Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 06.10.2004; Aktenzeichen 1 A 651/02) |
VG Köln (Urteil vom 25.10.2001) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Klägerin ist im gehobenen Justizdienst des beklagten Landes bei einem Amtsgericht als Rechtspflegerin in der Vormundschaftsabteilung tätig. Zum 1. Mai 1999 wurde dort durch Dienstvereinbarung zwischen dem Direktor des Amtsgerichts und dem örtlichen Personalrat die gleitende Arbeitszeit eingeführt. Daraufhin beantragte die Klägerin, sie als Rechtspflegerin von der Anwendung der Dienstvereinbarung zu befreien; die Reglementierung der Arbeitszeit sowie die Dienstzeitkontrolle stellten einen unzulässigen Eingriff in ihre gesetzlich verankerte sachliche Unabhängigkeit dar und behinderten sie in der ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer Dienstaufgaben im Bereich des Vormundschafts-, Pflegschafts- und Betreuungsrechts.
Diesen Antrag lehnte der Direktor des Amtsgerichts ab. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klage sei nur als Feststellungsklage mit dem Ziel zulässig, die Nichtigkeit der Dienstvereinbarung festzustellen, soweit sie die Klägerin in ihren Geltungsbereich einbeziehe. Der Beklagte dürfe nicht einseitig durch Verwaltungsakt von dieser Dienstvereinbarung abweichen.
Die Klage sei aber nicht begründet. Die Klägerin sei an die Dienstvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit gebunden. Als Beamtin werde sie von dem persönlichen Geltungsbereich der Vorschrift erfasst, die für eine Ausnahme oder “Befreiung” von Beschäftigten wie der Klägerin keine Grundlage biete. Die Dienstvereinbarung sei auch nicht wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam; sie stimme mit den Regelungen des gesetzlichen Arbeitszeitrechts überein. Unbeschadet ihrer Funktion als Rechtspflegerin sei die Klägerin Beamtin des gehobenen Justizdienstes und werde als solche von den allgemeinen Arbeitszeitregelungen erfasst. Zwar ermöglichten diese die Anordnung, einzelne Beamte oder Gruppen von Beamten von Regelungen über die gleitende Arbeitszeit auszunehmen, allerdings fehlten insoweit Ermessensdirektiven des höherrangigen Rechts, die eine Einbeziehung der Rechtspfleger in eine solche Ausnahme geböten. Das Verfassungsrecht enthalte keine derartigen Direktiven; statusrechtlich und auch im Sinne des Verfassungsrechts seien Rechtspfleger keine Richter. Es bestehe deshalb kein Anlass, die für Richter aus der Verfassung abgeleiteten Folgerungen deckungsgleich auf Rechtspfleger zu übertragen. Auch das Rechtspflegergesetz bestimme nicht, dass Rechtspfleger von der Einhaltung der Dienstzeiten zu befreien seien. Das Gesetz sehe zwar die sachliche Unabhängigkeit des Rechtspflegers vor, enthalte aber nichts Eindeutiges über die Bindung an Dienstzeiten. Die sachliche Unabhängigkeit enthalte als Kernbestandteil die Weisungsfreiheit des Rechtspflegers, die jedoch nicht zwangsläufig mit der Freistellung von Dienstzeiten verknüpft sei; dies sei auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm nicht abzuleiten. Rechtspfleger seien stärker in den allgemeinen Geschäftsbetrieb des Gerichts eingebunden als Richter. Soweit die Einhaltung der allgemeinen Dienstzeiten zu Schwierigkeiten bei der Erfüllung der dem Rechtspfleger zugewiesenen Aufgaben führe, seien diese im Rahmen der Gerichtsorganisation ebenso unbürokratisch zu lösen, wie dies auch bei anderen Beamten möglich sei, die aus dienstlichen Gründen außerhalb der regelmäßigen Dienstzeiten zur Verfügung stehen müssten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Sie beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Oktober 2004 und des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. Oktober 2001 aufzuheben und festzustellen, dass die allgemein für Beamte geltenden Arbeitszeitvorschriften für sie als Rechtspflegerin nicht anwendbar sind.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Vertreterin des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Die Änderung des Feststellungsantrags im Revisionsverfahren stellt keine gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO unzulässige Klageänderung dar. Denn damit ist weder eine Änderung des Rechtsschutzziels noch des Sach- und Streitstands verbunden (vgl. Urteile vom 2. Juli 1982 – BVerwG 8 C 101.81 – BVerwGE 66, 75 ≪78≫ und vom 21. Oktober 1993 – BVerwG 6 C 12.92 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 320). Mit dem zunächst gestellten Antrag, die Nichtigkeit der Dienstvereinbarung festzustellen, kann die Klägerin ihr Rechtsschutzziel nicht erreichen, weil sie bei Nichtigkeit der Dienstvereinbarung an die sich aus der Arbeitszeitverordnung ergebenden allgemeinen täglichen Dienstzeiten gebunden wäre.
