Entscheidungsstichwort (Thema)
Einbürgerung, Anspruch auf – bei Maßregel der Besserung und Sicherung. Maßregel der Besserung und Sicherung als Verurteilung wegen einer Straftat im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG. Straftat, Ausschluss der Einbürgerung bei Verurteilung wegen einer -. Verurteilung wegen einer Straftat, Maßregel der Besserung und Sicherung als -
Leitsatz (amtlich)
1. Eine selbständige Maßregel der Besserung und Sicherung ist eine Verurteilung wegen einer Straftat im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG.
2. Bei einer selbständigen Maßregel der Besserung und Sicherung entscheidet die Einbürgerungsbehörde entsprechend § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG im Einzelfall, ob sie außer Betracht bleiben kann.
Normenkette
StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, § 12a Abs. 1; BZRG §§ 3-4; StGB § 61 ff.
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 10.11.2005; Aktenzeichen 13 S 2223/04) |
VG Karlsruhe (Urteil vom 05.12.2003; Aktenzeichen 1 K 80/03) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10. November 2005, soweit darin die Berufung des Klägers zurückgewiesen wurde, und das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 5. Dezember 2003 werden aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis vom 5. Juni 2002 und des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 10. Dezember 2002 verpflichtet, über den Einbürgerungsantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Kosten des gesamten Verfahrens tragen der Kläger und der Beklagte je zur Hälfte.
Tatbestand
I
Der 1970 in der Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er möchte durch Einbürgerung deutscher Staatsangehöriger werden.
Der Kläger reiste 1993 in das Bundesgebiet ein, wurde mit Bescheid vom 5. August 1997 als Asylberechtigter anerkannt und war seit dem 19. August 1997 Inhaber einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis.
Strafrechtlich ist der Kläger wie folgt in Erscheinung getreten:
1. Verurteilung wegen Landfriedensbruch in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20 DM durch Strafbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 19. März 1996,
2. Verurteilung wegen Erschleichens von Leistungen zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20 DM durch Strafbefehl des Amtsgerichts Heidelberg vom 18. August 1998,
3. Verurteilung wegen Erschleichens von Leistungen zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20 DM durch Strafbefehl des Amtsgerichts Heidelberg vom 15. Oktober 1998,
4. Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus durch Urteil des Landgerichts Mannheim vom 14. Dezember 1999; die Vollstreckung der Maßregel wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Der Anordnung der Unterbringung lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger litt spätestens seit Anfang 1998 an wahnhaften Verfolgungsideen. Unter dem Einfluss dieser Krankheit griff er am 21. März 1998 in einem Männerwohnheim in Mannheim einen Heimbetreuer mit Reizgas an, weil er sich bedroht fühlte. Anschließend schlug er den Betreuer mit der Faust zu Boden. Nach dem Eingreifen von Polizeibeamten beleidigte er eine Beamtin. Im Urteil ging das Landgericht Mannheim davon aus, dass der Kläger ohne Schuld gehandelt habe, da er wegen einer krankhaften seelischen Störung unfähig gewesen sei, das Unrecht der Tat einzusehen und danach zu handeln. Die Vollstreckung der Maßregel wurde entsprechend der Empfehlung des Sachverständigen nach § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt. Damit trat Führungsaufsicht ein. Mit Beschluss vom gleichen Tag setzte das Landgericht die Bewährungszeit auf drei Jahre fest. Gleichzeitig wurde der Kläger einem Bewährungshelfer unterstellt. Zudem wurde er mit seinem Einverständnis angewiesen, in einem betreuten Wohnheim Wohnung zu nehmen, sich einer fachärztlichen Behandlung zu unterziehen, die vom Arzt angeordneten Medikamente weisungsgemäß einzunehmen und in vom behandelnden Arzt anzuordnenden Zeiträumen einen “Medikamentenspiegel” fertigen zu lassen.
Den Antrag des Klägers auf Einbürgerung vom Januar 2001 lehnte das Landratsamt mit Bescheid vom Juni 2002 nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AuslG ab, weil die Anordnung der Unterbringung einer Verurteilung wegen einer Straftat gleichstehe und § 88 Abs. 1 AuslG nicht eingreife.
Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, den Kläger einzubürgern, hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 5. Dezember 2003 abgewiesen. Während dieses Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht hat das Landgericht Mannheim mit Beschluss vom 28. April 2003, rechtskräftig seit 17. Mai 2003, festgestellt, “dass die Unterbringung des Beschuldigten (Klägers) in einem psychiatrischen Krankenhaus erledigt ist, nachdem die Führungsaufsicht beendet ist und Widerrufsgründe nicht gegeben sind”. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat der Verwaltungsgerichtshof mit im Wesentlichen folgender Begründung zurückgewiesen:
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG lege es angesichts des strafrechtlichen Bezuges der Begriffe “Verurteilung” und “Straftat” nahe, bei der Auslegung zunächst deren strafrechtliche Bedeutung zu betrachten. Das schließe es jedoch nicht von vornherein aus, die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung als Verurteilung im Sinne des Staatsangehörigkeitsrechts anzusehen. Hierfür spreche zunächst, dass § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG gerade nicht von der Verurteilung “zu einer Strafe”, sondern von der Verurteilung “wegen einer Straftat” spreche, insoweit also weiter gefasst sei. Zudem werde auch eine Maßregel der Besserung und Sicherung durch Urteil angeordnet. Der allgemeine Sprachgebrauch lasse es daher zu, auch die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung in einem Urteil als “Verurteilung” anzusehen. Aus der Entstehungsgeschichte lasse sich zwar nicht zwingend ableiten, dass eine “Verurteilung wegen einer Straftat” nach dem Willen des Gesetzgebers auch dann vorliegen solle, wenn eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet werde. Allerdings könne der Umstand, dass im früheren Regierungsentwurf ausgeführt worden sei, ein generelles Absehen von einer strafrechtlichen “Bescholtenheit” erscheine nicht gerechtfertigt, dafür sprechen, dass der Gesetzgeber damals eine begriffliche Anbindung an den früher verwendeten Begriff der “Unbescholtenheit” angestrebt habe. Dies würde es nahe legen, dass auch im strafrechtlichen Sinne schuldloses Fehlverhalten weiterhin für die Einbürgerung von Bedeutung sein solle. Letztlich sprächen Sinn und Zweck des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG und der Regelungszusammenhang mit dem Registerrecht entscheidend dafür, auch die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung als Verurteilung wegen einer Straftat anzusehen. Der Sinn dieser Vorschrift bestehe darin, die Einbürgerung von Personen auszuschließen, die sich trotz ihres längeren Aufenthalts nicht in die (bundesdeutsche) Gesellschaft integriert hätten bzw. bei denen es an einer dauerhaften Hinwendung zur deutschen Rechtsordnung fehle oder hieran zumindest erhebliche Zweifel bestünden. Der Staat solle von einer Verpflichtung zur Einbürgerung solcher Ausländer freigestellt werden, die mit Rücksicht auf die Begehung von gewichtigen Straftaten die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verdienten oder bei denen dies derzeit jedenfalls als möglich erscheine. Für die Frage, ob von einem Ausländer, der gegen eine Strafvorschrift verstoßen habe, eine Gefahr für Rechtsgüter ausgehe, komme es nicht entscheidend darauf an, ob dieser schuldhaft gehandelt habe. Vielmehr könne eine solche Gefahr beispielsweise auch beim Vorliegen einer krankheitsbedingten Schuldunfähigkeit bestehen. Dies werde gerade daran deutlich, dass eine Maßregel der Besserung und Sicherung nur angeordnet werden könne, wenn vom Täter infolge seines Zustandes eine Gefahr ausgehe. Gestützt werde diese vom strafrechtlichen Begriffsverständnis abweichende weitere Auslegung auch durch die Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes, welche im Zusammenhang mit einer Einbürgerung deshalb von besonderer Bedeutung seien, weil dessen Auskunftsregelungen auch die Einbürgerungsbehörden beträfen. So nenne § 4 BZRG unter der Überschrift “Verurteilungen” u.a. die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung. Zudem gehe § 46 Abs. 1 Nr. 1g BZRG