Entscheidungsstichwort (Thema)
Redlicher Erwerb. greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine mögliche Unredlichkeit;. Grundannahme der Redlichkeit. Erschüttern der Grundannahme durch das Bestehen greifbarer Anhaltspunkte;. volle Amtsermittlungspflicht bezüglich dieser Anhaltspunkte. materielle Beweislast bei Unerweislichkeit der Redlichkeit
Leitsatz (amtlich)
Eine materielle Beweislastentscheidung ist nur zu treffen, wenn Tatsachen, die für die Beurteilung der Redlichkeit (§ 4 Abs. 3 VermG) erheblich sind, trotz Ausschöpfens aller in Betracht kommenden Aufklärungsmöglichkeiten (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht abschließend aufklärbar sind. Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die redlichkeitsbegründenden Tatsachen nicht erwiesen sind, muss es prüfen, ob die Grundannahme der Redlichkeit des Erwerbs durch das Bestehen greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte, die zu vernünftigen, durch Tatsachen belegbaren, ernst zu nehmenden Zweifeln an der Redlichkeit führen, erschüttert wird.
Normenkette
VermG § 4 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Buchst. a; VwGO § 86
Verfahrensgang
VG Berlin (Entscheidung vom 13.07.1999; Aktenzeichen 16 A 237.95) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 13. Juli 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Kläger begehren die Rückübertragung des 409 m² großen Hausgrundstücks L.-Weg 6 in Berlin-Friedrichsfelde, das ihrer 1974 verstorbenen Mutter gehörte, deren gemeinschaftliche Erben die Kläger sind. Bis 1961, als sie die DDR ohne Beachtung der Meldevorschriften „ungesetzlich” verließen, bewohnten die Kläger mit ihrer Mutter das auf dem Grundstück befindliche Einfamilienhaus mit ca. 90 m² großer Wohnfläche.
Rückwirkend zum 1. Oktober 1961 wurde der VEB Kommunale Wohnungsverwaltung Berlin-Lichtenberg (im Folgenden: VEB KWV) zum Treuhänder über das Grundstück eingesetzt, wobei in der Bestallungsurkunde u.a. ausgeführt war, dass der Treuhänder nicht zur Veräußerung des Treuhandvermögens berechtigt sei. Seit dem 1. Januar 1962 wurde das Einfamilienhaus von den Eltern der Beigeladenen, den Eheleuten D., und der Beigeladenen selbst genutzt; ein entsprechender Mietvertrag ist in den Verwaltungsvorgängen nicht enthalten. Ihr Vater war seit 1921 Mitglied der KPD, Reichstagsabgeordneter und emigrierte 1933 über Frankreich in die USA. Nach seiner Rückkehr 1945 in die sowjetische Besatzungszone bekleidete er verschiedene Ämter in Staat und Partei, u.a. war er von 1950 bis 1961 Oberbürgermeister von Magdeburg, später Präsident der Liga für Völkerfreundschaft. Er und seine Frau bezogen eine Rente als Verfolgte des Naziregimes. Nach den Angaben der Beigeladenen haben ihre Eltern verschiedene Verdienstorden (u.a. die Vaterländischen Verdienstorden in Gold und in Silber, den Karl-Marx-Orden sowie die Ehrenspange zum Vaterländischen Verdienstorden in Gold) erhalten, die jeweils mit Geldbeträgen zwischen 5 000 und 20 000 M dotiert waren.
Mit Kaufvertrag vom 30. Januar 1970 veräußerte der staatliche Verwalter das Grundstück an die Eltern der Beigeladenen. Gemäß Nummer 4.1 des Vertrages wurden die Beteiligten darauf aufmerksam gemacht, dass der Vertrag der Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsverordnung vom 11. Januar 1963 bedurfte und daher erst rechtswirksam würde, wenn diese Genehmigung vorliege. Unter Nummer 5.3 waren als Belastungen des Grundstücks u.a. drei Darlehenshypotheken mit einem Gesamtbetrag von ca. 9 300 M aufgeführt. Nach Nummer 7.1 betrug der Kaufpreis „entsprechend dem Vorbescheid der zuständigen Preisstelle für Grundstücke vom 11.08.1969”, der in den Akten nicht vorhanden ist, 15 100 M. Ziffer 7.2 lautet: „Die Käufer entrichten den Kaufpreis in voller Höhe an den VEB Kommunale Wohnungsverwaltung spätestens zwei Wochen nach Erteilung der staatlichen Genehmigung.” Durchgestrichen war im formularmäßigen Vertragstext die Möglichkeit der Zahlung des Restkaufpreises durch Kredit der Sparkasse Berlin.
Der Einheitswert des Grundstücks lag ausweislich einer Einheitswertbescheinigung des Rates des Stadtbezirks Berlin-Lichtenberg vom 26. April 1962 bei 15 700 M – bezogen auf den letzten Feststellungszeitpunkt, den 1. Januar 1944. Dieser Betrag wurde auch im Einheitswert- und Grundsteuermessbescheid des Magistrats von Groß-Berlin vom 20. März 1970 zugrunde gelegt. In den Verwaltungsvorgängen ist kein Beleg über die Zahlung des Kaufpreises durch die Erwerber vorhanden. Es findet sich dort allerdings eine Gutschrift zugunsten des Rates des Stadtbezirks Berlin-Lichtenberg, Abteilung Finanzen, vom 3. April 1970, ausweislich derer der VEB KWV einen Betrag von 15 000 M als Kaufpreis für das streitbefangene Grundstück überwiesen hatte.
Der den Vertrag im streitbefangenen Hause beurkundende Liegenschaftsreferent R. trug die Eltern der Beigeladenen noch am Tage des Kaufvertragsabschlusses als „Eigentümer in ehelicher Vermögensgemeinschaft” in das Grundbuch ein. Auf der letzten Rückseite des mehrseitigen Kaufvertrages brachte er den Vermerk an: „Dem Antrage auf Eigentumsumschreibung wurde am 02.02.1970 stattgegeben. Berlin-Lichtenberg, den 02.02.1970 Magistrat von Groß-Berlin, Liegenschaftsdienst Außenstelle Lichtenberg.” Die auf dem Grundstück lastenden Hypotheken aus der Zeit vor der Republikflucht der früheren Eigentümerin sind in der Folgezeit gelöscht worden.
Den im August 1990 gestellten Antrag auf Rückübertragung des streitbefangenen Grundstücks lehnte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen Berlin-Lichtenberg mit Bescheid vom 3. Januar 1994 ab. Zwar seien die Kläger Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG, da das Grundstück einer schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG unterlegen habe. Die Rückübertragung sei aber infolge des redlichen Erwerbs des Grundstücks durch die Eltern der Beigeladenen ausgeschlossen.
Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren haben die Kläger im August 1995 Klage erhoben und die Aufhebung der Bescheide sowie die Verpflichtung des Beklagten begehrt, das Eigentum an dem Grundstück zurückzuübertragen.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 13. Juli 1999 stattgegeben und den Beklagten zur Rückübertragung des Grundstücks verpflichtet. Das Grundstück habe einer schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG unterlegen und eine Rückübertragung sei nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG ausgeschlossen, da ein redlicher Erwerb durch die Rechtsvorgänger der Beigeladenen nicht festgestellt werden könne. Lasse sich aber nicht abschließend aufklären, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für einen redlichen Erwerb gegeben seien, so gehe die Nichterweislichkeit grundsätzlich zu Lasten des Erwerbers. Voraussetzung sei allerdings, dass greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine mögliche Unredlichkeit bestünden. Die Stellung des Vaters der Beigeladenen in Partei und Staat der DDR bilde für sich allein gesehen noch kein Indiz für seine