Leitsatz (amtlich)
1. Von den Inhalten eines Trägermediums gehen jugendgefährdende Wirkungen im Sinne von § 18 Abs. 1 JuSchG aus, wenn sie geeignet sind, gefährdungsgeneigte Minderjährige sozial-ethisch zu desorientieren.
2. Gehen die jugendgefährdenden Wirkungen von Kunstwerken aus, setzt die Aufnahme des Trägermediums in die Liste jugendgefährdender Medien voraus, dass die Abwägung von Jugendschutz und Kunstfreiheit mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht den Vorrang des Jugendschutzes ergibt.
3. Dem Zwölfer-Gremium der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien steht auch für die Entscheidung über den Vorrang von Jugendschutz oder Kunstfreiheit im Rahmen der Abwägung kein Beurteilungsspielraum zu (Änderung der Rechtsprechung).
4. Die Feststellungen und daraus hergeleiteten Wertungen des Zwölfer-Gremiums können von den Verwaltungsgerichten nach den Regeln des Sachverständigenbeweises verwertet werden.
5. Sind Namen und Anschriften von Urhebern des zur Indizierung anstehenden Kunstwerks nicht bekannt, müssen die Bundesprüfstelle und die Verwaltungsgerichte einfache und erfolgversprechende Maßnahmen zur Ermittlung dieser Daten ergreifen.
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 16.05.2018; Aktenzeichen 19 A 2001/16) |
VG Köln (Urteil vom 02.09.2016; Aktenzeichen 19 K 3287/15) |
Nachgehend
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist Rapper mit Künstlernamen "A...". Er wendet sich gegen die Aufnahme seines Studioalbums "B..." (CD), das der Musikrichtung Gangsta-Rap zuzuordnen ist, in die Liste für jugendgefährdende Medien (Indizierung). Das Album enthält 15 Titel, deren Texte den kriminellen Lebenswandel des Gangsterbosses "B..." beschreiben. Die Texte weisen zum Teil Bezüge zu Ereignissen aus dem Leben des Klägers auf. An den Texten zweier Titel haben andere Personen mitgewirkt (Beigeladene zu 1 bis 3). An den Kompositionen waren weitere Personen in wechselnder Zusammensetzung beteiligt (Beigeladene zu 4 bis 8). Deren Künstlernamen sowie Art und Umfang ihrer Mitwirkung sind in dem der CD beiliegenden Booklet genannt. Das Album wird von der C... GmbH (im Folgenden C...) vertrieben. Es wurde nach seinem Erscheinen im Februar 2014 in kurzer Zeit mehr als 100 000-mal verkauft.
Rz. 2
Ende Oktober 2014 leitete die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (im Folgenden: BPS) auf Antrag eines Jugendamtes das Indizierungsverfahren ein. Mit Schreiben vom 2. März 2015 benachrichtigte sie die Vertreiberin und eine Vertriebsgesellschaft, deren Geschäftsführer der Kläger ist, dass das aus zwölf Personen bestehende Gremium der BPS (im Folgenden: Zwölfer-Gremium) in der Sitzung am 9. April 2015 über die Indizierung verhandeln und entscheiden werde. Die BPS wies darauf hin, dass ihr bürgerliche Namen und Anschriften der Urheber nicht bekannt seien. Sie stellte anheim, diesen das Schreiben zuzuleiten oder die Anschriften mitzuteilen. In der Folgezeit äußerten sich weder der Kläger noch die anderen Mitwirkenden.
Rz. 3
In der Sitzung vom 9. April 2015 beschloss das Zwölfer-Gremium, dass das Album "B..." in Teil A der Liste der jugendgefährdenden Medien eingetragen wird. In den Gründen des Indizierungsbescheids, in denen die 15 Titel des Albums im Wortlaut wiedergegeben sind, heißt es: "B..." werde als Gangsterboss dargestellt, vor dem es Angst zu haben gelte, weil er Konflikte ausschließlich durch Gewalt löse. Fast jeder Titel enthalte Schilderungen, wie er aus beliebigen Anlässen offen brutale Gewalt anwende, als Drogendealer oder Waffenhändler tätig sei, ohne dafür belangt zu werden. Auch seien die Texte durchsetzt mit Äußerungen, in denen Frauen und Homosexuelle in vulgärer Sprache herabgewürdigt und verächtlich gemacht würden. "B..." sei keine fiktive Figur, weil die geschilderten Erlebnisse zum Teil deutliche Bezüge zum Leben des Klägers aufwiesen. Das Album vermittle die Botschaft, dass ein Lebensstil und ein Selbstverständnis zum Erfolg führten, die sich auf die offene Begehung von Straftaten, hemmungslose Gewalttätigkeit, Demütigungen, Einschüchterungsgebaren und das Fehlen jeglicher Empathie gründeten.
Rz. 4
Die Texte übten trotz ihres Inszenierungscharakters mit hoher Wahrscheinlichkeit einen schädlichen Einfluss auf hierfür empfängliche Minderjährige aus. Gefährdet seien insbesondere Jugendliche, die in einem Umfeld lebten, in dem patriarchalische Verhältnisse und homophobe Einstellungen vorherrschten. Wissenschaftliche Studien bestätigten die Annahme, dass diese Jugendlichen die gewalttätige und vulgär diskriminierende Sprache des Albums in ihren Wortschatz übernähmen und sich darüber hinaus an dem Verhalten von "B..." orientierten. Die Abwägung ergebe, dass der Jugendschutz der Kunstfreiheit vorgehe. Das Album stelle Unterhaltung dar; ein besonderer künstlerischer Anspruch sei nicht zu erkennen. Anhaltspunkte für eine wie auch immer geartete Distanzierung von den Gewaltdarstellungen und Beleidigungen gebe es nicht; ein sozialkritischer Bezug fehle. Die Indizierungsentscheidung wurde im Bundesanzeiger vom 30. April 2015 bekannt gemacht.
Rz. 5
Der Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist in beiden verwaltungsgerichtlichen Instanzen erfolglos geblieben. Im Klageverfahren hat das Verwaltungsgericht die neben dem Kläger mitwirkenden Texter und Komponisten beigeladen, nachdem es deren bürgerliche Namen und Anschriften bei der GEMA erfragt hatte. Die Beigeladenen haben auf den gerichtlichen Hinweis, sie könnten Stellungnahmen zu ihren künstlerischen Beiträgen abgeben, nicht reagiert. Der Kläger hat im Klageverfahren ein Gutachten eines Literaturwissenschaftlers zum künstlerischen Gehalt des Albums sowie die Niederschrift eines dem Gutachten zugrunde liegenden Gesprächs mit dem Gutachter vorgelegt. Der Gutachter hat den Texten vor allem wegen der sprachlichen Gestaltung einen gesteigerten künstlerischen Wert attestiert. Der Kläger habe in den Texten mit verschiedenen Stilmitteln eine Kunstwelt "B..." geschaffen, die keinen Bezug zu seiner Person aufweise. Die an das Leben des Klägers anknüpfenden Passagen würden durch Sprachform und Stil der Texte überformt und gebrochen. Den Texten sei Originalität, spielerischer Drang und Sprachmächtigkeit zuzubilligen.
Rz. 6
Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage abgewiesen. In den Urteilsgründen heißt es, die Verwaltungsgerichte hätten Indizierungsentscheidungen auch in Bezug auf die abschließende Entscheidung über den Vorrang von Jugendschutz oder Kunstfreiheit uneingeschränkt nachzuprüfen. Da die Gerichte mitwirkende Künstler selbst anhören müssten, um das abwägungsrelevante Gewicht der Kunstfreiheit zu bestimmen, könne die Aufhebung von Indizierungsentscheidungen nicht auf ein Anhörungsdefizit im behördlichen Indizierungsverfahren gestützt werden. Das Zwölfer-Gremium der BPS habe das Album "B..." zu Recht als jugendgefährdend eingestuft. Die Abwägung ergebe den Vorrang des Jugendschutzes vor der Kunstfreiheit. Das vom Kläger vorgelegte Gutachten sei nicht geeignet, die Feststellungen und Wertungen des Zwölfer-Gremiums in Frage zu stellen. Aus den Angaben des Klägers gegenüber dem Gutachter gehe hervor, dass er mit dem Album keine über Unterhaltung hinausgehende künstlerische Wirkungsabsicht verfolgt habe. Es sei nicht erkennbar, dass der Kläger die durchgehend vulgär-beleidigende Sprache als Stilmittel eines künstlerischen Konzepts eingesetzt habe. Die Darstellung eines unangreifbaren Gangsterbosses, der tue und lasse, was er wolle, erfordere die Herabwürdigung und Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen nicht.
Rz. 7
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Beigeladenen haben sich auch im Berufungsverfahren nicht geäußert. Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil geändert und die Indizierungsentscheidung aufgehoben. In den Gründen des Berufungsurteils heißt es: Zwar unterlägen die Beurteilung der Kunsteigenschaft und des künstlerischen Gehalts eines Werks sowie des von ihm ausgehenden jugendgefährdenden Einflusses der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Jedoch verbleibe dem Zwölfer-Gremium ein Beurteilungsspielraum für die abschließende Entscheidung über den Vorrang von Jugendschutz oder Kunstfreiheit. Dies folge aus der gesetzlich vorgeschriebenen personellen Zusammensetzung des Gremiums, die eine sachverständige, pluralistische und unabhängige Meinungsbildung gewährleisten solle. Daher könnten die Verwaltungsgerichte keine eigene Vorrangentscheidung treffen. Die Indizierung des Albums sei rechtswidrig, weil die Vorrangentscheidung des Zwölfer-Gremiums auf einer unzureichenden Gewichtung der Kunstfreiheit beruhe. Dies folge daraus, dass den Beigeladenen vor der Indizierung keine Gelegenheit gegeben worden sei, sich zu ihren künstlerischen Beiträgen zu äußern. Die BPS habe weder deren bürgerliche Namen und Anschriften durch eine Nachfrage bei der GEMA in Erfahrung gebracht noch habe sie die Vertreiberin des Albums oder den Kläger unmissverständlich aufgefordert, ihr diese Daten mitzuteilen.
