Leitsatz (amtlich)
1. Vereinsmitglieder werden durch ein Vereinsverbot nicht in ihrer individuellen Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG und § 1 Abs. 1 VereinsG verletzt. Denn die individuelle Betätigung als Mitglied kann sich nur im Rahmen der kollektiven Willensbildung des Vereins entfalten.
2. Einzelne Personen, die sich gegen ein Vereinsverbot wenden, können nur geltend machen, dass es sie in ihrer von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Betätigungsfreiheit verletzt. Hierzu müssen sie darlegen, dem als Verein verbotenen Personenzusammenschluss anzugehören und durch das Verbot gehindert zu werden, ihre bisherige Betätigung im Rahmen des vom Verbot aufgelösten Zusammenschlusses auch in Zukunft fortsetzen zu können. Sie können nur rügen, dass das Vereinsgesetz als Rechtsgrundlage des Verbots keine Anwendung findet und kein Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG vorliegt.
3. Vereine im Sinne des § 2 VereinsG können auch Organisationen sein, deren Zweck in der Verbreitung von Nachrichten und Meinungsbeiträgen besteht.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Bescheids des Bundesministeriums des Innern vom 14. August 2017, mit dem die als Verein eingestufte Gruppierung "linksunten.indymedia" verboten wurde.
Rz. 2
1. Bei "linksunten.indymedia" handelt es sich nach dem Verbotsbescheid um einen Verein, dessen Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen und der sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet. Vereinszweck sei es, als selbständiges Mitglied des globalen Netzwerks "Independent Media Center" eine unabhängige Gegenöffentlichkeit im Internet zu schaffen. Zu diesem Zweck betreibe "linksunten.indymedia" das anonyme Veröffentlichungs- und Diskussionsportal "linksunten.indymedia.org". Dieses Portal habe sich mittlerweile als wichtigste Plattform gewaltorientierter Linksextremisten in ganz Deutschland etabliert. Viele der dort eingestellten Inhalte verletzten die Strafgesetze. So werde öffentlich zur Begehung von Straftaten aufgefordert, es würden Straftaten gebilligt und Anleitungen zu Straftaten, etwa zum Bau von zeitverzögerten Brandsätzen, veröffentlicht. Auf der Plattform werde immer wieder zur Anwendung von Gewalt gegen Personen und Sachen aufgefordert oder Gewalt angedroht, viele Inhalte enthielten Beleidigungen oder üble Nachrede. Diese Inhalte würden durch das Betreiberteam in der Regel weder zensiert noch gelöscht. Die Möglichkeit, auf "linksunten.indymedia.org" anonym eine breite Öffentlichkeit erreichen zu können, senke die Hemmschwelle tatgeneigter Personen und animiere zu Straftaten. Der verbotene Verein "linksunten.indymedia" rufe daher die Gefahr der Begehung von Straftaten hervor oder verstärke sie. Er weise mit der Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols und der Billigung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung auch eine kämpferisch-aggressive verfassungsfeindliche Grundhaltung auf, die sich in der Anpreisung und Bereitstellung einer Plattform für die propagandistische Verwertung solcher Gewalttaten zeige.
Rz. 3
Der Verein habe sich bei einem Gründungstreffen vom 23. - 25. Mai 2008 in Freiburg im Breisgau gebildet. Auch in den Folgejahren hätten regelmäßig "linksunten"-Treffen im sog. "Kulturtreff in Selbstverwaltung" in Freiburg und an anderen Orten stattgefunden. Die Veranstaltungen würden zwischen 10 und 30 Personen besuchen. Dort und im Rahmen von Mailing-Listen finde eine organisierte Willensbildung über die Ausrichtung und Organisation des Vereins, sowie den Betrieb der Plattform statt. Es gebe klare Funktionsbereiche und arbeitsteilige Abläufe, eine Festlegung auf verbindliche Moderationskriterien und abgestufte Partizipationsformen für Nutzer.
Rz. 4
2. Der angefochtene Bescheid stellt die Verbotsgründe fest (Ziffer 1), spricht das Verbot des Vereins "linksunten.indymedia" aus und löst den Verein auf (Ziffer 2). Unter Ziffern 3 und 4 führt er aus, dass es verboten ist, die unter dem Namen "linksunten.indymedia.org" unterhaltenen Internetpräsenzen des Vereins weiter zu betreiben und die Kennzeichen des Vereins weiter zu verwenden. Zudem wird die Beschlagnahme und Einziehung des Vereinsvermögens (Ziffer 5), der Forderungen Dritter, soweit sie nach Art, Umfang oder Zweck eine vorsätzliche Förderung der verbotenen Vereinigung darstellen oder begründet wurden, um die Vermögenswerte des Vereins dem behördlichen Zugriff zu entziehen (Ziffer 6) und der Sachen Dritter, soweit die Überlassung die gesetzeswidrigen Bestrebungen vorsätzlich gefördert hat oder fördern sollte (Ziffer 7), angeordnet. Der Bescheid wurde der Klägerin am 25. August 2017 persönlich übergeben. Die Verbotsverfügung wurde am gleichen Tag im Bundesanzeiger öffentlich bekannt gemacht.
Rz. 5
3. Die Klägerin hat am 29. August 2017 Klage erhoben. Sie macht geltend, das Verbot habe nicht auf das Vereinsgesetz gestützt werden können. Der Betrieb einer Internetplattform unterliege den spezielleren Bestimmungen des Telemedienrechts, das im Lichte der Presse- und Meinungsfreiheit jedenfalls keine vollständige Untersagung des Angebots des Portals rechtfertige und für dessen Vollzug die Beklagte keine Zuständigkeit besitze. Falls das Vereinsgesetz zur Anwendung kommen sollte, erweise sich das Verbot gleichfalls als rechtswidrig. Es fehle mangels einer über den Bereich des Bundeslandes Baden-Württemberg hinausreichenden Tätigkeit der verbotenen Vereinigung an einer Zuständigkeit des Bundesinnenministeriums, zudem sei vor Erlass des Verbots eine Anhörung unterblieben. Der Bescheid stütze sich auf veraltete Indizien und erfasse nicht die maßgebliche Sachlage im Zeitpunkt der Verbotsverfügung. Es sei denkbar, dass die Technik des Nachrichtenportals und die Durchsetzung der Moderationskriterien im Verbotszeitpunkt automatisiert oder durch eine Einzelperson erfolgt seien. Für eine Mitgliedschaft der Klägerin in der verbotenen Vereinigung fehlten belastbare Belege.
Rz. 6
Jedenfalls lägen die im Bescheid angegebenen Verbotsgründe nicht vor. "linksunten.indymedia.org" erlaube als "Open-Posting"-Plattform zwar eine anonyme und nicht rückverfolgbare Veröffentlichung von Beiträgen Dritter. Hierdurch würden jedoch Straftaten weder hervorgerufen noch selbst begangen, ermöglicht oder erleichtert. Soweit dort über Straftaten berichtet oder zu solchen aufgerufen werde, mache sich die Plattform diese Äußerungen nicht zu eigen. Auch im Hinblick auf den Verbotsgrund des "sich richten gegen die verfassungsgemäße Ordnung" fehle es an Belegen, die Aufschluss über die Haltung des Seitenbetreibers lieferten. Angesichts der Spannungsbreite der dort vertretenen Meinungen prägten die von der Beklagten als verbotsrelevant angeführten Inhalte nicht den Charakter der Plattform. Zudem erweise sich das Verbot als unverhältnismäßig, weil dem Verein weder eine Gelegenheit zur Selbstregulierung gegeben noch mit den Mitteln des Strafrechts vorgegangen worden sei. Die Klägerin regt die Beiziehung weiterer Behörden- und strafrechtlicher Ermittlungsakten und die Offenlegung der behördlichen Informationsquellen an. Sie bestreitet die Richtigkeit der über ihre Zugehörigkeit zu "linksunten.indymedia" vorliegenden Erkenntnisse.
Rz. 7
Zur Frage ihrer Klagebefugnis verweist die Klägerin darauf, dass der Verbotsbescheid zu ihren Händen ergangen sei und sie geltend mache, ein Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG bestehe nicht. Für den Fall, dass sie Mitglied der verbotenen Vereinigung sei, greife das Verbot in ihre Vereinigungs-, Meinungs-, Presse-, allgemeine Handlungsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Durch die im Bescheid angeordnete Beschlagnahme und Einziehung des Vereinsvermögens sowie von Vermögenswerten Dritter werde notwendigerweise auch in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Privatvermögen der Vereinsmitglieder eingegriffen. Weil ihr Strafverfolgung drohe, müsse sie sich nicht zu ihrer Beziehung zur verbotenen Vereinigung äußern. Dies zu fordern stelle einen Verstoß gegen den Grundsatz des Aussageverweigerungsrechts dar und verstoße gegen die verfassungsrechtlich verankerte Selbstbelastungsfreiheit. Es könne ihr deshalb auch nicht angesonnen werden, als Vertreterin des verbotenen Vereins in dessen Namen aufzutreten. Die verbotene Vereinigung selbst sei mangels einer inneren Verfasstheit weder beteiligten- noch prozessfähig. Zur Wahrung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG müsse daher im Rahmen ihrer Klage und in Streitgenossenschaft mit den Klägern der Verfahren 6 A 2.19 bis 6 A 5.19 nicht nur eine Prüfung der Vereinseigenschaft von "linksunten.indymedia" und ihrer Mitgliedschaft stattfinden, sondern das Verbot einer vollumfänglichen gerichtlichen Kontrolle auch im Hinblick auf die Verbotsgründe unterzogen werden.
Rz. 8
Zudem könne sie auch infolge ihrer eigenen individuellen Grundrechtsbetroffenheit eine Vollprüfung erreichen. Auf der Grundlage der im Verbotsbescheid angeordneten Sicherstellungen seien gegen sie Sicherstellungsbescheide ergangen, mit denen in ihr in Art. 14 Abs. 1 GG geschütztes Eigentum eingegriffen werde, ohne dass eine inzidente Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verbots stattfinde. Sie sei durch gegen sie gerichtete vereinsrechtliche Ermittlungsmaßnahmen in ihrem Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung, ihrem Post- und Fernmeldegeheimnis und ihrem Eigentumsrecht verletzt und einer nachhaltigen Stigmatisierung ausgesetzt. Zudem sei mit der ihr zugeschriebenen Vereinsmitgliedschaft ein Präjudiz für eine zivilrechtliche Inanspruchnahme in etwaigen Schadensersatzprozessen geschaffen. Durch den Verbotsbescheid sei ihr unter Strafandrohung untersagt, im Rahmen des verbotenen Vereins und der Plattform "linksunten.indymedia" tätig zu werden oder künftig ein vergleichbares Nachrichtenportal zu betreiben. Daher sei es im Lichte ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, geboten, die Rechtmäßigkeit des Verbots umfassend zu prüfen.
Rz. 9
4. Die Beklagte erachtet die Klage bereits als unzulässig, weil die Klägerin für sich keine Zugehörigkeit zu der verbotenen Gruppierung reklamiere. Jedenfalls aber sei der Umfang der gerichtlichen Überprüfung im vorliegenden Verfahren beschränkt. Auf die Klage einzelner Mitglieder hin werde lediglich geprüft, ob die verbotene Vereinigung als Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG existiere. Dies sei vorliegend durch die im Internet verfügbaren Inhalte belegt. Eine weitergehende Klärung der Rechtmäßigkeit des Verbotsbescheids auf die Klage der Klägerin hin sei weder im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG noch vor dem Hintergrund einer vermeintlichen individuellen Grundrechtsbetroffenheit geboten. "linksunten.indymedia" sei im Verwaltungsprozess auch ohne eigene Rechtspersönlichkeit beteiligtenfähig und bei ordnungsgemäßer Vertretung auch prozessfähig. Eine aus Gründen des klandestinen Agierens erschwerte Willensbildung innerhalb des Vereins oder ein Bedürfnis der Mitglieder nach Anonymität zur Vermeidung einer Strafverfolgung führe nicht zu einer Ausweitung der Klagemöglichkeiten Dritter. Auch wenn an das Vereinsverbot eine Reihe belastender Nebenentscheidungen und Rechtsfolgen geknüpft sei, ändere dies nichts daran, dass lediglich der Verein selbst als in seiner Existenz unmittelbar Betroffener zur umfassenden Geltendmachung der Rechtswidrigkeit der Verbotsverfügung ermächtigt sei.
Entscheidungsgründe
Rz. 10
Die zulässige Klage (1.) ist unbegründet, weil die angefochtene Verbotsverfügung die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (2.).
Rz. 11
1. Die Klägerin hat ihre Klage im eigenen Namen form- und fristgerecht beim Bundesverwaltungsgericht erhoben (a.). Sie kann geltend machen, in eigenen Rechten verletzt zu sein, und die fehlende Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes sowie das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Annahme eines Vereins rügen (b.).
Rz. 12
a. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat die Klage im eigenen Namen erhoben und unter Verweis auf eine Verletzung der ihr aus eigenem Recht zustehenden wehrfähigen Rechtspositionen begründet. Zwar gibt die Klägerin an, sie wolle auch anstelle der verbotenen Vereinigung eine vollumfängliche Überprüfung des Verbots erreichen. Allerdings lehnt sie ein Auftreten als Vertreterin und im Namen von "linksunten.indymedia" ausdrücklich ab.
Rz. 13
Die Klage ist form- und fristgerecht beim zuständigen Bundesverwaltungsgericht erhoben worden (§ 50 Abs. 1 Nr. 2 1. Alt. VwGO), der Durchführung eines Vorverfahrens bedurfte es nicht (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO).
Rz. 14
b. Die Klägerin ist gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Voraussetzung der Klagebefugnis ist, dass die Klägerin geltend macht, das Vereinsverbot verletze sie in ihrer durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Betätigungsfreiheit (aa.). Hierfür reichen die Darlegungen der Klägerin noch aus (bb.)
Rz. 15
aa. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zur Anfechtung des Verbots einer Vereinigung regelmäßig nur die verbotene Vereinigung befugt, nicht hingegen ein Mitglied. Die Verbotsverfügung betrifft nicht die individuelle Rechtsstellung natürlicher Personen, sondern die Rechtsstellung der verbotenen Vereinigung als einer Gesamtheit von Personen. Sofern das Vereinsverbot Rechte verletzt, können dies nur Rechte der verbotenen organisierten Personengesamtheit sein. Denn bei einem Vereinsverbot handelt es sich nicht um ein Betätigungsverbot, sondern um ein Organisationsverbot, durch das der Verein aufgelöst und als organisatorische Grundlage und Quelle der gemeinsamen Betätigung beseitigt wird (BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1978 - 1 A 3.76 - BVerwGE 55, 175 ≪181≫). Adressat des Verbots ist daher die verbotene Vereinigung. Diese ist ungeachtet ihrer Rechtsform nach § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig und wird im Rechtsstreit gemäß § 62 Abs. 3 VwGO durch ihren Vorstand vertreten (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. August 1984 - 1 A 26.83 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 7 und vom 21. Januar 2004 - 6 A 1.04 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 40 sowie Beschlüsse vom 2. März 2001 - 6 VR 1.01 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 34 S. 34, vom 4. Juli 2008 - 6 B 39.08 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 45 Rn. 5 und vom 19. Juli 2010 - 6 B 20.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 54 m.w.N.).
Rz. 16
Einzelne Personen sind demgegenüber nach der bisherigen Rechtsprechung gemäß § 42 Abs. 2 VwGO nur zur Anfechtung eines Vereinsverbots befugt, wenn die Verbotsverfügung zu ihren Händen ergangen ist und sie in materieller Hinsicht geltend machen, sie bildeten keinen Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG. Trifft dieser Einwand zu, ist die Verfügung aufzuheben, ansonsten ist die Klage abzuweisen, ohne dass das Vorliegen von Verbotsgründen nach § 3 Abs. 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 GG zu prüfen ist (BVerwG, Urteile vom 13. Dezember 2018 - 1 A 14.16 (ECLI:DE:BVerwG:2018:131218U1A14.16.0] - NVwZ-RR 2019, 512 Rn. 15, vom 14. Mai 2014 - 6 A 3.13 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62 Rn. 11 m.w.N. und vom 4. November 2016 - 1 A 5.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:041116U1A5.15.0] - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 71 Rn. 15 sowie Beschluss vom 2. März 2001 - 6 VR 1.01 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 34 S. 34).
Rz. 17
Diese Rechtsprechung bedarf angesichts des in § 42 Abs. 2 VwGO normierten Erfordernisses der Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten insoweit der Modifizierung, als die Annahme der Klagebefugnis von Einzelpersonen nicht ihre Rechtfertigung in dem Umstand finden kann, dass mit der Aushändigung des Bescheids oder der Bezeichnung einer Person im Adressfeld des Bescheids eine wehrfähige Rechtsposition entstünde, die als solche zur Anfechtung des Verbots berechtigen könnte. Die Verbotsbehörde hat es nicht in der Hand, durch die Zuschreibung einer Mitgliedschaft in der Verbotsverfügung ein Klagerecht zu verleihen. Vielmehr müssen auch solche Personen, die in der Verbotsverfügung als Mitglied aufgeführt werden oder denen sie ausgehändigt wird, sich auf eine Verletzung in eigenen Rechten berufen können. Diese Voraussetzungen erachtet der Senat nur dann als gegeben, wenn eine Person geltend macht, dem als Verein verbotenen Personenzusammenschluss anzugehören und durch das Verbot gehindert zu werden, ihre bisherige Betätigung im Rahmen des vom Verbot aufgelösten Zusammenschlusses auch in Zukunft fortsetzen zu können. Diese Betätigungsfreiheit findet ihre Grundlage weder in Art. 9 Abs. 1 GG bzw. Art. 11 Abs. 1 EMRK noch in anderen speziellen Freiheitsgrundrechten, sondern allein in der von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
Rz. 18
(1) Das Vereinsverbot beschränkt das in Art. 9 Abs. 1 GG verankerte kollektive Recht auf Fortbestand der Vereinigung (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018 - 1 A 14.16 - NVwZ-RR 2019, 512 Rn. 15 m.w.N. sowie Beschlüsse vom 19. Juli 2010 - 6 B 20.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 54 Rn. 14 und vom 10. Januar 2018 - 1 VR 14.17 [ECLI:DE:BVerwG:2018:100118B1VR14.17.0] - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 73 Rn. 11; s. auch BVerfG, Beschluss vom 15. Juni 1989 - 2 BvL 4/87 - BVerfGE 80, 244 ≪253≫). Demgegenüber werden Vereinsmitglieder durch ein Vereinsverbot nicht in ihrer individuellen Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG und § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts vom 5. August 1964 (BGBl. I S. 593), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 10. März 2017 (BGBl. I S. 419) ≪VereinsG≫ tangiert. Denn die individuelle Betätigung als Mitglied kann sich nur im Rahmen der kollektiven Willensbildung des Vereins entfalten. Die Mitglieder haben durch ihren freiwilligen Zusammenschluss zur Förderung eines gemeinsamen Zwecks anerkannt, dass Vereinsangelegenheiten aufgrund kollektiver Willensbildung und Entscheidungsfindung und innerhalb des vom Verein auf der Grundlage der Vereinsautonomie selbst gesetzten Rahmens geregelt werden. Daher tritt die Ausübung der individuellen Vereinigungsfreiheit, soweit sie sich im Rahmen der Tätigkeit im Verein entfaltet, hinter der kollektiven Freiheitsausübung zurück. Ein Recht auf Fortbestand des Vereins, das sich gegen den Willen der im Verein zusammengeschlossenen Personen durchsetzen könnte, verleiht die individuelle Vereinigungsfreiheit dem einzelnen Mitglied nicht. Nimmt der Verein die Verbotsverfügung hin oder versäumt er einen möglichen Rechtsbehelf, können daher nicht ersatzweise einzelne seiner Mitglieder oder sonstige interessierte Personen eine umfassende gerichtliche Kontrolle herbeiführen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018 - 1 A 14.16 - NVwZ-RR 2019, 512 Rn. 15 m.w.N.; vgl. dazu auch Heinrich, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot, 2005, S. 142 Fn. 531).
Rz. 19
Für das Vorliegen einer wehrfähigen Rechtsposition des Vereinsmitglieds ergibt sich auch aus der in Art. 11 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und ihre Zusatzprotokolle, soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten sind (Gesetz über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 7. August 1952, BGBl. 1952 II S. 685; Bekanntmachung vom 15. Dezember 1953, BGBl. 1954 II S. 14; Neubekanntmachung der Konvention in der Fassung des 11. Zusatzprotokolls in BGBl. 2002 II S. 1054) und aus Art. 22 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 II S. 1534) gleichfalls gewährleisteten Vereinigungsfreiheit nichts anderes.
Rz. 20
(2) Die Klägerin kann sich nicht auf eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Ihr durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschütztes individuelles Recht auf freie Meinungsäußerung wird durch das Vereinsverbot nicht berührt. Ebenso wenig garantiert ihr Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG einen Anspruch auf einen Fortbestand einer ehemals allgemein zugänglichen Quelle. Wird aufgrund eines Vereinsverbots der Betrieb einer Internetseite untersagt und schließt damit der Betreiber der Internetseite die Informationsquelle, ist die staatliche Einschränkung dieses Zugangs nicht an dem Grundrecht der Informationsfreiheit zu messen. Stattdessen ist ein etwaiger Eingriff in die Presse- und Medienfreiheit - wie dargelegt - vom Adressaten des Vereinsverbots im Rahmen der Anfechtung des Verbots geltend zu machen.