Unredlichkeit im Zeitpunkt des Erwerbs. Jedoch böten die konkreten Umstände des Erwerbsvorgangs Anhaltspunkte, die es als möglich erscheinen ließen, dass die Rechtsvorgänger der Beigeladenen bei dem Erwerb deshalb unredlich gewesen seien, weil die beteiligten Behörden sie im Hinblick auf die ehemalige Stellung des Genannten im Staats- und Parteigefüge der DDR unter gezielter Abweichung von den seinerzeit geltenden Rechtsvorschriften bevorzugt behandelt hätten. Den lückenhaften Verwaltungsvorgängen sei nicht zu entnehmen, ob die Veräußerung des staatlich verwalteten Grundstücks mit den seinerzeit gültigen Verwalterbestimmungen vereinbar gewesen sei. Ein Verkauf der verwalteten Vermögenswerte sei nur dann möglich gewesen, wenn die Höhe der zu befriedigenden Forderungen dem Wert dieser Vermögenswerte gleichgekommen sei oder ihn überstiegen habe oder wenn die Befriedigung der Forderungen auf andere Weise nicht möglich gewesen sei. Zwar sei in der Vermögensaufstellung für die Rechtsvorgängerin der Kläger zum Stichtag des 1. Januar 1969 angegeben worden, dass die Verbindlichkeiten das verwaltete Vermögen um 3 680 M übersteigen würden. Demgegenüber habe aber der Finanzplaner des VEB KWV Berlin-Lichtenberg im Fragenspiegel vom 28. Mai 1969 aufgeführt, dass sich aus der Verwaltung des streitbefangenen Grundstücks keine Fehlbeträge ergeben hätten, sondern dass vielmehr Überschüsse in Höhe von über 5 000 M erzielt worden wären. Es sei nicht erkennbar, aus welchem Grund dieser Umstand bei der Veräußerung unberücksichtigt gelassen worden sei. Einen weiteren Hinweis auf die mögliche Unredlichkeit der Erwerber bilde der niedrige Kaufpreis. Er läge noch unter dem im Bescheid vom 20. März 1970 festgesetzten Einheitswert von 15 700 M. Aus den vorgelegten Verwaltungsvorgängen sei nicht nachzuvollziehen, auf welche Weise die Höhe des Kaufpreises berechnet worden sei. Zudem würden die Modalitäten der Kaufpreiszahlung schon für sich allein Zweifel daran begründen, dass die Erwerber keine privilegierte Behandlung genossen hätten. Denn entgegen der Vereinbarung im Kaufvertrag hätten die Erwerber die zwei Wochen nach Erteilung der staatlichen Genehmigung fällige Kaufpreisforderung nach den Angaben der Beigeladenen erst in den folgenden Jahren in Raten getilgt. Dem entspreche es, dass die sofortige Kaufpreiszahlung nicht belegt sei. Irgendein Grund für die Vorausleistung des Kaufpreises durch den VEB KWV Berlin-Lichtenberg im April 1970 sei zudem nicht ersichtlich. Darüber hinaus sei nicht ausgeschlossen, dass den Erwerbern die Erfüllung der Kaufpreisverpflichtung vollständig erlassen worden sei, da selbst die Abzahlung der Raten nicht belegt sei.
Gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil hat die Beigeladene die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 13. Juli 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Auch der Beklagte hält die Revision für begründet, da die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht der Rechtslage entspreche.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angegriffene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig und mit dem Ergebnis der Zurückverweisung begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht. Die entscheidungstragende Ansicht des Verwaltungsgerichts, das streitbefangene Grundstück sei den Klägern zurückzuübertragen, da der Ausschlusstatbestand des § 4 Abs. 2 VermG mangels Feststellbarkeit der Redlichkeit der Beigeladenen nicht eingreife und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine mögliche Unredlichkeit des Erwerbs bestünden, entspricht nicht der Rechtslage.
Das Verwaltungsgericht hat zum einen die Vorschrift des § 4 Abs. 2 und Abs. 3 Buchst. a VermG verkannt (1) und zum andern gegen die Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen (2). Eine abschließende Entscheidung ist dem erkennenden Senat deshalb verwehrt, weil es hierzu an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen fehlt. Das zwingt gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht (3).
1. Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass die Berechtigung der Kläger im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG zwischen den Beteiligten außer Streit steht und das streitbefangene Grundstück einer schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG unterlag. Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung ist deshalb allein die Frage, ob das Verwaltungsgericht zutreffend im Wege einer Beweislastentscheidung von der Unredlichkeit der Beigeladenen ausgegangen ist. Diese Frage ist zu verneinen.
Zwar entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Unerweislichkeit von Tatsachen im Vermögensrecht grundsätzlich zu Lasten dessen geht, der aus ihnen für sich günstige Rechtsfolgen herleitet (Urteile vom 24. März 1994 – BVerwG 7 C 11.93 – BVerwGE 95, 289 ≪294≫ und vom 30. November 2000 – BVerwG 7 C 87.99 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Die materielle Beweislast für die den Rückübertragungsausschluss begründende Redlichkeit des Erwerbs nach § 4 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 VermG trifft daher grundsätzlich den Erwerber (Beschluss vom 16. Oktober 1995 – BVerwG 7 B 163.95 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 22 und Urteil vom 30. November 2000 – BVerwG 7 C 87.99 –). Das bedeutet jedoch nicht, dass das Vermögensgesetz generell den Erwerber zwingen will, auf bloßes Bestreiten hin die Redlichkeit seines Erwerbs zu beweisen. Der von § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG bezweckte Schutz des redlichen Erwerbs und damit der vom Vermögensgesetz angestrebte sozialverträgliche Ausgleich zwischen dem Restitutionsinteresse des Alteigentümers und dem Vertrauensschutzinteresse des Erwerbers würde nämlich verfehlt werden, wenn die Nichterweislichkeit des redlichen Erwerbs, die bei lange zurückliegenden Vorgängen keine Ausnahme ist, stets zu Lasten derer ginge, die in der DDR Eigentum erworben haben. Dieser Schutzzweck kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass das Vermögensgesetz die Redlichkeit des Erwerbs als Regelfall voraussetzt und demgemäß nur die Ausnahme, also die Unredlichkeit, durch die in § 4 Abs. 3 VermG enthaltenen Beispiele näher bezeichnet. Der Gesetzgeber geht damit von einer Grundannahme der Redlichkeit aus. Das materielle Recht sieht dementsprechend eine differenzierte Verteilung der Beweislast vor: Sind Tatsachen, die der Ausfüllung des Rechtsbegriffs der Redlichkeit dienen, nicht abschließend aufklärbar, ist zunächst zu prüfen, ob die Grundannahme der Redlichkeit des Erwerbs erschüttert ist, weil greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine mögliche Unredlichkeit bestehen. Nur in diesem Falle trifft die materielle Beweislast den Erwerber (vgl. Urteile vom 30. November 2000 – BVerwG 7 C 87.99 – zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen und – BVerwG 7 C 94.99 – sowie Beschlüsse vom 16. Oktober 1995 – BVerwG 7 B 163.95 –, a.a.O., und vom 2. November 1998 – BVerwG 8 B 211.98 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 59 S. 134).
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist damit die Frage, ob greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für die Unredlichkeit des Erwerbs vorliegen, nur dann von Bedeutung, wenn Tatsachen, die für die Beurteilung der Redlichkeit erheblich sind, trotz Ausschöpfens aller in Betracht kommenden Aufklärungsmöglichkeiten (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht abschließend aufklärbar sind. Nur in diesem Falle ist eine materiellrechtliche Beweislastentscheidung zu treffen. Gelangt das Verwaltungsgericht mithin zu eindeutigen tatsächlichen Feststellungen, ist für die Prüfung greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte kein Raum.