Rz. 8
Mit der Revision wendet sich die Beklagte gegen die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, dem Zwölfer-Gremium stehe ein Beurteilungsspielraum zu. Es gebe keinen tragfähigen Grund, der Einschränkungen der gerichtlichen Nachprüfung rechtfertigen könne. Die pluralistische Zusammensetzung des Zwölfer-Gremiums solle ermöglichen, die abwägungsrelevanten Belange ohne Einschaltung externer Sachverständiger zu erkennen und zu gewichten. Die Weisungsfreiheit der Mitglieder des Gremiums solle verhindern, dass dessen Entscheidungen politisch instrumentalisiert werden. Beide Erwägungen zielten nicht darauf ab, die Letztentscheidungsbefugnis der Gerichte einzuschränken. Daher seien Abwägungsfehler des Zwölfer-Gremiums für die gerichtliche Entscheidung unerheblich. Die Voraussetzungen einer Indizierung lägen jedenfalls deshalb vor, weil die Texte des Albums "B..." den sozial-ethischen Mindeststandard unterschritten, der zum Schutz der Persönlichkeitsentwicklung von Minderjährigen unverzichtbar sei.
Rz. 9
Der Kläger hält das Berufungsurteil jedenfalls im Ergebnis für richtig, weil die Indizierungsentscheidung rechtswidrig sei. Die Indizierung von Trägermedien wie CDs sei als Mittel des Jugendschutzes ungeeignet, weil sich Minderjährige indizierte Werke im Internet beschaffen könnten. Das Zwölfer-Gremium habe sich nicht damit befasst, dass die gesellschaftlichen Reizschwellen für schädliche Einflüsse in Zeiten des freien Internetzugangs abgesenkt seien. Nach wie vor sei die jugendgefährdende Wirkung von Rapmusik nicht nachgewiesen. Im vorliegenden Fall sei das Gewicht des Jugendschutzes stark vermindert gewesen, weil die BPS erst rund zehn Monate nach der Veröffentlichung des Albums und dem Verkauf von mehr als 100 000 CDs tätig geworden sei. Das Zwölfer-Gremium habe das Album nicht werkgerecht interpretiert, weil es die Musik nicht berücksichtigt habe. Aus dem vom Kläger vorgelegten Gutachten ergebe sich, dass das Zwölfer-Gremium den künstlerischen Gehalt des Albums verkannt habe.
Rz. 10
Die Beklagte tritt diesem Vortrag des Klägers entgegen. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht macht geltend, da der zügigen Durchführung des Indizierungsverfahrens herausragende Bedeutung zukomme, habe sich die BPS darauf beschränken können, den Kläger als den hauptsächlichen Urheber des Albums anzuhören. Indizierungen hätten nach wie vor große Bedeutung für den Jugendschutz. Dies folge bereits aus dem umfassenden Verbot, für indizierte Werke zu werben. Nicht zuletzt stellten sie eine wichtige Orientierungshilfe für Jugendbehörden, Träger der Jugendhilfe, Eltern und Erzieher dar.
Entscheidungsgründe
Rz. 11
Die zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die tragende Erwägung des Oberverwaltungsgerichts, dem Zwölfer-Gremium der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (Zwölfer-Gremium) stehe bei Entscheidungen über die Indizierung von Kunstwerken ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum für die Entscheidung über den Vorrang von Jugendschutz oder Kunstfreiheit zu, ist mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht vereinbar (1.). Da die Verwaltungsgerichte Indizierungsentscheidungen uneingeschränkt nachzuprüfen haben, kann die Aufhebung des angefochtenen Indizierungsbescheids vom 9. April 2015 nicht darauf gestützt werden, dass die Bemühungen der BPS zur notwendigen Anhörung der Beigeladenen unzulänglich waren (2.). Das Berufungsurteil stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der angefochtene Indizierungsbescheid erweist sich als rechtmäßig: Die Indizierung von Kunstwerken nach Maßgabe des § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 Nr. 2 des Jugendschutzgesetzes vom 23. Juli 2002 - JuSchG - (BGBl. I S. 2730) mit den daran anknüpfenden gesetzlichen Verbreitungs- und Werbeverboten steht nach wie vor mit dem Grundgesetz in Einklang. Von dem indizierten Album gehen jugendgefährdende Wirkungen nach § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2 JuSchG aus, die es rechtfertigen, dem Jugendschutz Vorrang vor der Kunstfreiheit einzuräumen (3.).
Rz. 12
1. a) Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vermittelt ein subjektives Recht, das die Anrufung der Gerichte zur Durchsetzung materieller Rechtspositionen des Einzelnen gegen die vollziehende Gewalt gewährleistet. Die Vorschrift stellt eine Grundsatznorm für die gesamte Rechtsordnung dar, die Art und Umfang der gerichtlichen Rechtskontrolle festlegt und dadurch die Geltung des Rechts sichert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1981 - 2 BvR 1107/77, 1124/77 und 195/79 - BVerfGE 58, 1 ≪40≫; Schenke, in: Bonner Kommentar, Grundgesetz, Stand September 2019, Art. 19 Abs. 4 ≪Drittbearbeitung≫ Rn. 24; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 15. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 32). Der von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG geforderte wirkungsvolle Rechtsschutz verlangt, dass die Gerichte Verwaltungsentscheidungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht uneingeschränkt nachprüfen. Die Gerichte haben die nach ihrer Rechtsauffassung im konkreten Fall entscheidungserheblichen Rechtsnormen und Rechtsgrundsätze ohne Bindung an die Rechtsauffassung der Verwaltung auszulegen und anzuwenden. Hierfür haben sie den nach ihrem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblichen Sachverhalt selbst erschöpfend aufzuklären und die Beweise zu würdigen (stRspr; vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 1979 - 1 BvR 699/77 - BVerfGE 51, 268 ≪284≫, Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00 - BVerfGE 103, 142 ≪156 f.≫, Beschluss vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - BVerfGE 129, 1 ≪20 ff.≫; BVerwG, Urteile vom 24. November 2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 Rn. 42 und vom 17. August 2016 - 6 C 50.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:170816U6C50.15.0] - BVerwGE 156, 75 Rn. 32).
Rz. 13
Demgegenüber sind Beurteilungsspielräume dadurch gekennzeichnet, dass sie die letztverbindliche Auslegung von Rechtsnormen und die darauf beruhende Rechtsanwendung der Verwaltung zuweisen. Ist eine Verwaltungsentscheidung auf die Wahrnehmung eines Beurteilungsspielraums gestützt, dürfen die Gerichte bei deren Nachprüfung ihr Normverständnis nicht an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen. Vielmehr sind sie darauf beschränkt nachzuprüfen, ob die Verwaltung bei ihrer Normauslegung von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Begriffs ausgegangen und nicht von gesetzlichen oder allgemein gültigen Wertungsmaßstäben wie dem Willkürverbot abgewichen ist. In tatsächlicher Hinsicht sind die Verwaltungsgerichte befugt zu prüfen, ob die Verwaltung den ihrer Rechtsanwendung zugrunde liegenden erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt und die verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorgaben eingehalten hat (stRspr; vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Oktober 2015 - 6 C 17.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:141015U6C17.14.0] - BVerwGE 153, 129 Rn. 33 und vom 17. August 2016 - 6 C 50.15 - BVerwGE 156, 75 Rn. 24).
Rz. 14
Dementsprechend beeinträchtigen Beurteilungsspielräume das in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verankerte Gebot, wirkungsvollen, d.h. in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht eingeschränkten Rechtsschutz durch Gerichte zu gewähren. Dies kann nur hingenommen werden, wenn der jeweilige Beurteilungsspielraum im Gesetz angelegt ist, d.h. sich durch dessen Auslegung ermitteln lässt, die dadurch bewirkte gesetzliche Einschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes durch einen gewichtigen sachlichen Grund gerechtfertigt ist und den Gerichten die Möglichkeit einer substanziellen Kontrolle des Verwaltungshandelns verbleibt (stRspr; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17. April 1991 - 1 BvR 419/81 und 213/83 - BVerfGE 84, 34 ≪49 f.≫ und vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - BVerfGE 129, 1 ≪22 ff.≫; BVerwG, Urteil vom 17. August 2016 - 6 C 50.15 - BVerwGE 156, 75 Rn. 32).
Rz. 15
Die Annahme eines Beurteilungsspielraums ist vor allem dann berechtigt, wenn das gesetzlich vorgegebene Entscheidungsprogramm vage ist und sich seine fallbezogene Anwendung als besonders schwierig erweist, weil eine Vielzahl von Bewertungsfaktoren ermittelt, gewichtet und in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden müssen, wofür zudem schwer kalkulierbare Prognosen angestellt werden müssen (stRspr; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17. April 1991 - 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83 - BVerfGE 84, 34 ≪49 f.≫ und vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - BVerfGE 129, 1 ≪22 f.≫).
Rz. 16
b) Die Indizierung eines Träger- oder Telemediums, das Kunst enthält, mit der Folge, dass seine Verbreitung aus Gründen des Jugendschutzes erheblich eingeschränkt wird, hängt von zwei Voraussetzungen ab: Zunächst müssen von dem Werk jugendgefährdende Wirkungen im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2 JuSchG ausgehen. Ist dies der Fall, muss eine Abwägung der widerstreitenden Belange Jugendschutz und Kunstfreiheit den Vorrang des Jugendschutzes ergeben (vgl. unter 3.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterliegen sowohl die Beurteilung des jugendgefährdenden Charakters eines Werks als auch die Beurteilung seiner Eigenschaft als Kunst und des künstlerischen Gehalts der Letztentscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte. Diese müssen sich Gewissheit über den schädigenden Einfluss des Kunstwerks und die Bedeutung der inkriminierten Werkteile für das künstlerische Konzept verschaffen (BVerfG, Beschluss vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 ≪138 ff.≫ "Josefine Mutzenbacher"). Daran sind die Fachgerichte nach § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden.