davon aus, dass es sich bei der dort u.a. genannten Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung um eine Verurteilung handele. Gleiches gelte z.B. für § 32 Abs. 2 Nr. 8 und § 49 Abs. 1 Satz 3 BZRG. Diese Gesetzesauslegung führe im Einzelfall auch zu keinen unvertretbaren Ergebnissen. Eine pauschale Gefahrenprognose komme bei der Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung, welche gerade eine vom Täter ausgehende – individuelle – Gefahr voraussetze, nicht in Betracht. Vielmehr bedürfe es hier grundsätzlich einer Beurteilung im Einzelfall. Auch müsse die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung einem Anspruch auf Einbürgerung nicht in jedem Falle dauerhaft entgegenstehen. Nach § 49 Abs. 1 BZRG bestehe jedenfalls die Möglichkeit, dass der Generalbundesanwalt anordne, Eintragungen entgegen den §§ 45 und 46 BZRG zu tilgen, falls die Vollstreckung erledigt sei und das öffentliche Interesse der Anordnung nicht entgegenstehe. Mit diesen Regelungen sei hinreichend gewährleistet, dass ein Ausländer auch bei der Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung jedenfalls im Wege der Tilgung nach § 49 BZRG ein Einbürgerungsanspruch erlangen könne, soweit von ihm keine Gefahr mehr ausgehe. Darüber hinaus komme auch eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG in Betracht. Angesichts dessen könne nicht angenommen werden, dass die Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG in den Fällen der Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung zu einer unzulässigen Schlechterstellung der Betroffenen im Vergleich zu denjenigen Ausländern führe, deren Verurteilung nach § 12a Abs. 1 StAG außer Betracht bleibe. Vielmehr halte sich diese differenzierte Regelung noch im Rahmen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit. Schließlich stehe dem Kläger auch kein Anspruch auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung nach § 8 StAG zu. Aufgrund der von ihm begangenen strafrechtlichen Verstöße erfülle er nämlich einen Ausweisungsgrund, weil er einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen habe.
Mit seiner Revision gegen dieses Urteil begehrt der Kläger, den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen. Er rügt die Verletzung von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 12a Abs. 1 StAG.
Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist mit der Maßgabe begründet, dass der Beklagte über den Einbürgerungsantrag des Klägers neu zu entscheiden hat. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht. Zwar ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die gegen den Kläger 1999 als Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG eine Verurteilung wegen einer Straftat ist. Es hat aber zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung nach § 10 StAG verneint, ohne dass der Beklagte entsprechend § 12a Abs. 1 StAG geprüft und entschieden hat, ob die der Maßregel zugrunde liegende Straftat außer Betracht bleiben kann.
1. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG setzt für einen Anspruch auf Einbürgerung voraus, dass der Ausländer “nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist”. Aus dem Wortlaut ergibt sich nicht, ob unter einer Verurteilung wegen einer Straftat auch die Anordnung einer selbständigen Maßregel der Besserung und Sicherung wegen einer ohne Schuld begangenen rechtswidrigen Tat zu verstehen ist. Schon die Worte “Straftat” und “Verurteilung” sind – jedes für sich genommen – nicht eindeutig, lassen aber Raum für eine Auslegung, nach der sie auch die durch Urteil erfolgte Anordnung einer selbständigen Maßregel der Besserung und Sicherung erfassen.
Unter Straftat kann man eine vom Täter begangene strafbare Tat verstehen; dann setzt sie dessen Schuldfähigkeit voraus. Unter Straftat kann man aber auch eine generell mit Strafe bedrohte Tat (vgl. § 12 Abs. 1 und 2 StGB) verstehen, also eine rechtswidrige Tat im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, und zwar unabhängig von individueller Schuld (§§ 25 ff., § 29 StGB) und damit unabhängig von der Strafbarkeit eines individuellen Täters oder anderen Beteiligten.
