Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentliche Aufträge. Richtlinie 89/665/EWG. Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge. Entscheidung über den Widerruf einer Ausschreibung nach Angebotsöffnung. Gerichtliche Nachprüfung. Umfang. Effektivitätsgrundsatz
Beteiligte
Bundesimmobiliengesellschaft mbH |
Tenor
Das zuständige Gericht ist verpflichtet, die nationalen Vorschriften unangewendet zu lassen, die es daran hindern, die Verpflichtung aus den Artikeln 1 Absatz 1 und 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge geänderten Fassung zu beachten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Bundesvergabeamt (Österreich) mit Entscheidung vom 12. Januar 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Januar 2004, in dem Verfahren
Koppensteiner GmbH
gegen
Bundesimmobiliengesellschaft mbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter C. Gulmann (Berichterstatter), P. Kuris und G. Arestis,
Generalanwältin: C. Stix-Hackl,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Koppensteiner GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte D. Benko und T. Anker,
- der Bundesimmobiliengesellschaft mbH, vertreten durch Rechtsanwalt O. Sturm,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch K. Wiedner als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. Dezember 2004
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 1 und 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Koppensteiner GmbH (im Folgenden: Koppensteiner) und der Bundesimmobiliengesellschaft mbH (im Folgenden: BIG) wegen der Entscheidung der BIG, eine Ausschreibung für einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag nach Ablauf der Angebotsfrist zu widerrufen.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsregelung
3 Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665 lautet:
„Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinien 71/305/EWG, 77/62/EWG und 92/50/EWG … fallenden Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge die Entscheidungen der Vergabebehörden wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der nachstehenden Artikel, insbesondere von Artikel 2 Absatz 7, auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.”
4 Artikel 2 Absätze 1 und 6 der Richtlinie 89/665 bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden,
- damit so schnell wie möglich im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufige Maßnahmen ergriffen werden können, um den behaupteten Rechtsverstoß zu beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern; …
- damit die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten, den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlasst werden kann;
- damit denjenigen, die durch den Rechtsverstoß geschädigt worden sind, Schadensersatz zuerkannt werden kann.
…
(6) Die Wirkungen der Ausübung der in Absatz 1 genannten Befugnisse auf den nach Zuschlagserteilung des Auftrags geschlossenen Vertrag richten sich nach dem einzelstaatlichen Recht.
Abgesehen von dem Fall, in dem eine Entscheidung vor Zuerkennung von Schadenersatz aufgehoben werden muss, kann ein Mitgliedstaat ferner vorsehen, dass nach dem Vertragsschluss im Anschluss an die Zuschlagserteilung die Befugnisse der Nachprüfungsinstanz darauf beschränkt werden, einer durch einen Rechtsverstoß geschädigten Person Schadenersatz zu...