Rz. 17
Daher ist es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, die gesetzlichen Begriffe "Eignung zur Gefährdung der Persönlichkeitsentwicklung oder Erziehung Minderjähriger" im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG und die diese Gefährdung konkretisierenden Begriffe nach § 18 Abs. 1 Satz 2 JuSchG auszulegen und anzuwenden sowie den für die Rechtsanwendung erheblichen Sachverhalt selbst erschöpfend aufzuklären. Im Rahmen der Abwägung müssen die Verwaltungsgerichte auf der Grundlage eines richtig und vollständig ermittelten Sachverhalts das Gewicht der widerstreitenden Belange Jugendschutz und Kunst bestimmen. Die abschließende Abwägungsentscheidung, ob Jugendschutz oder Kunstfreiheit in Anbetracht des ihnen objektiv zukommenden Gewichts Vorrang einzuräumen ist, hat das Bundesverwaltungsgericht bislang dem Zwölfer-Gremium der BPS vorbehalten. Danach ist es den Verwaltungsgerichten verwehrt gewesen, eine eigene Vorrangentscheidung zu treffen. Sie hatten lediglich nachzuprüfen, ob das Abwägungsergebnis des Zwölfer-Gremiums die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschreitet (BVerwG, Urteile vom 26. November 1992 - 7 C 20.92 - BVerwGE 91, 211 ≪215 ff.≫ und vom 28. August 1996 - 6 C 15.94 - Buchholz 436.52 § 1 GjS Nr. 20 S. 2 ff.).
Rz. 18
An dieser Rechtsprechung hält der Senat nicht fest. Auf der Grundlage der bindenden Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in der Entscheidung "Josefine Mutzenbacher" kann nicht mehr überzeugend begründet werden, dass die Verwaltungsgerichte zwar die jugendgefährdenden Wirkungen eines Kunstwerks nach § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2 JuSchG und im Rahmen der Abwägung das Gewicht der Belange Jugendschutz und Kunst letztverbindlich bestimmen, die Letztentscheidungsbefugnis für die abschließende Vorrangentscheidung aber dem Zwölfer-Gremium der BPS vorbehalten sein soll.
Rz. 19
Der Senat vermag hierfür keinen tragfähigen Grund zu erkennen, der bei dieser Ausgangslage die Annahme eines Beurteilungsspielraums des Zwölfer-Gremiums für den durch die Gewichtung der widerstreitenden Belange vorgezeichneten Schlussakt der Vorrangentscheidung rechtfertigen könnte. Aufgrund der den Verwaltungsgerichten obliegenden Aufgabe, die zur Vorbereitung dieser Entscheidung erforderlichen Feststellungen und Wertungen zu Jugendgefährdung und Kunst eigenverantwortlich zu treffen, erweist sich die Entscheidung für sich genommen jedenfalls als nicht übermäßig schwierig. Die durch § 19 Abs. 2 bis Abs. 6 JuSchG vorgegebene besondere Ausstattung des entscheidungszuständigen Zwölfer-Gremiums der BPS, d.h. seine pluralistische, für eine besondere Sachkunde Gewähr bietende Besetzung, die Weisungsunabhängigkeit der Mitglieder und die Notwendigkeit einer qualifizierten Mehrheit für die Indizierung, reicht für sich genommen im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht aus, um dem Gremium einen Beurteilungsspielraum zuzuerkennen (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. November 2010 - 6 C 16.09 - BVerwGE 138, 186 Rn. 42 und vom 14. Oktober 2015 - 6 C 17.14 - BVerwGE 153, 129 Rn. 37).
Rz. 20
2. Haben die Verwaltungsgerichte Indizierungsentscheidungen des Zwölfer-Gremiums in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht uneingeschränkt nachzuprüfen, dürfen sie eine solche Entscheidung nicht schon deshalb aufheben, weil die BPS der Indizierung einen unvollständig und deshalb rechtsfehlerhaft festgestellten Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Vielmehr müssen die Verwaltungsgerichte die aus ihrer Sicht zu Unrecht unterbliebenen Aufklärungsmaßnahmen selbst vornehmen. Hierzu gehören auch die der BPS obliegenden, aber versäumten Schritte zur Ermittlung der bürgerlichen Namen und der Anschriften derjenigen Kunstschaffenden, die nach § 21 Abs. 7 JuSchG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG anzuhören sind. Nur auf diese Weise können die Verwaltungsgerichte das Gewicht des Belangs Kunst erschöpfend bestimmen, was wiederum Voraussetzung für eine rechtsfehlerfreie Abwägung zwischen Jugendschutz und Kunst ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1998 - 6 C 9.97 - Buchholz 436.52 § 1 GjS Nr. 21 S. 10 f.).
Rz. 21
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Oberverwaltungsgericht die Bemühungen der BPS zur Anhörung der Beigeladenen im Ergebnis zu Recht beanstandet hat: Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend von einer Pflicht der BPS zur Anhörung der Beigeladenen als Mitschöpfer von Teilen der Texte und Musik des Albums "B..." im Verwaltungsverfahren ausgegangen. Nach § 21 Abs. 7 JuSchG ist den Urhebern Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Diese Vorschrift dient der Wahrung der Interessen der Urheber, die sich in Bezug auf ihre Mitwirkung auf die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG berufen können. Urheber ist der Schöpfer des Werks (§ 7 des Urheberrechtsgesetzes - UrhG -). Der urheberrechtliche Schutz für einzelne Werke gilt der persönlichen geistigen Schöpfung (§ 2 Abs. 2 UrhG; vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 28. November 2002 - I ZR 168/00 - BGHZ 153, 69 ≪80 f.≫). Haben mehrere ein Werk gemeinsam geschaffen, ohne dass sich ihre Anteile gesondert verwerten lassen, sind sie dessen Miturheber (§ 8 UrhG). Nach § 10 Abs. 1 UrhG wird, wer auf den Vervielfältigungsstücken eines erschienenen Werks in der üblichen Weise als Urheber bezeichnet wird, bis zum Beweis des Gegenteils als Urheber angesehen; dies gilt auch für eine Bezeichnung, die als Decknamen oder Künstlerzeichen des Urhebers bekannt ist. Bei Liedern ist maßgebend, wer als Urheber von Text und Musik angegeben ist, und zwar bei CDs in der Regel im sog. Booklet (Schulze, in: Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 6. Aufl. 2018, § 10 Rn. 10 f.). Danach waren die Beigeladenen nach § 21 Abs. 7 JuSchG von der BPS anzuhören. Ihre Anhörung war auch erforderlich, weil ihre Stellungnahmen bei der Bestimmung des Gewichts des Belangs Kunst im Rahmen der Abwägung mit dem Jugendschutz hätten berücksichtigt werden müssen (BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1998 - 6 C 9.97 - Buchholz 436.52 § 1 GjS Nr. 21 S. 10 f.).
Rz. 22
Sind der BPS die bürgerlichen Namen und Anschriften der überschaubaren Anzahl von Urhebern nicht bekannt, muss sie einfach gelagerte und erfolgversprechende Aufklärungsmaßnahmen ergreifen, um ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dies folgt aus der Bedeutung der Anhörung für die Gewichtung der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG in der Abwägung mit dem Jugendschutz. In der Regel bietet sich an, dass sich die BPS bei der Vertreiberin des zur Indizierung anstehenden Mediums und bei der GEMA nach Namen und Anschriften erkundigt. Die Nachfragen dürfen inhaltlich keinen Zweifel daran lassen, dass die BPS die Daten für die Indizierungsentscheidung, d.h. für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben, benötigt. Sie dürfen nur für diesen konkreten Zweck verwendet werden. Dem Beschleunigungsgebot kann die BPS dadurch Rechnung tragen, dass sie den Adressaten verfahrensangemessene Fristen für die Beantwortung setzt. Die BPS darf auf diese Nachfragen nur verzichten, wenn die Indizierung keinen weiteren Aufschub duldet. Soweit die Ausführungen in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 1998 - 6 C 9.97 - (Buchholz 436.52 § 1 GjS Nr. 21) dem entgegenstehen, hält der Senat daran nicht fest. Entsprechende Aufklärungspflichten treffen die Verwaltungsgerichte, falls die BPS die Anhörung nicht oder unzulänglich durchgeführt hat.
Rz. 23
3. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen als den vom Oberverwaltungsgericht angeführten Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die rechtlichen Vorgaben der Indizierungsentscheidung sind mit höherrangigem Recht vereinbar. Auf ihrer Grundlage ist auf die Revision das die Klage abweisende erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen, weil die angefochtene Entscheidung der BPS, das Album "B..." in Teil A der Liste jugendgefährdender Medien aufzunehmen, rechtmäßig ist. Zum einen erfüllt das Album die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Jugendgefährdung im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2 JuSchG. Zum anderen ist dem berechtigten Interesse an der Indizierung aus Gründen des Jugendschutzes der Vorrang vor dem durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Interesse des Klägers an der uneingeschränkten Verbreitung des Albums einzuräumen. Die Kunstfreiheit rechtfertigt nicht, Minderjährigen das Album trotz seiner nachteiligen Auswirkungen auf deren Persönlichkeitsentwicklung ungehindert zugänglich zu machen.
Rz. 24
a) Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG sind Träger- und Telemedien, die die gesetzlichen Voraussetzungen einer Jugendgefährdung erfüllen, von der BPS in eine Liste jugendgefährdender Medien aufzunehmen. CDs sind Trägermedien, weil es sich um Gegenstände handelt, die zur unmittelbaren Wahrnehmung von Texten und Tönen bestimmt sind (§ 1 Abs. 2 Satz 1 JuSchG). Über die Aufnahme entscheidet die BPS in der Regel, so auch im vorliegenden Fall, in der Besetzung von zwölf Mitgliedern, nämlich der vom zuständigen Bundesministerium ernannten Vorsitzenden, drei Beisitzern aus den Reihen der von den Landesregierungen ernannten Mitgliedern sowie acht weiteren Mitgliedern, die jeweils auf Vorschlag einer der gesetzlich genannten Gruppen aus den Bereichen Kunst, Literatur, Buchhandel und Verlegerschaft, Anbieter von Bildträgern und Telemedien, freie und öffentliche Jugendhilfe, Lehrerschaft und Religionsgemeinschaften ernannt worden sind (Zwölfer-Gremium; vgl. § 17 Abs. 2, § 19 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und 2 und § 20 JuSchG). Die Mitglieder des Zwölfer-Gremiums sind an Weisungen nicht gebunden (§ 19 Abs. 4 JuSchG). Die Beschlussfähigkeit erfordert eine Besetzung von mindestens neun Mitgliedern, davon mindestens zwei aus den vier zuerst genannten Gruppen (§ 19 Abs. 5 Satz 2 JuSchG). Die Aufnahme eines Mediums in die Liste für jugendgefährdende Medien bedarf einer Mehrheit von acht, bei unvollständiger Besetzung von sieben Mitgliedern (§ 19 Abs. 6 Satz 1 und 2 JuSchG).
