Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Eilvorabentscheidungsverfahren. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Zuständigkeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung. Sorgerecht für das Kind. Begriff ‚Gewöhnlicher Aufenthalt’ des Kindes. Von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats erlassene Entscheidung betreffend den Aufenthaltsort des Kindes. Widerrechtliches Verbringen oder Zurückhalten. Zuständigkeit im Fall der Entführung des Kindes
Normenkette
Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99; Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 Art. 8, 10, 13
Beteiligte
Tenor
Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 und Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen sind dahin auszulegen, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem ein Kind, das seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hatte, von einem Elternteil widerrechtlich in einen anderen Mitgliedstaat verbracht wurde, die Gerichte dieses anderen Mitgliedstaats nicht für einen Antrag in Bezug auf das Sorgerecht für das Kind oder auf Festsetzung von Kindesunterhalt zuständig sind, wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der andere Elternteil dem Verbringen des Kindes zugestimmt oder keinen Antrag auf dessen Rückgabe gestellt hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Judecătoria Oradea (Gericht erster Instanz von Oradea, Rumänien) mit Entscheidung vom 4. Oktober 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Februar 2018, in dem Verfahren
CV
gegen
DU
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter C. G. Fernlund, A. Arabadjiev, S. Rodin (Berichterstatter) und E. Regan,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des Antrags des Präsidenten des Gerichtshofs vom 20. Februar 2018, gemäß Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilverfahren zu unterwerfen,
aufgrund der Entscheidung der Ersten Kammer vom 28. Februar 2018, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilverfahren zu unterwerfen,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen CV und DU, den Eltern eines minderjährigen Kindes, wegen der Festsetzung des Aufenthaltsorts dieses Kindes und wegen Kindesunterhalts.
Rechtlicher Rahmen
Internationales Recht
Rz. 3
Das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (im Folgenden: Haager Übereinkommen von 1980) soll, wie aus seiner Präambel hervorgeht, u. a. das Kind vor den Nachteilen eines widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens international schützen und Verfahren einführen, um seine sofortige Rückgabe in den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts sicherzustellen. Es wurde von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ratifiziert.
Rz. 4
Art. 3 dieses Übereinkommens lautet:
„Das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes gilt als widerrechtlich, wenn
- dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und
- dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.
Das unter Buchstabe a genannte Sorgerecht kann insbesondere kraft Gesetzes, aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung oder aufgrund einer nach dem Recht des betreffenden Staates wirksamen Vereinbarung bestehen.”
Unionsrecht
Verordnung Nr. 2201/2003
Rz. 5
In den Erwägungsgründen 12 und 17 der Verordnung Nr. 2201/2003 heißt es:
„(12) Die in dieser Verordnung für die elterliche Verantwortung festgelegten Zuständigkeitsvorschriften wurden dem Wohle des Kindes entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe ausgestaltet. Die Zuständigkeit sollte vorzugsweise dem Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes vorbehalten sein außer in bestimmten Fällen, in denen sich der Aufenthaltsort des Kindes geändert hat oder in denen die Träger der...