Kommt das Verwaltungsgericht hingegen zu dem Ergebnis, dass die redlichkeitsbegründenden Tatsachen nicht erwiesen sind, hat es zu prüfen, ob die Grundannahme der Redlichkeit des Erwerbs erschüttert worden ist. Das ist nur der Fall, wenn greifbare Anhaltspunkte für eine mögliche Unredlichkeit bestehen. Dafür reicht die nur entfernt liegende Möglichkeit einer Unredlichkeit nicht aus. Vielmehr müssen tatsächliche Umstände vorliegen, die Anlass zu Zweifeln an der Redlichkeit der Erwerber geben (Urteil vom 30. November 2000 – BVerwG 7 C 94.99 – a.a.O. sowie Beschluss vom 6. Januar 1999 – BVerwG 7 B 226.98 – Buchholz 428 § 4 Abs. 2 VermG Nr. 1). Notwendig sind mithin vernünftige, durch Tatsachen belegbare, ernst zu nehmende Zweifel an der Redlichkeit. Die im Vorfeld einer Beweislastentscheidung zu beantwortende Frage, ob solche ernstlichen Zweifel bestehen, kann schon von der Natur der Sache her nicht nach Beweislastgrundsätzen entschieden werden. Vielmehr muss das Verwaltungsgericht prüfen, ob die Zweifel bestehen oder nicht (Urteil vom 30. November 2000 – BVerwG 7 C 87.99 – a.a.O.). Es genügt daher nicht, wenn die tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Unredlichkeit nur behauptet werden, aber nach Überzeugung des Gerichts nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden können (Beschluss vom 10. November 1997 – BVerwG 7 B 354.97). Entscheidend ist damit die Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit der behaupteten Tatsache, die einen greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkt darstellt. Gegebenenfalls hat das Gericht zur Wahrheitsfindung eine Beweisaufnahme durchzuführen. Dementsprechend hat die Rechtsprechung die bloße Behauptung eines Verfahrensbeteiligten, dass der Kaufpreis für ein Grundstück nicht gezahlt worden sei, nicht ausreichen lassen, um von einem greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkt auszugehen. Wenn dieser Tatsachenvortrag in der Beweisaufnahme nicht erhärtet worden ist, muss von der Redlichkeit des Erwerbs ausgegangen werden (vgl. Beschluss vom 6. Januar 1999 – BVerwG 7 B 226.98 – Buchholz 428 § 4 Abs. 2 VermG Nr. 1). § 4 Abs. 2 und 3 VermG verpflichten deshalb die Gerichte, zunächst im Rahmen des Zumutbaren und durch den Vortrag der Beteiligten Veranlassten die Voraussetzungen des Restitutionsausschlussgrundes von Amts wegen zu ermitteln. Diesen von Gesetzes wegen gebotenen Versuch hat das Verwaltungsgericht nicht erkennbar unternommen.
2. Das Verwaltungsgericht hat insoweit auch gegen die Amtsermittlungspflicht des § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, indem es den Sachverhalt bezüglich der Tatbestandsmerkmale des § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG nicht hinlänglich aufgeklärt hat. Es hat nämlich unter bloßer Berufung auf das Vorliegen greifbarer Anhaltspunkte für die Unredlichkeit des Erwerbs den Sachverhalt nur summarisch gewürdigt. Es hat letztlich nur festgestellt, ob nach dem Vortrag der Beteiligten und dem Akteninhalt die Redlichkeit oder Unredlichkeit des Erwerbs möglich war. Im Grunde hat es nur Vermutungen angestellt und nach Anhaltspunkten gesucht, „die es als möglich erscheinen lassen, dass die Rechtsvorgänger der Beigeladenen bei dem Erwerb … unredlich” waren (UA S. 4). Ausgehend von diesem Ansatz hat es sich mit den lapidaren Hinweisen begnügt, dass den Akten nicht zu entnehmen sei, ob die Verwalterverordnung eingehalten worden sei, dass der etwaige niedrige Kaufpreis „ein weiterer Hinweis” für eine mögliche Unredlichkeit und die Berechnung des Kaufpreises nicht nachvollziehbar sei und dass die Modalitäten der Kaufpreiszahlung schon für sich allein Zweifel daran begründeten, dass die Erwerber keine privilegierte Behandlung genossen hätten (UA S. 5). Dies folge aus der entgegen der vertraglichen Vereinbarung erfolgten Ratenzahlung, dem Fehlen von Zahlungsbelegen und der nicht erklärlichen Vorleistung des Kaufpreises durch den staatlichen Verwalter. Ohne jede Tatsachenfeststellung hält es dann das Verwaltungsgericht für „nicht ausgeschlossen, dass den Erwerbern die Erfüllung der Kaufpreisverpflichtung vollständig erlassen wurde”, da selbst die Abzahlung der Raten nicht belegt sei.
