Unklarer Wortlaut

In Zweifelsfällen muss bei einem nicht völlig klaren Wortlaut der Eintragung eine Auslegung des Inhalts der Eintragungsbewilligung erfolgen. Hierbei sind auch die Grundsätze von Treu und Glauben[1] heranzuziehen. Sie kommen vor allem dann zum Tragen, wenn sich die Verhältnisse aufgrund der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung verändert haben.[2]

Grundsatz von Treu und Glauben

Maßgebend ist das jeweilige Bedürfnis des herrschenden Grundstücks. Es ist also von einem grundsätzlichen Vorrang der Grunddienstbarkeit vor dem Eigentum auszugehen.[3] Späteren Veränderungen der Verhältnisse muss, zumal die Dienstbarkeitsbestellung in der Regel ohne zeitliche Begrenzung erfolgt, nach Treu und Glauben grundsätzlich Rechnung getragen werden, wenn anderenfalls der Zweck der Belastung vereitelt würde.[4]

Bedarfssteigerung

Bei einer Bedarfssteigerung ist daher grundsätzlich eine Erweiterung des Umfangs der Grunddienstbarkeit möglich. Das gilt allerdings nicht bei "Eigenverschulden": So hat der Wegeberechtigte keinen Anspruch auf eine geänderte Zufahrt, wenn er die bisherige Zufahrt selbst verbaut hat.[5] Auch im Übrigen ist bei der Annahme einer Bedarfssteigerung Zurückhaltung geboten.

 
Praxis-Beispiel

Unzulässige Bedarfssteigerung

Im Jahr 1931 war ein Wegerecht bestellt worden, das belastete Grundstück "zu landwirtschaftlichen Zwecken zu überwegen und mit Fahrzeugen zu befahren". Das herrschende Grundstück wurde zu jener Zeit als Ackerland genutzt. Inzwischen wird dort eine Gärtnerei mit Gewächshäusern und Betriebsleiterhaus betrieben. Der durch den erheblich verstärkten Fahrbetrieb gestörte Eigentümer des dienenden Grundstücks klagte auf Einschränkung der Nutzung, die durch die Grunddienstbarkeit nicht mehr gedeckt sei. Der BGH[6] gab ihm Recht:

Zwar umfasse der Wortlaut der Grundbucheintragung auch die erweiterte Nutzung. Maßgeblich seien jedoch auch die tatsächlichen Verhältnisse der beteiligten Grundstücke, insbesondere die Lage und Verwendungsart des herrschenden Grundstücks. Da es sich zum Eintragungszeitpunkt um reine Ackerflächen gehandelt habe, beschränke sich die Dienstbarkeit hierauf. Auch stelle die Errichtung der Gewächshäuser und des Betriebsleiterhauses wegen der vielfältigen Außenbeziehungen eine so grundlegende Änderung der landwirtschaftlichen Nutzung dar, dass sich die Bedarfssteigerung nicht mehr in den Grenzen einer der Art nach gleichbleibenden Benutzung halte.

Anlagennutzung

Die Auslegung hat sich auch an der Funktion der Dienstbarkeit zu orientieren. So bezieht sich die Berechtigung aus einer Grunddienstbarkeit, eine Anlage auf dem dienenden Grundstück mitzubenutzen, bei nächstliegender Auslegung regelmäßig nicht nur auf die bei der Bestellung des Rechts vorhandene, sondern auch auf eine erneute Anlage.[7]

[2] Vgl. dazu ausführlich Ricken, WM 2001 S. 979 ff.
[3] Grziwotz, NJW 2008, S. 1851, 1853 m. w. N.
[5] BGH, Urteil v. 2.10.1998, V ZR 301/97, Rpfleger 1999 S. 65.

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