Rz. 25
Die Liste wird in vier Teilen geführt, wobei Trägermedien wie die vorliegende CD regelmäßig in Teil A aufzunehmen sind (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 JuSchG). Mit der Bekanntmachung seiner Aufnahme in Teil A der Liste unterliegt das indizierte Medium unmittelbar kraft Gesetzes Verbreitungs- und Werbeverboten (§ 15 Abs. 1, § 24 Abs. 3 Satz 1 JuSchG). Es haben die gesetzlich beschriebenen Handlungen zu unterbleiben, denen gemeinsam ist, dass sie geeignet sind, das indizierte Medium Kindern oder Jugendlichen zugänglich zu machen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 JuSchG). Verstöße gegen diese Verbote sind strafbar (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 und 2 JuSchG); dies gilt für die personensorgeberechtigten Personen nur, sofern sie ihre Erziehungspflicht gröblich verletzen (sog. Erzieherprivileg, § 27 Abs. 4 Satz 2 JuSchG).
Rz. 26
b) Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG ist Gegenstand der Indizierung und damit eines daran anknüpfenden Verbreitungs- und Werbeverbots das Träger- oder Telemedium. Dies entspricht dem Zweck des Jugendschutzes, Minderjährigen im Rahmen des Möglichen den Zugang zu jugendgefährdenden Medien zu verwehren. Das Medium wird als untrennbare Einheit verbreitet und beworben, wenn es verschiedene eigenständige Werke enthält (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. September 2007 - 1 BvR 1584/07 - NVwZ-RR 2008, 29 ≪30≫; Liesching/Schuster, Jugendschutzrecht, 5. Aufl. 2011, § 18 JuSchG Rn. 14).
Rz. 27
Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG setzt die Aufnahme eines Mediums in die Liste jugendgefährdender Medien voraus, dass es geeignet ist, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden. Nach Satz 2 erster Halbsatz des § 18 Abs. 1 JuSchG zählen dazu unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit oder Verbrechen anreizende Medien.
Rz. 28
Für die Auslegung dieser Bestimmungen ist der Zweck des Jugendschutzes maßgebend. Ausgehend von der Annahme, dass Kinder und Jugendliche, d.h. Personen unter 18 Jahren (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 JuSchG), in ihrem Verhältnis zur Gemeinschaft und zur Rechtsordnung altersbedingt noch nicht gefestigt sind, sollen Regelungen des Jugendschutzes Gefährdungen der Persönlichkeitsentwicklung entgegenwirken. Sie sollen im Rahmen des Möglichen äußere Bedingungen für eine charakterliche Entwicklung von Minderjährigen schaffen, die zu Einstellungen und Verhaltensweisen führt, die sich an dem Menschenbild des Grundgesetzes orientieren. Dieses Ziel wird durch Medien gefährdet, die ein damit in Widerspruch stehendes Wertebild vermitteln, wenn zu besorgen ist, dass diese Medieninhalte Minderjährige beeinflussen, d.h. ihrer sozial-ethischen Desorientierung Vorschub leisten.
Rz. 29
Nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG reicht die Eignung des Träger- oder Telemediums zu einer derart bestimmten Jugendgefährdung aus. Sie ist anzunehmen, wenn die Inhalte des Mediums oder die Art und Weise seiner Darstellungen von dem Wertebild des Grundgesetzes derart abweichen, dass Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsentwicklung hierfür empfänglicher Minderjähriger ernsthaft möglich erscheinen. Es muss gute Gründe für die Einschätzung geben, dass diese Minderjährigen Einstellungen und Verhaltensweisen entwickeln, die auch auf den sozial-ethisch desorientierenden Inhalt des Mediums zurückzuführen sind. Ob ein derartiger Wirkungszusammenhang nahe liegt, ist auf der Grundlage der aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse zu beurteilen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die erforderlichen Wertungen nicht auf gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse über die Wirkungsmacht von Medien, insbesondere von Schriften, gestützt werden können; die bestehenden Ungewissheiten nimmt der Bundesgesetzgeber hin (stRspr; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. März 1971 - 1 BvL 25/61 und 3/62 - BVerfGE 30, 336 ≪347 f.≫, vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 ≪140 f.≫ und vom 11. Januar 1994 - 1 BvR 434/87 - BVerfGE 90, 1 ≪19≫; Kammerbeschluss vom 10. September 2007 - 1 BvR 1584/07 - NVwZ-RR 2008, 29 ≪30≫; BVerwG, Urteile vom 16. Dezember 1971 - 1 C 31.68 - BVerwGE 39, 197 ≪205≫, vom 3. März 1987 - 1 C 16.86 - BVerwGE 77, 75 ≪82≫ und vom 31. Mai 2017 - 6 C 10.15 [ECLI:DE:BVerwG:2017:310517U6C10.15.0] - BVerwGE 159, 49 Rn. 38; zum Ganzen Liesching/Schuster, Jugendschutzrecht, 5. Aufl. 2011, § 18 JuSchG Rn. 6 ff.; Roll, in: Nikles u.a., Jugendschutzrecht, 3. Aufl. 2011, § 18 JuSchG Rn. 4).
Rz. 30
Ob ein Träger- oder Telemedium die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG erfüllt, bemisst sich nach dem Maßstab gefährdungsgeneigter, weil für die Inhalte des Mediums empfänglicher Minderjähriger. Dies sind Personen unter 18 Jahren, die aufgrund von Veranlagung, Geschlecht, Erziehung oder ihrer Lebensumstände Gefahr laufen, durch die inkriminierten Inhalte in sozial-ethische Verwirrung gestürzt zu werden. Die Gefährdungsneigung kann sich aus dem Heranwachsen in einem sozialen Milieu ergeben, das durch bestimmte Lebensverhältnisse oder Anschauungen charakterisiert ist. Andere Minderjährige bleiben bei der Beurteilung der jugendgefährdenden Wirkungen außer Betracht (stRspr; vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Dezember 1971 - 1 C 31.68 - BVerwGE 39, 197 ≪205≫ und vom 31. Mai 2017 - 6 C 10.15 - BVerwGE 159, 49 Rn. 40; Liesching/Schuster, Jugendschutzrecht, 5. Aufl. 2011, § 18 JuSchG Rn. 17 ff.; Roll, in: Nikles u.a., Jugendschutzrecht, 3. Aufl. 2011, § 18 JuSchG Rn. 4).
Rz. 31
Die Voraussetzungen für die Eignung eines Mediums zur sozial-ethischen Desorientierung gefährdungsgeneigter Minderjähriger werden durch die Regelbeispiele des § 18 Abs. 1 Satz 2 JuSchG verdeutlicht. Von einem Medium geht eine verrohende Wirkung aus, wenn es nach Inhalt oder Art der Darstellung geeignet ist, bei solchen Minderjährigen negative Eigenschaften wie Sadismus, Gewalttätigkeit oder Gefühllosigkeit gegenüber anderen zu fördern (Liesching/Schuster, Jugendschutzrecht, 5. Aufl. 2011, § 18 JuSchG Rn. 33 ff.; Roll, in: Nikles u.a., Jugendschutzrecht, 3. Aufl. 2011, § 18 JuSchG Rn. 5). Ein Medium vermittelt Anreize zu Gewalttätigkeit, wenn Nachahmungseffekte zu befürchten sind, weil sich gefährdungsgeneigte Minderjährige die beschriebenen gewalttätigen Akteure zum Vorbild nehmen. Ein Anreiz zu Verbrechen ist anzunehmen, wenn der Unwert- bzw. Unrechtsgehalt dargestellter krimineller Handlungen nicht hinreichend deutlich wird und eine bejahende Tendenz gegenüber Straftaten zum Ausdruck gebracht wird (Liesching/Schuster, Jugendschutzrecht, 5. Aufl. 2011, § 18 JuSchG Rn. 33 ff.).
Rz. 32
Nach alledem macht die Anwendung des § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG drei Prüfungsschritte erforderlich: Zunächst muss der Aussagegehalt des Mediums bestimmt werden. Dabei muss der gesamte Inhalt der darauf befindlichen Werke, d.h. deren Texte, Bilder, Töne und ihr Zusammenwirken, einbezogen werden. Entscheidend ist eine wertende Gesamtbetrachtung der Inhalte. Besteht das Medium aus mehreren eigenständigen Werken, muss zunächst festgestellt werden, aus welchen Gründen bestimmte Werke oder Passagen eines Werks für sich genommen Inhalte haben, die dem Wertebild des Grundgesetzes eindeutig widersprechen. Im Anschluss daran muss beurteilt werden, ob die inkriminierten Werke und Passagen in Bezug auf den Aussagegehalt des gesamten Mediums ins Gewicht fallen. Dies bedeutet, dass eigenständige Werke eines Mediums, die für sich genommen unbedenklich sind, von der Indizierung erfasst werden, wenn von dem Medium nach der wertenden Gesamtbetrachtung jugendgefährdende Wirkungen ausgehen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. September 2007 - 1 BvR 1584/07 - NVwZ-RR 2008, 29 ≪30≫). Von dem Aussagegehalt eines Mediums können insbesondere dann jugendgefährdende Wirkungen ausgehen, wenn dieses die Botschaft vermittelt, Empathie und Solidarität mit anderen, insbesondere Schwächeren und Angehörigen von Minderheiten, stellen eine hinderliche Schwäche dar, sodass skrupellos kriminelles Verhalten erstrebenswert sei und Personen mit anderen Auffassungen oder Lebensweisen mit Gewalt bekämpft oder verächtlich gemacht werden könnten.
