1 Leitsatz

Lädt ein Verwalter zu einer Versammlung ein, bittet er die Wohnungseigentümer aber, nicht zu erscheinen, und kündigt er an, bei einer Zuwiderhandlung die Versammlung abzubrechen, sind dennoch gefasste Beschlüsse nichtig.

2 Normenkette

§ 23 Abs. 1 WEG

3 Das Problem

Ein Hannoveraner Verwalter lädt am 19.6.2020 zu einer Versammlung am 21.7.2020 ein. In dem Einladungsschreiben heißt es: "Wir laden mit den beiliegenden Unterlagen ordnungsgemäß zu einer Eigentümerversammlung ein, zu der sie aber bitte nicht erscheinen. Sollten Eigentümer/innen erscheinen, wären wir zum sofortigen Abbruch der Veranstaltung gezwungen". Der Einladung sind Vollmachten für den Verwalter zur Abstimmung beigefügt. Am 21.7.2020 findet die Eigentümerversammlung statt, auf welcher der Beschluss zu TOP 8 "Änderungen der Hausordnung" gefasst wird. Wohnungseigentümer K geht gegen diesen Beschluss vor. Er meint, dieser sei u. a. wegen Verstoßes gegen sein Teilnahmerecht unwirksam.

4 Die Entscheidung

Die Anfechtungsklage hat Erfolg! Der angefochtene Beschluss sei nichtig. Die Beschlussfassung verstoße gegen § 23 Abs. 1 WEG. Danach seien Beschlüsse nichtig, wenn sie in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingreifen. Zu diesem Kernbereich gehöre das Recht der Wohnungseigentümer, an den Versammlungen teilzunehmen. Durch die Formulierung in dem Einladungsschreiben sei den Wohnungseigentümern die Teilnahme verwehrt worden. Sie seien ausdrücklich aufgefordert worden, nicht zu erscheinen. Ein Wahlrecht, gleichwohl zu erscheinen, eröffne diese Formulierung nicht. Darüber hinaus sei angekündigt worden, die Veranstaltung abzubrechen, wenn einzelne Eigentümer erscheinen würden. In der Gesamtschau seien diese Formulierungen als Verbot zu verstehen.

Hinweis

  1. Die COVID-19-Pandemie ist kein Grund, keine Versammlung abzuhalten. Ob der Verwalter zu einer Versammlung einladen muss und nach Ablauf der Jahresfrist einem Ersuchen der Wohnungseigentümer oder des Verwaltungsbeirats nachkommen muss, richtet sich allein danach, ob eine Einladung rechtlich und tatsächlich möglich ist. Was gilt, kann sich von Landkreis zu Landkreis unterscheiden. Der Verwalter ist gehalten, sich über die Rechtslage für jede Wohnungseigentümergemeinschaft angemessen zu informieren.
  2. Verbietet das öffentliche Recht Versammlungen, darf der Verwalter keine anberaumen. In diesem Fall darf und muss er alle Verwaltungsentscheidungen nach § 27 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 WEG selbst treffen. Stützt der Verwalter eine Maßnahme auf § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG muss er darauf achten, nur das unbedingt Notwendige zu veranlassen. Alle Entscheidungen, die vertagt werden können, sind auch zu vertagen. Im Fall war z. B. die Änderung der Hausordnung nicht eilig. Aber selbst wenn es anders gewesen wäre, hätte der Verwalter keinen Benutzungsbeschluss nach § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 WEG fassen können. Er hätte hingegen die Wohnungseigentümer und/oder Mieter abmahnen und darauf hinweisen können, dass das Abstellen von Schuhen im Treppenhaus gegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 WEG verstößt und auch ohne besondere Regelung unzulässig ist.
  3. Erlaubt das öffentliche Recht Versammlungen, sind Versammlungen abzuhalten. Dies gilt auch dann, wenn sich nicht sämtliche Wohnungseigentümer versammeln dürfen. Ferner ändern die COVMG-Bestimmungen zum Wirtschaftsplan und zur Weiterbestellung des Verwalters nichts. Die Verlängerung der Verwalterbestellung nach § 6 Abs. 1 COVMG macht eine Versammlung, auf der über die Verwalterneubestellung entschieden werden soll, mithin nicht entbehrlich (LG Frankfurt a. M., Beschluss v. 16.2.2021, 2-13 T 97/20).
  4. Ist eine Versammlung möglich, obliegt es dem Ermessen des Verwalters, wann, wo, zu welchem Zeitpunkt, zu welchem Ort und zu welcher Stätte er die Versammlung einberuft. Um den besonderen Anforderungen der COVID-19-Pandemie zu begegnen, kann es im Einzelfall z. B. richtig sein, eine Versammlung auf einem zur Wohnungseigentumsanlage gehörenden Spielplatz durchzuführen, wenn der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit gewahrt bleibt.
  5. Nach ganz h. M. können sämtliche Wohnungseigentümer dem Verwalter eine Vollmacht erteilen, sie in der Versammlung zu vertreten. In diesem Fall ist der Verwalter berechtigt und verpflichtet, aufgrund der Vollmachten mit sich selbst eine Versammlung abzuhalten. Einen Zwang, einem Vertreter eine Vollmacht zu erteilen, gibt es aber nicht. Auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie besteht ein Anspruch der Wohnungseigentümer auf eine persönliche Teilnahme an Versammlungen. Es ist unzulässig, Versammlungen dahingehend zu beschränken, dass lediglich eine Teilnahme einzelner Personen gewährleistet wird und die übrigen Eigentümer Vollmachten zu erteilen haben oder gar von vornherein lediglich zu Vertreterversammlungen geladen wird, bei denen sich die Eigentümer nur vertreten lassen können (LG Frankfurt a. M., Urteil v. 17.12.2020, 2-13 S 108/20). Bei der Einladung zu einer Vertreterversammlung ist daher große Vorsicht geboten. Der Verwalter darf den Wohnungseigentümern zwar die Möglichkeit einer Vollmacht vorstellen. Er darf insoweit aber keinen – auch nur mi...

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