Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Missbräuchliche Klauseln. Fremdwährungsdarlehen. Unterschied zwischen dem Wechselkurs bei Auszahlung der Darlehensmittel und dem bei ihrer Tilgung. Regelung eines Mitgliedstaats, die die Ersetzung einer missbräuchlichen Klausel durch eine Bestimmung des nationalen Rechts vorsieht. Möglichkeit für das nationale Gericht, den Vertrag, der die missbräuchliche Klausel enthält, in seiner Gesamtheit für unwirksam zu erklären. Etwaige Berücksichtigung des durch diese Regelung gewährten Schutzes und des Willens des Verbrauchers in Bezug auf deren Anwendung
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG Art. 1 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1
Beteiligte
OTP Faktoring Követeléskezelő Zrt |
Tenor
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die in Bezug auf mit einem Verbraucher geschlossene Darlehensverträge eine als missbräuchlich angesehene Klausel über die Wechselkursdifferenz für nichtig erklärt und das zuständige nationale Gericht verpflichtet, sie durch eine Bestimmung des nationalen Rechts zu ersetzen, die die Anwendung eines offiziellen Wechselkurses vorschreibt, ohne die Möglichkeit vorzusehen, dass dieses Gericht dem Antrag des betroffenen Verbrauchers auf Nichtigerklärung des Darlehensvertrags in seiner Gesamtheit stattgibt, obwohl es davon ausgeht, dass der Fortbestand dieses Vertrags den Interessen des Verbrauchers zuwiderläuft, insbesondere im Hinblick auf das Wechselkursrisiko, das der Verbraucher aufgrund einer anderen Klausel in diesem Vertrag weiterhin trägt, soweit das Gericht demgegenüber im Rahmen seiner Beurteilungsbefugnis und ohne dass der vom betroffenen Verbraucher zum Ausdruck gebrachte Wille insoweit Vorrang hätte, festzustellen vermag, dass die Durchführung der in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Maßnahmen es ermöglicht, die Sach- und Rechtslage wiederherzustellen, in der sich der Verbraucher ohne die missbräuchliche Klausel befunden hätte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Győri Ítélőtábla (Tafelgericht Győr, Ungarn) mit Entscheidung vom 10. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Dezember 2019, in dem Verfahren
JZ
gegen
OTP Jelzálogbank Zrt.,
OTP Bank Nyrt.,
OTP Faktoring Követeléskezelő Zrt.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader und des Richters N. Jääskinen (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des JZ, vertreten durch L. Marczingós, ügyvéd,
- der OTP Jelzálogbank Zrt., der OTP Bank Nyrt. und der OTP Faktoring Követeléskezelő Zrt., vertreten durch A. Lendvai, ügyvéd,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Havas und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen JZ auf der einen Seite und der OTP Jelzálogbank Zrt., der OTP Bank Nyrt. und der OTP Faktoring Követeléskezelő Zrt. (im Folgenden zusammen: OTP Jelzálogbank u. a.) auf der anderen Seite wegen eines Antrags auf Nichtigerklärung von Darlehensverträgen aufgrund der Missbräuchlichkeit verschiedener Klauseln in diesen Verträgen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 heißt es:
„Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, dass sie keine missbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft Vertragsparteien sind, nicht dieser Richtlinie zu unterwerfen; der Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften’ in Artikel 1 Absatz 2 umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde.”
Rz. 4
Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie sieht vor:
„Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft – insbesondere im Verkehrsbereich – Vertragsparteien sind, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.”
Rz. 5
In Art. 3 de...