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt kein revisibles Recht. Sowohl die Dienstvereinbarung zwischen dem Beklagten und dem Personalrat als auch § 7 der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen vom 28. Dezember 1986 (GV.NRW. 1987, S. 15), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 2003 (GV.NRW. 2003, S. 814) – AZVO – sind mit höherrangigem Recht vereinbar. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, von der Pflicht freigestellt zu werden, die in der Dienstvereinbarung und in der genannten Verordnung festgelegten Dienststunden einzuhalten.
1. Wie sich aus § 1 Abs. 1 und 2 AZVO ergibt, unterfällt die Klägerin als Beamtin des gehobenen Justizdienstes den allgemein für Beamte geltenden Vorschriften. Diese sehen in § 7 AZVO vor, dass sie – nach Maßgabe der Dienstvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit – ihren Dienst zu festen Zeiten zu verrichten hat.
2. Aus § 9 des Rechtspflegergesetzes in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes vom 6. August 1998 (BGBl I S. 2030) und späterer Änderungen – RPflG – ergibt sich nichts anderes. Nach dieser Vorschrift ist der Rechtspfleger sachlich unabhängig und nur an Recht und Gesetz gebunden. Die Bestimmung modifiziert nicht die landesrechtlichen Arbeitszeitvorschriften.
Zu Unrecht leitet die Klägerin aus dem in § 9 RPflG verwendeten Begriff der sachlichen Unabhängigkeit die Freiheit von der Pflicht her, Dienststunden einzuhalten. Es gibt keinen Rechtssatz, dass sachliche Unabhängigkeit notwendigerweise und ohne Rücksicht auf Status und Funktion des Betroffenen mit dieser Freiheit verbunden ist. Der Gesetzgeber kann sie hiermit verbinden, wenn ihm dies im Hinblick auf die übertragene Aufgabe zweckmäßig erscheint, muss es aber nicht.
§ 9 RPflG bestimmt, dass der Rechtspfleger bei der Erledigung der gemäß § 3 RPflG übertragenen Geschäfte keinen Weisungen unterliegt und insoweit von der für Beamte geltenden Gehorsamspflicht (vgl. § 58 Satz 2 LBG; § 37 Satz 2 und 3 BRRG) entbunden ist. Weder eine Weisung im Einzelfall noch eine allgemeine Dienstvorschrift dürfen dem Rechtspfleger vorschreiben, auf welche Weise er seine rechtsanwendende Tätigkeit auszuüben und welche Entscheidungen er zu treffen hat.
Dagegen folgt aus der Verwendung des Begriffs der sachlichen Unabhängigkeit in § 9 RPflG nicht, dass Rechtspfleger von den allgemein für Beamte geltenden Arbeitszeitregelungen freigestellt sind. Ein solcher Bedeutungsgehalt des Begriffs liegt schon deshalb fern, weil dem Bundesgesetzgeber zu einer derartigen Festlegung die Kompetenz fehlt. Das Recht des öffentlichen Dienstes ist Sache der Länder, soweit dem Bund nicht die ausschließliche (Art. 73 Nr. 8 GG), die konkurrierende (Art. 74a Abs. 1 GG) oder die Rahmengesetzgebung (Art. 75 Abs. 1 Nr. 1 GG) zusteht. Auf die Regelung der Arbeitszeit der Beamten erstreckt sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht. Ihm kann daher mangels greifbarer Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, er habe gleichwohl eine derartige gesetzliche Regelung treffen wollen.
Eine Pflicht, Rechtspfleger von den allgemein für Beamte geltenden Dienststundenregelungen auszunehmen, lässt sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte, dem Sinn und Zweck oder dem Gesamtzusammenhang des Rechtspflegergesetzes entnehmen: Die bis zur Novellierung im Jahr 1998 geltende Vorgängerregelung des § 9 RPflG i.d.F. vom 5. November 1969 (BGBl I S. 2065) sah vor, dass der Rechtspfleger bei seinen Entscheidungen nur dem Gesetz unterworfen ist und selbständig entscheidet, soweit sich nicht aus dem Gesetz etwas anderes ergibt. Dies wurde allgemein als gesetzliche Festlegung der inhaltlichen Weisungsfreiheit des Rechtspflegers bei Erledigung der Rechtspflegeraufgaben, nicht aber als Freistellung von Arbeitszeitregelungen verstanden (BVerfG, Beschluss vom 20. Januar 1981 – 2 BvL 2/80 – BVerfGE 56, 110 ≪127≫; BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 1991 – BVerwG 2 B 19.91 – DokBer B 1991, 170; Dallmayer/Eickmann, RPflG, 1996, § 9 Rn. 5, 13 m.w.N.). Es bestand keine Absicht, die Beschränkung der Selbständigkeit auf inhaltliche Weisungsfreiheit durch die Neufassung des § 9 RPflG im Jahr 1998 zu erweitern. Durch die Verwendung des Begriffs der sachlichen Unabhängigkeit sollte der Inhalt des § 9 RPflG nicht geändert werden; die Änderung sollte vielmehr rein sprachlicher Natur sein (vgl. BTDrucks 13/10244 S. 7 ff.).