Nach der strafprozessualen Terminologie wird nur zu Strafe “verurteilt” (vgl. § 465 Abs. 1 Satz 1 StPO mit der begrenzten Erweiterung durch § 465 Abs. 1 Satz 2 StPO) und wird eine Maßregel der Besserung und Sicherung “angeordnet” (§§ 61 ff. StGB, § 465 Abs. 1 Satz 1 StPO). Diese Terminologie gilt aber nicht generell und für andere Rechtsgebiete. So zählt das Bundeszentralregistergesetz auch die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung zu den strafgerichtlichen Verurteilungen (§ 3 Nr. 1, § 4 Nr. 2 BZRG) und versteht man unter Verurteilung allgemein eine für den Betroffenen bzw. Unterlegenen negative (ihn belastende) gerichtliche Entscheidung. Das trifft auch auf die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung zu.
Auch in der Verknüpfung “Verurteilung wegen einer Straftat” spricht der Wortlaut nicht gegen eine Erfassung auch von Maßregeln der Besserung und Sicherung. Damit kann nämlich sowohl eine Verurteilung wegen einer Straftat zu einer Strafe gemeint sein als auch eine Verurteilung (Anordnung durch Urteil) wegen einer Straftat zu einer Maßregel der Besserung und Sicherung. Auslösende Voraussetzung für die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung ist die vom Täter begangene Tat, die nach dem Strafgesetzbuch eine mit Strafe bedrohte Handlung gewesen sein muss (vgl. § 62 StGB).
2. Systematische Gründe sprechen eher für als gegen eine Einbeziehung der Maßregelfälle in den Regelungsbereich des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG. Bei einer Gegenüberstellung von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 12a StAG erscheint es naheliegend, § 12a Abs. 1 Satz 1 StAG so zu verstehen, dass ausschließlich die dort unter Nr. 1 bis 3 angeführten Verurteilungen außer Betracht bleiben, d.h. einem Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG nicht entgegenstehen, nicht jedoch alle anderen Verurteilungen, also auch solche zu einer Maßregel der Besserung und Sicherung. Der Bundesgesetzgeber zählt ferner – wie bereits erwähnt – auch an anderer Stelle (in § 3 Nr. 1 i.V.m. § 4 Nr. 2 BZRG) die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung zu den “strafgerichtlichen Verurteilungen”.
Dem steht schließlich auch das strafrechtliche Verständnis nicht entscheidend entgegen. Zwar setzt § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG voraus, dass der Ausländer nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist. Aber strafrechtliche Rechtsfolgen einer Tat können Strafen (§§ 38 ff. StGB) und/oder Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB) sein, wobei sie ihren unterschiedlichen Zwecken entsprechend unterschiedliche Voraussetzungen haben. Strafe ist eine repressive Übelzufügung als Reaktion auf rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten, die (funktional jedenfalls auch) dem Schuldausgleich dient (BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01 – BVerfGE 109, 133); Grundlage für ihre Zumessung ist die Schuld des Täters (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Maßregeln der Besserung und Sicherung dienen demgegenüber ohne Rücksicht auf die Schuldfähigkeit des Täters insbesondere der Individualprävention, also der Verhinderung zukünftiger, vom Täter zu erwartender, erheblicher rechtswidriger Taten (§§ 61 ff. StGB). Da im Strafrecht beide Rechtsfolgen eine strafrechtswidrige Tat voraussetzen, lässt sich dem Strafrecht gerade nicht entnehmen, dass der Begriff “Verurteilung wegen einer Straftat” in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG nur die Verurteilung zu Strafe, aber nicht auch die selbständige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als Maßregel der Besserung und Sicherung (§ 71 Abs. 1 StGB) erfasst.
3. Für die Einbeziehung der Maßregeln in den Begriff der Verurteilung wegen einer Straftat sprechen maßgeblich der Sinn und Zweck von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 12a StAG.