Das Verwaltungsgericht hat sich auch nicht dazu geäußert, ob die erforderliche, dem Erwerber zurechenbare sittlich anstößige Manipulation beim Erwerbsvorgang vorliegt. Es hat dementsprechend nicht festgestellt, ob den etwaigen Rechts- oder Verfahrensverstößen die Absicht zugrunde lag, den Erwerbsvorgang gezielt zu beeinflussen. Denn nach ständiger Rechtsprechung erfüllt nicht schon jede aus einem solchen Verstoß resultierende Fehlerhaftigkeit des Erwerbsgeschäfts den Tatbestand des § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG. Vielmehr muss die Abweichung von der Rechtsordnung der DDR die Absicht erkennen lassen, den Erwerbsvorgang gezielt zu beeinflussen (Urteile vom 19. Januar 1995 – BVerwG 7 C 42.93 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 12 und vom 5. April 2000 – BVerwG 8 C 9.99 – Buchholz 428 § 4 Abs. 3 VermG Nr. 3).
Auch zum subjektiven Tatbestand des § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG enthält das Urteil der Vorinstanz keine Feststellungen. Soweit es darauf ankommt, hätte das Verwaltungsgericht versuchen müssen zu klären, ob der Erwerber wusste oder hätte wissen müssen, dass bei dem vorliegenden Grundstückskauf nicht alles mit rechten Dingen zuging.
3. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Denn es fehlt an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zur Ausfüllung der Tatbestände des § 4 Abs. 2 und Abs. 3 Buchst. a VermG. Weder nach dem Akteninhalt noch nach den – unvollkommenen – Feststellungen des Verwaltungsgerichts steht fest, dass schon jetzt eine weitere Sachaufklärung nicht möglich ist und daher nach der oben dargelegten Beweislastregel über die Klage entschieden werden kann. Zwar hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass allein die Eigenschaft eines Erwerbers als Funktionsträger der ehemaligen DDR, wie das vorliegend bei dem Vater der Beigeladenen der Fall war, noch nicht dessen Unredlichkeit beim Erwerb begründet (vgl. hierzu Beschluss vom 15. März 1996 – BVerwG 7 B 402.95 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 28). Das Verwaltungsgericht wird aber den von ihm selbst aufgeworfenen tatsächlichen Zweifeln nachzugehen haben. Insbesondere wird es zu prüfen haben, ob es mit der Rechtsordnung und der ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis der DDR vereinbar war, dass zum einen die Umschreibung des Eigentums im Grundbuch ohne vorherige Grundstücksverkehrsgenehmigung erfolgte, dass zum anderen bereits zwei Tage nach dem Abschluss des Kaufvertrages die staatliche Genehmigung erteilt worden ist, dass bereits am Tage des Vertragsabschlusses die Eintragung im Grundbuch erfolgte und dass die Beurkundung des Vertrages, die Eintragung im Grundbuch und die Erteilung der Grundstücksverkehrsgenehmigung durch ein und dieselbe Person vorgenommen wurde. Dabei wird das Verwaltungsgericht auch zu prüfen haben, ob etwaige am vorliegenden Erwerbsvorgang beteiligte Mitarbeiter des Liegenschaftsdienstes, u.a. die als Zeugin benannte Frau L. vernommen werden können. Auch der sich widersprechende Sachvortrag der Kläger und der Beigeladenen – etwa zur Zahlung des Kaufpreises – kann Anlass zu weiteren Ermittlungen bieten.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Sailer, Krauß, Golze
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 28.02.2001 durch Grosser Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BuW 2001, 563 |
BVerwGE, 75 |
ZAP 2001, 797 |