Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Wettbewerb. Kartelle. Klagen auf Schadensersatz für Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Union. Beschluss der Europäischen Kommission, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wird. Vergleichsverfahren. Von der Zuwiderhandlung betroffene Produkte. Sonderfahrzeuge. Müllfahrzeuge
Normenkette
AEUV Art. 101
Beteiligte
Tenor
Der unter dem Aktenzeichen C(2016) 4673 final bekannt gegebene Beschluss der Europäischen Kommission vom 19. Juli 2016 in einem Verfahren nach Artikel 101 [AEUV] und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache AT.39824 – Lastkraftwagen) ist dahin auszulegen, dass Sonderfahrzeuge einschließlich Müllfahrzeuge zu den Produkten gehören, die von dem in diesem Beschluss festgestellten Kartell betroffen sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Hannover (Deutschland) mit Entscheidung vom 19. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 10. November 2020, in dem Verfahren
Landkreis Northeim
gegen
Daimler AG,
Beteiligte:
Iveco Magirus AG,
Traton SE, Rechtsnachfolgerin der MAN SE, von MAN Truck & Bus und der MAN Truck & Bus Deutschland GmbH,
Schönmackers Umweltdienste GmbH & Co. KG,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter) sowie der Richter P. G. Xuereb und A. Kumin,
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. November 2021,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Landkreises Northeim, vertreten durch die Rechtsanwälte L. Maritzen und B. Rohlfing,
- der Daimler AG, vertreten durch die Rechtsanwälte U. Denzel, L. Schultze-Moderow und C. von Köckritz,
- der Iveco Magirus AG, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Boos und M. Buntscheck sowie die Rechtsanwältinnen T. Mühlbach und H. Stichweh,
- der Traton SE, Rechtsnachfolgerin der MAN SE, von MAN Truck & Bus und der MAN Truck & Bus Deutschland GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt C. Jopen, Rechtsanwältin S. Milde und Rechtsanwalt D. J. Zimmer,
- der Schönmackers Umweltdienste GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt A. Glöckner,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, E. Samoilova und J. Schmoll als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Baches Opi, M. Farley und L. Wildpanner als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 24. Februar 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des unter dem Aktenzeichen C(2016) 4673 final bekannt gegebenen Beschlusses der Kommission vom 19. Juli 2016 in einem Verfahren nach Artikel 101 [AEUV] und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache AT.39824 – Lastkraftwagen) (ABl. 2017, C 108, S. 6, im Folgenden: Beschluss).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Landkreis Northeim (Deutschland) und der Daimler AG wegen eines Schadens, der dem Landkreis Northeim durch die im Beschluss festgestellte Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) entstanden sein soll.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung (EG) Nr. 1/2003
Rz. 3
Art. 2 („Beweislast”) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) lautet:
„In allen einzelstaatlichen und [Unionsverfahren] zur Anwendung der Artikel [101] und [102 AEUV] obliegt die Beweislast für eine Zuwiderhandlung gegen Artikel [101] Absatz 1 oder Artikel [102 AEUV] der Partei oder der Behörde, die diesen Vorwurf erhebt. Die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des Artikels [101] Absatz 3 [AEUV] vorliegen, obliegt den Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, die sich auf diese Bestimmung berufen.”
Rz. 4
Art. 7 („Feststellung und Abstellung von Zuwiderhandlungen”) dieser Verordnung lautet:
„(1) Stellt die Kommission auf eine Beschwerde hin oder von Amts wegen eine Zuwiderhandlung gegen Artikel [101] oder Artikel [102 AEUV] fest, so kann sie die beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung verpflichten, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen. Sie kann ihnen hierzu alle erforderlichen Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art vorschreiben, die gegenüber der festgestellten Zuwiderhandlung verhältnismäßig und für eine wirksame Abstellung der Zuwiderhandlung erforderlich sind. Abhilfemaßnahmen struktureller Art können nur in Ermangelung einer verhaltensorientierten Abhilfemaßnahme von gleicher Wirksamkeit festgelegt werden, oder wenn letztere im Vergleich zu Abhilfemaßnahmen struktureller Art mit einer größeren Belastung für die beteiligten Unternehmen verbunden wäre. Soweit die Kommission ein berechtigtes...