Rz. 21
(3) Ihre Klagebefugnis kann die Klägerin auch nicht aus Art. 14 Abs. 1 GG herleiten. Soweit das Vereinsverbot in Eigentumspositionen des Vereins eingreift, können nur Rechte der verbotenen organisierten Personengesamtheit verletzt sein. Die Berufung der Klägerin auf eine Verletzung ihrer Eigentumsrechte aufgrund ihrer Inanspruchnahme als Dritte vermag eine Klagebefugnis gegenüber dem Vereinsverbot nicht zu begründen. Denn die von der Klägerin angeführten Vollzugsmaßnahmen auf der Grundlage des Vereinsverbots stellen eigenständige Rechtsakte dar, gegen die ihr gesonderte Rechtsschutzmöglichkeiten zustehen. Etwaige Verletzungen von Eigentumsrechten sind in diesen Verfahren geltend zu machen. Nichts anderes gilt für die von der Klägerin geltend gemachte Verletzung des Art. 13 Abs. 1 GG.
Rz. 22
(4) Einzelne Personen, die sich gegen ein Vereinsverbot wenden, können danach nur geltend machen, dass das Vereinsverbot sie in ihrer von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Betätigungsfreiheit verletzt (ebenso bereits zur Klagebefugnis einer Gruppierung, die geltend macht, dass sie die Merkmale des Vereinsbegriffs im Sinne von Art. 9 Abs. 1 GG und § 2 Abs. 1 VereinsG nicht erfüllt, aber als Verein und deshalb rechtswidrig mit einer vereinsrechtlichen Verfügung belegt wird: BVerwG, Beschlüsse vom 19. Juli 2010 - 6 B 20.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 54 Rn. 15 und vom 10. Januar 2018 - 1 VR 14.17 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 73 Rn. 11). Hierzu müssen sie darlegen, dem als Verein verbotenen Personenzusammenschluss anzugehören und durch das Verbot gehindert zu werden, ihre bisherige Betätigung im Rahmen des vom Verbot aufgelösten Zusammenschlusses auch in Zukunft fortsetzen zu können. Sie können nur rügen, dass das Vereinsgesetz als Rechtsgrundlage des Verbots keine Anwendung findet und kein Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG vorliegt. Treffen diese Einwände zu, ist die Verbotsverfügung aufzuheben, um den durch sie hervorgerufenen Eingriff in die Betätigungsfreiheit zu beseitigen.
Rz. 23
bb. Vor diesem rechtlichen Hintergrund erscheint eine Verletzung der Klägerin in eigenen Rechten auf der Grundlage ihres Klagevorbringens nicht von vornherein ausgeschlossen. Zwar hat die Klägerin unter Verweis auf eine drohende strafrechtliche Verfolgung nicht gesagt, ob sie der verbotenen Vereinigung "linksunten.indymedia" angehört hat. Sie hat aber ausdrücklich auf die Rechtsprechung zum Anfechtungsrecht Einzelner Bezug genommen, auf die Aushändigung des Bescheids zu ihren Händen verwiesen und ihr Interesse an dem Betrieb eines zumindest ähnlichen Nachrichtenportals bekundet. Daher bietet ihr Vortrag in Zusammenschau mit dem Akteninhalt noch hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ihre Zugehörigkeit zum verbotenen Personenzusammenschluss zumindest möglich erscheint. Insbesondere indiziert die Aushändigung des Verbotsbescheids zu ihren Händen, dass die Verbotsbehörde selbst von einer Zugehörigkeit der Klägerin zur verbotenen Vereinigung ausgeht.
Rz. 24
2. Die Anfechtungsklage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid erweist sich als rechtmäßig, soweit er auf die Klage der Klägerin hin der gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Eine Erweiterung des Prüfprogramms ist nicht geboten (a.). Das Bundesministerium des Innern konnte auf der Rechtsgrundlage des § 3 Abs. 1 VereinsG tätig werden (b.). Die Vereinigung "linksunten.indymedia" erfüllt die Merkmale eines Vereins im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG (c.).
Rz. 25
a. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO begrenzt den Umfang der gerichtlichen Kontrolle auf die Frage, ob ein Kläger durch den angefochtenen hoheitlichen Akt in seinen Rechten verletzt wird. Während der verbotene Personenzusammenschluss als Adressat eine umfassende Prüfung der Rechtmäßigkeit des Verbotsbescheids beanspruchen kann, ist der Kontrollumfang im Rahmen des vorliegenden Verfahrens beschränkt. Die Klägerin kann unter Berufung auf ihre allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG lediglich eine Prüfung erreichen, ob ihr durch die Auflösung von "linksunten.indymedia" zu Recht die Möglichkeit entzogen worden ist, sich als Angehörige dieses Personenzusammenschlusses wie bisher zu betätigen. Dies ist nicht der Fall, wenn diese Vereinigung mangels Erfüllung der in § 2 Abs. 1 VereinsG genannten Strukturmerkmale oder mangels Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes nicht auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 VereinsG hätte verboten werden können. Trifft dies zu, ist der Verbotsbescheid aufzuheben, andernfalls ist die Klage abzuweisen, ohne dass das Vorliegen von Verbotsgründen nach § 3 Abs. 1 VereinsG oder die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheids zu prüfen wäre (vgl. BVerwG, Urteile vom 4. November 2016 - 1 A 5.15 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 71 Rn. 15 und vom 13. Dezember 2018 - 1 A 14.16 - NVwZ-RR 2019, 512 Rn. 15). Auch die Zuständigkeit der Verbotsbehörde (§ 3 Abs. 2 VereinsG) wird in diesem Verfahren nicht geprüft (BVerwG, Beschluss vom 4. Mai 2017 - 1 VR 6.16 [ECLI:DE:BVerwG:2017:040517B1VR6.16.0] - juris Rn. 18).
Rz. 26
Entgegen dem Vortrag der Klägerin ist eine Erweiterung des gerichtlichen Prüfungsumfangs nicht deshalb geboten, weil sie infolge der Strafbewehrung des Verbots künftig am Betrieb einer vergleichbaren "Open-Posting"-Plattform gehindert (aa.) oder als bisherige oder künftige Nutzerin der vom verbotenen Verein zur Verfügung gestellten Informations- und Kommunikationsstruktur durch das Verbot in einer der in Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen betroffen wäre (bb.). Ebenso wenig gebietet der Umstand, dass die Klägerin von Maßnahmen im vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren oder einer Beschlagnahme betroffen war (cc.) oder eine Stigmatisierung als Mitglied des verbotenen Vereins befürchtet (dd.) eine Erweiterung der gerichtlichen Prüfung. Schließlich kommt auch die Geltendmachung der Rechte des verbotenen Vereins durch die Klägerin nicht in Betracht (ee.).
Rz. 27
aa. Der Umstand, dass ein Vereinsverbot für und gegen jedermann wirkt und ein Zuwiderhandeln gegen das Verbot als Straftat geahndet werden kann (§ 85 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB, § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3 VereinsG), eröffnet Dritten keine Klagemöglichkeit gegen den Verbotsbescheid. Für die Allgemeinheit ist dieses strafbewehrte Verbot einer zukünftigen Fortsetzung der verbotenen Vereinigung nicht Inhalt der durch die Verbotsbehörde im Einzelfall gesetzten Rechtsfolge, sondern lediglich eine gesetzesunmittelbare Folge der Verbotsverfügung nach § 3 Abs. 1 VereinsG. Der Bescheid enthält insoweit lediglich einen deklaratorischen Hinweis auf die Rechtslage (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 2018 - 1 VR 14.17 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 73 Rn. 18). Auch das von der Klägerin reklamierte Interesse an einer Klärung der Rechtslage im Falle einer künftigen Betätigung im Rahmen einer vergleichbaren Vereinigung eröffnet keine Möglichkeit zur Überprüfung der materiellen Verbotsgründe. Das Erfordernis einer Verletzung in eigenen Rechten dient gerade dem Ausschluss der sog. Interessentenklage, also desjenigen Klägers, der an der Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung ein eigenes materielles, aktuelles oder künftiges Interesse hat, ohne aber in seinen Rechten verletzt zu sein.
Rz. 28
bb. Vom Verbot ist infolge der umfassenden organisatorischen Auflösung des Vereins auch die Abschaltung seiner Internetpräsenzen und der von ihm geschaffenen Informations- und Kommunikationsstrukturen erfasst. Das in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids enthaltene Verbot der Nutzung der Internetadressen des Vereins wiederholt lediglich die Gesetzeslage (vgl. zum Betätigungsverbot BVerwG, Urteil vom 4. November 2016 - 1 A 6.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:041116U1A6.15.0] - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 72 Rn. 37). Daher erweist sich auch der Entzug der Nutzungsmöglichkeiten der von "linksunten.indymedia" unterhaltenen Internetangebote für bisherige Nutzer des Angebots als bloßer Rechtsreflex. Die in Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Kommunikations- und Medienfreiheiten in ihrer Ausprägung als Meinungsäußerungs-, Informations- und Pressefreiheit räumen einem früheren Autor oder Leser der dort verfügbaren Inhalte kein subjektiv-öffentliches Recht ein, auf dessen Grundlage er eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verbotsbescheids im Rahmen einer Anfechtungs- oder Feststellungsklage erreichen könnte. Ein Anspruch auf Aufrechterhaltung der vom Verein unterhaltenen Internetplattform als Informationsquelle oder Kommunikations- und Veröffentlichungsmedium lässt sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 oder 2 GG nicht herleiten.
Rz. 29
cc. Die Klägerin kann auch nicht als Betroffene vereinsrechtlicher Ermittlungs- und Sicherstellungsmaßnahmen eine umfassende Rechtmäßigkeitsüberprüfung des Verbotsbescheids beanspruchen. Soweit solche Maßnahmen Grundrechte der Klägerin wie das in Art. 10 Abs. 1 GG geschützte Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis, die in Art. 13 Abs. 1 GG geschützte Unverletzlichkeit der Wohnung, das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG oder die in Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berühren, sind sie als selbständige Maßnahmen auf eigenständige Rechtsgrundlagen des Vereinsgesetzes gestützt. Die Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen kann die Klägerin in eigenständigen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten überprüfen und gegebenenfalls auch nachträglich deren Rechtswidrigkeit feststellen lassen. Dies gilt auch hinsichtlich der in den Ziffern 5, 6 und 7 des Verbotsbescheids angeordneten Beschlagnahmen und Einziehungen. Durch den Verbotsbescheid erfolgt noch keine Konkretisierung auf bestimmte Gegenstände oder Vermögenswerte. Es ist der Klägerin daher unbenommen, die Zugehörigkeit einzelner Vermögenswerte zum Vereinsvermögen oder zu den in Ziffer 6 und 7 genannten Vermögenswerten in separaten gerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen.
Rz. 30
dd. Die Zuschreibung einer Mitgliedschaft durch die Bezeichnung als Vereinsmitglied in den Gründen oder im Adressfeld des Verbotsbescheids führt gleichfalls nicht zu einer Erweiterung des Prüfungsumfangs im vorliegenden Verfahren. Denn der Verbotsbescheid entfaltet für die Frage, welche Personen Vereinsmitglieder waren, keine Bindungswirkung in straf- oder zivilgerichtlichen Verfahren. Die zutreffende Benennung der Vereinsmitglieder oder vertretungsberechtigten Personen ist keine Voraussetzung der Rechtmäßigkeit des Vereinsverbots (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Mai 2017 - 1 VR 6.16 - juris Rn. 32).
Rz. 31
ee. Es ist auch nicht geboten, der Klägerin angesichts der Besonderheiten der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung ausnahmsweise die umfassenderen Rechtsschutzmöglichkeiten der verbotenen Vereinigung zu eröffnen. Die Rechtsprechung räumt einem verbotenen Personenzusammenschluss eine im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Klage- und Überprüfungsmöglichkeit im eigenen Namen unabhängig davon ein, welche Organisationsstruktur er aufweist. Er ist gemäß § 61 Nr. 2 VwGO fähig, als Kläger im eigenen Namen aufzutreten (BVerwG, Beschluss vom 19. Juli 2010 - 6 B 20.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 54 Rn. 16). Im Rahmen der Prozessfähigkeit ist ein weites Verständnis des § 62 Abs. 3 VwGO geboten. So hat der Senat bereits entschieden, dass sich eine lose Gruppierung, die z.B. keinen fest umrissenen Mitgliederbestand oder keine verfestigten Strukturen zur kollektiven Willensbildung aufweist, durch die natürlichen Personen vertreten lassen kann, die nach ihrem Selbstverständnis und den tatsächlichen Verhältnissen befugt sind, für die Vereinigung zu handeln (BVerwG, Zwischenurteil vom 21. Januar 2004 - 6 A 1.04 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 40 Rn. 20). Auf die von der Klägerin thematisierte Charakterisierung der Vereinigung als bloße BGB-Innengesellschaft kommt es daher weder für die Partei- noch für die Prozessfähigkeit an.
Rz. 32
Sind die auf dieser Grundlage Vertretungsberechtigten angesichts einer drohenden Strafverfolgung nicht bereit, im Namen der verbotenen Vereinigung aufzutreten, so obliegt dem Personenzusammenschluss die Entscheidung, wie er seine ordnungsgemäße Vertretung anderweitig sicherstellen kann. Dem entspricht, dass es dessen Sache ist, sich im Wege der autonomen kollektiven Willensbildung interne Strukturen zu geben. Zwar schützt der in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz des "nemo tenetur" vor dem staatlichen Verlangen, Informationen preiszugeben, die den Betroffenen selbst belasten. Auskunftspflichten, die darauf gerichtet sind, berühren daher das allgemeine Persönlichkeitsrecht (BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1981 - 1 BvR 116/77 - BVerfGE 56, 37 ≪41 f.≫). Anders als in der von der Klägerin angeführten verfassungsgerichtlichen Judikatur geht es vorliegend aber nicht um eine Auskunftspflicht und einen staatlich durchsetzbaren Auskunftsanspruch, sondern um eine im Innenverhältnis der verbotenen Vereinigung zu bewältigende Wahrnehmung der Vertretung. Strebt der Verein auch in Ansehen etwaiger, seinen Organen bzw. vertretungsbefugten Mitgliedern drohenden strafrechtlichen Nachteile eine gerichtliche Klärung an, so beruht dies auf seiner autonomen Entscheidung und nicht auf einer seitens der öffentlichen Gewalt erzwungenen Auskunftspflicht. Für eine Privilegierung selbst gewählter klandestiner Strukturen bietet das Prozessrecht keinen Raum. Eine im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich bedenkliche Rechtsschutzlücke, die ein Klagerecht Dritter für die Vereinigung gebieten könnte, liegt nicht vor.
Rz. 33
b. Das Bundesministerium des Innern konnte auf der Rechtsgrundlage des § 3 Abs. 1 VereinsG tätig werden. Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse "linksunten.indymedia.org" betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses "linksunten.indymedia" als Organisation (aa.). Das Bundesministerium des Innern war an einem Vorgehen auf der Grundlage des Vereinsgesetzes weder infolge der in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallenden Tätigkeit der Vereinigung gehindert (bb.), noch erweist sich eine Anwendung des Vereinsgesetzes aus Gründen der Gesetzgebungskompetenz oder eines Vorrangs medienrechtlicher Eingriffsbefugnisse (cc.) als ausgeschlossen.
Rz. 34
aa. Ein Vereinsverbot zielt darauf, die mit dem organisatorischen Gefüge der Vereinigung als zweckgerichtetem Zusammenschluss mehrerer Personen einhergehenden Gefahren präventiv zu bekämpfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12, 1 BvR 670/13, 1 BvR 57/14 - BVerfGE 149, 160 Rn. 104). Das Argument der Klägerin, die eigentliche Zielrichtung der Verbotsbehörde sei die Abschaltung der von der verbotenen Vereinigung betriebenen Internetplattform "linksunten.indymedia.org" gewesen, führt im Rahmen der Frage der Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes nicht weiter. Denn entscheidend ist, wer hinter einer im Internet benutzten Bezeichnung steht und sich ihrer zur Verfolgung seiner Ziele bedient (vgl. so bereits BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2014 - 6 A 3.13 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62 Rn. 26). Zwar wäre ein Vereinigungsverbot mit den Anforderungen des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren, wenn es nur das Mittel wäre, Meinungsäußerungen oder Publikationen zu untersagen, die für sich genommen den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießen. Der Schutz durch andere Grundrechte darf von einem Vereinigungsverbot nicht unterlaufen werden. Insbesondere darf ein Vereinigungsverbot nicht bewirken, dass auf diesem Wege untersagt wird, was die Freiheitsrechte sonst erlauben. Dieser Frage ist aber nicht auf der Ebene der Anwendbarkeit der vereinsrechtlichen Verbotsnorm, sondern im Rahmen der Prüfung der Verbotsgründe nachzugehen (BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12, 1 BvR 670/13, 1 BvR 57/14 - BVerfGE 149, 160 Rn. 93, 113).
Rz. 35
bb. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass Vereine im Sinne des § 2 VereinsG auch Organisationen sein können, deren Zweck in der Verbreitung von Nachrichten und Meinungsbeiträgen besteht. Der Umstand, dass sich eine solche Vereinigung auf die in Art. 5 Abs. 1 GG verbürgten Rechte berufen kann, steht der Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes nicht entgegen (vgl. zum Verbot eines Verlags: BVerwG, Beschluss vom 19. August 1994 - 1 VR 9.93 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 19; Urteil vom 28. Januar 1997 - 1 A 13.93 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 26 Rn. 74; zur Anwendbarkeit auf Religionsgesellschaften vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2014 - 6 A 3.13 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62 Rn. 31). Auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts entspricht ein solcher, weit gefasster Anwendungsbereich des Vereinsgesetzes einerseits der gefahrenabwehrrechtlichen Intention des Vereinsgesetzes und seinem Charakter als ein Instrument des "präventiven Verfassungsschutzes". Art. 9 Abs. 2 GG ist insoweit - neben Art. 21 Abs. 2 und Art. 18 GG - Ausdruck des Bekenntnisses des Grundgesetzes zu einer "streitbaren Demokratie" (BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2018 - 1 BvR 1474/12, 1 BvR 670/13, 1 BvR 57/14 - BVerfGE 149, 160 Rn. 101). Andererseits aber dient ein weites Verständnis des Anwendungsbereichs des Vereinsgesetzes zugleich auch dem Schutz der Vereinigung. Ein Verbot darf nicht auf Meinungsäußerungen und Pressetätigkeiten gestützt werden, die den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG genießen. Davon ausgehend ist im Rahmen der Anwendung der Verbotsgründe zu prüfen, ob sich das Verbot als verhältnismäßig erweist. Dies ist nicht der Fall, wenn eine mildere Maßnahme geeignet und ausreichend ist, um den Belangen der Gefahrenabwehr Rechnung zu tragen (BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2018 a.a.O. Rn. 148). Denn ein Verbot, das auf grundrechtlich geschützte Handlungen wie die Ausübung der Presse- und Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG gestützt wird oder auf andere Weise Grundrechte beeinträchtigt, muss im Rahmen der Rechtfertigung des Eingriffs nach Art. 9 Abs. 2 GG diese Grundrechte beachten, wodurch ein solcher Zusammenschluss weitergehenden Schutz genießt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 2. Juli 2019 - 1 BvR 1099/16 [ECLI:DE:BVerfG:2019:rk20190702.1bvr109916] - juris Rn. 16).
Rz. 36
cc. Die dargestellte Auslegung und Anwendung der Verbotsgründe ist durch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Vereinsrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG gedeckt. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Medienrecht kommt insoweit auch nicht zum Tragen, als es um das Verbot von Publikationen als Folge des vereinsrechtlichen Organisationsverbots geht. Deshalb ist die Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes auf eine Vereinigung, deren Zweck in der Verbreitung von Nachrichten und Meinungsbeiträgen besteht, nicht infolge der gemäß Art. 70 Abs. 1 GG bei den Ländern liegenden Regelungskompetenz über das Medienrecht gesperrt oder durch § 59 Abs. 3 des Rundfunkstaatsvertrags als speziellere Bestimmung für Maßnahmen der Gefahrenabwehr im Bereich der Telemedien ausgeschlossen.
Rz. 37
c. Die verbotene Vereinigung "linksunten.indymedia" war im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids ein Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG. Die Bedeutung der dort genannten Strukturmerkmale ist in der Rechtsprechung geklärt (aa.). Der Senat kann sich seine Überzeugung auf der Grundlage der vorgelegten Ausdrucke zahlreicher Internetseiten bilden, eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist nicht geboten (bb.). Bei "linksunten.indymedia" handelte es sich um einen freiwilligen Zusammenschluss einer Mehrheit von Personen zu einem gemeinsamen Zweck (cc.). Die Mitglieder dieser Vereinigung haben sich einer organisierten Willensbildung unterworfen (dd.). "linksunten.indymedia" bestand auch im Zeitpunkt des Erlasses des Verbotsbescheids (ee.).
Rz. 38
aa. Gemäß § 2 Abs. 1 VereinsG ist ein Verein im Sinne dieses Gesetzes ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat. Der Begriff des Vereins beziehungsweise der Vereinigung nach Art. 9 Abs. 1 und 2 GG wird in der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 VereinsG im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Wertungen umschrieben (BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 BvR 1099/16 - juris Rn. 15). Die Begriffsmerkmale des § 2 Abs. 1 VereinsG sind entsprechend der gefahrenabwehrrechtlichen Zwecksetzung des Vereinsgesetzes und im Einklang mit dem Schutz der Vereinigungsfreiheit weit auszulegen (BVerwG, Urteile vom 13. Dezember 2018 - 1 A 14.16 - NVwZ-RR 2019, 512 Rn. 22 und vom 4. November 2016 - 1 A 5.15 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 71 Rn. 16).
Rz. 39
Ein Zusammenschluss setzt schon nach seinem Wortlaut ein bewusstes und gewolltes Handeln voraus. Auch bei einer extensiven Interpretation des Vereinsbegriffs kann ein Zusammenschluss von Personen nur angenommen werden, wenn sich diese durch einen konstitutiven Akt verbunden haben. Dabei dürfen an die Qualität dieses Aktes keine hohen Anforderungen gestellt werden; eine stillschweigende Übereinkunft reicht aus. Auch hinsichtlich des gemeinsamen Zwecks genügt eine faktische Übereinstimmung über die wesentlichen Ziele des Zusammenschlusses. Die von dem Willen der einzelnen Mitglieder losgelöste und organisierte Gesamtwillensbildung, der sich die Mitglieder kraft der Verbandsdisziplin prinzipiell unterordnen müssen beziehungsweise die sie kraft eigenen Entschlusses als prinzipiell beachtlich werten, erfordert weder eine Satzung noch spezifische Vereinsorgane. Ausreichend ist eine Organisationsstruktur, die faktisch auf eine organisierte Willensbildung schließen lässt (zusammenfassend BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018 - 1 A 14.16 - NVwZ-RR 2019, 512 Rn. 22 unter Verweis auf BVerwG, Urteile vom 14. Mai 2014 - 6 A 3.13 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62 Rn. 25 und vom 4. November 2016 - 1 A 5.15 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 71 Rn. 17 sowie Beschluss vom 4. Mai 2017 - 1 VR 6.16 - juris Rn. 21). Für das Bestehen einer organisierten Gesamtwillensbildung spricht insbesondere, wenn die Vereinigung zur Verfolgung des gemeinsamen Zwecks Zuständigkeiten verteilt und ein arbeitsteiliges Zusammenwirken von Personen regelt (BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2014 - 6 A 3.13 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62 Rn. 28). Es genügt, dass eine nicht formal geregelte, sondern auf faktischer Unterwerfung beruhende autoritäre Organisationsstruktur für eine vom Willen des einzelnen Mitglieds losgelöste, organisierte Gesamtwillensbildung vorliegt. Schon zugunsten der Freiheit, sich in unterschiedlicher Form zusammenzuschließen, dürfen keine überzogenen Anforderungen an die organisierte Willensbildung gestellt werden. Auch insoweit stellt die weite Auslegung des Vereinsbegriffs sicher, dass einschränkende Maßnahmen bis hin zum Verbot an Art. 9 GG und damit an den engen Voraussetzungen von Art. 9 Abs. 2 GG zu messen sind (BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2019 - 1 BvR 1099/16 - juris Rn. 17).
Rz. 40
Daher können auch Organisationen, die eine hohe Mitgliederfluktuation aufweisen oder eine anonyme Mitgliedschaft ermöglichen, einen solchen Zusammenschluss bilden. Maßgeblich ist vor dem Hintergrund der mit dem Vereinsgesetz verbundenen Zielsetzung allein, dass die Organisation und die Zweckverfolgung in der Vereinigung auf Dauerhaftigkeit angelegt sind, und sich die Beteiligten durch ein verfestigtes Band der Zusammengehörigkeit verbunden haben. Das Merkmal einer organisierten Willensbildung ist auch dann erfüllt, wenn verbindliche Entscheidungen nur unter Beteiligung sämtlicher Mitglieder nach dem Konsensprinzip getroffen werden können. Maßgeblich ist allein, dass die Mitglieder den auf dieser Grundlage gebildeten Gesamtwillen als grundsätzlich verbindlich erachten.
Rz. 41
bb. Bei der gerichtlichen Überprüfung einer vereinsrechtlichen Verbotsverfügung hat das Gericht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und die tatsächlichen Umstände des Falls in angemessener Weise aufzuklären. Vorliegend ergibt sich daraus keine Notwendigkeit, weitere Unterlagen beizuziehen oder ergänzende Beweiserhebungen durchzuführen. Der Senat hat auf der Grundlage der von der Beklagten vorgelegten Ausdrucke einzelner Seiten der Plattformen "de.indymedia.org" und "linksunten.indymedia.org", der Seiten der "KTS Freiburg", der "Autonome Antifa Freiburg" und einzelner Chatverläufe die Überzeugung gewonnen, dass die verbotene Vereinigung die Strukturmerkmale eines Vereins gemäß § 2 Abs. 1 VereinsG erfüllt. Die dort verfügbaren Inhalte vermitteln ein einheitliches und authentisches Bild über die tatsächlichen Umstände der Gründung, des Zwecks und der inneren Struktur des verbotenen Vereins. Insbesondere stellen die unter dem Accountnamen "IMC linksunten" in der "Wir-Form" präsentierten Informationen nach dem Willen der Autoren eine Selbstbeschreibung der hinter der Plattform stehenden Vereinigung dar und können als Grundlage für die Beurteilung des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des § 2 Abs. 1 VereinsG herangezogen werden. Die von der Klägerin angeregten zusätzlichen Ermittlungen betreffen nicht die hier entscheidungsrelevanten Fragen, sondern die zum Beleg der Verbotsgründe angeführten tatsächlichen Umstände und die zur Identifizierung möglicher Vereinsmitglieder erforderlichen Erkenntnisse.
Rz. 42
cc. Der übereinstimmenden Schilderung in mehreren Veröffentlichungen lässt sich entnehmen, dass vom 23. - 25. Mai 2008 im "KTS Freiburg" ca. 30 Personen zu einem Gründungstreffen zusammenkamen. Diese Versammlung beschloss, unter dem Namen "linksunten.indymedia.org" ein "unkommerzielles und partizipatives Nachrichtenportal" zu betreiben. Damit wollte sie zur Schaffung einer "kritischen Gegenöffentlichkeit" beitragen und eine lebendige Vernetzung sozialer Bewegungen mit einer lokalen Verankerung in Südwestdeutschland und einer Anbindung an das globale "indymedia"-Netzwerk befördern (Bericht "Indymedia Linksunten gegründet" vom 25. Mai 2008 auf "de.indymedia.org" Bl. 8 f. und "autonome antifa.org" Bl. 785, Wiedergabe Interview aus "junge Welt" vom 3. Juni 2008 "Wir wollen ein lebendiges Netzwerk bilden" Bl. 74 f.; "New-IMC-Antragsmail" auf "Autonome Antifa Freiburg" vom 24. August 2008 Bl. 47 ff.). Diese gemeinsame Zielsetzung im Sinne eines Vereinszwecks belegt auch das auf "linksunten.indymedia.org" veröffentlichte sog. "Mission Statement" (Bl. 87), in dem sich das Kernanliegen und die gemeinsamen Überzeugungen der in der verbotenen Vereinigung Zusammengeschlossenen manifestieren. Dass das Gründungstreffen nicht lediglich eine einmalige Veranstaltung war, sondern auch einen konstitutiven Akt beinhaltete, der eine auf Dauer angelegte Verbindung unter den Beteiligten schaffen sollte, belegen die in der Folgezeit unter der gleichbleibenden Bezeichnung "linksunten"-Treffen wiederholten Veranstaltungen (vgl. die im "liuwiki" aufgelisteten weiteren 13 Treffen, Anlage B1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 14. Juni 2018). Zwar waren die Einladungen zu diesen Treffen jeweils adressatenoffen gestaltet und eine Teilnahme stand grundsätzlich jedem offen, der sich für die Internetplattform "linksunten.indymedia.org" interessierte ("Mission Statement" Bl. 87). Ein wechselnder Teilnehmerkreis ist jedoch für das Bestehen eines Zusammenschlusses unschädlich, solange die Organisation als solche besteht und kontinuierlich den Vereinszweck verfolgt. Vor diesem Hintergrund hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass es sich bei der im Mai 2008 gegründeten Vereinigung "linksunten.indymedia" um einen freiwilligen Zusammenschluss einer Mehrheit von Personen zu einem gemeinsamen Zweck handelte.
Rz. 43
dd. Auch eine organisierte Gesamtwillensbildung der verbotenen Vereinigung steht bei Würdigung dieser Unterlagen zur gerichtlichen Überzeugung fest. So schreibt das bei "linksunten.indymedia.org" veröffentlichte "Mission Statement" (Bl. 87) fest, dass die Willensbildung innerhalb der Vereinigung basisdemokratisch nach dem Konsensprinzip erfolgt und den bei persönlichen Treffen getroffenen Entscheidungen besonderes Gewicht zukommt. Auch betrachteten die Mitglieder die bei "linksunten"-Treffen gefassten Entscheidungen grundsätzlich als verbindlich. So berichtet "IMC linksunten" im Communiqué vom 31. Dezember 2009 (Bl. 10 ff.) rückblickend über die getroffenen Entscheidungen und deren Umsetzung und betont, dass die für die Plattform verwendeten Software-Module entsprechend den politischen Vorgaben des vorangegangenen Diskussionsprozesses ausgewählt und konfiguriert wurden. Insbesondere zeigt sich dies im Zusammenhang mit der Behandlung der von Nutzern auf der Plattform veröffentlichter Inhalte. Die Vereinigung hat sich mit den sog. "Moderationskriterien" (Bl. 23 f.) ein verbindliches Gerüst für den Umgang mit diesen Beiträgen gegeben. Daran sehen sich die Moderatoren gebunden (vgl. Kommentar des Nutzers "gegen Zensur" und der nachfolgende Chat vom 30. August 2010 Bl. 97 ff. ≪100≫). Die Weiterentwicklung der Moderationskriterien wurde bei den "linksunten"-Treffen diskutiert ("IMC linksunten", Communiqué vom 5. November 2011 Bl. 394 f.).
Rz. 44
Als aussagekräftiges Indiz für eine Gesamtwillensbildung erweist sich zudem, dass bei "linksunten.indymedia" ein arbeitsteiliges Zusammenwirken von verschiedenen Personen stattfand. So wurden die im Zusammenhang mit dem Betrieb der Internetplattform laufend anfallenden Tätigkeiten für die technische Gestaltung und Betreuung der Plattform, die Moderation der eingestellten Beiträge und die sonstigen Verwaltungsaufgaben, wie das Einwerben von Spenden oder die Mittelverwendungen nach einem abgestuften System unterschiedlicher Zuständigkeiten und Berechtigungen bearbeitet (Berichte vom "IMC linksunten" vom 21. Februar 2009 Bl. 25 ff., vom 15. Februar 2009 Bl. 90 ff. und Communiqué von "IMC linksunten" vom 18. September 2016 Bl. 17 ff.; Niederschrift des 9. Treffens im "liuwiki" Bl. 6 f.). Eine inhaltliche Mitarbeit war dabei an bestimmte Anforderungen geknüpft. So konnten "MedienaktivistInnen" zu "ModeratorInnen" werden, wenn sie von einem/einer ModeratorIn auf der internen Mailingliste vorgeschlagen wurden und es innerhalb einer Woche keinen Widerspruch gab. Außerdem sollten sie regelmäßig an den "linksunten"-Treffen teilnehmen (Communiqué von "IMC linksunten" vom 2. Februar 2009 Bl. 93 f.).
Rz. 45
Eine weitere Kategorie Verantwortlicher waren die "Admins" (vgl. Niederschrift des "9. Linksunten"-Treffens Bl. 6 f., zum "Admin"-Workshop Communiqué von "IMC linksunten" vom 6. Februar 2013 Bl. 55 f., Kommentare unter dem Account "Admin" Bl. 408 f.), die für die technische Betreuung und Fortentwicklung der Plattform tätig waren und Nutzer über Lösungsmöglichkeiten in technischen oder Sicherheitsfragen informierten (vgl. Kommentar unter dem Account "linksunten admin" Bl. 356). Diese Verantwortlichen waren jeweils über Chats oder per E-Mail erreichbar (vgl. die auf der Plattform angegebenen Kontaktmöglichkeiten in Anlage B 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 14. Juni 2018). Sämtliche Akteure stimmten sich neben der Kommunikation bei den "linksunten"-Treffen über interne Mailinglisten und Chats ab (Interview aus "junge Welt" vom 3. Juni 2008 "Wir wollen ein lebendiges Netzwerk bilden" Bl. 74 f.; Niederschrift des "12. linksunten"-Treffens Bl. 747 f.; Chat-Verlauf vom 9. November 2012 Bl. 837 f.).
Rz. 46
ee. Auch der Bestand der Vereinigung im Zeitpunkt des Erlasses des Verbotsbescheids im August 2017 ist zur Überzeugung des Senats durch die vorgelegten Unterlagen und das bis zum Verbot kontinuierlich fortbetriebene Internetportal "linksunten.indymedia.org" belegt. Es trifft zwar zu, dass die Internetausdrucke, denen sich ein Bezug zu dem hinter der Plattform stehenden Betreiberteam entnehmen lässt, überwiegend aus den Anfangsjahren stammen und nur bis in die zweite Jahreshälfte 2016 reichen. Allerdings findet sich auch in den späteren Verlautbarungen kein Hinweis auf eine grundlegende Veränderung der hinter der Plattform stehenden Vereinigung oder eine Auflösung. So weist das Communiqué von "IMC linksunten" vom 18. September 2016 (Bl. 17 f.) ausdrücklich auf die gestiegene Bedeutung der Plattform hin und schildert die infolgedessen aktuell zu bewältigenden technischen Fragen. Das Communiqué schließt mit einem Ausblick auf geplante technische Verbesserungen und einem Spendenaufruf.
Rz. 47
Als wesentliches Indiz für den Fortbestand des Vereins "linksunten.indymedia" erweist sich der unveränderte Betrieb der Plattform "linksunten.indymedia.org" bis zum Zeitpunkt des Verbots. In Ansehung des für die Aufrechterhaltung der zunehmend erfolgreichen Plattform erforderlichen technischen Sachverstands, der laufend notwendigen Wartungsmaßnahmen und der für die Betreuung der Nutzer erforderlichen Kapazitäten (vgl. dazu das Communiqué von "IMC linksunten" vom 18. September 2016 Bl. 17 f. und den nachfolgenden Kommentarverlauf) sowie das über Jahre tätige Moderatorenkollektiv liegt es für den Senat auf der Hand, dass die hinter der Plattform stehende Vereinigung ihre Tätigkeit auch über die zweite Jahreshälfte 2016 unverändert fortgesetzt hat. Anderweitige tatsächliche Anhaltspunkte, die dieses Ergebnis erschüttern könnten, fehlen. Ein hypothetischer automatisierter Weiterbetrieb oder eine Reduzierung des Betreiberteams auf eine Person, wie von der Klägerin als möglich erachtet, ist nicht plausibel.
Rz. 48
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Fundstellen
BVerwGE 2020, 293 |
NZG 2020, 6 |
DÖV 2020, 790 |
JZ 2020, 351 |
VR 2020, 319 |
BayVBl. 2020, 3 |
K&R 2020, 559 |
RÜ 2020, 460 |
Jura 2020, 1150 |
Polizei 2020, 241 |