Außerhalb des Regelungsbereichs von Art. 16 Abs. 1 und 116 GG obliegt es allein dem Gesetzgeber, die Voraussetzungen für die Einbürgerung eines Ausländers festzulegen. Mit der Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG, dass ein Anspruch auf Einbürgerung entfällt, wenn der Ausländer wegen einer Straftat verurteilt worden ist, bringt der Gesetzgeber zweierlei zum Ausdruck. Zum einen will er demjenigen keinen Anspruch auf Einbürgerung einräumen, der ein Rechtsgut verletzt hat, das die Bundesrepublik Deutschland als der Staat, in den er eingebürgert werden will, für so wesentlich hält, dass dessen Verletzung mit Strafe bewehrt ist. Zum anderen stellt er damit klar, dass es nicht Aufgabe der Einbürgerungsbehörde ist, selbst festzustellen, ob der Ausländer eine Straftat begangen, gegen ein Strafgesetz verstoßen hat. Vielmehr muss der Verstoß gegen ein Strafgesetz in einer strafgerichtlichen Entscheidung festgestellt sein. Dem entspricht es, dass nach § 12a Abs. 3 StAG dann, wenn gegen einen Ausländer wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt wird, die Entscheidung über die Einbürgerung bis zum Abschluss des Verfahrens, im Fall der Verurteilung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils, auszusetzen ist.
Demgemäß liegt eine Verurteilung wegen einer Straftat im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG vor, wenn eine strafgerichtliche Entscheidung ergangen ist, aufgrund deren feststeht, dass der Ausländer eine mit Strafe bedrohte Tat begangen hat. Das kann nach dem Strafgesetzbuch – wie dargelegt – eine Verurteilung zu Strafe, das kann aber auch, wie im Streitfall, eine Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als selbständige Maßregel der Besserung und Sicherung sein. Auf Schuldfähigkeit kommt es nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG nicht an, weil der Gesetzgeber mit dem staatsangehörigkeitsrechtlichen Ausschluss eines Anspruchs auf Einbürgerung nicht an eine strafrechtlich Schuld voraussetzende Strafe anknüpft, sondern nur daran, ob der Ausländer eine mit Strafe bedrohte Tat begangen hat, die ein strafrechtlich geschütztes Rechtsgut wesentlich verletzt hat und strafgerichtlich festgestellt ist. Die Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG ist nicht auf repressive Übelzufügung gerichtet, sondern lediglich auf das Vorenthalten eines andernfalls erlangten Rechtsvorteils. Sie dient nicht den mit Kriminalstrafe verfolgten Zwecken, sondern der rechtlichen Reaktion auf eine im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt gescheiterte Integration in Staat und Gesellschaft; ob sie auch aktuelle oder potenzielle Gefahren für die Allgemeinheit abwehren oder vermindern soll, kann offen bleiben.
Im Ergebnis ist deshalb davon auszugehen, dass § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG als anspruchsschädliche Verurteilung wegen einer Straftat auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus – wie hier im Falle des Klägers – als strafrechtliche Rechtsfolge für eine zwar nicht schuldhafte, aber rechtswidrige Straftat erfasst.
4. Eine nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG den Einbürgerungsanspruch ausschließende selbständige Maßregel der Besserung und Sicherung kann jedoch in entsprechender Anwendung des § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG im Einzelfall außer Betracht bleiben.
Zwar ist der Anwendungsbereich von § 12a Abs. 1 StAG nicht unmittelbar eröffnet, da er sich ausdrücklich nur auf die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel nach dem Jugendgerichtsgesetz (Satz 1 Nr. 1) sowie auf Verurteilungen zu Strafen, die bestimmte Höhen nicht überschreiten (Satz 1 Nr. 2 und 3), bezieht und auch Satz 2 eine Einzelfallentscheidung nur bei höheren, nicht unter Satz 1 Nr. 2 und 3 fallenden Strafen vorsieht. Doch ist § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG auf Maßregeln der Besserung und Sicherung jedenfalls entsprechend anzuwenden, da § 12a Abs. 1 StAG eine verhältnismäßige Begrenzung für alle Anwendungsfälle des Anspruchsausschlusses nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG bezweckt, keine der gesetzlichen Ausnahmen in Satz 1 Nr. 1 bis 3 eingreift und daher nur Satz 2 als Auffangregelung für die nach Art oder Maß von Satz 1 nicht erfassten Verurteilungen eine verhältnismäßige Gesetzesanwendung ermöglicht. Die Einbürgerungsbehörde ist danach befugt und verpflichtet, im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob eine Maßregel außer Betracht bleiben kann.
