1 Leitsatz
Ein Schadenersatzanspruch des Mieters wegen einer unberechtigten Eigenbedarfskündigung kann auch entstehen, wenn der Vermieter es versäumt hat, die Ernsthaftigkeit des Nutzungswillen für die Bedarfsperson zu ermitteln.
2 Normenkette
BGB §§ 241, 280, 535, 573
3 Das Problem
Ein vorgetäuschter Eigenbedarf liegt vor, wenn der Vermieter die Kündigung des Mietverhältnisses mit Eigenbedarf begründet, obwohl ihm bekannt ist, dass dieser nicht gegeben ist. Ferner kann ein vorgetäuschter Eigenbedarf bereits dann gegeben sein, wenn der Vermieter eine Eigenbedarfskündigung androht oder sich darauf beschränkt, Eigenbedarf anzumelden und der Mieter daraufhin freiwillig auszieht, weil er keinen Anlass hatte, den Angaben es Vermieters zu misstrauen. Im Fall der Vortäuschung des Eigenbedarfs ist der Vermieter dem Mieter – wie auch sonst bei einer schuldhaften unberechtigten Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses – gemäß § 280 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet (BGH, Urteil v. 10.6.2015, VIII ZR 99/14).
4 Die Entscheidung
In dem vom AG Kreuzberg entschiedenen Fall kündigten die Vermieter das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs und begründeten die Kündigung damit, dass der Sohn des Vermieters zusammen mit seiner Freundin die Wohnung beziehen wolle. Der Vorschlag zum Bezug der Wohnung erfolgte durch den Vermieter, der seinem Sohn das Objekt lediglich anhand von Fotos zeigte. Eine Besichtigung durch den Sohn erfolgte bis zum Auszug der Mieterin nicht. Die Auswahl der konkreten Wohnung wurde u. a. damit begründet, dass sie sehr hell sei und eine Terrasse habe. Das persönliche Verhältnis des Vermieters zu seinem Sohn, der in einer Pflegefamilie lebte, war problematisch; ein ernsthafter Nutzungswille zweifelhaft. In der Folgezeit schloss die Mieterin zur außergerichtlichen Einigung eine Aufhebungsvereinbarung mit den Vermietern. Die Wohnung wurde dann jedoch nicht vom Sohn, sondern von zwei anderen Personen bezogen. Daraufhin verlangte die Mieterin als Schadensersatz Erstattung der Umzugskosten sowie die Mietdifferenz für die teuere Ersatzwohnung.
Das AG Kreuzberg gab der Schadensersatzklage statt. Die Vermieter hätten eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen, ohne dass die Voraussetzungen hierzu vorlagen. Vor Ausspruch der Kündigung sei versäumt worden, die Ernsthaftigkeit des Nutzungswillens des Sohnes zu ermitteln, wobei fahrlässig die Realisierbarkeit der Nutzungsabsicht verkannt worden sei. Als Folge der fahrlässigen Pflichtverletzung seien alle Schäden zu ersetzen, die durch die unberechtigte Kündigung entstanden seien, wozu nicht nur die Umzugskosten gehörten, sondern auch die monatliche Mehrbelastung für die Miete der neuen Wohnung. Der Abschluss des Mietaufhebungsvertrags ändere nichts an dem Schadensersatzanspruch der Mieterin. Dieser entfällt bei einer Aufhebungsvereinbarung nach Anfrage auf vorzeitige Entlassung aus dem Mietvertrag nur ausnahmsweise, wenn ein Mieter unabhängig vom Eigenbedarf zur Räumung entschlossen war. Dies war vorliegend nicht der Fall.
Hinweis
Nach der Rechtsprechung des BGH liegt der Verdacht nahe, dass eine Eigenbedarfskündigung nur vorgeschoben ist, wenn der behauptete Nutzungswillen nach dem Auszug des Mieters nicht in die Tat umgesetzt wird. In diesem Fall ist es dem Vermieter zuzumuten, substantiiert und plausibel ("stimmig") darzulegen, aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Eigenbedarf nachträglich entfallen sein soll. Hierbei sind strenge Anforderungen zu stellen. Erst wenn der Vortrag des Vermieters diesem Maßstab genügt, obliegt dem Mieter der Beweis, dass der Selbstnutzungswille des Vermieters schon vorher nicht bestand (BGH, Urteil v. 11.10.2016, VIII ZR 300/15). Vorliegend fehlt es bereits an einem solchen substantiierten und plausiblen Vorbringen der Vermieter.
5 Entscheidung
AG Berlin-Kreuzberg, Urteil v. 17.1.2023, 13 C 104/22
LG Berlin, Beschluss v. 9.11.2023, 66 S 38/23, GE 2024, 44