Mit Recht hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass das geltende Arbeitszeitrecht die Möglichkeit eröffnet, dienstlichen Bedürfnissen nach einer Erfüllung der Dienstpflichten zu abweichenden Dienstzeiten sachgemäß zu entsprechen (vgl. § 7 Abs. 2 AZVO). Mit diesen Möglichkeiten bleibt die Klägerin aber innerhalb des für alle Beamten geltenden allgemeinen Arbeitszeitrechts.
3. Höherrangiges Bundesrecht zwingt zu keinem anderen Verständnis des § 9 RPflG. Art. 97 GG, den die Klägerin in diesem Zusammenhang hierfür unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. November 1990 – RiZ 2/90 (DRiZ 1991, 61 = NJW 1991, 1103) in Anspruch nimmt, spricht nicht von sachlicher Unabhängigkeit, sondern von richterlicher Unabhängigkeit, die die sachliche und die persönliche Unabhängigkeit des Richters umfasst und nicht nur die Art und Weise seiner Aufgabenerledigung regelt, sondern konstitutiv seinen Status definiert.
Der Status des Rechtspflegers ist von dem des Richters deutlich unterschieden. Der Rechtspfleger ist Beamter des gehobenen Dienstes; seine Aufgabe ist eine Funktion und keine Amtsbezeichnung. Aufgaben nach dem Rechtspflegergesetz werden ihm nicht vom Präsidium des Gerichts zugewiesen, das seinerseits richterliche Unabhängigkeit genießt, sondern vom Präsidenten des Amtsgerichts als Behördenchef. Dieser kann die Geschäfte nach Bedarf verteilen und – anders als das Präsidium im Hinblick auf die richterlichen Geschäfte (§ 21e Abs. 3 Satz 1 GVG) – diese Verteilung jederzeit ändern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2003 – 2 BvR 281/00 – BVerfGK 1, 55, Rn. 4; BVerwG, Urteil vom 9. Juli 1964 – BVerwG 2 C 201.61 – BVerwGE 19, 112 ≪116≫). Der dienstrechtliche Anspruch der Klägerin auf amtsangemessene Beschäftigung umfasst nicht den Anspruch, mit Geschäften betraut zu werden, die nach dem Rechtspflegergesetz dem Rechtspfleger übertragen sind. Vielmehr steht sie nach dem organisatorischen Ermessen des Leiters des Amtsgerichts auch für andere Dienstgeschäfte einschließlich der Geschäfte der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zur Verfügung (§ 27 Abs. 1 RPflG). Auch wenn der Rechtspfleger ihm nach dem Rechtspflegergesetz übertragene Aufgaben erledigt, kann ihm der Gerichtspräsident Weisungen erteilen, bestimmten Geschäften – etwa Grundbuchsachen – Vorrang einzuräumen und andere Aufgaben zurückzustellen. Art. 92 und 97 GG, aus denen nach der Rechtsprechung sowohl des Bundesverwaltungsgerichts als auch des Bundesgerichtshofs unmittelbar von Verfassungs wegen die Freiheit der Richter von der Geltung arbeitszeitlicher Regelungen als Bestandteil der richterlichen Unabhängigkeit abzuleiten ist, sind auf die Klägerin nicht anwendbar (vgl. Urteil vom 29. Oktober 1987 – BVerwG 2 C 57.86 – BVerwGE 78, 211 ≪213 f.≫ m.w.N.; BGH, Urteil vom 16. November 1990 – RiZ 2/90 – a.a.O.). Die Klägerin ist als Rechtspflegerin keine Richterin, sondern Beamtin. Durch ihre Rechtspflegertätigkeit übt sie keine rechtsprechende Gewalt i.S.v. Art. 92 GG aus. Dem entspricht, dass sie nicht mit richterlicher Unabhängigkeit gemäß Art. 97 Abs. 1 und 2 GG ausgestattet ist.
Diese in Art. 97 GG verankerte, vom Grundgesetz selbst in Art. 114 Abs. 2 Satz 1 als “richterliche Unabhängigkeit” bezeichnete Rechtsstellung knüpft daran an, dass die Rechtsprechung gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG eine eigene, von der vollziehenden Gewalt getrennte Staatsgewalt darstellt. Diese in den §§ 39 bis 42 DRiG auch einfachgesetzlich abgesicherte Unabhängigkeit fordert, dass Richter weitestgehend keine Aufgaben der vollziehenden Gewalt übernehmen und vor deren Einflussnahmen soweit als möglich abgeschirmt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Januar 1981 – 2 BvR 401, 606/76 – BVerfGE 55, 372 ≪389≫ m.w.N.). Die Nichtanwendung arbeitszeitrechtlicher Vorschriften auf den Richter ist deswegen kein subjektives Recht und kein Privileg des Richters, auf das er etwa verzichten könnte, sondern eine sachlich gebotene institutionelle Vorkehrung gegen vermeidbare Einflussnahmen der Verwaltung auf die gemäß Art. 92 Halbs. 1 GG allein den Richtern anvertraute Rechtsprechung.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Albers, Prof. Dawin, Groepper, Dr. Bayer, Dr. Heitz
Fundstellen