Ein wesentliches Kriterium für oder gegen das Außerbetrachtbleiben nach § 12a Abs. 1 StAG ist die Schwere des Rechtsverstoßes, wie sie bei einer Verurteilung zu Strafe in der Strafzumessung zum Ausdruck kommt. Gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StAG bleiben deshalb Verurteilungen zu Strafen bis zu dem dort genannten Strafmaß kraft Gesetzes außer Betracht. Bei einer Verurteilung zu höherer Strafe, wenn der Rechtsverstoß also schwerer wiegt, sieht § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG vor, dass im Einzelfall entschieden wird, ob die Strafe außer Betracht bleiben kann. Das erfordert eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse gegen und dem privaten Interesse des Ausländers für einen Anspruch auf Einbürgerung trotz eines schweren Strafrechtsverstoßes.
Die Differenzierung in § 12a Abs. 1 StAG nach der Strafhöhe ist auf Maßregeln der Besserung und Sicherung allerdings nicht anwendbar. Denn die Höhe einer Geldstrafe (§ 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG) ist ebenso wie die Höhe einer Freiheitsstrafe (§ 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG) mit der Dauer einer Maßregel der Besserung und Sicherung nicht vergleichbar. Die Dauer einer Maßregel der Besserung und Sicherung wird anders als die Strafzumessung nicht nach der Schwere des begangenen Rechtsverstoßes, sondern danach bemessen, wie lange eine Besserungsmaßnahme und wie lange eine Sicherungsmaßnahme erforderlich ist, um die Gefahren für die Allgemeinheit künftig auszuschließen. Auch ist es nicht möglich, dass die Einbürgerungsbehörden oder die Verwaltungsgerichte selbst eine fiktive Strafe bilden, falls der Ausländer schuldfähig gewesen wäre, und ihrer Beurteilung zugrunde legen.
Bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung obliegt es der Einbürgerungsbehörde vielmehr entsprechend § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG, im Einzelfall zu entscheiden, ob die begangene Straftat außer Betracht bleiben kann (vgl. BayVGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 – 5 BV 04.1561 – ≪Gegen- stand des parallelen Revisionsverfahrens BVerwG 5 C 31.05≫). Für die erforderliche Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse gegen und dem privaten Interesse des Ausländers für einen Anspruch auf Einbürgerung trotz einer wegen einer Straftat angeordneten Maßregel der Besserung und Sicherung ist maßgeblich die Schwere der durch die begangene Tat bewirkten Rechtsverletzung und die Gefahr und das Gewicht etwaiger künftig erneut drohender Rechtsverstöße. Danach bemisst sich, ob einem Ausländer mit seit acht Jahren rechtmäßigem Aufenthalt im Inland trotz Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung ein Anspruch auf Einbürgerung zustehen kann.
Da im Streitfall eine Prüfung und Entscheidung des Beklagten entsprechend § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG fehlt, ist dies nachzuholen und über den Einbürgerungsantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Bei der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse gegen und dem privaten Interesse des Klägers für eine Einbürgerung ist auch zu beachten, dass das Landgericht im vorliegenden Fall zwar eine Maßnahme der Besserung und Sicherung angeordnet, diese Maßnahme aber sogleich zur Bewährung ausgesetzt hatte und die Führungsaufsicht nach erfolgreicher Bewährung bereits seit April 2003 beendet ist.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Hund, Schmidt, Dr. Franke, Dr. Brunn, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen
Haufe-Index 1779440 |
BVerwGE 2007, 271 |
DÖV 2007, 929 |
AuAS 2007, 208 |
FSt 2008, 675 |