Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes. Ablehnung eines Asylantrags durch die Behörden eines Mitgliedstaats als unzulässig wegen vorheriger Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem anderen Mitgliedstaat. Tatsächliche und erwiesene Gefahr, unmenschlich oder erniedrigend behandelt zu werden. Lebensbedingungen der Personen, denen im letzteren Mitgliedstaat der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde
Normenkette
Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99; Richtlinie 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2 Buchst. a; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 4
Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Tenor
Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verbietet, von der durch diese Vorschrift eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, weil dem Antragsteller bereits von einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, wenn die Lebensverhältnisse, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat als anerkannter Flüchtling erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu erfahren.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidungen vom 2. August 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 15. September 2017, in den Verfahren
Bundesrepublik Deutschland
gegen
Adel Hamed (C-540/17),
Amar Omar (C-541/17)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis sowie der Richter M. Ilešič (Berichterstatter) und C. Lycourgos,
Generalanwalt: G. Hogan,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Omar, vertreten durch Rechtsanwältin M. Gajczyk,
- der deutschen Regierung, zunächst vertreten durch T. Henze und R. Kanitz, dann durch R. Kanitz als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und C. Van Lul als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und A. Brabcová als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, E. de Moustier und E. Armoët als Bevollmächtigte,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Tornyai und M. M. Tátrai als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Ladenburger und M. Condou-Durande als Bevollmächtigte,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 25 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 2005, L 326, S. 13), von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60, im Folgenden: Verfahrensrichtlinie) und von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Sie ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Herrn Adel Hamed zum einen (Rechtssache C-540/17) und Herrn Amar Omar zum anderen (Rechtssache C-541/17) wegen Bescheiden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (im Folgenden: BAMF), mit denen ihnen das Asylrecht versagt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Art. 3 („Verbot der Folter”) der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bestimmt:
„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.”
Unionsrecht
Charta
Rz. 4
Art. 1 („Würde des Menschen”) der Charta lautet:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.”
Rz. 5
Art. 4 („Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung”) der Charta lautet:
„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.”
Anerkennungsrichtlinie
Rz. 6
In Art. 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ...