Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Umwelt. Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten. Verpflichtung zur Durchführung einer Prüfung der Umweltauswirkungen bzw. zur Vornahme einer Einzelfalluntersuchung. Kumulative Auswirkungen von Projekten. Errichtung eines Stalls für Mastgeflügel in unmittelbarer Nähe ähnlicher Ställe
Normenkette
Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99; Richtlinie 2011/92/EU
Beteiligte
Tenor
1. Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der durch die Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 geänderten Fassung in Verbindung mit Anhang III Nr. 1 Buchst. b und Nr. 3 Buchst. g der Richtlinie 2011/92 in geänderter Fassung
ist dahin auszulegen, dass
er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der die Verpflichtung, die Auswirkungen zu prüfen, die ein Projekt gemeinsam mit anderen Projekten haben könnte, auf Fälle beschränkt ist, in denen die geplante Anlage und die anderen Projekte mit gemeinsamen Einrichtungen verbunden sind.
2. Die Richtlinie 2011/92 in der durch die Richtlinie 2014/52 geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die lediglich eine Einzelfalluntersuchung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2011/92 in geänderter Fassung in Bezug auf ein Projekt vorsieht, das einzeln den in Anhang I Nr. 17 Buchst. a der Richtlinie 2011/92 in geänderter Fassung vorgesehenen Schwellenwert nicht erreicht, ihn aber in Verbindung mit anderen Projekten erreicht. Im Rahmen dieser Einzelfalluntersuchung kann der Umstand, dass ein solches Projekt diesen Schwellenwert in Verbindung mit anderen Projekten erreicht, gleichwohl ein Indiz dafür sein, dass bei diesem Projekt mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2011/92 zu rechnen ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Minden (Deutschland) mit Entscheidung vom 17. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 15. September 2022, in dem Verfahren
J. O.
gegen
Kreis Gütersloh,
Beteiligter:
W. D.,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen und J. Passer (Berichterstatter),
Generalanwalt: A. M. Collins,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 bis 3, Anhang I Nrn. 17 und 24, Anhang II Nr. 1 Buchst. e sowie Anhang III Nr. 1 Buchst. b und Nr. 3 Buchst. g der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1) in der durch die Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 (ABl. 2014, L 124, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2011/92).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen J. O., einer natürlichen Person, und dem Kreis Gütersloh (Deutschland) wegen des Vorbescheids des Kreises Gütersloh über die Vereinbarkeit eines Vorhabens zur Errichtung und zum Betrieb eines Stalls für Mastgeflügel mit dem Bauplanungsrecht.
Rechtlicher Rahmen
Richtlinie 2011/92
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 8 und 9 der Richtlinie 2011/92 lauten:
„(8) Projekte bestimmter Klassen haben erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und sollten grundsätzlich einer systematischen Prüfung unterzogen werden.
(9) Projekte anderer Klassen haben nicht unter allen Umständen zwangsläufig erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt; sie sollten einer Prüfung unterzogen werden, wenn sie nach Auffassung der Mitgliedstaaten möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.”
Rz. 4
Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vor Erteilung der Genehmigung die Projekte, bei denen unter anderem aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Genehmigungspflicht unterworfen und einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt unterzogen werden. Diese Projekte sind in Artikel 4 definiert.”
Rz. 5
Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Projekte des Anhangs I werden vorbehaltlich des Artikels 2 Absatz 4 einer Prüfung gemäß den Artikeln 5 bis 10 unterzogen.
(2) Bei Projekten des Anhangs II bestimmen die Mitgliedstaaten vorbehaltlich des Artikels 2 Absatz 4, ob das Projekt einer Prüfung gemäß den Artike...