Rz. 33
Da diese Interpretationen mit Blick auf die für das Medium empfänglichen Minderjährigen vorgenommen werden müssen, muss dieser Personenkreis bestimmt werden. Um das Gefährdungspotenzial eines abgrenzbaren sozialen Umfelds zu beurteilen, müssen die dort vorherrschenden Anschauungen und Verhaltensweisen, mit denen Minderjährige konfrontiert werden, Personen, die sich als Vorbilder anbieten, und der typische Medienkonsum der Minderjährigen festgestellt werden. Es gilt, typische Lebensumstände festzustellen, die einen im Wesentlichen gleichartigen Rahmen für das alltägliche Leben Minderjähriger bilden und sich von anders gelagerten Lebensumständen deutlich unterscheiden.
Rz. 34
Daran schließt sich die Beurteilung an, ob durch das Medium eine sozial-ethische Desorientierung der gefährdungsgeneigten, weil hierfür nach Veranlagung, Geschlecht, Erziehung oder Lebensumständen empfänglichen Minderjährigen begründet oder verfestigt werden kann. Es muss eingeschätzt werden, ob solche Minderjährigen die inkriminierten Inhalte des Mediums ernst nehmen, d.h. ob und inwieweit ihre Einstellungen und Verhaltensweisen davon beeinflusst werden können. Dabei sind die aktuellen Anschauungen zugrunde zu legen, die in dem maßgebenden sozialen Umfeld vorherrschen.
Rz. 35
c) Die Erfüllung der Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 JuSchG reicht für die Aufnahme eines Träger- oder Telemediums in die Liste jugendgefährdender Medien nicht aus, wenn es sich bei den Inhalten des Mediums um Kunstwerke handelt. Dies kommt in § 18 Abs. 3 Nr. 2 JuSchG zum Ausdruck, wonach ein Medium nicht in die Liste aufgenommen werden darf, wenn es der Kunst dient. Maßgebend ist der Kunstbegriff des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Er umfasst die freie schöpferische Gestaltung, durch die Künstler Eindrücke, Erfahrungen oder Erlebnisse durch das Medium einer bestimmten Formensprache zum Ausdruck bringen. Geschützt ist die künstlerische Betätigung, d.h. der Schaffensprozess (Werkbereich), sowie die Darstellung und Verbreitung des Kunstwerks (Wirkbereich). Der Grundrechtsschutz gewährleistet die Freiheit der künstlerischen Themenwahl und -gestaltung. Die Kunsteigenschaft eines Werks ist ausschließlich aufgrund der Ausdrucksformen zu beurteilen. Sie ist auch dann gegeben, wenn das Werk in Konflikt mit Rechten anderer oder anderen geschützten Rechtsgütern steht (BVerfG, Beschlüsse vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 ≪138≫, vom 13. Juni 2007 - 1 BvR 1783/05 - BVerfGE 119, 1 ≪23≫ und Urteil vom 31. Mai 2016 - 1 BvR 1585/13 - BVerfGE 142, 74 Rn. 90). Träger des Grundrechts sind auch Personen, die fremde Kunstwerke vervielfältigen, veröffentlichen oder auf sonstige Weise verbreiten (Kunstvermittler; vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1971 - 1 BvR 435/68 - BVerfGE 30, 173 ≪191≫).
Rz. 36
Dementsprechend stellen die Verbreitungs- und Werbeverbote, die durch die Aufnahme eines Träger- oder Telemediums in die Liste jugendgefährdender Medien ausgelöst werden, Eingriffe in den Wirkbereich der Kunstfreiheit der Urheber und in die Betätigungsfreiheit der Kunstvermittler dar. Allerdings folgt aus der Kunstfreiheit kein Indizierungsverbot für jugendgefährdende Medien. Das Grundrecht kann ungeachtet seiner vorbehaltlosen Gewährleistung durch andere grundgesetzlich verankerte Rechtsgüter beschränkt werden. Hierzu gehört der Jugendschutz, wie er unter anderem durch die Indizierungsvoraussetzungen nach Maßgabe des § 18 Abs. 1 JuSchG konkretisiert wird. Maßnahmen zum Schutz Minderjähriger vor sozial-ethisch desorientierenden Inhalten haben ihre Grundlage in dem Grundrecht auf Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Darüber hinaus sollen sie Eltern und andere Personensorgeberechtigte von Minderjährigen bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsauftrags unterstützen (BVerfG, Beschluss vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 ≪139 f.≫).
Rz. 37
Der Konflikt zwischen den grundgesetzlich geschützten Rechtsgütern Jugendschutz und Kunstfreiheit erfordert eine Abwägung, von deren Ergebnis die Aufnahme eines Träger- oder Telemediums in die Liste jugendgefährdender Medien abhängt. Es kommt darauf an, ob es die Kunstfreiheit aufgrund des Gehalts und der Bedeutung der Kunstwerke des Mediums rechtfertigt, seine ungehinderte Verbreitung trotz der jugendgefährdenden Wirkungen der Kunst zuzulassen. Hierfür sind alle tatsächlichen Umstände zu ermitteln, die von Bedeutung sind, um das beiden Rechtsgütern im jeweiligen Einzelfall objektiv zukommende Gewicht bestimmen zu können. Die rechtsfehlerfreie Entscheidung über den Vorrang setzt die Gewichtung auf der Grundlage eines richtig und vollständig ermittelten Sachverhalts voraus (BVerfG, Beschluss vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 ≪143≫; BVerwG, Urteile vom 26. November 1992 - 7 C 20.92 - BVerwGE 91, 211 ≪215 f.≫, vom 28. August 1996 - 6 C 15.94 - Buchholz 436.52 § 1 GjS Nr. 20 S. 4 f. und vom 18. Februar 1998 - 6 C 9.97 - Buchholz 436.52 § 1 GjS Nr. 21 S. 11).
Rz. 38
Die Feststellung und Gewichtung der jugendgefährdenden Wirkungen von Kunstwerken wird durch das dargestellte Regelungskonzept des § 18 Abs. 1 JuSchG vorgegeben. Zur Gewichtung der Kunstfreiheit ist es erforderlich, den künstlerischen Gehalt des Werks zu bestimmen. Die damit notwendigerweise verbundene Bewertung künstlerischer Gestaltungs- und Ausdrucksformen ist unverzichtbar, um den in Konflikt stehenden grundgesetzlich geschützten Rechtsgütern gleichermaßen gerecht zu werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. Januar 2019 - 1 BvR 1738/16 - NJW 2019, 1277 Rn. 19). Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Kunstfreiheit auch die Wahl jugendgefährdender, insbesondere Gewalt und Diskriminierung umfassender Themen sowie deren Be- und Verarbeitung nach der vom Künstler gewählten Darstellungsart umfasst. Für das Gewicht der Kunstfreiheit ist von Bedeutung, ob die jugendgefährdenden Inhalte Bestandteil der intendierten Wirkungsweise des Kunstwerks sind. Hierfür muss festgestellt und bewertet werden, ob sie mit Mitteln der schöpferischen Gestaltung ausgeformt und in die Gesamtkonzeption des Kunstwerks eingebettet sind. Künstler müssen derartige Ausdrucksformen als künstlerische Stilmittel einsetzen, um eine bestimmte Aussage zu treffen oder einen Schluss nahe zu legen (BVerfG, Beschluss vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 ≪147 f.≫; BVerwG, Urteil vom 28. August 1996 - 6 C 15.94 - Buchholz 436.52 § 1 GjS Nr. 20 S. 4 f.).
Rz. 39
d) Mit dem dargestellten Inhalt gewährleisten die gesetzlichen Regelungen über die Indizierung von Kunstwerken nach § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 Nr. 2 JuSchG einen angemessenen Ausgleich von Jugendschutz und Kunstfreiheit. Daher verstoßen die an die Indizierung anknüpfenden Verbreitungs- und Werbeverbote nach § 15 JuSchG nicht gegen das Grundrecht der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Sie sind nach wie vor geeignet und erforderlich, um Gefährdungen der Entwicklung von Minderjährigen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit durch sozial-ethische Desorientierung entgegenzuwirken. Die angemessene Berücksichtigung der Kunstfreiheit mit dem ihr objektiv zukommenden Gewicht wird durch das Erfordernis der fallbezogenen Abwägung sichergestellt.
Rz. 40
Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit genereller Maßnahmen des Jugendschutzes steht dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zu. Es obliegt ihm, die Dringlichkeit der Gefahren für die Persönlichkeitsentwicklung Minderjähriger und den allgemeinen Handlungsbedarf einzuschätzen und davon ausgehend Maßnahmen festzulegen, die er für sinnvoll hält, um den von ihm erkannten Gefahrenlagen zu begegnen. Dieser Spielraum ist regelmäßig erst überschritten, wenn die gesetzgeberischen Erwägungen offensichtlich nicht vertretbar sind, weil sie bei vernünftiger Betrachtung bereits die Annahme eines Handlungsbedarfs oder die festgelegten Maßnahmen nicht tragen können. Nur unter diesen Voraussetzungen können diese Maßnahmen als ungeeignet zur Erreichung des Schutzzwecks angesehen werden (stRspr; vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. März 1971 - 1 BvR 52, 665, 667, 754/66 - BVerfGE 30, 292 ≪316≫; Urteil vom 16. März 2004 - 1 BvR 1778/01 - BVerfGE 110, 141 ≪157 f.≫). Die Maßnahmen sind nicht erforderlich, wenn eindeutig feststeht, dass der Gesetzgeber gleich wirksame, aber schonendere Maßnahmen zur Gefahrenabwehr außer Acht gelassen hat (stRspr; vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. März 1971 - 1 BvR 52, 665, 667, 754/66 - BVerfGE 30, 292 ≪316≫; Urteil vom 16. März 2004 - 1 BvR 1778/01 - BVerfGE 110, 141 ≪164≫; BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2017 - 6 C 44.16 [ECLI:DE:BVerwG:2017:251017U6C44.16.0] - BVerwGE 160, 157 Rn. 26).
