzung einer allenfalls in Betracht kommenden Analogie. Sie scheitert daran, dass die gesetzliche Regelung nicht nur die Überschuldung des streitigen Grundstücks und die daraufhin erfolgte Enteignung als Voraussetzung des Anspruchs vorschreibt, sondern darüber hinaus die Existenz nicht kostendeckender Mieten und die Kausalität zwischen dieser Kostenunterdeckung und der Überschuldung verlangt. Bei irrtümlicher Annahme der in Wahrheit nicht bestehenden Überschuldung fehlt es aber an diesen beiden zusätzlichen und für § 1 Abs. 2 VermG sowie das ihm zugrunde liegende Regelungskonzept wesenstypischen Kriterien. Entgegen der Auffassung des Oberbundesanwalts genügt es deshalb für den Analogieschluss nicht, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 1 Abs. 2 VermG die Fälle der Enteignung nach § 3 der 2. Durchführungsbestimmung zum Aufbaugesetz der DDR vor Augen hatte; denn er hat gerade nicht die Rückabwicklung aller derartiger Enteignungen ohne weitere Voraussetzungen angeordnet. Die analoge Anwendung des § 1 Abs. 2 VermG auf die irrtümliche Annahme der Überschuldung würde überdies dazu führen, dass der einfache Rechtsanwendungsfehler ohne zusätzliche Kriterien den Restitutionsanspruch begründen würde und stünde damit in einem gewissen Wertungswiderspruch zu der Behandlung derartiger Sachverhalte in § 1 Abs. 3 VermG (vgl. verneinend zur irrtümlichen Annahme von Umständen, die als unlautere Machenschaft zu werten wären: Beschluss vom 2. Dezember 1993 – BVerwG 7 B 206.93 – OV-spezial 1994, Heft 9 S. 16; generell zweifelnd gegenüber Analogiebildungen bei § 1 VermG: Beschluss vom 9. August 2000 – BVerwG 8 B 110.00 – VIZ 2001, 99; im konkreten Fall zu § 1 Abs. 2 verneinend: Urteil vom 30. November 2000 – BVerwG 7 C 83.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 13 S. 39 ≪42≫ = VIZ 2001, 196 ≪198≫).
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Sailer, Krauß, Postier
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 26.09.2001 durch Jesert Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen