4.8.1 Sachlicher Anwendungsbereich

Fassen die Wohnungseigentümer vor dem 1.1.2028 einen Beschluss über die Durchführung der Eigentümerversammlungen in rein virtueller Form, muss nach § 48 Abs. 6 WEG-E bis einschließlich 2028 mindestens einmal im Jahr eine Präsenzversammlung durchgeführt werden. Hierauf können die Wohnungseigentümer nur durch einen einstimmigen Beschluss verzichten. Wird ein entsprechender Beschluss nicht gefasst und ausschließlich virtuelle Eigentümerversammlungen durchgeführt, führt dies allerdings nicht zur Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit der in der virtuellen Versammlung gefassten Beschlüsse.

 

Wortlaut des § 23 Abs. 6 WEG-E

"Fassen die Wohnungseigentümer vor dem 1. Januar 2028 einen Beschluss nach § 23 Absatz 1a, ist bis einschließlich 2028 mindestens einmal im Jahr eine Präsenzversammlung durchzuführen, sofern die Wohnungseigentümer hierauf nicht durch einstimmigen Beschluss verzichten. Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt nicht zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der in einer virtuellen Wohnungseigentümerversammlung gefassten Beschlüsse."

 

Vereinbarte virtuelle Eigentümerversammlungen

Regelt eine Vereinbarung der Wohnungseigentümer (etwa die Gemeinschaftsordnung) die Möglichkeit der Durchführung von Eigentümerversammlungen in virtueller Form, ist die Bestimmung des § 48 Abs. 6 WEG-E insgesamt nicht anwendbar. Ihr Anwendungsbereich ist beschränkt auf Beschlüsse, mit denen die Wohnungseigentümer die Möglichkeit der Durchführung von Eigentümerversammlungen in virtueller Form regeln.

4.8.2 Zeitlicher Anwendungsbereich

Die Vorschrift des § 48 Abs. 6 Satz 1 WEG-E gilt ausschließlich für Beschlüsse über die Durchführung rein virtueller Eigentümerversammlungen, die vor dem 1.1.2028 beschlossen wurden. Wird ein derartiger Beschluss also erst im Jahr 2028 gefasst, besteht keine Pflicht zur Durchführung mindestens einer jährlichen Präsenzversammlung.

 
Praxis-Beispiel

Beschlussfassung im November 2024

Nach Inkrafttreten der Neuregelungen beschließen die Wohnungseigentümer im November 2024, in den nächsten 3 Kalenderjahren 2025, 2026 und 2027 Wohnungseigentümerversammlungen rein virtuell durchzuführen.

Gemäß § 48 Abs. 6 Satz 1 WEG-E muss in den Jahren 2025, 2026 und 2027 dennoch mindestens eine Eigentümerversammlung als Präsenzversammlung durchgeführt werden.

 
Praxis-Beispiel

Beschlussfassung im Jahr 2026

Die Wohnungseigentümer beschließen im Jahr 2026, die Wohnungseigentümerversammlungen der Jahre 2027, 2028 und 2029 virtuell durchzuführen.

Mindestens eine Präsenzversammlung muss in Jahren 2027 und 2028 durchgeführt werden. Im Jahr 2029 muss hingegen keine Präsenzversammlung mehr durchgeführt werden, da der Geltungsbereich des § 48 Abs. 6 Satz 1 WEG-E bis 2028 beschränkt ist.

4.8.3 Verzichtsbeschluss

Auf die Durchführung mindestens einer Präsenzversammlung können die Wohnungseigentümer durch einstimmigen Beschluss verzichten. Für den Verzicht ist also ein weiterer Beschluss erforderlich. Einstimmigkeit liegt dann vor, wenn keine Gegenstimme gegen den Beschlussantrag abgegeben wird.[1] Stimmenthaltungen spielen also keine Rolle, weil sie ohnehin als Nichtteilnahme am Abstimmungsvorgang gewertet werden. Der sich seiner Stimme enthaltende Wohnungseigentümer wird also so behandelt wie ein abwesender Eigentümer, der auch keine Stimmrechtsvollmacht erteilt hat. Abgestellt wird im Übrigen auf die in der Eigentümerversammlung anwesenden Wohnungseigentümer.

Nach Sinn und Zweck der Regelung kann der Verzichtsbeschluss nicht im Rahmen einer virtuellen Eigentümerversammlung gefasst werden. In diesem Fall könnten gerade diejenigen Wohnungseigentümer nicht an der Abstimmung teilnehmen, denen eine unmittelbare virtuelle Versammlungsteilnahme aus welchen Gründen auch immer nicht möglich ist.

 

Musterbeschluss: Verzicht auf jährliche Präsenzversammlung

TOP XX: Verzicht auf die Durchführung einer Präsenzversammlung pro Jahr bis 2028

Da der Beschluss über die Durchführung rein virtueller Wohnungseigentümerversammlungen vor dem 1.1.2028 gefasst wurde, ist bis einschließlich des Jahres 2028 jährlich mindestens eine Präsenzversammlung durchzuführen. Hierauf können die Wohnungseigentümer jedoch durch einstimmigen Beschluss verzichten. Auf Grundlage von § 48 Abs. 6 Satz 1 WEG beschließen die Wohnungseigentümer daher, auf die Durchführung einer jährlichen Präsenzversammlung für den Zeitraum zu verzichten, innerhalb dessen rein virtuelle Eigentümerversammlungen durchgeführt werden. Konkret handelt es sich um die Jahre 20__, 20__ und 20__.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: _____

Nein-Stimmen: _____

Enthaltungen: _____

Der Versammlungsleiter verkündete folgendes Beschlussergebnis:

________________

Der Beschluss wurde angenommen/abgelehnt.

[1] BT-Drs. 20/12146, S. 14.

4.8.4 Pflichtenverstoß

Haben die Wohnungseigentümer vor dem 1.1.2028 die Durchführung der Eigentümerversammlungen in rein virtueller Form beschlossen, wird aber gegen die Verpflichtung zur Durchführung mindestens einer Präsenzversammlung pro Jahr verstoßen, weil hierauf nicht durch einstimmigen Beschluss verzichtet wurde, führt dies nach § 48 Abs. 6 Satz 2 WEG-E weder zur Anfechtbarkeit noch zur Nichtigk...

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