Rz. 41
Danach gebietet der Schutz der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht, die Verbreitungs- und Werbeverbote für Kunstwerke von dem wissenschaftlich-empirischen Nachweis abhängig zu machen, dass von Werken der jeweiligen Kunstgattung ein schädlicher Einfluss auf Minderjährige ausgehen kann. Vielmehr reicht aus, dass dies nach dem Stand der Wissenschaft ernsthaft möglich ist. Dies gilt umso mehr, als es im Bereich des Jugendschutzes um langfristig wirksame Einflüsse geht, die von der Dauer und Häufigkeit des Medienkonsums abhängen. Aus diesem Grund hält sich die Einschätzung des Gesetzgebers, die Indizierung literarischer Werke zu ermöglichen, im Rahmen des ihm vom Grundgesetz eröffneten Spielraums (BVerfG, Beschluss vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 ≪140 f.≫). Dies gilt erst recht für die Texte von Musik des Gangsta-Rap, weil sich diese Kunstgattung typischerweise auch an Minderjährige wendet und in einem spezifischen sozialen und kulturellen Zusammenhang steht. Das Zwölfer-Gremium der BPS hat in den Gründen des Indizierungsbescheids vom 9. April 2015 auf wissenschaftliche Stellungnahmen verwiesen, die bejahen, dass von Texten von Rapmusik jugendgefährdende Wirkungen ausgehen können (vgl. Rn. 58 der Urteilsgründe).
Rz. 42
Auch sind Verbreitungs- und Werbeverbote von Trägermedien im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 JuSchG, d.h. Medien mit Texten, Bildern oder Tönen auf gegenständlichen Trägern, als Mittel des Jugendschutzes nicht deshalb ungeeignet geworden, weil sich Minderjährige indizierte Werke im Internet beschaffen können. Zwar weist der Jugendschutz im Internet erhebliche Lücken auf. Diese sind darauf zurückzuführen, dass die Betreiber von Internetplattformen keine Pflicht zur Prüfung der Inhalte trifft, die sie für einen Nutzer speichern. Sie sind nur dann verpflichtet, gegen die Verbreitung von Inhalten vorzugehen, wenn sie von der konkreten Information und deren Rechtswidrigkeit Kenntnis erlangt haben (vgl. § 10 des Telemediengesetzes in der Fassung vom 31. Mai 2010 ≪BGBl. I S. 692≫ - TMG -; zum Ganzen Spindler, in: Spindler/Schmitz, Telemediengesetz, 2. Aufl. 2018, § 10 TMG Rn. 24 ff.). Hinzu kommt, dass viele Betreiber von Internetplattformen ihren Sitz außerhalb des Gebiets der Europäischen Union haben, was den deutschen Behörden erheblich erschwert, die Beachtung von Rechtspflichten durchzusetzen.
Rz. 43
Die durch das Internet entstandenen Schutzlücken machen die vorhandenen Schutzvorkehrungen aber nicht generell ungeeignet. Sie haben neben den Verbreitungs- und Werbeverboten nach § 15 JuSchG zur Folge, dass Rundfunksendungen und Inhalte von Telemedien unzulässig sind, wenn sie mit dem indizierten Medium ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich sind (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 3 Nr. 1 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags vom 20. November 2009 ≪JMStV≫). Dies gilt für Telemedien nur dann nicht, wenn der Anbieter sicherstellt, dass sie nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden (§ 4 Abs. 2 Satz 2 JMStV). Dies erfordert die Installation eines Altersverifikationssystems, das den Zugang von Kindern und Jugendlichen verhindert (Liesching/Schuster, Jugendschutzrecht, 5. Aufl. 2011, § 4 JMStV Rn. 64 m.w.N.).
Rz. 44
Angesichts der grundgesetzlichen Gewährleistung des Schutzes der Persönlichkeitsentwicklung Minderjähriger ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, bewährte und wirkungsvolle Maßnahmen des Jugendschutzes wegen des unzulänglichen Schutzes im Internet aufzuheben und letztendlich den mit Verfassungsrang ausgestatteten Jugendschutz generell aufzugeben. Vielmehr muss er sich bemühen, Schutzlücken zu schließen.
Rz. 45
Hinzu kommt, dass die Aufnahme von Träger- und Telemedien in die Liste jugendgefährdender Medien schon vom Ansatz her nicht darauf angelegt sind, eine lückenlose Zugangssperre für Minderjährige zu schaffen. Die Indizierung kann erst ausgesprochen werden, wenn das Medium veröffentlicht ist. Auch setzt die Einleitung des Indizierungsverfahrens durch die BPS einen Antrag oder doch eine Anregung voraus (§ 21 Abs. 1, Abs. 2 und 4 JuSchG). Schließlich stellt die Indizierung den Vorrang des Erziehungsrechts nach Art. 6 Abs. 2 GG grundsätzlich nicht in Frage. Danach haben in erster Linie die Eltern oder sonstigen Personensorgeberechtigten im Rahmen ihres Erziehungsauftrags darüber zu befinden, welche Einflüsse sie von den ihnen anvertrauten Minderjährigen fernzuhalten versuchen. Verbreitungsverbote und Zugangshindernisse greifen nicht, wenn sich die Erziehungsberechtigten dafür entscheiden, Minderjährigen den Besitz eines jugendgefährdenden Mediums oder die Kenntnis seiner Inhalte zu gestatten oder dies jedenfalls hinzunehmen. Die Grenze stellt erst die gröbliche Verletzung der Erziehungspflicht dar (§ 27 Abs. 4 Satz 1 und 2 JuSchG).
Rz. 46
Der angemessene Ausgleich von Jugendschutz und Kunstfreiheit wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Indizierung eines Träger- oder Telemediums aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung der Inhalte nach § 18 Abs. 1 JuSchG einzelne nicht inkriminierte Kunstwerke des Mediums erfasst. Dies ist die unvermeidbare Kehrseite des Rechts von Künstlern und Vertreibern, den Inhalt des von ihnen veröffentlichten Mediums eigenverantwortlich zu bestimmen.
Rz. 47
e) Die Anwendung der Indizierungsregelungen nach § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 Nr. 2 JuSchG auf den festgestellten Sachverhalt ergibt, dass von dem Album "B..." jugendgefährdende Wirkungen ausgehen, deren Eindämmung durch die gesetzlichen Verbreitungs- und Werbeverbote Vorrang vor der Kunstfreiheit einzuräumen ist.
Rz. 48
aa) Es liegt auf der Hand, dass die Feststellungen zur jugendgefährdenden Wirkung und zum Kunstgehalt der Inhalte eines Träger- oder Telemediums sowie die darauf beruhenden wertenden Einschätzungen eine besondere Expertise erfordern. Dem hat der Bundesgesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass er die Zuständigkeit für Indizierungsentscheidungen dem Zwölfer-Gremium übertragen hat, das aufgrund der gesetzlichen Vorgaben für seine personelle Zusammensetzung über eine Bandbreite an speziellem Fachwissen und praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet Jugendschutz und Kunst verfügt. Dies gilt insbesondere für die Vorgabe, dass acht, d.h. zwei Drittel der an der Entscheidung beteiligten Mitglieder des Gremiums von Fachkreisen entsandt werden (§ 19 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2, § 20 JuSchG). Die Weisungsunabhängigkeit der Mitglieder gewährleistet, dass deren Sachkunde und Erfahrungen in die Entscheidungsfindung einfließen (§ 19 Abs. 4 JuSchG). Durch die Erfordernisse eines Besetzungsquorums und vor allem einer qualifizierten Mehrheit sind Indizierungsentscheidungen mit einer erhöhten Richtigkeitsgewähr ausgestattet (§ 19 Abs. 6 Satz 1 und 2 JuSchG).
Rz. 49
Aufgrund dieser gesetzlichen Regelungen ist es gerechtfertigt, das Zwölfer-Gremium einer Sachverständigenkommission gleichzustellen. Dies gilt sowohl für die tatsächlichen Feststellungen, die seinen Indizierungsentscheidungen zugrunde liegen, als auch für die wertenden Einschätzungen, die es aus den festgestellten Tatsachen zieht. Insoweit hält der Senat an der letztmals im Jahr 2017 bestätigten Rechtsprechung fest (BVerwG, Urteile vom 26. November 1992 - 7 C 20.92 - BVerwGE 91, 211 ≪216≫, vom 28. August 1996 - 6 C 15.94 - Buchholz 436.52 § 1 GjS Nr. 20 S. 2 und vom 31. Mai 2017 - 6 C 10.15 - BVerwGE 159, 49 Rn. 35 ≪für die Kommission für Jugendmedienschutz bei den Landesmedienanstalten≫).
Rz. 50
Dementsprechend vermitteln die Feststellungen und die darauf beruhenden Wertungen des Zwölfer-Gremiums zur Jugendgefährdung nach § 18 Abs. 1 JuSchG sowie zur Kunsteigenschaft eines Werks und dessen künstlerischem Gehalt den Verwaltungsgerichten die Grundlagen für die richterliche Überzeugungsbildung. Sie können für die gerichtliche Entscheidungsfindung nach den verwaltungsprozessualen Regeln des Sachverständigenbeweises verwertet werden. Dementsprechend sind die Verwaltungsgerichte grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, die von besonderer Sachkunde getragenen Erkenntnisse des Zwölfer-Gremiums ohne weitere Sachaufklärung zugrunde zu legen. Es genügt nicht, dass sie der Kläger durch Gegenvorbringen in Frage stellt (BVerwG, Urteile vom 26. November 1992 - 7 C 20.92 - BVerwGE 91, 211 ≪216≫, vom 28. August 1996 - 6 C 15.94 - Buchholz 436.52 § 1 GjS Nr. 20 S. 2 und vom 31. Mai 2017 - 6 C 10.15 - BVerwGE 159, 49 Rn. 35 ≪für die Kommission für Jugendmedienschutz bei den Landesmedienanstalten≫).
Rz. 51
Nach den Regeln des Sachverständigenbeweises gilt dies nicht, wenn begründeter Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit von Mitgliedern des Zwölfer-Gremiums besteht, dessen Erkenntnisse auf einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt beruhen, erkennbar inhaltliche Widersprüche aufweisen oder nicht nachvollziehbar sind (stRspr; vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Dezember 1968 - 8 C 29.67 - BVerwGE 31, 149 ≪156≫, vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 ≪45≫ und vom 23. Mai 1989 - 7 C 2.87 - BVerwGE 82, 76 ≪90≫; Beschluss vom 29. Mai 2009 - 2 B 3.09 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 5 Rn. 7). Eine unzureichende Sachaufklärung ist etwa dann anzunehmen, wenn das Zwölfer-Gremium entweder seine Feststellungen zu allgemeinen Tatsachen wie den Merkmalen zur Bestimmung des Kreises gefährdungsgeneigter Minderjähriger und den zu erwartenden Einflüssen inkriminierter Medien auf diese Minderjährigen oder die darauf beruhenden Wertungen nicht hinreichend fundiert, d.h. durch wissenschaftliche Untersuchungen, Erfahrungsberichte oder statistische Erhebungen belegt hat. Auch kann die fachliche Richtigkeit der Aussagen des Zwölfer-Gremiums durch fachgutachtliche Äußerungen, etwa durch ein von einem Betroffenen vorgelegtes Gutachten, erschüttert werden. Allerdings reicht die Vorlage eines Privatgutachtens, das sich kritisch mit Feststellungen und Wertungen des Zwölfer-Gremiums befasst, für sich genommen für eine Erschütterung nicht aus.
Rz. 52
bb) Dass das Album "B..." die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG für eine Jugendgefährdung erfüllt, ergibt sich aus den Feststellungen und den darauf gestützten wertenden Einschätzungen, die das Zwölfer-Gremium der BPS in den Gründen des Indizierungsbescheids vom 9. April 2015 in tatsächlicher Hinsicht getroffen hat. Der Senat kann diese Gründe bei der Entscheidung über die Revision berücksichtigen. Dem steht nicht entgegen, dass sie das Oberverwaltungsgericht in dem Berufungsurteil nicht verwertet hat. Entscheidend ist, dass die Gründe zu dem Prozessstoff des gerichtlichen Verfahrens gehören, die Beteiligten mit ihrer Verwertung auch im Revisionsverfahren haben rechnen müssen, weil der Indizierungsbescheid vom 9. April 2015 Streitgegenstand der Anfechtungsklage ist, und sie keine Verfahrens- oder Gegenrügen erhoben haben (BVerwG, Urteile vom 15. Dezember 1983 - 5 C 26.83 - BVerwGE 68, 290 ≪296 f.≫ und vom 8. März 1984 - 6 C 6.83 - juris Rn. 16; vgl. Eichberger/Buchheister, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Band II, Stand Februar 2019, § 137 Rn. 137 ff.).
Rz. 53
Die Gründe des Indizierungsbescheids lassen erkennen, dass das Vorgehen des Zwölfer-Gremiums den Anforderungen des § 18 Abs. 1 JuSchG genügt hat: Es hat den Aussagegehalt des Albums "B..." bestimmt, indem es durch Interpretation der Texte der Titel einen Gesamteindruck gewonnen, auf der Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen und Erfahrungsberichte sowie eigener Expertise den Kreis der für Gangsta-Rap empfänglichen Minderjährigen abgegrenzt und die Wirkungen der Titel des Albums auf diese Minderjährigen beurteilt hat.
Rz. 54
Nach den Feststellungen des Zwölfer-Gremiums sind die Texte der Titel mit Ausnahme des Titels Nr. 15 durch zwei immer wiederkehrende Themenbereiche geprägt: Zum einen werde der kriminelle Lebensstil des Gangsterbosses "B..." beschrieben. Dieser sei durch die offene Begehung schwerer Straftaten wie etwa Drogenhandel in Schulen, eine uneingeschränkte Gewaltbereitschaft und den skrupellosen Einsatz brutaler Gewalt aus beliebigen Anlässen gekennzeichnet. Gewalt stelle für "B..." das einzige Mittel der Problemlösung dar. Sie diene dazu, andere einzuschüchtern und zu demütigen und auf diese Weise die Stellung von "B..." als unantastbaren Gangsterboss zu sichern. Rücksichtsloses Vorgehen ohne jede Empathie mit anderen werde als Erfolgsmodell dargestellt; Opfer der Gewalt "Bs..." würden verächtlich gemacht. Zum anderen seien die Texte mit frauenfeindlichen und homophoben Äußerungen in vulgär-beleidigender Sprache durchsetzt. "B..." sehe Frauen ausschließlich als Sexobjekte an und habe für Homosexuelle nur Verachtung übrig. Die Texte enthielten keine Passagen, die als Distanzierung oder Verfremdung dieser Aussagen gedeutet werden könnten. Vielmehr vermittelten sie durchgehend die Botschaft, ein rücksichtsloses Vorgehen ohne jede Empathie mit anderen führe zum Erfolg, insbesondere zu Reichtum. Ein krimineller Lebensstil, geprägt durch die Bereitschaft, jederzeit schwere Straftaten zu begehen und brutale Gewalt einzusetzen, werde als erstrebenswert dargestellt. Zu diesem Lebensstil gehöre, Frauen und Homosexuelle zu demütigen und verächtlich zu machen. Daher seien die Texte geeignet, ein gesellschaftliches Klima der Gewalt und der Feindseligkeit zu fördern. Der Musik hat das Zwölfer-Gremium keine Bedeutung für die Beurteilung des Aussagegehalts des Albums beigemessen.
Rz. 55
In Bezug auf den Kreis der für das Album "B..." empfänglichen Minderjährigen hat das Zwölfer-Gremium festgestellt, Gangsta-Rap werde auch, wenn nicht sogar besonders bevorzugt, von Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen Bevölkerungskreisen gehört. Die Botschaften des Albums könnten insbesondere Minderjährige sozial-ethisch desorientieren, die in einer Umgebung leben, in der patriarchalische Verhältnisse vorherrschten und homophobe Grundeinstellungen zu finden seien. Das Zwölfer-Gremium hat es als sehr wahrscheinlich eingeschätzt, dass Minderjährige aus einem solchen sozialen Umfeld den auf Demütigung und Erniedrigung abzielenden vulgären Wortschatz der Texte in Bezug auf Frauen und Homosexuelle übernähmen, ihre Einstellungen gegenüber diesen Gruppen und Schwächeren daran orientierten sowie Kriminalität, brutale Gewalt und das völlige Fehlen von Empathie als Mittel akzeptierten, um Ziele zu erreichen. Auch eine durchgehende Verrohung der Sprache sei geeignet, die Hemmschwellen für reale Gewaltanwendung herabzusetzen. "B..." komme Vorbildwirkung zu, weil es sich erkennbar um ein Pseudonym des Klägers handele.
Rz. 56
Der Senat kann diese Feststellungen und die darauf beruhenden wertenden Einschätzungen seiner rechtlichen Würdigung nach den Regeln des Sachverständigenbeweises zugrunde legen. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass sie auf einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt beruhen. Auch enthalten sie weder Widersprüche noch sind die Schlussfolgerungen erkennbar nicht nachvollziehbar. Der Kläger hat die sachkundigen Aussagen des Zwölfer-Gremiums in den Tatsacheninstanzen nicht durch fachgutachtliche Gegenäußerungen erschüttert.
Rz. 57
Die Interpretation der Texte des Albums durch das Zwölfer-Gremium drängt sich auf. Die Titel Nr. 1 bis 14 propagieren die Vorzüge des kriminellen und auf brutaler Gewalt beruhenden Lebensstils von "B..." und eine abschätzige, in vulgären Beleidigungen geäußerte Einstellung gegenüber Frauen und Homosexuellen. Die Aussagen der Titel Nr. 1 bis 14 des Albums sind unmissverständlich; Ansatzpunkte für relativierende Interpretationen sind nicht erkennbar.
Rz. 58
Das Zwölfer-Gremium hat sowohl die Bestimmung des Kreises der gefährdungsgeneigten Minderjährigen durch die Bestimmung eines abgrenzbaren sozialen Umfelds als auch die Einschätzung der sozial-ethisch desorientierenden Wirkungen des Albums auf diese Minderjährigen auf eine hinreichend fundierte Tatsachenbasis gestützt. Es hat sich für den Wirkungszusammenhang insbesondere auf wissenschaftliche Quellen berufen, die einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Rap-Musik und der Akzeptanz von Gewalt und von Kriminalität herstellen. Die ausgewerteten wissenschaftlichen Untersuchungen und Erfahrungsberichte tragen die Einschätzung, es sei wahrscheinlich, dass gefährdungsgeneigte Minderjährige die ausschließlich vulgär-beleidigende Sprache insbesondere in Bezug auf Frauen und Homosexuelle nicht nur in ihren Wortschatz übernehmen, sondern ihre Einstellung und ihr Verhalten daran orientierten. Gleiches gilt für den völlig unkritisch dargestellten Lebensstil von "B...", der sich durch Einschüchterungen und Demütigungen anderer, willkürliche und skrupellose Anwendung brutaler Gewalt, offene Begehung von Straftaten, insbesondere Drogenhandel, sowie durch das Fehlen jeglicher Empathie auszeichnet. Dies berechtigt auch zu der Annahme, dass das Album die Voraussetzungen der Regelbeispiele der verrohenden Wirkung sowie des Anreizes zu Gewalttätigkeit und Verbrechen im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 2 JuSchG erfüllt (vgl. Rn. 31 der Urteilsgründe).
Rz. 59
Von der Figur "B..." geht eine Vorbildwirkung für gefährdungsgeneigte Minderjährige aus, weil dessen Handlungen und Äußerungen aus der Sicht dieser Minderjährigen auf den Kläger projiziert werden können. Bei "B..." handelt es sich erkennbar um das alter ego des Klägers. So hat der Kläger in dem Gespräch mit dem Gutachter Prof. Dr. H. vom 8. Januar 2016 angegeben, jedenfalls seinen Anhängern sei bekannt, dass er sich "B..." als weiteren sog. Alias-Namen neben "A..." zugelegt habe (vgl. zur Verwertbarkeit der Niederschrift dieses Gesprächs unter 3.e)cc)). Auch werden "B..." in dem Album verschiedene Ereignisse aus dem Leben des Klägers zugeschrieben. Zum anderen bezeichnet sich "B..." in drei Titeln als nachahmenswertes Vorbild für die Jugend (Titel Nr. 4: "Guck die Ghettokids, sie nehmen meine Lebensweise an"; Nr. 6: "Aber ich bin wie ein Priester für die Jugend"; Nr. 11: "Die Kids glauben mir aufs Wort, weil ich ausdrücke, was ich bin").
Rz. 60
Schließlich lassen die Gründe des Indizierungsbescheids erkennen, dass das Zwölfer-Gremium die Musik des Albums bei seiner Beurteilung der Wirkungen nicht übergangen hat. Darauf lässt etwa der Hinweis schließen, dass die Titel des Albums während der Sitzung am 9. April 2015 auszugsweise abgespielt wurden. Das Zwölfer-Gremium ist davon ausgegangen, dass die Musik angesichts der Massivität der Texte nicht geeignet ist, deren jugendgefährdende Wirkungen zu verstärken oder abzuschwächen.
Rz. 61
Die Einwände des Klägers sind nicht geeignet, die Feststellungen und Wertungen des Zwölfer-Gremiums in Bezug auf die jugendgefährdende Wirkung des Albums "B..." zu erschüttern. Hierfür reicht die Kritik nicht aus, die der von dem Kläger beauftragte Gutachter Prof. Dr. H. an der Auswertung der wissenschaftlichen Untersuchungen und Erfahrungsberichte durch das Zwölfer-Gremium geübt hat. Der Gutachter hat selbst darauf hingewiesen, dass er als Literaturwissenschaftler nicht über die erforderliche Sachkunde für die Beurteilung jugendgefährdender Wirkungen verfügt.
Rz. 62
Der Einwand, das Zwölfer-Gremium habe seine Einschätzung nicht aufgrund einer aktuellen gesellschaftlichen Reizschwelle für Minderjährige getroffen, ist nicht plausibel. Das Vorbringen lässt nicht ansatzweise erkennen, wie eine solche Reizschwelle abweichend von den Feststellungen und Wertungen des Zwölfer-Gremiums beschaffen sein könnte. Die Behauptung, Minderjährige seien heutzutage unempfänglich für Darstellungen von Kriminalität und hemmungsloser Gewalt sowie für permanente Demütigungen und Beleidigungen anderer in einer vulgären Sprache, ist als bloßes Gegenvorbringen nicht geeignet, die dazu in Widerspruch stehenden Feststellungen und Wertungen des Zwölfer-Gremiums in Frage zu stellen.
Rz. 63
cc) Bei den Titeln des Albums "B..." handelt es sich um Kunst der Gattung Rapmusik im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Für die Gewichtung des abwägungsrelevanten künstlerischen Gehalts kann der Senat neben den Gründen des Indizierungsbescheids vom 9. April 2015 auch das Gutachten von Prof. Dr. H. vom 10. Januar 2016 und die Niederschrift eines Gesprächs des Klägers mit dem Gutachter vom 8. Januar 2016 berücksichtigen (vgl. zu den Voraussetzungen unter 3.e)bb) der Urteilsgründe). Der Kläger hat beide Unterlagen im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt und damit zum Bestandteil des Prozessstoffes gemacht. Das Verwaltungsgericht hat Gutachten und Niederschrift ausführlich gewürdigt. Die Beteiligten haben insoweit keine Verfahrens- oder Gegenrügen erhoben.
Rz. 64
Das Zwölfer-Gremium hat angenommen, das Album stelle Unterhaltung ohne gesteigerten Kunstgehalt dar. Diese sachkundige Beurteilung ist der Gewichtung des Belangs Kunst zugrunde zu legen, weil sie der Kläger nicht nach den Regeln des Sachverständigenbeweises zu erschüttern vermocht hat. Das vorgelegte Gutachten ist in Bezug auf die Einschätzung, das Album beruhe auf dem künstlerischen Konzept, einen in einer fiktionalen Kunstwelt agierenden unantastbaren Gangsterboss zu schaffen, nicht schlüssig. Diese Betrachtungsweise deckt sich nicht mit den Angaben des Klägers in dem Gespräch mit dem Gutachter. Diese lassen darauf schließen, dass der Kläger mit dem Album "B..." keine über Unterhaltung hinausgehende künstlerische Wirkungsabsicht verfolgt hat. Der Kläger hat auf mehrere Nachfragen des Gutachters zu einem künstlerischen Konzept oder einer Ausgangsidee ausgeführt, er habe zu Beginn von Studioaufnahmen keine Vorstellungen über den Inhalt seiner Rapmusik. Musik und Texte entstünden völlig spontan während der Aufnahmen. Er könne vorab nicht sagen, welche Art und Richtung die Texte haben würden. Hinweise auf eine beabsichtigte künstlerische Wirkungsweise, etwa durch die Ausdrucksform der durchgehend vulgär-beleidigenden Sprache, lassen sich auch dem weiteren Gespräch nicht entnehmen.
Rz. 65
Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass der Kläger durch die Verwendung dieser Sprache beabsichtigt hat, die Demütigung und Herabwürdigung von Frauen und Homosexuellen als Stilmittel in ein Konzept "Inszenierung des Gangsterbosses B..." einzubetten. Dass dieser Sprache Bedeutung für dessen überspitzte Darstellung zugedacht sein könnte, erschließt sich weder aus der Interpretation der Texte durch den Gutachter noch durch die Angaben des Klägers in dem Gespräch mit diesem.
Rz. 66
Die Einschätzung des Gutachters, die Sprache des Albums sei den Songtexten vieler Pop- und Rockgruppen an Originalität, spielerischem Drang und Sprachmächtigkeit weit überlegen, ist in dieser Pauschalität nicht nachvollziehbar. Der Gutachter schreibt den Texten zwar eine Fülle an originellen Wendungen, verblüffenden Übertreibungsformeln, spielerischen Wortverwendungen und Wortneuschöpfungen zu. Allerdings belässt er es dabei, diesen Eindruck zu benennen. Es fehlt jegliche Konkretisierung anhand konkreter Texte des Albums. Dementsprechend geht der Gutachter auch nicht darauf ein, welche Bedeutung der die Texte durchziehenden vulgär-beleidigenden Sprache für deren Wirkungsweise zukommt. Auch den von ihm angelegten Vergleichsmaßstab "Songtexte vieler Pop- und Rockgruppen" erläutert der Gutachter nicht.
Rz. 67
f) Bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Belange kommt dem Jugendschutz Vorrang zu. Die jugendgefährdenden Einflüsse des Albums wiegen schwer. Dies folgt vor allem daraus, dass die Texte mit Ausnahme des Titels Nr. 15 durchgehend und ohne jede Distanzierung die Botschaft vermitteln, dass Rücksichtslosigkeit und vollkommen fehlende Empathie gegenüber Schwächeren vorzugswürdig sind. Es wird suggeriert, dass ein Lebensstil zu Reichtum führt und gegenüber Strafverfolgung unantastbar macht, der ohne jede Einschränkung auf das "Recht des Stärkeren" setzt. Zu diesem Zweck werden schwere Kriminalität wie etwa Drogenhandel in Schulen oder Zwangsprostitution und brutale Gewalttätigkeit aus beliebigen Anlässen völlig unkritisch dargestellt, Frauen und Homosexuelle durchgehend beleidigt und verächtlich gemacht. Andere Darstellungen dieser Personengruppen kommen nicht vor.
Rz. 68
Es liegt nahe, dass diese Ansammlung sozial-ethisch desorientierender Botschaften einen verheerenden Einfluss auf hierfür empfängliche Minderjährige aus dem beschriebenen sozialen Umfeld haben kann, zumal "B..." erkennbar als alter ego des Klägers auftritt. Demgegenüber lassen sich dem Vorbringen des Klägers keine Hinweise darauf entnehmen, dass er mit den Darstellungen des Lebenswandels von "B..." und der vulgär-beleidigenden Sprache ein über Unterhaltung hinausgehendes künstlerisches Konzept verfolgt.
Rz. 69
Unbeachtlich ist der Einwand des Klägers, das Gewicht des Jugendschutzes sei stark gemindert, weil das Indizierungsverfahren erst ungefähr zehn Monate nach der Veröffentlichung des Albums und dem Verkauf von mehr als 100 000 CDs eingeleitet worden sei. Aus Wortlaut und Zweck des § 18 Abs. 1 JuSchG folgt, dass die Eignung eines Trägermediums zur Jugendgefährdung ausschließlich aufgrund der Inhalte, Aussagen und Wirkungen seiner Inhalte zu beurteilen ist. Sie wird durch den langen Zeitraum zwischen Veröffentlichung und Indizierung nicht in Frage gestellt. Der Umfang der Verbreitung des Mediums bis zur Indizierung kann nicht dazu führen, dass die weitere Verbreitung trotz des jugendgefährdenden Einflusses hingenommen werden muss.
Rz. 70
Schließlich rechtfertigt die Aufnahme des Albums in der Fachpresse nicht, zum Schutz des Wirkbereichs der Kunst von der Indizierung abzusehen. Die wenigen Besprechungen bieten ein uneinheitliches Bild. Einigen verhalten positiven Bewertungen steht die vernichtende Bewertung in der Süddeutschen Zeitung vom 20. Februar 2014 gegenüber. Das sonstige künstlerische Schaffen des Klägers und sein Bekanntheitsgrad sind für die Abwägung ohne Bedeutung.
Rz. 71
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Kostentragungspflicht des Klägers für das erstinstanzliche Verfahren folgt aus der Kostenentscheidung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 2. September 2016.
Fundstellen
BVerwGE 2020, 33 |
WzS 2020, 27 |
DÖV 2020, 289 |
DÖV 2020, 576 |
JZ 2020, 109 |
JuS 2020, 1094 |
VR 2020, 144 |
ZUM-RD 2020, 157 |
GRUR-Prax 2020, 138 |
K&R 2020, 157 |
MMR 2020, 261 |
NordÖR 2020, 117 |
RÜ 2020, 249 |
GSZ 2019, 7 |
JMSR 2019, 7 |
JMSR 2020, 85 |
Jura 2020, 639 |
NWVBl. 2020, 190 |